Liebe Freunde

Glaube Liebe Hoffnung

„Manchmal,“, sagt die C. und füllt die geschlagene Sahne in ein Schälchen, „manchmal hasse ich meinen Job.“ „Wer tut das nicht.“, beschwichtige ich, und trage Teller und Tassen in C.´s Esszimmer. „Weißt du,“, ruft mir die C. hinterher und leckt die Mixstäbe ab, „an manchen Tagen, wenn alle gleichzeitig anrufen, würde ich am liebsten nach Hause gehen und heiraten.“ „Wen denn?“, frage ich, die ich mich gerade an keinerlei Neuentwicklungen im Leben der überaus geschätzten Freundin erinnern kann. „Was weiß ich.“, zuckt die C. mit den Schultern und schenkt schweren, spanischen Wein in die Gläser, der sich mit dem Aroma des warmen Zwetschgenkuchens vermischt, verschwimmt und schließlich einen weichen, samtigen Körper bildet, kompakt schimmernd zwischen dem gelben Licht der Kerzen.

„Wie wär´s alternativ mit Subventionsbetrug?“, schlage ich zum Thema gegenleistungslosen Reichtums vor, werfe die Zweckverfehlung von Spenden für wohltätige Zwecke ins Gespräch, und versuche die C. wieder ein bißchen zum Lachen zu bringen. „Gründe eine Religionsgemeinschaft.“, ziehe ich die letzten Register denkbarer Erwerbstätigkeit, und um die Mundwinkel der Gelegenheitskatholikin C. blitzt es immerhin ein bißchen heiter.

„Zielgruppe?“, fragt die C., und fischt eine verirrte Fliege vom Rand ihres Glases. „Frustrierte Mittdreißigerinnen.“, schlage ich vor und weise auf die sicherlich äußerst ergiebige Mischung aus frustrierter Heilserwartung, unbestimmter Spiritualität und ausgemacht putziger Halbbildung in eigentlich allen Bereichen menschlichen Lebens hin, die sich in dieser gesellschaftlichen Gruppe aufs Beste vermischen. „Hört sich gut an.“, bescheidet die C., es zuckt immerhin wieder heiter in ihren Mundwinkeln, und schwungvoll lädt sie einen weiteren Löffel Sahne auf ihren Kuchen. „Ein bißchen Mystik, ein bißchen Fernost.“, sinniert die C., und überlegt ein wenig. Buddhismus, so die C., hielte sich zwar schon seit mehreren Jahren, sei aber eigentlich schon fast wieder vorbei. Die Kabbala? Immerhin seit Madonna auch der Horoskopleserin der Cosmopolitan ein Begriff. Astrologie? Schon zu beackert.

„Im Grunde,“, fährt die C. in ihren Überlegungen fort, und betrachtet versonnen ihr Spiegelbild im Teelöffel, „bräuchte man einen Guru. Ein Medium. Du weißt schon.“ Ich nicke, und versuche mir die elegante, kühle C. vorzustellen, wie sie dem Flehen der Gläubigen mit der zu Recht berüchtigten Fähigkeit begegnet, allein die linke Augenbraue in ungeahnte Höhen zu ziehen, angewidert in unermessliche Weiten zu blicken und leicht gelangweilt etwas unendlich Sarkastisches von sich zu geben. „Nicht ich!“, unterbricht die C. meine Überlegungen, auch ich sei allerdings für diese Rolle vollkommen ungeeignet. Die geeignete Person sei vielmehr zum einen von überaus spirituellem Charisma, dazu hinreichend skrupellos und zudem mit der Fähigkeit begabt, statt in unpassenden Momenten laut zu lachen, tiefgründig und ernst dreinzuschauen. „Wird schwierig.“, bemerke ich, und sehe dem dunkelroten Wein nach, dessen Reste die C. auf die beiden Gläser verteilt.

Hach, sagt die C., so schwierig könne das doch alles nicht sein. Der Guru sei eine Frage der Zeit, sie mache das Marketing, ich kümmere mich um die rechtliche Seite der Gründung einer Religionsgemeinschaft, und gemeinsam, so beschließt die C., verfassen wir sodann die Glaubenslehre in Form eines grundlegenden Werks, sodann Kurzfassungen in Broschürenform und bieten Seminare an abgelegenen Orten an, wo der Geist des Universums in unseren Kundinnen walten soll und werde.

„Großartige Idee.“, sage ich, und bitte um ein weiteres Stück Kuchen.

