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Fünf

Frau Gutemine hat gefragt:

1. 5 Dinge, die ich nicht habe, aber gerne hätte:

Tja, denken Sie, da lässt sich das Fräulein Modeste bestimmt irgendetwas angemessen Originelles einfallen und wünscht sich etwa einen Zwergwombat oder so, gern vielleicht auch einmal etwas ganz altruistisch Immaterielles wie den Weltfrieden. Oder dass die USA das Kyoto-Protokoll unterschreiben, irgendwie so, was ganz nebenbei auch noch in hoffentlich sehr sympathischer Weise zum Ausdruck brächte, dass Madame wie alle intelligenten Leute längst erkannt hätte, das Dinge, die man kaufen kann, nicht glücklich machen, wie man ja immer wieder hört.

In Wirklichkeit ist zumindest letztere Aussage ziemlich unzutreffend: Es gibt kaum etwas Frustrierenderes, als wenn man etwas kaufen will, und es nicht geht, weil es die Kleidungsstücke, die man kaufen will, nicht in der Kleidergröße gibt, die man nun eben einmal hat. Noch schlimmer, wenn die Lücke im Sortiment auch völlig zu recht besteht, weil die Sachen, die man eigentlich ganz gerne tragen würde, an schon eher dicken Frauen einfach schlecht aussehen. Noch schlechter, wenn einem auch bei längerer Überlegung keine als schön bekannte Frau des öffentlichen Lebens einfällt, die dicker ist, als man selber. Insofern: Kleidergröße 34/36. Und einen straffen Bauch.

Im Übrigen würde ich auch gern die Fähigkeit besitzen, Klavierspielen zu können, habe aber keine Lust, lange zu üben. Da der Klavierunterricht meiner Kindheit vollkommen fruchtlos an mir vorbeigegangen ist, und trotz mehrjähriger Qual nie auch nur ein einigermaßen angenehmes Ergebnis bei der ganzen Sache herausgekommen ist, habe ich da allerdings wenig Hoffnung. – Da ein Klavier in meine Wohnung auch gar nicht passen würde, hätte ich bei der Gelegenheit gern noch eine größere Wohnung. In die würde ich, glaube ich, dann gern ein Bild von Andreas Gursky hängen, die Photographien mag ich nämlich, obwohl die derzeit ja jeder mag, außer natürlich denjenigen, die nie mögen, was alle mögen, aber das ist ein anderes Thema.

2. 5 Dinge, die ich habe, aber lieber nicht hätte:

Familienangehörige in dieser Kategorie zu nennen, gilt gemeinhin als bösartig, nicht? Selbst dann, wenn einzelne Familienmitglieder wirklich ziemlich anstrengend sind? Und gern anrufen, wenn man sehr viel zu tun hat und wollen, das man irgend etwas kostenlos für sie macht? Sie schütteln den Kopf? Geht nicht? Okay….

Dann aber sozusagen statt dessen die mir völlig ermangelnde Fähigkeit, sich über den Rest der Welt einfach nicht aufzuregen. Ich rege mich immer auf. Ich bin aufbrausend und launisch, und wenn ich jemals privat Kinder oder beruflich Personalverantwortung hätte, würde es übel ausgehen, weshalb es wohl ziemlich gut ist, wenn diesbezüglich alles so bleibt, wie es ist.

Sehr gern los wäre ich natürlich auch die fünf Kilo Berufsspeck, die ich irgendwann dieses Jahr angesetzt haben muss, was wiederum mit dem stetigen Hunger korrespondiert, den ich immerzu habe, während Menschen, die ich kenne, den ganzen Tag nichts essen als Salat, und von mir um diese Fähigkeit heiß beneidet werden.

In diesem Zusammenhang wäre es natürlich auch sehr nett, nicht jedesmal komplett zusammenzubrechen, wenn irgendwo jemand auftaucht, der wesentlich besser aussieht als ich und alle Aufmerksamkeit auf sich zieht. Ich verwandele mich in diesen Momenten jedesmal in jemanden, der sehr klein, sehr hässlich und sehr missgünstig mit verschränkten Armen irgendwo in einer Ecke steht und dabei sehr, sehr lächerlich wirkt. Das merkt zum Glück allerdings meistens keiner außer mir selbst, weil ja alle um die auftauchende Schönheit herumstehen und sich an ihrem Lächeln weiden.

