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Der brandenburgische S*extourist

Die Umgebung Berlins, so behaupten Einheimische gerne, sei durchaus ansehnlich. Man möge, schlagen diese zumeist aus Ostberlin gebürtigen Menschen von Zeit zu Zeit vor, sich doch einmal einen Wagen mieten, und sodann die idyllischen Alleen Brandenburgs erkunden, auf den Spuren Fontanes wandeln, den Spreewald durchwandern und in den Seen der Mark ein Bad nehmen. Ich schüttele dann stets den Kopf und weise derartige Vorschläge entschieden zurück.

Für Wanderungen, eigentlich egal wo, habe ich ohnehin nichts über. Die Brandenburgische Landschaft zumal ist schon beim Durchqueren öd, und Fontane gehört zu denjenigen Autoren, deren nachhaltigen Erfolg ich mir kaum erklären kaum. Vor allem, und dieses Argument steht jedem Versuch, Brandenburg doch einmal zu erkunden, entgegen, hege ich ein gewisses, durch Medienberichterstattung und persönliche Erfahrung unterfüttertes Misstrauen gegenüber den Brandenburgern, die, wie einschlägigen Presseorganen zu entnehmen ist, sich in regelmäßigen Abständen Gewaltexzessen hingeben, von denen es heißt, sie seien geeignet, auch altgedienten Staatsanwälten und in allen Wassern der verbrecherischen Tuns und Treibens abgebrühten Richtern Alpträume zu verursachen. Als nur mäßig teutonische Erscheinung von einem entfesselten, aber tätowierten Mob in Perleberg oder Frankfurt/Oder in Stücke gerissen zu werden, zählt aber ganz klar nicht zu meinen persönlichen Favoriten unter den Todesarten.

Die Assoziation der Mark Brandenburg mit glatzköpfigen Schlägern wird offenbar indes nicht von allen Menschen geteilt. Der O. beispielsweise, ein aus dem Hessischen gebürtiger blonder Assessor mit eindrucksvollem Schmiss, schätzt den Brandenburgischen Menschenschlag weniger in seinen männlichen, denn in seinen weiblichen Bestandteilen, und rühmt insbesondere die Frühreife und Freizügigkeit der Brandenburgerinnen. Die gleichaltrige Berlinerin würde Annäherungsversuchen bei abendlichen Tanzveranstaltungen meist mit einem kräftigen „Hau ab, Alter!“ begegnen, die Brandenburgerin indes sei gegenüber Kontaktversuchen bei Scheunenfesten und auf den Tanzflächen von Großraumdiscotheken in aller Regel aufgeschlossen. Würde die Berlinerin der einschlägigen Altersklassen auf das Angebot, ihr ein Glas Korn/Cola auszugeben, eher spröde, wenn nicht gar beleidigend reagieren, so wäre dies bei ihrem ländlichen Pendant ganz ein anderes, und sogar die Konversation mit diesem Menschenschlag sei einfach. Das urbane Mädchen, so der O., könne stundenlang über die Ungerechtigkeit ihres Mathelehrers schwadronieren und von dem bevorstehenden Konzert des Landesjugendorchesters berichten, ohne dass der Abend dem von dem O. avisierten Finale näherkäme. Als Freund der mittelmäßig reiferen Jugend sei er, so der O., in Brandenburg dagegen genau richtig.

„Nerven die Mädchen denn nicht, wenn sie mal was sagen?“, frage ich ein wenig irritiert nach. „Aber klar.“, meint der O., und bestreicht sich eine halbe Semmel mit Butter und Frischkäse. Als ein wenig störend erweise sich der Rechtsradikalismus der meisten Mädchen in noch höherem Maße als deren Dummheit und der durchaus vulgäre Dialekt. Der Angabe etwa, aus Berlin zu kommen, werde von nicht wenigen der Mädchen mit der Mitteilung begegnet, dort lebten ihr zu viele Ausländer, und die ungefragten Stellungnahmen einiger Backfische zur Lage der Nation seien überdies durchaus besorgniserregend.

„Sind die Mädchen denn sonst nett?“, fragt die R. nach, und runzelt ein wenig angeekelt die Stirn. In ihren Kaffee zappelt eine kleine Fliege vergeblich um ihr Leben. – Der O. schüttelt den Kopf. Eigentlich nicht. Ein bißchen zu stämmig sei die Brandenburgerin, ein wenig zu schlecht blondiert dazu, und auch die Tätowierungen seien nicht dazu angetan, nachhaltiger Gefallen zu erregen.