Kunst und Hausverwaltung

Nun, meine Damen und Herren, ich sehe Sie enttäuscht: Aus diesem Hut springt auch diese Woche wieder kein einziges Kaninchen, und überhaupt ist mein Tun und Treiben gegenwärtig arm an Überraschungen, ohne allerdings jenen interessanten weltschmerzlichen Überdruß hervorbringen, welcher sich dann wiederum publikumswirksam ausstellen ließe:

Am Morgen stehe ich auf, den Tag über versuche ich unter Ächzen und geräuschvollen Missfallensbekundungen, die keiner hört, die Berge von Arbeit auf und neben meinem Schreibtisch zu verkleinern, und am Abend verlasse ich das Haus, um mit lieben Freunden an öffentlichen Orten zu essen oder zu trinken und sich dabei ziemlich viel zu erzählen. Des Nachts verstaue ich meine Sehhilfen ordentlich in eigens zu diesem Zweck fabrizierten Döschen aus Plastik und bestreiche mein Gesicht mit einer Creme, die vorzeitiger Hautalterung vorbeugen soll, die, wie man hört durch den Genuss von Tabakwaren gefördert würde, die ich nicht aufhören kann in möglicherweise übertriebenem Maße zu konsumieren.

Um Sie, mein geschätztes Publikum indes nicht vollends zu langweilen, und Sie zu sofortiger Kündigung des Abonnements dieses Blogs zu veranlassen, sehe ich mich also gezwungen, anderer Leute Kaninchen aus meinem Zylinder zu fischen, ein Prachtstück an Kaninchen allerdings, ein glanzvolles Produkt der Zweitverwertung jener Gegenstände, denen Sie oder ich uns vielleicht erst kürzlich entledigt haben.

In ihrer Einzimmerwohnung in Friedrichshain begab es sich nämlich, dass eine Studentin der freien Künste eines Tages begann, ob für´s Studium oder zu rein privaten Zwecken, aus allerlei Abfall eine Skulptur zusammenzukleben. Mag der Müllmann eine Hommage an den großen HA Schult dargestellt haben, oder mag er einfach nur so das Herz seiner Urheberin erfreut haben – aus Röhren, altem Haushaltsgerät und Blechdosen, alten Zeitungen und den Resten eines sogenannten Badezimmerradios in Form eines bunten Fisches entstand nach und nach ein ungefähr 150 Zentimeter hoher Zeitgenosse, der lustige Geräusche machen konnte, kam man dagegen. Weil die Künstlerin am oberen Ende und am unteren Ende des Rumpfes jeweils die Enden eines Plastikrohres angebracht hatte, konnte der Müllmann sogar urinieren, wenn man ihm zu trinken gab. Um Beschädigungen der Dielen durch derart aufgebrachte Feuchtigkeit zu vermeiden, trug der Müllmann eine Windel, die ursprünglich der Versorgung inkontinenter Menschen zu dienen bestimmt war und von einem Freund des Hauses aus einem Seniorenheim entwendet worden war.

Eines Tages aber kam das Unheil über den Müllmann, und wie so oft kündigte auch in diesem Fall das Schicksal sich auf so leisen Sohlen an, dass die Künstlerin keinen Grund sah, eben jenes zu vermeiden. Es wäre ihr indes auch nicht leicht gefallen, dem Übel aus dem Weg zu gehen, das in Gestalt der Hausverwaltung über ihren Müllmann kam, denn jener war mit der Zeit und bedingt durch die nicht allzu feste Verbindung seiner Teile, ein wenig immobil geworden.

Die Hausverwaltung schrieb also, weder durch Art noch Inhalt des Schreibens Misstrauen erregend, die Künstlerin in ihrer Eigenschaft als Mieterin an, und bat um Zugang zu der Wohnung, um einen Mangel an den Balkonen erst begutachten und sodann beseitigen zu können. – Arglos gewährte die Künstlerin der Hausverwaltung Zugang zu ihrem Heim und ließ das Unheil in Gestalt eines Mitarbeiters jenes Unternehmens in jene 38 m², die sie mit dem Müllmann bewohnte.

Was sich so ganz genau während der Besichtigung zwischen der Künstlerin und dem Abgesandten der Hausverwaltung abspielte, darüber können wir mangels genauer Kenntnis nur spekulieren. Fakt ist indes, dass wenige Tage später ein Schreiben der Hausverwaltung bei der Künstlerin einging, den Müllmann „unverzüglich“, so hieß es in jenem Brief „zu entfernen“. – Natürlich kam das gar nicht in Frage.