Und Schlafstörungen natürlich. Ich wache jeden Morgen nach maximal sechs Stunden mit obskuren Träumen auf und fühle mich den ganzen Tag wie durchgekaut.

3. 5 Dinge, die ich nicht habe, aber auch nicht haben möchte:

Ein Kraftfahrzeug natürlich. Habe ich nicht und brauche ich nicht, ich bleibe Taxifahrerin aus Leidenschaft. Und – lassen Sie mich überlegen: Einen elektrischen Entsafter. Kinder. Ein Haus im Grünen. Und Cellulite hätte ich auch nicht so gern.

4. 5 Dinge, die ich habe und auch weiterhin haben möchte:

Meinen Job, den ich selbst dann noch mag, wenn ich nach 16 Stunden nachts um 1.00 aus dem Büro nach Hause falle. Mein Blog, auch wenn ich zu wenig Zeit habe, die Texte zu aufzuschreiben, deren Fetzen mir ab und zu durchs Hirn rauschen. Den geschätzten Gefährten natürlich, ohne den ich nicht einmal sechs Stunden pro Nacht schlafen könnte. Das Sofa, das ich mir letztlich gekauft habe, um darauf zu liegen, falls ich mal zu Hause bin.

Und Berlin. Sofern ich Berlin habe, und nicht Berlin mich.

Sammeln Sie das Stöckchen auf, wenn Sie möchten.

Logistik und Eitelkeit

Sollten Sie, meine Damen und Herren Berliner, im Laufe des morgigen Tages eine dicke Dame beobachten, die sich alle paar Sekunden hektisch und ein wenig fahrig durchs allzu dichte schwarze Haar fährt, dicke Haarsträhnen zwischen Zeige- und Mittelfinger klemmt, und vor jedem Spiegel anfängt, ihr Haar nach rechts und links zu schieben, und dann ein bißchen zu schnauben, weil es ja doch nicht besser wird: Sprechen Sie sich ruhig an. Es geht ihr gut. Da wäre nur….

…. die Sache mit den Haaren.

Wie die Fama weiß, wiegen allein meine Haare mehr als manches Model, welches sadistische Modeschöpfer über den Laufsteig schicken. Meine Haare sind schwarz, dick, erinnern nicht nur entfernt an das, was Pferden aus der Haut sprießt, und neigen überdies dazu, nicht glatt und seidig an den Seiten herabzuhängen, sondern strähnenweise abzustehen.

Dies wiederum bedingt, dass das schiere Wachsenlassen keine sonderlich vorteilhafte Alternative darstellt. Da ich auch nicht zu denjenigen Leuten gehöre, die überhaupt immer gut oder zumindest charming zerzaust wirken, gehen allzu lange Absenzen vom Friseur auch stets schwer zu Lasten meiner Gesamterscheinung, die ohnehin derzeit gewichtszunahmebedingt noch weniger meinen Vorstellungen entspricht als sonst.

Dann gehen sie doch zum Friseur, stöhnt es vernehmlich aus den Weiten des Internets. Überhaupt, so ächzt es weiter, sollten sie – also ich – endlich aufhören, ein seriöses Medium wie das Internet durch die Verbreitung ihrer rein privaten und im Maßstab welthistorischer Ereignisse extrem irrelevanter Probleme vollzumüllen. Beschäftigen sie sich endlich mit ernsthaften Dingen, schallt es mir aus den elektronischen Kanälen entgegen, denn meine Privatprobleme fände, wie man weiß, höchstens ich selber interessant.