„Und was willst du dann von denen?“, fragt die R., und sieht ein wenig erstaunt den O. und mich in ein hyänenartiges Gelächter ausbrechen.

Versteinern

Wie groß war die Welt und ihre Versprechen. Wie strahlend, wie morgenschön erschien, an manchen Tagen, die Erfüllung aller Wünsche. Die erwartungsvolle Freude am ersten Schultag, die Schultüte im Arm, an meines Vaters Hand. Die ersten Freundschaften, stundenlang mit der K. am See zu liegen, und sich alles, alles zu erzählen, und sich wiederzuerkennen in der anderen. Mit einem Markstück gemischte Tüten zu kaufen und alles zweimal zu nehmen. Wie großartig der erste Opernbesuch war, der Freischütz, 1983 war´s, ein paar Wochen später die Zauberflöte, und wegen guter Aufführung ein Jahr später die Meistersinger. Meine Großmutter goß ein wenig Kaffee in die heiße Milch, mit neun oder zehn gab´s morgens Semmeln statt Milchsuppen oder Porridge, und ich fühlte mich erwachsen mit der Buttersemel in der Hand.

Wie schmerzhaft die ersten Abschiede waren, das vergebliche Warten auf Briefe der K., die doch zu schreiben versprochen hatte. Neue Freundschaften, deren Endlichkeit schon weniger schmerzte. Die ersten großen Leseerlebnisse, die ich nicht mehr weiß, nur noch, dass es sie gegeben hat: Bücher, die ich so oft las, dass sie ein zweites Mal gekauft werden mussten, weil die Bindung sich gelöst hatte. Mit zwölf, glaube ich, war ich das erste Mal verliebt, und dachte lange nach, warum dieser Junge, und nicht ein anderer, und fand keine Antwort. Der erste Kuss, der erste Schmerz, weil eine andere geliebt wurde und nach Hause begleitet. Erfolge im Sport und in der Schule, reiner Geschmack des Triumphes, und die Erkenntnis, auf diesem Wege das Glück dann doch nicht zu finden, letztlich ehrgeizlos zu sein, und genug an der Tätigkeit zu haben, ohne siegen zu müssen.

Der ganze Himmel ging auf, als einer, dem ich wochenlang nachgeschaut hatte, mich küsste, und die Welt hätte untergehen mögen, als er schließlich doch gestand, eine andere zu lieben, hinter der die halbe Schule herlief. Die Enttäuschung über das, was ich mir als Himmel gedacht hatte, und dann doch nur ein Stück Erde war, lieblos und brutal. Die Pyramiden zu sehen und Jerusalem, das Kolosseum und die Wüste. Unberührt zu bleiben, und Begeisterung vorzutäuschen, um Erwartungen zu erfüllen, die ich nicht enttäuschen mochte. Verstellung und Verrat, und den Rigorismus der Fünfzehnjährigen in irgendeiner Ecke liegenzulassen.

Den Erwartungen ihr Leuchten abzukratzen. Die Entzauberung der Anfänge, die sarkastischen, nächtlichen Gespräche, die das beiläufige, bittere Ende vorwegnahmen. Anfänge und Enden, die sich zu wiederholen begannen. Zusehen, wie sich auf dem Grunde der Seele ein Bodensatz zu bilden begann, der alles überhaupt schon immer gewusst hatte, nichts erwartete, und das Pragmatismus nannte, für was es hässlichere Namen gibt, die er alle kannte. Durch die Neuheit das immer schon Dagewesene zu sehen, hinter dem Immergleichen wiederum die traurigen Mechanismen der abgenützten Seele, und hinter dieser die Leere und das Nichts. Über die Schichten der Enttäuschung spotten, dem Verlorenen nicht mehr hinterherzutrauern, und am Ende die Erkenntnis zurückzubehalten, dass da nichts ist als ein fließendes, leuchtendes Flirren des Augenblicks, ein warmer Abend im Park, und die Angst, dass nichts mehr kommen mag, die nächsten fünfzig Jahre als die Ödnis der Wiederkehr, und die Gleichmut und eine Versteinerung am Ende, die auch diese Angst nicht mehr kennt.

Die B. als Sommerfeindin

„Der Sommer kotzt mich an.“, stellt die B. fest, und deutet missmutig auf die anderen Menschen, die ihre Körperlichkeit im Weinbergspark entblößen. „Sollten sich nur schöne Menschen ausziehen?“, frage ich ein wenig besorgt zurück, und stelle mir vor, wie es sich unter einem schwarzen Hijab lebt, wenn die Temperaturen deutlich über 25° C steigen. „Mir doch egal, wie die anderen aussehen.“, murmelt die B. zurück, und versucht, den Bauch einzuziehen.