„Kunst!“, rief markig die Urheberin des Müllmanns. – Hygienische Gründe, gab die Hausverwaltung zurück, verböten indes die langfristige Lagerung von Haus- Sperr- und Sondermüll in zu Wohnzwecken genutzten Räumen. Ihr Müllmann sei nicht schmutzig und ziehe keineswegs Kleintiere an, wandt die Künstlerin wenn auch vergeblich ein. – Fabulierte die Hausverwaltung sogar von Ratten, sprach die Mieterin um so lauter von kreativer Selbstverwirklichung, bis beide Seiten müde der eigenständig geführten Auseiandersetzung jeweils einen Rechtsanwalt einschalteten.

Drohungen mit Kündigung des Mietverhältnisses kreuzten sich mit Ausführungen über den die liberale Gesellschaft geradezu konstituierenden Wert der Freiheit der Kunst. Gütevorschläge, den Müllmann in einer alten Remise unterzubringen, wurden mangels Beweglichkeit des Kunstwerks entrüstet abgelehnt, weitere Kompromisse nach diesem Entgegenkommen weit von sich gewiesen, und gut stehen die Chancen, mit dem Hausgenossen der Kunststudentin dermaleinst noch das rostige Herz des Amtsgerichts zu erfreuen.

Wie der Hamster starb

„Da ist er.“, flüsterte meine Freundin N. mir ins Ohr, als der G. samt blonder, schlanker Freundin zur Tür hineinkam. Mir fiel fast das Glas aus der Hand, und ich starrte den G. an, der dem Gastgeber dieser Party im Hause seiner Eltern die Hand schüttelte und sodann in der Menge im Foyer des Hauses verschwand. Jedesmal, wenn zwischen den Köpfen der anderen Gäste derjenige des G. einen Moment sichtbar wurde, fingen die Eiswürfel in meinem Glas dermaßen auffällig an zu klirren, dass die N. mich belustigt anstieß.

Die selbstsichere, aparte N. plauderte rechts und links und versicherte aller Welt, es sei ein großartiges Gefühl, durchs Abitur zu fallen, und ich saß neben ihr auf den Treppenstufen und betete, auf der Stelle unsichtbar zu werden oder doch wenigstens auch so schlank wie die N., neben der ich mir ein wenig vorkam wie ein sehr adipöses Nilpferd. Irgendwann küsste die N. einen athletischen Herrn, der sich im Laufe des Abends als medizinstudierender Olympiaruderer erweisen sollte, und im Laufe der nächsten Tage als ein ziemlich psychopathischer, kopflos verliebter Stalker. – Ich stand auf und ging die Treppen hoch.

„Komm rein,“, rief die Schwester einer Klassenkameradin mir durch die halbgeöffnete Tür eines der Gästezimmer dieses mit mehr Geld als Geschmack ausgestatteten Hauses zu, stand auf einer Art Wäschekommode und zog sich vor zwei überdreht lachenden Männern langsam aus, und ich bewunderte sie für ihren Mut noch mehr als für ihren schönen Körper mit der barkenförmigen Blinddarmnarbe, blendendes Weiß auf rotbraunem Grund: Es war Hochsommer, Juli 1992. – Im Wintergarten tanzten ein paar Leute, ab und zu verlor einer der Tänzer die Kontrolle über seine benebelten Glieder und fiel klirrend gegen die Blumentöpfe. Von einer getöpferten Ampel unter der Decke herab sah die Katze der Familie uns feindlich an. Ich trank mehr Kir Royal als jemals wieder in meinem Leben, tanzte ein bißchen, lag in einem Korbsessel herum, und fütterte den Hamster der kleinen Schwester des Gastgebers, dessen Käfig im Wintergarten stand, durch die Gitterstäbe hindurch mit Möhrenstreifen. Ab und zu füllte der J2 mein Glas nach und drehte mir kleine Zöpfe in das damals noch fast hüftlange Haar, die ich im Bad vor dem Spiegel wieder ausbürstete. Irgendwann auf dem Rückweg aus dem Badezimmer kamen mir zwei Klassenkameraden entgegen, den Hamsterkäfig in der Hand.

„Was habt ihr denn vor?“, hielt ich den einen am Ärmel seines Sakko fest. Statt einer Antwort warf der Angesprochene den Käfig gegen die Decke, die Lampen klirrten, und der Hamster wirbelte in seinem Käfig erst hoch, und dann wieder auf den Boden. – Mit dem Hamsterkäfig in der Hand stampften beide Richtung Küche. „Wollen die den Hamster braten?“, fragte ich den J², der in einer Rattanliege verträumt den Perlen im Champagner nachsah, und zog den völlig Weggetretenen hinter mir Richtung Küche.