Dabei, so antworte ich hiermit empört den anonymen Stimmen, ist es doch gerade die Beschäftigung mit ernsthaften Dingen, welche mich davon abhält, dem entwürdigenden und ästhetisch sehr, sehr demütigenden Zustand ein Ende zu bereiten. Nicht die Befüllung des Internets mit rein privaten Petitessen, nein, mein Broterwerb ist es, der mich davon abhält, endlich einmal zum Friseur zu gehen, denn diese Zunft pflegt ausschließlich zu Zeiten zu arbeiten, an denen diejenigen, die wie ich einer Berufstätigkeit nachgehen, in ihren Büros und nicht auf Friseurstühlen sitzen.

„Wann geht ihr eigentlich zum Friseur?“, fragte ich folgerichtig Kollegen, die schon länger berufstätig sind als ich, um herauszufinden, wie jene des Problems Herr werden, nur, um zu erfahren, dass der frühe Morgen sich anbiete, wolle man trotz Beruf halbwegs gepflegt durchs Leben schreiten. – Tätigkeiten, die am frühen Morgen auszuführen sind, verbieten sich mir indes eigentlich von selbst, zudem mag es dem Erfolg eines Friseurbesuchs abträglich sein, wenn die zu Frisierende während der Leistungserbringung einschläft. – „Na, Samstags“, sagten andere Stimmen, „musst halt nur rechtzeitig anrufen.“ – „Ich hasse Friseurbesuche!“, entgegnete ich dann, „und sehe überhaupt nicht ein, meine ohnehin allzu knappe Freizeit vor einem Spiegel zu verbringen, in dem ich immer bleich und ziemlich krötenartig aussehe, während die durchtrainiert-schlanke Friseurin M., halb so breit wie ich selber, vergeblich versucht, den Dschungel auf meinem Kopf in eine französischen Garten zu verwandeln.“

Ein paar Tage lang siegten so die Unlustgefühle am Friseurbesuch über die Unlust an der ausgewachsenen Frisur. Dann aber, da sich das Haareschneiden nicht ewig aufschieben lässt, wird, voraussichtlich morgen, doch angerufen werden müssen. Morgen allerdings sind die Samstagstermine höchstwahrscheinlich bereits ausgebucht, nichts geht mehr, und ich vertage den Friseur schlimmstenfalls gezwungenermaßen für eine Woche, während der die Haare munter weitersprießen, und wühle den ganzen Tag, den ganzen, verdammten Tag, in meinen Haaren herum, bis man mir solches verweist.

Und das sollten auch Sie tun, wenn Sie mich morgen so herumlaufen sehen, die rechte Hand im Haupthaar und die linke am Telephon, während ich vergeblich versuche, einen Termin noch für Samstag zu bekommen, und leicht hysterisch in das Telephon an meinem Ohr kreische, dass man mir das doch nicht antun könne, denn es handele sich um einen wirklichen Notfall, es ginge gar nicht mehr, nein, jetzt geht es auch nicht, aber bitte, bitte diesen Samstag… morgens, abends – egal wann, ja, hat ihre Kollegin auch schon – es ist aber wirklich dringend – nicht einmal, wenn jemand absagt? – Ja, dann rufen sie mich doch einfach an, danke – bitte – vielen Dank, tschüß.

Aufmerksamkeit

Sehr gern lese ich ja gelegentlich Texte aus diesem Weblog anderen Menschen vor, die sich zu diesem Zweck an öffentlichen Orten versammeln, wie erst letztlich, Sonntag nämlich in Wien, wo freundliche Wiener auch mir zuzuhören bereit waren.

Noch schöner für die eigene Eitelkeit ist es natürlich, wenn sogar andere Menschen meine Texte vorlesen mögen, zumal so ansprechend wie Herr Wrobel, der, unterlegt mit ein wenig Musik, diesen Text zum Anhören bei blog:read eingestellt hat.

Sehr gefreut.

Anästhesie

Nein, sage ich, heute nicht, und nicht morgen. Ich bin doch völlig leer, mich haben sie doch ausgeräumt, durch mich fließt nur noch ein gleichmäßiges Rauschen, so ein Geräusch, als ob man im Radio keinen Sender findet. Ich habe heute keine Geschichte zu erzählen, vielleicht erzähle ich nie wieder eine Geschichte, weil ich doch alle Geschichten vergessen habe, und neue Geschichten passieren mir nicht, oder sie laufen so unbemerkt neben mir her. Ein schlechtes Gedächtnis hatte ich schon immer.