„Geht doch alles.“, beruhige ich die B., und reibe mir ein wenig Sonnencreme auf die Schultern. Um die stämmige, dunkelblonde B. ein wenig zu beruhigen, schildere ich ausführlich, wie es sich anfühlt, fünf Tage lang neben der bei gleicher Größe zwei Kleidergrößen kleiner bekleideten, aparten und eleganten C. über die Straßen des Baltikums zu flanieren. „Hör doch auf.“, unterbricht die B., und schlägt ihr Buch auf und gleich wieder zu.

„Findet doch alles seine Freunde.“, beschwichtige ich, und erwähne die Topf-und-Deckel-Theorie, nach der jegliche menschliche innere wie äußere Beschaffenheit Anhänger findet, mancher nur die Blondinen liebt, und ein anderer üppige Brasilianerinnen, der eine stille, belesene Damen verehrt, oder eine Schwäche für lautes Lachen und Sommersprossen hegt. „Du hast gut reden.“, sagt die B., und steht einfach auf. „Geht so.“, sage ich, aber da ist B. schon fast auf der Invalidenstraße, und lässt mich einfach sitzen im Park.

Rausch der Abwesenheit

In sauberer, morgenfrischer Kühle nach Schönefeld. Die Stadt entschwinden zu sehen, und sich schließlich verlieren zwischen den fremden Häusern. Durch die geputzte, blanke Altstadt von Riga, und ein bißchen bedauern, dass es die Melancholie des Verfalls zwischen den alten Mauern dahingerissen hat. Rechts und links laufen blonde, schlanke Menschen mit entschlossenem Gesichtsausdruck einer Zukunft entgegen, die nicht gesäumt sein mag von der Melancholie des Absinkens in Sepia und einem verschwimmenden Türkis. Bei einem Vorstadtbäcker Piroggen kaufen, und in einem beiläufigen, fremden Park auf einer Parkbank sitzen und den Schwänen zuschauen: Rausch des Reisens, der nicht von der Neuheit lebt, nicht von der Sensation der Eindrücke, sondern von der schieren Abwesenheit. Urlaub von sich selbst.

Neugierde mag andere treiben, aber so grandios ist es ja nicht, vor der Akropolis zu stehen, oder neben den Pyramiden. So anders ist auch die Altstadt Rigas nicht, und auch den Jugendstil hat man in Brüssel üppiger ranken gesehen oder in Wien. Großartig ist nicht die Neuheit. Großartig ist die Abwesenheit vom eigenen Leben: Sich in der Gepäckablage deponieren, die Schwere des festgefügten Lebens auf Tage oder Wochen verlassen, und der Welt abhandenkommen. Träges, seliges Fließen. Eine Fremde auf einer Parkbank oder wartend an einer Bushaltestelle in einem Vorort einer fremden Stadt. Ein winziger, sich bewegender Punkt auf einer Landstraße zwischen Wäldern. Es über den Wiesen summen hören auf dem Weg zu einem längst verlassenen Herrensitz. Am Strand ein paar russischen Buben beim Ballspiel zuschauen, und mit der Freundin über Dostojevski sprechen mit langen Pausen, in denen die Wellen sacht den Strand erreichen.

Man überlässt sich der Fremde, denkt selten nur und flüchtig an die komplizierten Fäden und Muster, in die man eingesponnen sein mag, und die in aller Erwünschtheit halten: Saiten, auf denen man spielen muss. Lose nun hängen die Bandagen des Lebens rechts und links herab. Möge man immer so fahren, denkt man. Flüchtiges, schillerndes Öl auf den Wassern fremden Seins. Willenlos, dahinfahrend und gleitend und ohne Ziel.

Warm umspielt die Sonne die Haut und neckt liebevoll die Wange mit dem eigenen Haar.

Concours Berlin – Paris

Was wäre ich, oh meine geschätzten Leser und Wettbewerbsteilnehmer, ohne Sie, die sie mich die vergangene Woche am Ende der Welt das ganze Elend aus abendlichem Gesang zur Gitarre und weidenden Schafen haben vergessen lassen! Eine Freundin in Paris, heiße Sommer an der Côte d´azur, ein Pariser Gemälde, französische Küche und französische Bräutigame… seien Sie alle versichert, mich bestens unterhalten zu haben.