„Hör auf mit dem Mist.“, rief ich durch die Küchentür, die jemand von innen zuhielt. Von innen dröhnte lautes, rauhes Lachen, es klirrte, etwas zerschellte auf dem Boden, und als man mich einließ, grinste mein blonder Vordersitzer aus dem Lateinkurs mich an, den zappelnden Hamster in der Hand. Wie ein Zauberkünstler zeigte er das sich windende, quiekende Tier vor, legte den Hamster dann langsam auf ein Brett, und schwenkte mit der anderen Hand ein langes Filetiermesser. „Das machst du nicht.“, sagte ich, oder vielleicht war´s auch der J², und möglich ist, dass es diese Äußerung war, die den Ausschlag gab, und das Messer fuhr zwei- oder dreimal in den Hamster, der die Küchenplatte in einem Maße vollblutete, wie man es diesem kleinen Tier niemals zugetraut hätte. Ein bißchen fassungslos sahen die vier oder fünf Gäste in der Küche den Hamstermörder an, und einen Moment lang passierte gar nichts. „Das wird meine Schwester nicht freuen.“, meldete sich schließlich der Gastgeber zu Wort. Wie in Panik riss der Klassenkamerad, das Messer immer noch in der Hand, einen großen Streifen Aluminiumfolie von der Hängevorrichtung an der Dunstabzugshaube, wickelte den toten Hamster ein paarmal ein, und warf die Silberkugel durch das offene Fenster in die Nacht.

„Ich kaufe Montag einen neuen Hamster.“, versprach der Urheber des Problems, und ging nach Hause. Der Gastgeber nickte, und der J² und ich verabschiedeten uns gleichfalls, um nur einige Stunden später mit dem Gastgeber stundenlang den Garten abzusuchen, und so zu verhindern, dass die kleine Schwester nach ihrer Rückkehr die Reste ihres Hamsters irgendwo zwischen Rosenbeet und dichten Stauden finden würde.

Unter dem Flieder gruben wir den Hamster in seiner Aluminiumverpackung einen halben Meter tief ein.

Der Koch, der Dieb, die G. und sein Liebhaber

„Dich gibt´s auch noch.“, zischt der T. in den Hörer. „Tut mir leid.“, sage ich, „ich bin zur Zeit schrecklich beschäftigt.“, und erwähne die riesigen Haufen unerledigter Arbeit auf dem Schreibtisch. Viel zu tun sei, und interessant sei das wenigste daran. Privat täte sich gar nichts, und überhaupt sei mein Gesamtzustand in einer Weise stationär, die nur als besorgniserregend angesehen werden könne.

„Du solltest wegfahren.“, meint der T., und spricht von der erfrischenden Wirkung eines kurzen Aufenthalts am Meer, bei Menton etwa, wo die G. diversen Freunden das Haus ihrer Eltern geöffnet habe. Die G., so fährt der T. fort, habe sich ja immer noch nicht erholt, und brauche aufheiternde Gesellschaft wie kaum etwas anderes.

„Erholt?“, frage ich, und kann mich beim besten Willen an kein besonderes Ereignis im Leben der G. erinnern, deren wiehernder Frohsinn mir von einigen wenigen Abenden in Gesellschaft in etwas anstrengender Erinnerung geblieben ist. „Habe ich dir nicht…?“, fragt der T., rechnet ein bißchen nach, wann das letzte ausführliche Telephonat stattgefunden hat und fängt sodann an, zu erzählen.

Sogar die G. nämlich, dieser blonde Cheerleadertraum in rosa Ralph-Lauren-Blusen und mit Perlen um den Hals, verfüge über einige sonderbare Vorlieben, die man diesem meist strahlendem Sonnenschein nur schwerlich zutraue. Unwiderstehlich angezogen werde die G. nämlich nicht, wie es sich gehöre, von wohlerzogenen Herren mit richtigen Berufen und rahmengenähten Schuhen, vielmehr hindere nur die Entfernung zwischen Kärnten und dem nächsten Meer die G. daran, sich haarigen und tätowierten Matrosen an den Hals zu werfen, am besten verschwitzt und ziemlich lange ungewaschen. So habe die G. schon vor einiger Zeit Gefallen an dem Koch eines pseudomexikanischen Restaurants gefunden, der diesem Ideal schon ziemlich nahe gekommen sei, und jenen Herrn mitgenommen nach Frankreich in das besagte Haus ihrer Eltern. Einige Tage habe man sich dort dem Wohlleben hingegeben und der Koch habe der G. Enchiladas zubereitet und Tacoschalen mit Hackfleisch gefüllt.

