Der Koch, der Dieb, die G. und sein Liebhaber

„Dich gibt´s auch noch.“, zischt der T. in den Hörer. „Tut mir leid.“, sage ich, „ich bin zur Zeit schrecklich beschäftigt.“, und erwähne die riesigen Haufen unerledigter Arbeit auf dem Schreibtisch. Viel zu tun sei, und interessant sei das wenigste daran. Privat täte sich gar nichts, und überhaupt sei mein Gesamtzustand in einer Weise stationär, die nur als besorgniserregend angesehen werden könne.

„Du solltest wegfahren.“, meint der T., und spricht von der erfrischenden Wirkung eines kurzen Aufenthalts am Meer, bei Menton etwa, wo die G. diversen Freunden das Haus ihrer Eltern geöffnet habe. Die G., so fährt der T. fort, habe sich ja immer noch nicht erholt, und brauche aufheiternde Gesellschaft wie kaum etwas anderes.

„Erholt?“, frage ich, und kann mich beim besten Willen an kein besonderes Ereignis im Leben der G. erinnern, deren wiehernder Frohsinn mir von einigen wenigen Abenden in Gesellschaft in etwas anstrengender Erinnerung geblieben ist. „Habe ich dir nicht…?“, fragt der T., rechnet ein bißchen nach, wann das letzte ausführliche Telephonat stattgefunden hat und fängt sodann an, zu erzählen.

Sogar die G. nämlich, dieser blonde Cheerleadertraum in rosa Ralph-Lauren-Blusen und mit Perlen um den Hals, verfüge über einige sonderbare Vorlieben, die man diesem meist strahlendem Sonnenschein nur schwerlich zutraue. Unwiderstehlich angezogen werde die G. nämlich nicht, wie es sich gehöre, von wohlerzogenen Herren mit richtigen Berufen und rahmengenähten Schuhen, vielmehr hindere nur die Entfernung zwischen Kärnten und dem nächsten Meer die G. daran, sich haarigen und tätowierten Matrosen an den Hals zu werfen, am besten verschwitzt und ziemlich lange ungewaschen. So habe die G. schon vor einiger Zeit Gefallen an dem Koch eines pseudomexikanischen Restaurants gefunden, der diesem Ideal schon ziemlich nahe gekommen sei, und jenen Herrn mitgenommen nach Frankreich in das besagte Haus ihrer Eltern. Einige Tage habe man sich dort dem Wohlleben hingegeben und der Koch habe der G. Enchiladas zubereitet und Tacoschalen mit Hackfleisch gefüllt.

Fast zeitgleich indes sei auch der Vetter der G. auf die Idee gekommen, dort Aufenthalt zu nehmen, und das Unheil nahm seinen Lauf. Eines Tages nämlich sei die G. alleine zum Strand gefahren, ihr Koch und ihr Vetter seien allein im Haus zurückgeblieben, und als die G. am Abend zurückgekehrt sei, sei das Haus seltsam still gewesen, und die Terrasse leer. „Wo seid ihr?“, habe die G. gerufen, sei ein bißchen durch die Korridore gelaufen, und habe schließlich das Schlafzimmer des Vetters betreten. Dort, hinter zugezogenen Vorhängen, habe sich ihr indes ein Bild des Grauens geboten, des subjektiven Grauens allerdings, denn der Koch und der Vetter schienen sich vielmehr in hohem Grade zu amüsieren.

Schockiert, wenn auch unbemerkt, sei die G. zurückgeprallt. Habe fassungslos ein wenig vor der wieder geschlossenen Tür gewartet, und sei dann ein zweites Mal eingetreten, diesmal unter erheblicher Geräuschentwicklung. Entsetzt seien die beiden Hausgäste auseinandergefahren, und die nächsten Stunden konnten für keinen der Anwesenden besonders vergnüglich verlaufen sein: Die G. warf den Koch aus dem Haus, und der Vetter bekam gleichfalls nahegelegt, sich doch demnächst einmal eine andere Bleibe zu suchen.