Habe ich anfänglich nicht damit gerechnet, überhaupt mehr als die fünf ausgelobten Preise vergeben zu können, so begannen mich alsbald ernsthafte Entscheidungsschwierigkeiten umzutreiben: Passt manchem Preisrichter die ganze Richtung nicht, so mag dies den Wettstreit subjektiv ungemein vereinfachen. Gefällt so gut wie jeder der eingereichten ungefähr zwanzig Beiträge, so wird die ganze Sache schon bedeutend diffiziler. Souveräne Ungerechtigkeit heißt da das Gebot der Stunde, und die Wahl ist, seien Sie´s versichert, alles andere als leicht gefallen.

Sehen Sie, verehrtes Publikum, nun also den roten Vorhang sich heben. Auf die Bühne tritt die zitternde Jury, das Orchester spielt einen prachtvollen Tusch – und es haben gewonnen:

Frau Wortschnittchen für einen Beitrag, den ich auf der Stelle zweimal gelesen habe: Mindestens ein Getränk Ihrer Wahl in der nicht genug zu bewerbenden Bar „Visite ma tente“ in der Schwedter Straße.

Auch Don Alphonso hat sich mit einem charmanten Text über ein schönes Bild und eine noch schönere Stadt bei seinem nächsten Berlinaufenthalt einen Besuch im „Visite ma tente“ verdient.

Herrn Frank Uhlig für einen Abend mit George Moustaki: Eine Postkarte, wahlweise im Herbst aus Frankreich oder sofort aus Riga.

Herr Che für gleich „Dreimal Frankreich“, eine Sommer- und Reisegeschichte: Eine CD.

Herrn Helmut (URL?) für ein kleines Road Movie, das wohl jeder kennt, der schon mal versucht hat, mit dem Kraftfahrzeug Frankreich zu bereisen: Eine Postkarte (Frankreich? Riga? Oder Berlin?)

Frau Anna Bluebird (URL?) für eine französische Freundin mit schönen Schuhen: Eine Postkarte, Procedere siehe oben.

dr.kurt.isane für einen Amerikaner in Paris: Eine CD.

….und eine CD für Herrn Mequito, der mir das prächtige Banner zur Rechten gebastelt hat.

Herzlichen Glückwunsch und vielen Dank an alle, die sich beteiligt haben! Was Frau Engl angeht, ist es natürlich eine Frechheit mich so zu erschrecken, da überlege ich mir noch einmal etwas ganz Spezielles.

Eine Auswahl der preisgekrönten Beiträge finden Sie in den Kommentaren.

Touristen

Unter den Linden zum Beispiel gehen sie ganz langsam: Die Herren haben manchmal Mützen auf, und stets Photoapparate vor dem Bauch. Die Damen tragen ihre Handtaschen quer über die Schultern, damit sie ihnen kein schlechter Bewohner der großen Stadt wegreißt, um sich den Inhalt des Wildlederportemonnaies anzueignen, die Photos der Kinder und Kindeskinder wegzuwerfen, die Hustenbonbons zu essen und sich mit den Erfrischungstüchern die von der Missetat klebrigen Hände abzuwischen. Flach sind die Schuhe und bequem:

Touristen.

Daheim, in demjenigen Straßengeviert, in dem man nun schon zu lange zu Hause ist, um die Fassaden anzustarren und herumzuphotographieren, lächelt man nachsichtig über die Damen und Herren, die schneckengleich über die Gehsteige wandern und bisweilen abrupt stehenbleiben, um irgend etwas aus manchmal sonderbaren Perspektiven zu photographieren. Manchmal fragt man sich, wie es wohl aussehen mag in den Alben dieser Menschen, und ob die Nachkommenschaft der Reisenden unter den Bildershows ihrer Altvorderen wohl sehr leidet. Dann schiebt man die Reisenden sachte beiseite, weicht rechts und links aus, und erzählt seiner Mitbewohnerin daheim, die ganze Stadt sei heute wieder voller Busreisender. „Oh nein.“, sagt Mitbewohnerin S., und gibt ihrer Verachtung für diese straßenverstopfende Spezies in ihrem schönstem Bayerisch Ausdruck.

Schwierig wird es vor diesem Hintergrund, wird man selber zum Reisenden: Vorbei sind zumindest in Europa die Zeiten, in denen man mit Rucksack auf dem Rücken und Turnschuhen wochenlang mit drei T-Shirts um das Mittelmeer fahren konnte. Dem 30. Geburtstag längst näher als dem Abitur und den Sneakers entwachsen, steht die Reisende vor einem eigentlich unauflösbaren Dilemma: In denjenigen Schuhen, die man in innerstädtischen Gebieten zu tragen pflegt, verbieten sich ausführliche Märsche durch das Weichbild attraktiver europäischer Städte leider von selbst. Mit klobigem, soliden Schuhwerk jedoch wird man ganze Tage den einheimischen Damen auf die Füße starren, die mit zarten Riemchensandalen über das heimische Pflaster schreiten. Vor prächtigen Fassaden verweilend sieht man in den Augen der Einheimischen ein leises Lächeln, besagend, die ganze Stadt sei heute wieder einmal voller…

Touristen.