Fast zeitgleich indes sei auch der Vetter der G. auf die Idee gekommen, dort Aufenthalt zu nehmen, und das Unheil nahm seinen Lauf. Eines Tages nämlich sei die G. alleine zum Strand gefahren, ihr Koch und ihr Vetter seien allein im Haus zurückgeblieben, und als die G. am Abend zurückgekehrt sei, sei das Haus seltsam still gewesen, und die Terrasse leer. „Wo seid ihr?“, habe die G. gerufen, sei ein bißchen durch die Korridore gelaufen, und habe schließlich das Schlafzimmer des Vetters betreten. Dort, hinter zugezogenen Vorhängen, habe sich ihr indes ein Bild des Grauens geboten, des subjektiven Grauens allerdings, denn der Koch und der Vetter schienen sich vielmehr in hohem Grade zu amüsieren.

Schockiert, wenn auch unbemerkt, sei die G. zurückgeprallt. Habe fassungslos ein wenig vor der wieder geschlossenen Tür gewartet, und sei dann ein zweites Mal eingetreten, diesmal unter erheblicher Geräuschentwicklung. Entsetzt seien die beiden Hausgäste auseinandergefahren, und die nächsten Stunden konnten für keinen der Anwesenden besonders vergnüglich verlaufen sein: Die G. warf den Koch aus dem Haus, und der Vetter bekam gleichfalls nahegelegt, sich doch demnächst einmal eine andere Bleibe zu suchen.

Er werde, sprach der Vetter, den Koch zum Flughafen fahren, und die G. möge sich in der Zwischenzeit ein wenig beruhigen. Die G. verschwand türenschlagend in ihrem Schlafzimmer, und kam erst wieder heraus, als Vetter samt Koch das Haus verlassen hatten.

Am Abend, die G. und ihr Vetter saßen sich zu einem schweigsamen Mahl gegenüber, klingelte das Telephon. Der Koch war am Apparat und begehrte den Vetter zu sprechen. Er habe, sprach der hinausgeworfene Jüngling, eine Tasche vergessen, die man ihm hinterherschicken oder vorbeibringen solle, und die sich unter seinem Bett befinde. Der Vetter ging auf der Stelle nachschauen. Die Tasche war voll und ziemlich schwer.

„Was war denn nun in der Tasche?“, unterbrach ich des T. effektvolle Kunstpause. „Weißt du, Modeste,“, antwortete der T., „ein schlimmer Verlust wäre das kaum gewesen. G.´s Eltern sind offenbar keine wirklich geschmackvollen Menschen.“ – In der Tasche hätten sich die Schmutzwäsche des Kochs und ungefähr fünfzehn Hummelpuppen befunden, die ursprünglich den Kaminsims des Hauses geziert hätten.

„Ich hoffe, sie haben ihm seine Beute belassen.“, sage ich und gieße mir ein Glas kalten Tee ein.

Pinguin

Übermäßiges Mitleid und generelle Tierliebe, so schrieb mir der J. letztlich ans Ende der Welt, habe ihn bewogen, in der U-Bahnlinie 2 einem dem Bankrott anheimgefallenen Zirkusdirektor zwei zahme Pinguine abzukaufen. „Was hast Du in der U 2 zu suchen?“, schrieb ich ihm zurück, und überlegte ein bißchen, ob dem J. als berüchtigtem Spontankäufer eine derartige Anschaffung wohl zuzutrauen wäre, und wie man diese gegebenenfalls, am besten legal, auch wieder los würde.

Das Zusammenleben mit den Pinguinen gestaltete sich in den Folgetagen, J.´s per E-Mail vermittelten Auskünften zufolge, recht unkompliziert. Die Pinguine würden durch J.´s Wohnung watscheln und gerade in den Abendstunden neugierig das lebhafte Treiben am Helmholtzplatz beobachten. Aus Kostengründen bekämen die Pinguine zwar im wesentlichen nur Fischstäbchen und Fischfilet à la Bordelaise von Lidl zu essen, hätten sich aber über Unterkunft und Verpflegung alles in allem sehr zufrieden geäußert. Beide Tiere seien überdies so gut wie stubenrein. – Ich atmete auf, und die Vision, mit dem wütend protestierenden J. samt zwei übelriechenden Pinguinen im Taxi zum Tierheim zu fahren, verflüchtigte sich in den reinen Sphären von J.´s üppig blühender Phantasie.

„Es ist verdammt langweilig hier.“, schrieb ich dem J. vom Ende der Welt zurück und beschwerte mich ein bißchen über Wesen und Erscheinung der anderen Teilnehmer und schloß: „Viele Grüße auch an die Pinguine, ich bin am Freitag wieder in Berlin.“ – Ich könnte dann ja bei ihm vorbeikommen, antwortete der J. und bot außer einem Blick auf die Pinguine die Zubereitung warmer Speisen an.