Er werde, sprach der Vetter, den Koch zum Flughafen fahren, und die G. möge sich in der Zwischenzeit ein wenig beruhigen. Die G. verschwand türenschlagend in ihrem Schlafzimmer, und kam erst wieder heraus, als Vetter samt Koch das Haus verlassen hatten.

Am Abend, die G. und ihr Vetter saßen sich zu einem schweigsamen Mahl gegenüber, klingelte das Telephon. Der Koch war am Apparat und begehrte den Vetter zu sprechen. Er habe, sprach der hinausgeworfene Jüngling, eine Tasche vergessen, die man ihm hinterherschicken oder vorbeibringen solle, und die sich unter seinem Bett befinde. Der Vetter ging auf der Stelle nachschauen. Die Tasche war voll und ziemlich schwer.

„Was war denn nun in der Tasche?“, unterbrach ich des T. effektvolle Kunstpause. „Weißt du, Modeste,“, antwortete der T., „ein schlimmer Verlust wäre das kaum gewesen. G.´s Eltern sind offenbar keine wirklich geschmackvollen Menschen.“ – In der Tasche hätten sich die Schmutzwäsche des Kochs und ungefähr fünfzehn Hummelpuppen befunden, die ursprünglich den Kaminsims des Hauses geziert hätten.

„Ich hoffe, sie haben ihm seine Beute belassen.“, sage ich und gieße mir ein Glas kalten Tee ein.

27 Gedanken zu „Der Koch, der Dieb, die G. und sein Liebhaber

  1. …seien die beiden Hausgäste auseinandergefahren, …
    ist das himmlisch, ist das grotesk! ist das eine freude! 🙂
    (was aber sind „Hummelpuppen“, fragst sich die banausin.)

  2. REPLY:

    Diese Scheußlichkeiten sind auch unter der Bezeichnung Hummel-Figuren bekannt. Teurer Kitsch. Meiner Erfahrung nach recht beliebt bei Amerikanern – als Schülerin putzte ich in amerikanischen Wohnungen, und die hatten die Dinger mit besseren Stecknadeln an die Wand gehängt. Es war jedesmal eine Zitterpartie, sie abzustauben. Noch ein Grund, diese Staubfänger zu verabscheuen.

  3. REPLY:

    so scheußlich sind die doch gar nicht. süße von nonnen gemalte engelsgesichtige kinderchen. ich glaube, das mit dem missbrauch in der kirche kam doch erst später, oder?

  4. REPLY:

    du liebe zeit, kann das wahr sein? da gibt es ja nix im zweistelligen bereich. nicht, daß das wichtig wäre für mich, aber…
    ob der koch wußte, was er tat? vielleicht ein heimlicher kitschkenner? oder einfach nur schwul und leicht zu begeistern.

  5. REPLY:

    Einen Chabrol-Film, in dem Hummelpuppen vorkommen, kann und will ich mir nicht vorstellen. Aber wenn man sich die Hummelpuppen einmal wegdenkt, die G. den Koch mit den Jagdwaffen des Vaters töten lassen würde, und dann würden die G. und ihr Vetter den Koch im Garten vergraben? Zum Schluss würden beide im offenen Wagen die Küstenstraße entlang fahren und schweigend am Meer sitzen. Das hätte unbestritten Stil, mehr Stil jedenfalls, als die G. in diesem Leben aufbringen wird. Da reicht´s denn doch nur zur Klamotte.

  6. REPLY:

    Ja, das ist hart. Diese pausbackigen Mutationen rangieren ganz knapp vor Svarovski-Schwänen und deutlich hinter Porzellanfiguren, die Rokoko-Schäferinnen in Pastell mit Amant und Schaf darstellen. Ob der Wunsch nach gewinnbringender Veräußerung oder nach beglückendem Besitz die Schritte des Jünglings lenkte, wird aber wohl ewig sein Geheimnis bleiben.

