Glaube Liebe Hoffnung

„Manchmal,“, sagt die C. und füllt die geschlagene Sahne in ein Schälchen, „manchmal hasse ich meinen Job.“ „Wer tut das nicht.“, beschwichtige ich, und trage Teller und Tassen in C.´s Esszimmer. „Weißt du,“, ruft mir die C. hinterher und leckt die Mixstäbe ab, „an manchen Tagen, wenn alle gleichzeitig anrufen, würde ich am liebsten nach Hause gehen und heiraten.“ „Wen denn?“, frage ich, die ich mich gerade an keinerlei Neuentwicklungen im Leben der überaus geschätzten Freundin erinnern kann. „Was weiß ich.“, zuckt die C. mit den Schultern und schenkt schweren, spanischen Wein in die Gläser, der sich mit dem Aroma des warmen Zwetschgenkuchens vermischt, verschwimmt und schließlich einen weichen, samtigen Körper bildet, kompakt schimmernd zwischen dem gelben Licht der Kerzen.

„Wie wär´s alternativ mit Subventionsbetrug?“, schlage ich zum Thema gegenleistungslosen Reichtums vor, werfe die Zweckverfehlung von Spenden für wohltätige Zwecke ins Gespräch, und versuche die C. wieder ein bißchen zum Lachen zu bringen. „Gründe eine Religionsgemeinschaft.“, ziehe ich die letzten Register denkbarer Erwerbstätigkeit, und um die Mundwinkel der Gelegenheitskatholikin C. blitzt es immerhin ein bißchen heiter.

„Zielgruppe?“, fragt die C., und fischt eine verirrte Fliege vom Rand ihres Glases. „Frustrierte Mittdreißigerinnen.“, schlage ich vor und weise auf die sicherlich äußerst ergiebige Mischung aus frustrierter Heilserwartung, unbestimmter Spiritualität und ausgemacht putziger Halbbildung in eigentlich allen Bereichen menschlichen Lebens hin, die sich in dieser gesellschaftlichen Gruppe aufs Beste vermischen. „Hört sich gut an.“, bescheidet die C., es zuckt immerhin wieder heiter in ihren Mundwinkeln, und schwungvoll lädt sie einen weiteren Löffel Sahne auf ihren Kuchen. „Ein bißchen Mystik, ein bißchen Fernost.“, sinniert die C., und überlegt ein wenig. Buddhismus, so die C., hielte sich zwar schon seit mehreren Jahren, sei aber eigentlich schon fast wieder vorbei. Die Kabbala? Immerhin seit Madonna auch der Horoskopleserin der Cosmopolitan ein Begriff. Astrologie? Schon zu beackert.

„Im Grunde,“, fährt die C. in ihren Überlegungen fort, und betrachtet versonnen ihr Spiegelbild im Teelöffel, „bräuchte man einen Guru. Ein Medium. Du weißt schon.“ Ich nicke, und versuche mir die elegante, kühle C. vorzustellen, wie sie dem Flehen der Gläubigen mit der zu Recht berüchtigten Fähigkeit begegnet, allein die linke Augenbraue in ungeahnte Höhen zu ziehen, angewidert in unermessliche Weiten zu blicken und leicht gelangweilt etwas unendlich Sarkastisches von sich zu geben. „Nicht ich!“, unterbricht die C. meine Überlegungen, auch ich sei allerdings für diese Rolle vollkommen ungeeignet. Die geeignete Person sei vielmehr zum einen von überaus spirituellem Charisma, dazu hinreichend skrupellos und zudem mit der Fähigkeit begabt, statt in unpassenden Momenten laut zu lachen, tiefgründig und ernst dreinzuschauen. „Wird schwierig.“, bemerke ich, und sehe dem dunkelroten Wein nach, dessen Reste die C. auf die beiden Gläser verteilt.

Hach, sagt die C., so schwierig könne das doch alles nicht sein. Der Guru sei eine Frage der Zeit, sie mache das Marketing, ich kümmere mich um die rechtliche Seite der Gründung einer Religionsgemeinschaft, und gemeinsam, so beschließt die C., verfassen wir sodann die Glaubenslehre in Form eines grundlegenden Werks, sodann Kurzfassungen in Broschürenform und bieten Seminare an abgelegenen Orten an, wo der Geist des Universums in unseren Kundinnen walten soll und werde.

„Großartige Idee.“, sage ich, und bitte um ein weiteres Stück Kuchen.