Vielleicht kann ich noch ein bißchen vor mich hin erzählen, ein wenig aus den alten Zeiten, die ich nicht vergessen habe. Das wäre gut, denn jeden Tag versinke ich weiter, ausgeschlagen mit einem weißen, gleißenden Nichts, mit einer Müdigkeit, die nicht mehr weggeht, weil irgend etwas kaputtgegangen ist, was mit Schlaf zu tun hat: Ein riesengroßer Motor, der den Raum füllt, in dem ich bin, und die Firma ist noch nicht gekommen, ihn abzuholen und zu reparieren.

Gar nicht schlecht ist die Leere, nicht übel fühlt sich das an, dieses leichte Gefühl des Schwindels, der von der Schlaflosigkeit kommt, die Widerstandslosigkeit und das gleichgültige Fließen. – Das ist mir egal, würde ich denken, wenn die Betäubung einen Moment nachließe, und lasse mich hierhin und dorthin schicken, wie ein Paket oder irgendetwas, was einfach nur da ist. Die Welt ist etwas ausgeblichen zur Zeit, ein wenig überbelichtet, die Wirklichkeit ein bißchen zu dünn, und sieht verzogen aus, irgendwie schief, und ich würde mich vielleicht wundern, aber statt dessen schließe ich nur hin und wieder die Augen und versuche mich an jemanden zu erinnern, der ich mal war, und der verschwunden ist, irgendwohin, vielleicht einfach aufgelöst oder verreist in ein trübes Zwischenreich zwischen hier und all den anderen Orten.

Strategien zur Abkürzung des Besuchs der eigenen Eltern

„Guck mal, die da!“, stößt mich mein Nachbar mit dem Ellenbogen an. „Wo?“, frage ich leise und drehe unauffällig den Kopf hin und her. „Da drüben.“, wispert der N. und deutet auf einen langen Tisch auf der anderen Seite des White Trash. „Ein gelungener Abend für die ganze Familie.“, stichelt der N., während am Tisch nebenan Vater und Sohn die Biergläser klirren lassen.

Der ältere Mann ist kahlköpfig, ein wenig beleibt, und über einem blauen Hemd spannt sich ein kariertes Sakko. Der junge Mann dagegen sieht aus wie eine zeitversetzte Kopie, ganz so, als hätte der Vater ihn alleine gezeugt, im Wege der Parthenogenese vielleicht. Neben ihm sitzt eine ältere Frau, vielleicht seine Mutter: Eine gelbe Strickjacke, dezent geschminkt, Caprihosen und eine weiße Bluse. – „Elternbesuch.“, konstatiere ich, und wende mich wieder der Karte zu. Einen Burger vielleicht. Cheese. Oder Chili.

Die Eltern des jungen Mannes schauen sich ein wenig eingeschüchtert um. „Was hat der denen bloß erzählt, dass die hierhergekommen sind?“, fragt mein Gegenüber mehr sich als uns und schielt über seine Schulter. „Ganz netter Laden, große Portionen zu Essen, so eine Art urbaner Landgasthof vielleicht, und ein wirklich gemütliches Interieur?“, schlägt mein Nachbar vor und nimmt der Kellnerin die Gläser ab. „Danke.“, sage ich zu dem Mädchen im gepunkteten Kleid und fahre fort, die Familie am Nachbartisch zu beobachten.

Der junge Mann beugt sich weit über den Tisch und erzählt mit dem ganzen Oberkörper eine offenbar aufregende Geschichte. Aufmerksam hört ihm der Vater zu, die Mutter dagegen dreht den Kopf und lässt ihren Blick ein wenig ratlos über die blinkenen Madonnen und Chinarestaurantdekorationen schweifen. „Der gefällt’s hier nicht.“, flüstere ich meinem Nachbarn zu, während die ältere Frau ihre Handtasche ein wenig näher zu sich zieht. „Die Tasche da klaut hier garantiert keiner.“, kommentiert mein Nachbar den Vorgang. „Wahrscheinlich nicht.“, stimme ich angesichts des braunen Lederungetüms mit goldener Schnalle zu, in der sich vermutlich ein zierliches Damenportemonnaie befindet, eine Packung Tempotaschentücher, ein Lippenpflegestift, ein Kugelschreiber und Bonbons gegen Mundgeruch.