Als ich ankam, waren die Pinguine angeblich im Schrank. Der J. hackte Zwiebeln klein, ließ sich von den Mißhelligkeiten des Wissenschaftsbetriebes berichten und gab seiner Zufriedenheit Ausdruck, selber an derartigen Veranstaltungen nicht teilnehmen zu müssen: Wissenschaftliche wie sonstige Talente und Fähigkeiten, so der J., würden stets erhebliche Risiken bergen, und in allzuvielen Fällen habe man nichts als Scherereien damit. Glück im Winkel, predigte der kluge J., und sah auf die Uhr: Zehn Minuten für die Spaghetti.

Die Wochen gingen ins Land. Der Juni wurde warm, sehr warm, und wieder ein bißchen kühler. Unter den Bäumen im Praterbiergarten an der Kastanienallee berichtete der J. vom Schicksal seiner Pinguine: Beide Tiere würden entsetzlich schwitzen, und hätten schon mehrere seiner Hemden durch ihre Ausdünstungen verdorben, denn nach wie vor würden sich die schüchternen Tiere insbesondere in Anwesenheit Dritter in seinem Kleiderschrank aufhalten.

Bei der „Kleinen Eiszeit“ in der Stargarder Straße ein paar Tage später nahm J. gleich zwei Kugeln extra für die Pinguine, die nur wegen unverhofft auftretender Transportprobleme dann doch unverzüglich verzehrt werden mussten. Als der J. ohne Eis heimkehrte, warfen, so der geschätzte ehemalige Gefährte, die Pinguine mit Fischstäbchen nach ihm, und verweigerten nach einer weiteren Woche den Verzehr von Fischstäbchen komplett.

„Jetzt haben sie sich auch noch zerstritten,“, teilte der J. zum Wochenende mit. Wider Erwarten würden die Pinguine sogar vor Gewalttätigkeiten nicht zurückschrecken, so dass er das größere Tier, Herbert genannt, ins Badezimmer habe einsperren müssen. Der kleinere Pinguin sei nicht wenig traurig über diese Entwicklung, habe es sich in J.´s Unterwäsche bequem gemacht und versuche dort, die jüngsten Entwicklungen psychisch zu bewältigen.

Wenn du,“, so schrieb ich zurück, „die Tiere in paar Stunden allein lassen kannst, kannst du am Freitag zum Pizzaessen kommen. Der M. kommt auch“ – Der J. sagte zu und teilte mit, einen Pinguin mitzubringen.

„Wo ist denn der Pinguin?“, frug ich den J., der ein paar Bierflaschen im Eisschrank verstaute. Der J. deutete neben sich. „Darf ich vorstellen – mein Pinguin Herbert. Meine Exfreundin Modeste.“ „Setzt euch schon mal hin,“, sagte ich und schob das erste Blech ins Rohr.

„Hallo,“, grüßte der eintretende M. ein wenig später, „Wie schaut´s aus bei euch? Das riecht aber gut.“, setzte sich, und sah den Pinguin den ganzen Abend nicht einmal an, als sei er gar nicht da.

Der Kandidat

„Endlich erwisch´ ich dich!“, die mir aus Studientagen bekannte und befreundete C² lacht in den Telephonhörer und plaudert ein bißchen über Erwerbstätigkeit und das Nachtleben am Rhein und die unschöne Neigung junger Eltern im Freundeskreis, ihren Nachwuchs für den Nabel der Welt zu halten. Ich plaudere ein bißchen zurück und referiere meine Urlaubspläne. „Wir können auch mal wieder zusammen verreisen.“, schlägt die C² vor. Als Single sei die Suche nach geeigneten Begleitpersonen doch immer eine schwierige Sache. Und apropos – wie es denn bei mir ausschaue in dieser Beziehung. „Schlecht.“, sage ich, und erläutere kurz die betrüblichen Umstände eines Privatlebens, in dem Neigung und Gegenneigung nur selten zusammenfinden.

C², so berichtet sie, sei ja jetzt Mitglied einer Datingplattform, und habe schon einige Kandidaten getroffen. „Und?“, frage ich. „Bisher nichts dabei.“, kommt postwendend zurück. Man müsse das Ganze eher vom Unterhaltungsfaktor her sehen, dann sei die Datingplattform gar nicht übel. Überhaupt zumeist ganz nette Leute, meint C², und verweist auf die Tatsache, dass hochgradiger Schwachsinn bei dem jeglichen persönlichen Treffen vorangehenden Mailkontakt und Telephonaten ja gar nicht verborgen bleiben könne. Optisch jedoch – und hier fängt C² an, herzlich zu lachen.