28 Gedanken zu „Glaube Liebe Hoffnung

  1. Ratgeber und Fallbeispiel

    Liebe Modeste, für jedes Gewerbe gibt es einschlägige Fachliteratur, und neben dem
    immer angesagten ABC der frisierten Bilanz hierzu einen Roman, dessen Handlung
    zum Thema Sekten eigentlich klare Handlungsanweisungen gibt: Karma und Chaos.
    Ganz verspannt im Wenn und Aber von Chilly. Bevor Ihr also mit dem Religionsstiften
    loslegt, unbedingt lesen.
    Zum Thema „Frustrierte Mittdreißigerinnen“ kenne ich übrigens ein besonders prächtiges
    Beispiel. In meiner früheren linken Szene gab es eine sehr nervige Frau, die ihren
    Feminismus auf eine absurde Spitze trieb. Da jeder Mann ein potenzieller Vergewaltiger
    und sie Juristin war, bemühte sie sich sehr, Sexisten ausfindig zu machen, um an ihnen
    öffentlich Exempel zu statuieren. Outings von Sexisten waren zu dieser Zeit (Erste Hälfte
    90er) ja weit verbreitet. Hatten solche als Tribunale, die zur sozialen
    Ächtung der betroffenen Männer aufriefen, sich anfangs nur gegen tatsächliche oder
    vermeintliche Vergewaltiger bzw. Frauenbelästiger gerichtet, wurde dies bald auf
    Pornokonsumenten und „Verbalsexisten“ ausgedehnt und bald instrumentalisiert, z.B.
    bei Konkurrenzkämpfen von Bands um Probenräume (Sexismusvorwurf, um Andere
    rauszukicken). Nun, unsere Spezialistin entwickelte da einen inquisitorischen Eifer,
    den auch die forciertesten Mitstreiterinnen nicht mehr nachvollziehen konnten.
    Szeneintern trug sie den Spitznamen „Dangerwoman“.
    Rein äußerlich (Stachelhals- und Armband, Stahlkappenstiefel) hatte sie, die kurz
    vor Einsetzen dieser Phase noch sehr bürgerlich gekleidet war, den Kleidung gewordenen
    Gesinnungsausdruck bald auf die Spitze getrieben, wobei die wöchentlich wechselnde
    Haarfarbe es durchaus erschwerte, sie sogleich wiederzuerkennen.

    Szenewechsel, einige Jahre später. Dangerwoman verteilt kostenlos Bücher, Marx
    und Engels rauf und runter, Simone de Beauvoir, Verena Stephan, Ingrid Strobl,
    Judith Butler, Germaine Greer, die ganzen feministischen Klassikerinnen miteinand.
    Alle bedienen sich, alles muss raus. Dangerwoman löst auch ihren Haushalt auf
    und verschenkt alles. Sie heißt jetzt Indra Shri sonstwas, hat ihren Guru gefunden
    und lebt mit ihm, ich meine, auf Zypern oder so, zusammen und unterwirft sich ihm in
    masochistischer Hingabe.

  2. REPLY:

    Doch, doch, daran denken wir immer wieder einmal, so ein richtig nettes Café mit Klavier und Torte und gutem Tee in schönen Tassen. Vielleicht irgendwann einmal….und wenn es nichts wird mit der Religionsgründung.

  3. REPLY:

    Oh, da habe ich auch eine schöne Geschichte in petto von einer sächsischen Kunststudentin, die einen Guru in ihre nicht allzu großen vier Wände aufgenommen hat, und jenem seither dient. Bei Gelegenheit.

  4. REPLY:

    das schließt sich doch nicht aus, beim heiligen koffeinus! auch religionsgemeinschaften essen kuchen und trinken kaffee. ich bin übrigens gerne dabei, da ich als unfrustrierte mittdreißigerin auch gerade eine berufliche neuorientierung suche und über ausgeprägte demagogische fertigkeiten verfüge (als guruine tauge ich aber nicht, bin zu nymphomanisch veranlagt). gerne stelle ich mein teilrenoviertes fachwerkhaus (mit ladenlokal!) am rhein kostengünstig als ersten westeuropäischen kaffeehaus-ashram zur verfügung!

  5. saoirse (ist das gälisch?), nymphoman zu sein ist doch die beste Voraussetzung. Nicht alle Sekten üben Enthaltsamkeit, und die Gurus
    erst recht nich. Für alle Lebenslagen die genitale Lösung parat haben,
    das macht Gurutum aus…

  6. Die geeignete Person sei vielmehr zum einen von überaus spirituellem Charisma, dazu hinreichend skrupellos und zudem mit der Fähigkeit begabt, statt in unpassenden Momenten laut zu lachen, tiefgründig und ernst dreinzuschauen.

    Sie haben nach mir gerufen, Frau Modeste? Ich weiss aber noch nicht, ob ich kann ((c) Burnster, auch die mp3).

  7. REPLY:
    Orgien-Mysterien-Theater

    Genau, das schreit doch nach der Kirche der Sudelmoralisten. Und ein nymphomanisches Haus am Rhein? Besser geht nicht, würde ich (ganz heimatverbunden) sagen. Am Rhein hatte ich sozusagen alle meine Erweckungserlebnisse.

    Ich mache mich auch gut als Jammerfigur am Kreuz oder asketischer Märtyrer (Die Lehre der 60 Gr. Nudeln!) , falls so was erwünscht ist.