Der junge Mann ist mit seiner Geschichte anscheinend fertig, denn nun beginnt seine Mutter zu sprechen, redet auf Mann und Sohn ein und schiebt ihr Glas, ein wenig ungehalten offenbar, von sich weg. „Die hat tatsächlich Wein bestellt, unglaublich.“, wundert sich mein Gegenüber. Der Wein hier, so herrscht Einigkeit, kann nur grauenhaft sein. – Die ältere Frau deutet mit der Hand Richtung Tür.

„Die wollen gehen. Der gefällt’s hier nicht.“, übersetze ich die Geste der Mutter. Der junge Mann schüttelt heftig den Kopf. „Der will noch nicht gehen.“, spreche ich weiter, damit mein Gegenüber sich nicht ständig umdrehen muss. „Jetzt gerade steht sie auf.“ – „Die geht doch nicht alleine nach Hause.“, weist mein Nachbar die Vermutung zurück, die Mutter könnte das White Trash allein verlassen. „Nein, der Vater kommt bestimmt mit.“, sage ich, und schon steht der ältere Mann auf, trinkt sein Bier mit einem langen Zug aus und lässt einen Schein auf dem Tisch zurück. Die Mutter redet weiter auf den Sohn ein. Dieser bleibt beharrlich sitzen.

Schließlich verschwinden Mutter und Vater ohne Nachwuchs. „Noch ein Bier!“, ordert der junge Mann am Nachbartisch, lehnt sich zurück, fängt an, zu telefonieren, und steckt sich eine Zigarette an.

Fünf gute Gründe, nach Wien zu fahren

…wenn Sie nicht schon vor Ort sind.

wienerherbsta2165„Und du willst wirklich nicht mit?“ – schaue ich den geschätzten Gefährten J. mit möglichst mitleiderregendem Blick, also so schräg von unten, an. „Neeee….“, kommt es zurück. Man habe, so heißt es, triftige Gründe, in Berlin zu bleiben.

„Aber der Mek liest doch auch!“, versuche ich den J. ein wenig zu beschwatzen. „Der große Mek, mein ungeschlagener Favorit unter den lebenden wie toten Verfassern Südtiroler Heimatgeschichten! Der Mann zumal, nach dessen legendärem Auftritt auf der Berliner Fresslesung im Frühling halb Berlin keinen Apfelsaft mehr trinken mochte, und namhafte Hersteller naturtrüber Fruchtsäfte um ein Haar Bankrott gegangen wären.“ – Einer der reizendsten Bewohner der Freien und Hansestadt Hamburg, zudem einer der wenigen Herren, an denen sogar Tätowierungen gut aussehen, und begabt mit einer Haarpracht, die fast so schön ausschaut wie die des reizenden J. selber, fahre ich fort. Der J. aber schüttelt ungerührt den Kopf und fährt sich geschmeichelt durch das dichte Haar.

„Dass wird die Frau Engl nicht freuen, dass du nicht kommst, wenn sie liest!“, versuche ich des J. steinernes Herz weiter zu erweichen. – Das sei, gibt der J. zu, zwar schade, indes lese die Frau Engl aufgrund ihrer Ortsansässigkeit doch auch des Öfteren in Berlin, so dass auf die Möglichkeit zu verweisen sei, auch an der Spree der bekannt schönen Stimme der charmanten Frau Engl zu lauschen. – Möglicherweise, insistiere ich, laufe Frau Engl, im Heimland ihrer Vorfahren aber zu ganz ungeahnter Hochform auf, zu noch höherer Hochform, als dies bereits in Berlin der Fall sei, wenn das noch geht, wo Frau Engls kraftvolle Texte zu dem unbestritten Besten gehören, was man auf Bloglesungen zu hören bekommt. – Der J. aber schnaubt. „Das sag` ich der Frau Engl!“, kündige ich an, aber der J. ist schon fast aus der Tür.