    Interessant übrigens, aber das nur ganz am Rande, das die Emanzipation der Frau es in Jahrzehnten immerhin zuwege gebracht hat, den sprichwörtlichen Hang zum Küchenpersonal auch auf weiblicher Seite virulent werden zu lassen. Angesichts der küchenpersonalfeindlichen Zeitläufte allerdings in den meisten Fällen nicht mehr das eigene.

  7. REPLY:

    Küchenpersonal … Hat hier eigentlich irgendjemand Cleaning woman gesagt?

    Außer Hummel-Figuren habe ich während jener Jahre in amerikanischen Wohnungen auch einen Haufen Svarovski-Schwäne abgestaubt. Ebenfalls sehr weit oben auf meiner persönlichen Aversionsliste: Meerschaumpfeifen. Alle in einen wackeligen Ständer gestopft und zwar mehr als da eigentlich hineingehen. Das Ding dann oben auf einen Schrank stellen, wo man schlecht dran kommt, es aber wegen Wackeligkeit auch nicht einfach herunter nehmen kann.

  8. REPLY:

    @arboretum: Vielen Dank für die erhellenden Links, die mir bisher unbekannte Details aus der Biografie der Künstlerin enthüllt haben.

    Was den künstlerischen Wert dieser Figuren angeht: vielleicht gibt es ja ein apokryphes, von ganz und gar unvermuteten Schaffensimpulsen beflügeltes Spätwerk, das von dem allseits bekannten Repertoire abweicht und dem Betrachter eher, nun ja — tantrisch anmutet?

    Zumindest konnten wir dereinst auf unserem Schulweg in der Auslage eines Antiquitätenhändlers fassungslos einen Hummel-Knaben und ein -Mägdlein begutachten, die als Ensemble in leicht verfänglicher (nach dem flämischen Hofmaler A[nton] Innozenz Tergo benannter) Pose angeordnet waren – wohlgemerkt, auch noch sie stehend hinter ihm! Freudsche Sublimation und Verdrängung können ja bekanntlich seltsame Blüten treiben, gerade bei einer Geistlichen.

    Eine alte Bekannte, nebenbei erwähnt, Köchin – und, noch nebenbeier, ein wunderbar geiles Luder liebreizendes weibliches Wesen mit den spitzesten Nip- ÄHÄH spitzesten nippesverachtenden Kommentaren, die ich je gesehhört habe – würde, wie ich sie kenne, dazu sagen:
    „Jaja, sowas kommt halt davon, wenn man nie Sex hat!“

  9. REPLY:

    So wie von Dir geschildert, liebe Modeste, würde ich mir den Film auch vorstellen, ich
    habe nicht davon
    gesprochen, dass dort Hummelpuppen vorkommen sollen (auch wenn ich in einem
    früheren Leben einmal Kunstgeschichte studiert habe, von der Existenz dieser Puppen
    ahnte ich bislang nichts, beim ersten Lesen dachte ich an Hummeln aus Stroh, und auch
    von diesen Schwänen habe ich noch nie etwas gehört. Porzellanfiguren sind per se
    hirnrissiger Trash). Zurück zum Film:
    Man könnte das auch von Luc
    Besson verfilmen lassen, dann kämen noch ein paar sinnlose Massaker und 20 Minuten
    Sonnenuntergang in der Bretagne hinzu.

  10. REPLY:
    It´s just Tarantino

    Ich habe ja ein großes Faible für sinnlose Massaker – zum Beispiel könnte die G. mit den Jagdwaffen ihres Vaters eine Runde durch das Zimmer tänzeln, in dem sich Vetter samt Koch amüsieren, und als echtes chick who loves guns elegant und mit einer Zigarette im Mundwinkel auf die beiden schießen. Weil die Szene ja im Schlafzimmer spielt, wäre der Raum voller wirbelnder Federn, der Koch wäre sofort tot und würde nur ein bißchen röcheln, und der Vetter säße schreiend, blutüberströmt und splitternackt am Boden. Die G. könnte ihn ein bißchen foltern, so Stuck in The Middle With You, und schließlich laufen lassen, aber auf der Auffahrt vor dem Haus würden ihn dann mutierte Vampire fangen und aussaugen.