„Erzähl mal.“, sage ich.

Eine ganze Weile, so sagt C2, sei der Kontakt mit einem ortsansässigen Herrn hin und her gewogt. Der Mann schrieb nette Mails und vertippte sich auch beim Chat nicht mehr als nötig, seine Schweigsamkeit bei einigen Telephonaten schrieb die C² eventueller Schüchternheit zu, und so beschloss man, sich demnächst einmal zu sehen. „Ein paar Kilo zuviel, hat er gesagt.“, prustet die C², und erwähnt ein paar Bilder, die der Betreffende gemailt habe. Ein paar Kilo zuviel habe sie schließlich auch auf den Rippen, meinte die C², und stimmte einem Treffen schließlich zu.

Sie solle zu ihm kommen, schlug der Kandidat vor. Er werde kochen. „Ich bin doch nicht verrückt, und gehe zu jemandem nach Haus, den ich gar nicht kenne.“, wandte die C² ein, eingedenk aller Massenmördergeschichten, von denen man in der Zeitung liest, und nach einigem Hin und Her einigte man sich schließlich auf einen Spaziergang mit anschließendem Restaurantbesuch. Man traf sich auf dem Parkplatz.

„Modeste, du wärst umgefallen!“, sagt die C²: „Er hatte nicht ein paar Kilo zuviel – es war der Koloss von Rhodos. Mindestens 200 Kilo. Ein Mensch, der sich nicht allein die Fussnägel schneiden kann.“

Er habe sich, so rechtfertigte der Kandidat sein Vorgehen, erlaubt, etwas ältere Bilder zu übersenden aus Sorge, C² werde sonst einem Treffen nicht zustimmen. „Und das hätte ich auch nicht!“, sagt die C², und fährt mit einer ausgesprochen plastischen Beschreibung der Leiblichkeit des Herrn fort. „Und dann seid ihr spazierengegangen?“, frage ich. „Spazieren – ach was. Nach zweihundert Metern Stop an einem Eiswagen. Und nach einem Kilometer konnte der Kerl nicht mehr laufen und musste sich auf eine Bank setzen.“ Gesprochen habe der Kandidat auch im realen Leben kaum. „Kann auch am Spaziergang gelegen haben.“, wende ich ein. „Der hat auch im Sitzen den Mund nicht aufbekommen.“, entgegnet C².

Sie, so fährt C² fort, habe den offensichtlich aussichtslosen Versuch des Kennenlernens eigentlich abbrechen wollen, der Kandidat habe jedoch auf dem gemeinsamen Essen bestanden. Dass das Treffen nicht ganz optimal verlaufen sei, muss allerdings auch im Gehirn des Kandidaten angekommen sein, und so bestellte der Kandidat im aufgesuchten Restaurant lediglich ein Wasser. Um abzunehmen, wie er sagte. C² aß aus lauter Frust über den unguten Verlauf des Sonntagnachmittags hintereinander eine Suppe mit Kokosmilch und einen Haufen Gemüse mit Rindfleisch. Der Kandidat schwieg. Sie wolle ihn wohl nicht ein zweites Mal treffen, frug er irgendwann. C² verneinte. Das, so seufzte der Mann, habe er sich schon gedacht. Ob er ihr Essen denn trotzdem bezahlen solle? Die leicht irritierte C² bestand auf getrennter Bezahlung, und ließ sich die Dessertkarte kommen. Tja, so sprach der Kandidat. Dann müsse dieser Versuch der Partneranbahnung wohl als gescheitert angesehen werden, und erhob sich. Er werde jetzt fahren und wünsche ihr noch viel Glück bei der weiteren Suche. Er gebe aber zu bedenken, dass die Suche schwierig würde, versteife man sich zu sehr auf das Aussehen des Partners. Das, so sagte die C², solle der Kandidat ihre Sorge sein lassen, und bestellte eine gebratene Banane mit Eis. Der Kandidat verabschiedete sich. Auf Wiedersehen, sagte der Mann, schon halb im Gehen, und wandte sich ein paar Meter vor der Tür noch einmal um. Ob C² sein Wasser mitbezahlen könne.

„Das hört sich ja grässlich an.“, bedaure ich die geschätzte Freundin für den vertanen Sonntagnachmittag. „Halb so wild.“, winkt die C² ab. Hätte ja auch klappen können. Und ob eine solche Möglichkeit der Partnersuche nicht auch etwas für mich wäre.

Auf keinen Fall, sage ich.