„Und Kid37? Der Meister der schwarzen Romantik, der feingesponnen Wortmagie, der Mann, der sogar tote Tiere düster leuchten lässt, der Herr der Grotesken, und ein bekannt splendider Vorleser dazu?“, brülle ich dem J. durch die Tür hinterher und rühme alle Vorzüge dieses Dauerbewohners des Olymps meiner Wertschätzung.

Frau Lyssas amüsante Geschichten um Hund wie Herren? Ich selbst mit einer Auswahl meiner am wenigsten misslungenen Texte?“- lege ich nach.

Aber der J. ist schon weg.

Für alle anderen:

Wiener Herbstlesen
Am 01.10.2006
Um 19.00 Uhr
Im Kulturgasthaus
Herbststraße 37
1160 Wien

In Kooperation mit Twoday.net. Und für den wunderschönen Teaser danken wir dem großen und geschmackvollen Don Alphonso.

Auf meiner Lider Blaugesänge

Jetzt schlafen, denke ich und schließe die Augen für einen Moment. „Ihr Fahrausweis, bitte?“, reißt mich ein grell geschminktes Mädchen wieder hoch, und ich öffne blinzelnd meine Tasche. „Ich bin noch da.“, flüstert der Schlaf auf meiner Schulter, lässt die Beine baumeln und legt den Kopf sanft an meine Wange. – „Ich muss doch erst heim.“, wedele ich ihn weg, und er kichert leise, fast verschwörerisch und erzählt mir von allen meinen ungeträumten Träumen: Vom Meer, das in der Mitte der Nacht wie schwarzes Gold an die Klippen schlägt, von stinkenden, fleckigen Weiden, meinem eigenen, blaugeäderten Himmel und dem Frieden der nächtlich grasenden Stiere.

„Danke.“, sagt die Kontrolleurin zu mir und schwenkt ihren Kopf ein wenig kokett zur anderen Seite des Abteils, wo ein alter, schon ganz in sich zusammengekrochener Mann in seinen Taschen wühlt. – Vielleicht hat er vergessen, wo sein Fahrschein steckt, denke ich, aber die Augen fallen mir wieder zu. Der Schlaf setzt sich schwer auf meine Gedanken und zieht sie zu sich, wo sie sich auflösen, wenn seine Hand über ihren Rücken streicht. „Einen Moment bitte.“, sagt der Alte, gräbt in den Hosentaschen und in einer Plastiktüte, während die Kontrolleurin abwechselnd mit dem rechten und dem linken Fuß ein wenig wippt. Schließlich schüttelt der alte Mann den Kopf.

„Dann kommen’se mal mit.“, fordert die Kontrolleurin den Alten auf, der immer wieder den Kopf schüttelt, als würde er seine Fahrscheinlosigkeit aus der Welt schaffen können, wenn er nur energisch genug bestreitet. – Nein, wehrt sein Kopf ab. „Ich komm‘ ja schon.“, antwortet er schließlich der Kontrolleurin, die ihn nochmals auffordert, unterbrochen von meinem Schlaf, der irre Geschichten über den Alten erzählt, grelle, bizarre Lieder über alles und nichts, bis die Bahn einfährt. Auf dem Bahnsteig bleibt der alte Mann mit der Kontrolleurin stehen, und ich laufe gemächlich die Treppe hoch und über die Ampel nach Hause, wo der Schlaf wiederum auf der Schwelle sitzt.

Da bist du ja endlich, gehe ich in die Knie, ihm den Kopf zu streicheln, ihn auf den Schoß zu nehmen und mit mir ins Bett. Schlafe bei mir, bitte ich ihn, und haste ihm nach, der immer ein, zwei Schritte vor mir über die Dielen springt, sich umschauend nach mir, als wolle er mit mir spielen.

