Leider, berichtet mir die A., sei ihr Schulfreund D. ja vor kurzem verrückt geworden, und werde, spräche sich das herum, wohl demnächst eingesperrt. Ein klein wenig bedauerlich sei schon, dass ausgerechnet sie sich in den Reihen der Werkzeuge des Wahnsinns wiederfinden habe müssen, allein, sie habe mit den besten, wirklich mit den unschuldigsten Motiven gehandelt, denn nichts zeichnet die anima candida ja mehr aus als die Tierliebe. Reine Tierliebe sei es ja gewesen, die sie vor einigen Wochen ihren Freund D. sie ins Tierheim habe begleiten heißen, denn wenig vorher war ihr Kater Samson gestorben, und Katze Tiffy nun ganz allein. Einen neuen Kater habe sie da erwerben wollen, um die Einsamkeit der verwitweten Katze ein wenig zu lindern.
Bei den Katzen wurde man leider nicht fündig. Uralt waren die ausgestellten Katzen, krank oder irgendwie gestört, und unter lauter lästerlichen Mutmaßungen, was wohl mit den gesunden, jungen Katzen passiere, habe sie dem Ausgang wieder zugestrebt. Es sei also der D. ganz allein gewesen, der den verhängnisvollen Rundgang durch das Hundehaus vorgeschlagen habe, und so zog man also eine Runde vorbei an den Verschlägen der Hunde, die keiner mehr haben will.
Zerfällt die Welt in Hunde- und Katzenliebhaber, so gehört der D. ganz klar in die Kategorie der Hundefreunde, und so zog er also im Zickzack durch die Behausungen der traurigen, herrenlosen Hunde, denn noch mehr als die Katzen belastet die Herrenlosigkeit das hündische Gemüt, und die Hunde wedelten mit Schwanz und drückten ihren Schnauzen eng an das Gitter, damit der D. sich ihrer annehme, um sie mit sich zu führen. Der D. allerdings wohnt irgendwo in Mitte in anderthalb Zimmern, an die Anschaffung eines Hundes war vernünftigerweise nicht zu denken, und so floß ihm zwar das Herz über, aber einen Hund mitzunehmen, fiel ihm zu recht nicht ein.
Auf einmal aber warf der D. sich vor der A. erstaunten Augen fast auf den Boden, gab glucksende Geräusche von sich, und streckte die Hände aus nach einem struppigen, ziemlich grauen Dackel. „Das ist ja Satan!“, ächzte er, strahlte, und das Tier kam ganz nah ans Gitter und ließ sich streicheln. „Satan, bist du wieder da!“, jubelte der D. mit durchaus gesteigerter Phonzahl, und der A. wurde ganz anders.
Satan nämlich hatte einst den Haushalt der Eltern des D. bereichert, damals, als die A. und der D. noch gemeinsam zur Schule gingen, irgendwann in den Achtziger Jahren. Ein ausnehmend hässliches Tier sei Satan gewesen, der Inbegriff des widerspenstigen, schwerhörigen und ungezogenen Dackels, der mit wahrhaft zerstörerischem Furor den D.’schen Haushalt einmal ein- und nicht gleichermaßen unbeschädigt wieder ausgegraben habe, aber der D. liebte den Hund und ließ nichts auf den Dackel kommen. Ein paarmal habe der D. sogar versucht, den Hund in die Schule mitzunehmen, dies sei ihm aber vom Lehrer verwiesen worden, und so wartete der Dackel Satan jeden Tag an der Gartenpforte auf die Rückkehr seines jugendlichen Herrn, um ganze Tänze aufzuführen, kam er um die Ecke.
Doch auch Dackel altern, und eines Tages musste man Satan zum Tierarzt bringen, um das arme Tier zu erlösen. Schwere Schmerzen hatte Satan gelitten, war schon ganz buckelig geworden vor lauter Geschwüren und stank aus dem Mund wie die sprichwörtliche Hure Babylon morgens vorm Zähneputzen. Vor dem jugendlichen D. hatte man dies verheimlicht, um eine Vereitelung des Erlösungsplans zu verhindern, denn ohne weiteres, sagt mir die A., sei jener in der Lage gewesen, mitsamt Hund einfach auszurücken, und den Hund unter Qualen und wesentlich langsamer als in der Praxis des Tierarztes irgendwo verenden zu lassen. – Als der D. also nach der Schule nach Hause kam, war der Hund tot.