Cellulite

Einer der vielen Gründe, wieso mein Leben mit in an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit überhaupt nie verfilmt werden wird, besteht in der Tatsache, dass meine Existenz ganz genau so jugendfrei ist wie Bambi oder Dokumentationen über Zahntechnik im 19. Jahrhundert. Sowas will keiner sehen und auch ichhabe selten Grund, diesen Zustand zu begrüßen. Meiner lieben Freundin J. jedoch verdanke ich erst in der letzten Nacht eine eingehende und unter die Haut gehende Erzählung über das, was passieren kann, wenn man versucht, diesen Zustand zu verändern.

„SCHLÄFST DU SCHON?“, brummt mein Telephon in den sehr frühen Morgenstunden, und wer den Ruf des Nebelhorns jemals vernommen hat, weiß, dass spätestens die Anfrage den erwünschten Zustand der Aktivität herstellen wird. Auf mein Lebenszeichen hin fährt wenig später J.´s Wagen krachend über den Gehsteig.

Vor so circa zwei Wochen, J. und ich feierten irgendwo in Mitte das deutsche Filmkunstschaffen, lernte die J. auf dem Weg zu den Waschräumen einen jungen Mann kennen. Man unterhielt sich, soweit möglich, der fünfundzwanzigjährige für meinen Geschmack etwas zu Berlin Style geschleckte Knabe offenbarte Profession (Regieassistenz) und Herkunft (Offenbach), man fand sich sympathisch, und verabredete sich wenige Tage später. Ob sodann die Drei-Tage-Regel eingehalten wurde, weiß ich nicht, jedenfalls fand ein weiteres Treffen gestern abend statt.

Ob die J. den Knaben mit ihrer Kochkunst bezaubern wollte, oder nur einen weiteren Zug durch die Clubs der Stadt in Ansehung des heutigen Arbeitstages für zu anstrengend erachtete – gegen acht Uhr am Abend erschien der Junge bei ihr, sie rührte, raspelte, deckte den Tisch mit Blumen und Kerzen, und man aß. Beim Wein auf dem Sofa kam man sich näher, ein Kuss auf die Ohren, ein Küsschen auf den Hals, ein zwangloser Wechsel des Standortes, und schließlich standen sich die Beteiligten unbekleidet gegenüber.

„Und dann?“, frage ich. „Was ist schiefgelaufen?“ J. starrt in ihre Teetasse. Während ich in ihrem Rücken nach weiterem Gebäck suche, fängt die J. erst ziemlich schrill an zu lachen, und fährt mit ihrem Bericht fort.

Der Knabe habe sie, so die J., umrundet, getätschelt, in einzelne Gliedmaßen gekniffen und sogar ein bißchen an den Haaren gezupft. In horizontaler Position angekommen, habe er mit der Hand über ihre Rückseite gestreichelt, nicht unangenehm, dann sei seine Hand jedoch auf Höhe ihrer Oberschenkel hängengeblieben, und er sprach die vernichtenden Worte: „Ganz schöne Krater hier.“

Die J. ist im Großen und Ganzen nicht unattraktiv, wie nicht wenige Frauen sind ihre Hüften und Oberschenkel aber leider deutlich dicker als alle entsprechenden Gliedmaßen, die die Vogue einer Abbildung für würdig befindet. „Modeste, ich habe mich gefühlt wie die Venus von Willendorf.“, die J. lacht immer noch in dieser alarmierend schrillen Tonlage.

„Ich dachte, Männer bemerken Cellulite gar nicht?“, sage ich, und schenke Tee nach. „Auch nur so eine gnädige Lüge.“, befindet J. Der Knabe habe, berichtet sie weiter, auf ihre Nachfrage, ob ihn das nachlassende Bindegewebe störe, entschuldigend geantwortet, wir hätten ja alle unsere kleinen Makel und Fehler. Während seiner schonungsvollen Ausführungen über innere Werte habe er allerdings fortgefahren, mit der Hand Bauch und Schenkel der J. zu inspizieren.

Schließlich, die Stimmung sei ohnehin zu Teufel gewesen, sei sie aufgestanden. Eine ganze Weile habe sie im Bad gesessen, geraucht, und als sie ins Schlafzimmer zurückgekommen sei, habe der Knabe auf ihrem Bett gelegen und in einer älteren „brand 1“ Ausgabe geblättert. „Das liest du?“, frage ich leicht verwundert. „Ich krieg´ die kostenlos.“, rechtfertigt sich J., und berichtet von dem erfolgreichen sanften Rauswurf.

In der Tür habe der Knabe ihr noch einen Kuss aufgedrückt und versichert, demnächst einmal anzurufen. „Dem hätte ich die Augen ausgekratzt.“, sage ich. „Davon findet der mich auch nicht schöner.“, antwortet die J.