  8. REPLY:

    Und die Oblaten sind dann vermutlich aus Fruchtzuckerkuchen.
    Dass mit dem Ans-Kreuz-Nageln sollten Sie sich aber vielleicht nochmals überlegen. Vielleicht nehmen Sie lieber ein Andreaskreuz und lassen sich nur dranbinden. 😉

  9. REPLY:

    Auf meine Kommentatoren ist Verlass – die neue Weltreligion ist schon so gut wie siegreich. Herr MC und Herr Kid teilen sich die Position des Gurus, dann ist auch die Urlaubsvertretung gar kein Problem, und die zielgruppenspezifische Ansprache auf jeden Fall gesichert. Das Rheinland erscheint mir ohnehin als dankbarere Location für religiöse Ekstasen als das diesbezüglich nur schwer ansprachbare Berlin. Frau Saoirse, decken Sie am besten schon einmal den Tisch. Frau Arboretum und Herr Che können sich sicherlich beim Entwurf eines geeigneten Überbaus nützlich machen – und dann warten wir einfach nur noch auf die Gläubigen und essen während dessen das eine oder andere Stück Torte.

  10. REPLY:

    Aber gern. Sahne? Und probieren Sie von meinem neuen Tee, helles Blatt, aber weicher, träumerischer Nachgeschmack: Die Gläubigen werden zufrieden sein. Wein am Vormittag ist ja so gar nicht gesund.

  11. Ein ordentlicher Himbeerkuchen

    ist schon anbetungswürdig. Und das hat bisher keine Sekte und keine Religion, was ordentliches zu essen im Angebot. Dieser Weg führt zum Ziel, Brüder und Schwestern!

  12. REPLY:

    Tentakel! Der Oberpriester wird hingerissen sein, Herr Che, ganz sein Geschmack. Den Lindendom haben Sie auch sehr schön hinbekommen. Wir sollten noch für etwas Wohlgeruch sorgen, mit Weihrauch hab‘ ich es nicht so.

  13. REPLY:

    …oder den Kaffeehaus-Ashram über und über mit Allgäuer Latschenkiefer ausreiben? Nein, das kommt gar nicht in Frage, unter Wohlgerüchen stelle ich mir etwas anderes vor, bin im Gegensatz zur Frau Arboretum dem Weihrauch aber auch gar nicht abgeneigt. Das wird sich alles finden. Sekt und Himbeerkuchen hört sich jedenfalls schon einmal gut an; die Tage des Heils können nicht mehr fern sein.

  14. REPLY:

    Tja, lieber MC – schade, denn Ihre Erhebung zu hohen weltlichen Würden wird sich ja kaum mehr vermeiden lassen, nun, da jenes höhere Wesen, welches wir verehren, den Weg frei gemacht hat für Ihre Wahl. Senken Sie bei Gelegenheit die Tabaksteuer, ja? Und werfen Sie die Scorpions aus dem Kanzleramt.

  15. REPLY:

    Ich und Wunderbäume! Ich dachte an den Duft, der in einem tatsächlichen Wald
    herrscht, unter dem heiligen Dom der ineinander gewölbten Baumkronen.
    Aber meinetwegen liefere ich auch Azzaro, Lotos oder Ambra, was ja sowohl der
    Magie als auch der Erotik dienlich sein soll.

  16. Ich bin ja für Weihrauch und Myrrhe, die Kellner heißen Kaspar, Melchior und Balthasar, und sie tragen weite Pumphosen und bauchfrei.
    Tannennadelduft passt dann zum zweiten Themencafé: Kirschtorte auf Holzbänken.
    Hier fehlt aber noch die religiöse Komponente.

  17. REPLY:

    Hatten wir nicht schon einmal eine Religion, die ein bißchen so in der Art anfing?
    Zur Kirschtorte wäre zumindest eine erotische Komponente zu ergänzen
    http://rebellmarkt.blogger.de/stories/317493/#comments.

    Kirschtorten sind übrigens das Essen für Opferzeremonien, denn:

    In Japan ist die Kirsche ein Symbol der Selbstfindung und des Selbstopfers. Sie steht vor
    allem für das Opfer von Blut und Leben der Samurai im Krieg (unter dem roten Fleisch
    liegt ein harter Kern). Auf Darstellungen der christlichen Kunst im Mittelalter
    kann die Kirsche als Ersatz des Apfels (die verbotene Frucht) gedeutet werden.
    Die Kirschblüte ist in Japan ein Symbol der Reinheit, der Schönheit und des Glücks.
    Die vom Wind davongetragenen Kirschblüten sind ein Symbol für einen idealen Tod.

    Also, wenn das nicht Kult mit allem zwischen brennendem Dornbusch und Thors
    Hammer ist, dann weiß ich nicht mehr, welches Essen noch kultig ist.

  18. REPLY:
    Cafe und Religion

    Nun ja, in Berlin-Moabit gibt es desweilen ein Philosophisch-Theologisches Cafe ….
    worauf ich in aller Bescheidenheit hinweisen darf ….

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