Bleib stehen!, rufe ich ihm zu. Aber nun, kräht er, wolle er nichts mehr von mir wissen. Hektisch, gefleckt von hastiger, zuckender Betriebsamkeit, laufe ich hinter ihm hin und her, von der Küche ins Bad, vom Schlafzimmer an den Esstisch, aber der Schlaf, der Schlaf hat mich verlassen.

Der anaphylaktische Schreck

Das Leben in der Großstadt ist voller Versuchungen, sagt man so, und wer müde wird mit den Jahren, überdrüssig der allzu vielen Reize, die uns umgeben, der wandert ab und wird irgendwo am Land alt und träge. Wie anders jedoch, meine Damen und Herren, stellt sich das Leben der Tiere dar, die unsere Nachbarschaft bevölkern! Gehätschelt, verwöhnt, und fernab der Gefahren durch Kraftfahrzeuge oder schlechte Menschen, wie die Städte sie bekanntermaßen anziehen, lebt das Haustier auf samtenen Kissen, wird immer dicker und stirbt schließlich am Herzinfarkt nach zuviel Pedigree Pal. Die wilden Tiere jedoch entbehren solcher Rückzugsräume, und nur die härtesten, robustesten Exemplare überleben die außerordentliche Beanspruchung ihrer Nerven und die stetigen Gefahren, denen es auszuweichen gilt.

Sterben aber die sanften, schwachen Tiere vor der Zeit, so vermehren sich nur die gerissensten, bösartigsten und größten Quadrupeden weiter, und was für die Säugetiere gilt, gilt für die Insekten nicht minder. Die Stadtmücke, die urbane Wespe, die Berliner Biene sogar, ist also ein Lebewesen, welches seinen ländlichen Artgenossen durch Gefährlichkeit und Heimtücke weit überlegen ist.

Nicht weiter erstaunlich ist es also, dass der Insektenstich, den ich am Sonntag irgendwo davongetragen haben muss, binnen kürzester Zeit erstaunliche und geradezu ekelhafte Ausmaße erreichte. Vom Knie bis zum Knöchel ist mein linkes Bein rot wie ein Engländer in Italien, pocht wie Gevatter Tod an die Haustür seiner Kunden, und ist dicker als die sprichwörtlich fette Tante des geschätzten Gefährten.

Aber nicht nur groß, nicht nur mächtig unter den geflügelten Bewohnern Berlins, nein, auch hoch infektiös muss das Insekt gewesen sein, so dass am Montag morgen mein ganzes linkes Bein kribbelte, schmerzte, irgendwann wurde die Einstichstelle blau, und nette Kollegen reichten mir Citirizin, um zumindest meine Arbeitskraft zu erhalten, wenn schon mein Wohlbefinden nicht zu retten war. Mit einem Handtuch um das Bein, befestigt mit einer großen Aktenklammer saß ich also an meinem Schreibtisch und schaute ein wenig traurig aus der Wäsche.

Am Montag abend hatte mein Bein einen wahrhaft erheblichen Umfang erreicht. Dick und blau hing ein annähernd länglicher Klumpen an meinem Rumpf, der auf die geringste Berührung dermaßen empfindlich reagierte, dass der geschätzte Gefährte leichtes Spiel hatte, mich aus dem Haus und zur Charité zu treiben. – „Du bist doch privat versichert, das geht ganz schnell.“, hatte der J. mich getäuscht, aber zunächst schien er recht zu behalten und ich fiel auf die zügige Anmeldung herein und nahm Platz. Mein Bein pochte, das einzige in der Schnelle gegriffene Buch erzählte die ganze Geschichte des hundertjährigen Krieges zwischen England und Frankreich, und der geschätzte Gefährte schwieg. Und schwieg. Und schwieg.

Mir indes ist das Schweigen nicht gegeben. – „Entschuldigen sie,“, sprach ich ein Mitglied des ärztlichen Personals statt dessen an. „Können sie mir sagen, wie lange es noch dauert….?“ – Man konnte nicht. Ungefähr eine Stunde später humpelte ich zur Tür, die den Warte- vom Behandlungsbereich abtrennt, Wutschaum vor meinem Munde, zitternd vor Insektenallergie und Erregung, und forderte auf der Stelle eine umfassende Behandlung ein.