Heulend und schreiend habe sich der elfjährige D. auf dem Rasen gewälzt, mit den Fäusten auf den Teppich gehämmert, seine Eltern gelästert und Gott verflucht, der es so eingerichtet hat, dass auch Hunde sterben. Vergeblich versuchten de D.’schen Eltern beruhigend auf ihn einzuwirken, versprachen alles mögliche, wenn er nur aufhöre zu heulen, kündigten den Erwerb eines neuen Hundes an und rangen die Hände. Ein neuer Hund aber, so schluchzte der D., komme ihm nicht ins Haus.
Der Hund aber war und blieb tot, und unter einem Fliederbusch grub man Satans sterbliche Reste in seiner Hundedecke ein, ein großer Stein wurde über das Grab gewälzt, und der D. heulte monatelang jedesmal, wenn er an der leeren Ecke vorbeikam, in der in besseren Tagen die Hundedecke gelegen. Manchmal hörte er des Nachts im Halbschlaf Satans Krallen auf dem Küchenboden. Mitten im Unterricht wurde der D. ab und zu ganz sentimental, und ein paar Tränen rannen über seine Wangen. Ganz generell sackten D.’s Schulleistungen dermaßen ab, dass er erst einmal sitzenblieb, und erst ein Jahr nach der A. Abitur ablegte.
„Satan! Satan! Guter Hund!“, jubelte der D. also vor dem Käfig und drehte sich kurz zur A. um. „Satan ist wieder da!“, verkündete er leuchtenden Auges, und die A. murmelte irgendetwas von einer „wirklich ganz erstaunlichen Ähnlichkeit.“ – Konsterniert starrte der D. zurück. Der Dackel aber sah seine Chance gekommen, aus dem Tierheim zu entkommen, lackte dem D. die Hände, sprang wie närrisch um ihn herum und hatte offenbar beschlossen, aus der Verwechslung den allergrößten Vorteil zu ziehen, den Auszug aus dem Tierheim nämlich, und so kam es denn auch: Der D. verließ das Tierheim mit dem Hund, der Hund war’s zufrieden, und nur der A. war ein wenig mulmig bei der Begeisterung, die der D. an den Tag legte.
Im Wagen hielt die A. den Hund auf den Knien, der D. telefonierte mit seiner Mutter, teilte mit, Satan sei wieder da, und beendete das Gespräch recht brüsk, als die Mutter sich dem Wahrheitsgehalt dieser Behauptung offenbar nicht so aufgeschlossen zeigte, wie der D. es sich vorstellte. „Wir zwei verstehen uns, gell?“, tätschelte er statt dessen dem Dackel den Kopf und enteilte vor seiner Tür mitsamt dem Hunde.
Ob die Hoffnungen des ehemals herrenlosen Dackels sich aber im Haushalte des D. wirklich voll und ganz erfüllt haben, steht zu bezweifeln, denn 60 Qaudratmeter, die einem berufstätigen Single gehören, dürften nicht gerade ein Hundehimmel sein, und so begann Dackel Satan, die Inneneinrichtung des D. langsam zu zernagen. „Immer noch so ungestüm wie immer!“, ließ sich der D. nicht irremachen, und engagierte einen Russen, der täglich mit Satan spazierenzugehen hat, und widmet sich in seiner Freizeit ausführlich dem Hunde. Demnächst, so ist zu vernehmen, plane er den Hund in seinen Heimatort zu Besuch mitzunehmen, wo er, so hofft zumindest die A., in hundegerechter Umgebung auch verbleiben werde. Ob nun als Wiedergänger oder als Nachfolger jenes seligen Satan sei letztlich natürlich völlig egal. Sie habe aber, so teilt die A. mit, die ihr wohlvertraute Mutter des D. einmal angerufen und ihr eingeschärft, die Identität mit dem verstorbenen Hunde auf keinen Fall zu bezweifeln, denn ansonsten werde der D. gegenwärtig ziemlich störrisch.