  11. REPLY:

    Ich bin stark dafür, daß den Vetter der Exitus ereilt wie den Barkeeper in „Baise moi“: nackt und wimmernd auf allen Vieren vor einem großen Spiegel kauernd, kurz zuckend, als ihm der Revolverlauf eingeführt wird, Schnitt, und dann, durch den Spiegel gefilmt, wie sich schlagartig alles mit Blut füllt. Das debile, blutverspritzende Gesicht des Vetters durch die gerötete Scheibe, der langsam zur Seite sackt.

  12. REPLY:

    Oh, Baise Moi mochte ich ja nicht. Ziemlich unelegant und bar dieses verspielten Charmes, den Tarantino auch in seinen geschmacklosesten Momenten noch besitzt. Das Buch, vor einiger Zeit auf dem Flohmarkt erstanden, taugt im übrigen auch nicht viel.

  13. REPLY:

    Zugegeben, Baise moi mochte ich – im Gegensatz zu Tarantino, insbesondere From Dusk Till Dawn – auch nicht. Sinnlose Brutalität im Verbund mit Ironie- und überhaupt Humorfreiheit. (Das Double-Feature Baise moi im Kino sehen und Houellebecqs „Ausweitung der Kampfzone“ am selben Abend komplett lesen ist mir noch in denkwürdiger Erinnerung…)

    Dann doch lieber mutierte Killerputten und im Schrothagel berstende Hummel-Figuren. (Und eine Feriendatscha, die sich als unterirdische Mithras-Kultstätte entpuppt.)

  14. REPLY:

    Auch wenn ich l Áppartement und Dobermann noch halbwegs erträglich fand,
    Baise moi gefiel mir auch nicht mehr. Die Sache mit der Mithras-Kultstätte würde
    sich zur Ausarbeitung lohnen!

  15. REPLY:

    Mein Favorit bleibt ja nach wie vor „Reservoir Dogs“, ein großartiger Film, und ein prägendes Kinoerlebnis meiner Jugend. Klare Strukturen, eine skurrile Eleganz und eine Schönheit der Choreographie, die Tarantino danach nie wieder erreicht hat.

    Kurz davor oder kurz danach kam dann irgendwann C’est arrivé près de chez vous in die Kinos, einer der stilbildenden Filme der Neunziger mit seinem bitteren, scharfkantigen, grotesken Humor. Wo wir gerade bei Massakern sind.

  16. REPLY:

    JAAAA!!! 1993, oder so! Ich habe mich gar nicht getraut, den zu erwähnen, aber das ist einer meiner Lieblingsfilme dieses Genres. Grenzwertige Szenen, aber immer noch mit skurrilem Humor. „Petit Gregory“, sage ich nur! ;o)

    Edit: 1992. Ein Klassiker. „Cinéma, cinémAAAAAAA!“

  17. REPLY:

    Ein großartiger Film. Und unendlich besser als Oliver Stone´s mieses Machwerk Natural Born Killers, der ja eine ähnliche Thematik hatte, aber trotz der verehrungswürdigen Juliette Lewis zum Sterben langweilig war.

    (Dafür Juliette Lewis in From Dusk ´til Dawn – eine Offenbarung. Wenn ich ein Mann wäre, ich hätte mich sofort unsterblich in Juliette Lewis verliebt.)

  18. REPLY:

    Ich sehe, wir haben den gleichen Filmgeschmack. Wobei für mich Reservoir Dogs
    natürlich kein prägender Film meiner Jugendzeit war (das war für mich Diva),
    sondern meiner Studienzeit.

  19. REPLY:

    Dachte ich mir – und habe Natural Born Killers nie gesehen…

    Juliette Lewis – allerdings! Ich habe immer den armen Psychopathen – gespielt von Tarantino – ihretwegen bemitleidet. Ist doch drollig, wie er immer wieder damit anfängt: „Darf ich, äh, ähm, auf Dein, äh, Angebot zurückkommen?“

    Frau Hayek ist aber auch nicht schlecht. Genaugenommen, immer gut.

    Edit: „Uhh… sure.“

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