„Ich kann sie in die Dermatologie schicken.“, sprach ein paar wirklich patzige Minuten später ein junger Arzt mit unvorteilhaftem Seitenscheitel zu mir. „Komm‘ ich denn da gleich dran?“, fragte ich, und packte, als die Antwort zwar wie erwartet, nicht aber wie erhofft, ausfiel, meine Sachen und entschwand unbehandelt, aber entrüstet, und zog den J. hinter mir her.

„Wenn mir heute nacht das Bein abfällt!“, brauste ich auf und erschreckte den J. wie den Taxifahrer durch drastische Schilderungen meines zukünftigen Schicksals. „Der *** Arzt! Die ** Charité! Das vollständige Fehlen von komfortablen und geschmackvollen 24-Stunden-Praxen für gemarterte Berufstätige!“, grollte ich dem Berliner Gesundheitssystem und verwünschte die Tierwelt, insbesondere die Berliner Tierwelt, die deutsche Medizinerausbildung und sprach so laut und schlecht über Menschen mit Seitenscheiteln in hässlichen weißen Kitteln, dass der Taxifahrer den Kopf ein wenig zwischen die Schultern zog, um nicht versehentlich ebenfalls in den Radius meiner Verwünschungen zu geraten.

Der unaufhaltsame Niedergang der abendländischen Familie

(The Frank-Schirrmacher-Blues)

Für jemanden, der vom Heiraten nicht viel hält, werden Sie denken, schreibt Fräulein Modeste aber auffällig oft über derartige Veranstaltungen, aber selbstverständlich – und das werden Sie sicherlich mildernd in die Waagschale werfen – kann es der Öffentlichkeit nicht vorenthalten werden, dass mein Onkel P. in wenigen Wochen zum vierten Male heiraten wird. Auf der vierten Ehe liegt bekanntlich ein besonderer Segen, wenn man sich das Spitzenpersonal der letzten Legislaturperiode so anschaut, deren jeweils vierte Ehen sich als ganz besonders haltbar zu erweisen scheinen, und so kann auch ich, auch wenn mir die Anwesenheit wegen allgemeiner Lustlosigkeit leider nicht möglich sein wird, zu diesem freudigen Ereignis nur von Herzen gratulieren.

In Abwesenheit gratuliert auch Vetter L., dessen Verhältnis zum Heiraten seit seiner eigenen, wenn auch gücklicherweise recht kurzen Ehe ein wenig gespalten zu sein scheint. Er habe, so der L., an jenem Wochenende einen Freund zu Besuch, der seit einigen Jahren im Ausland forscht, und deswegen seltener empfangen werden kann, als Onkel P. zu heiraten pflegt. Schwesterchen besucht eine Woche später eine Bekannte in Spanien und muss packen, mein Vater muss die Männer beaufsichtigen, die eine neue Regenrinne anbringen, meine Mutter ist mit Onkel P., wie sie behauptet, ja gar nicht verwandt, und meine Tante F. verkauft seit ihrem Ausscheiden aus dem Schuldienst bei jeder sich bietenden Gelegenheit esoterische Gegenstände an Gläubige, und hat deswegen gleichfalls keine Zeit.

Mein kleiner Cousin weilt im Ausland. Onkel K. muss immer Thrombosestrümpfe tragen und kann nicht so lange stehen, wie die Zeremonie dies erfordert. Onkel U. kommt grundsätzlich nicht, wenn die Familie sich versammelt, und Tante L. ist der Flug zu weit. Tante M. sitzt im Altersheim und möchte nicht schon wieder einen Zivi bemühen, sie irgendwohin zu bringen, und Tante B. hat ein Seminar in Frankreich gebucht, wo sie das Weintrinken lernen wird.

Onkel P., so scheint es, wird also allein heiraten, eine jugendliche Braut aus den Steppen Kasachstans an seiner Seite, und wenn alles so stimmt, was man hört, so ist Onkel P. über diesen Umstand gar nicht einmal so sehr verstimmt.