Passwörter

Es soll, so sagt man, gelegentlich auch Menschen geben, die sich sehr, man könnte auch sagen: übermäßig, für die Belange anderer Leute interessieren. Geburtstage zum Beispiel. Vor- und Nachnamen. Exakte Wohnorte, Sternzeichen, und verschiedene Dinge mehr.

Was aber diejenigen Menschen antreibt, oh meine verehrten Leser, die mehrfach, also ungefähr zehnmal im Laufe dieses Abends, über Seiten wie fullp*asswords.xxx, xxx-fr*eepasswords.xxx, passwo*rds24h.xxx oder totalpa*sswords.xxx Eingang in mein kleines virtuelles Wohnzimmer gewfunden haben – das möchte ich, wenn man es mal so ganz genau nimmt, eigentlich gar nicht wissen.

Sollten Sie, lieber Leser, ähnliche Referrer haben, und die Referrals für simplen Spam halten, würde ich mich trotzdem über kurze Mitteilung freuen. Ich wäre, seien Sie versichert, außerordentlich beruhigt. Sollten Sie aber ernsthaften Grund für die Annahme haben, dass diese, mit einem Rattenschwanz an kryptischen Codes nach den o. a. URL´s versehenen Ausgangsadressen irgendetwas Beunruhigendes an sich haben, gar nach ernsthaften Schwierigkeiten riechen – bitte ich Sie, mir dies gleichfalls kurz in die Kommentare zu schreiben oder sich der rechts angegebenen E-Mail zu bedienen:

Denn dann habe ich offenbar ein Problem.

Ablauf der Corrida

Die Tore öffnen sich. Groß, mit schwarzem glänzendem Fell steht der Stier in der Arena und zieht seine letzten Liter Luft durch die Nüstern. Unter dem Fell, glänzend wie Haut, spielen die Muskeln, und für einen Moment steht die Welt still. Über diese Muskeln streichen, denke ich, und stelle mir vor, wie die feuchte Glätte sich anfühlen mag: Eine heiße, zitternde Membran zwischen der trockenen Hitze des Tages und dem Blut, das der Stier der Menge schuldet, die sich langsam loslässt.

Unwillig scheint´s, folgt der Stier der Capa, die ihre rot und gelb leuchtende Warnung vergeblich ausspricht: Aus dieser Arena wird der Stier nicht mehr entkommen. Langsam, fast behäbig folgt er dem schleifenden Tuch, wendet sich nach allen Seiten mäßig interessiert und sehr weit weg. Naht er dem Tuch, so flüchtet der Banderillero hastig vor dem Schwarzen, der hinter der Capa beiläufig die Hörner senkt.

Noch immer mag der Stier nicht laufen, ruhig spielen die Muskeln, ruhig geht der Stieratem, und ließe man ihn gehen, würde kein Hauch von Gefahr den Stier gestreift haben. Lässig, von der schwerflüssigen Eleganz alter Seide läuft der Stier der Capa nach.

Hoch reißt der Matador dann das Tuch, senkt es, windet es sich um den Körper, lässt es hoch über sich wehen und schreitet ein, zwei, drei Schritte auf die Menge zu. Näher und näher kommt der Stier, lässt sich vom grellen Tuch berühren, beschleunigt seinen Gang und rennt heiß und kopflos hinter dem Tuch her. Sehr klein, sehr schmal, fast erbärmlich in seiner bunten Uniform tanzt der Matador vor dem Stier. Gieriger und hastiger läuft der Stier der Capa nach, und dann, wenn der Stier fast müde sein müsste, vielleicht von der Capa abließe, die er nicht fassen kann, fließt das erste Blut von den Spitzen der Piken die schwarze Flanke des Stieres hinab. Dickflüssig rinnt es, grellrot über Schwarz, und ich beuge mich weit vor, den Stier toben zu sehen, den die Lanzen höher und höher treffen, bis er schließlich im Nacken getroffen den Kopf senkt. Widerhaken graben sich ins Fleisch, triumphieren zitternd über dem Haupt des Stieres, während der, der sie setzt, abtaucht: unverletzlich, flink und kühl über der Hitze des Stieres.

Geschwächt mag der Stier nun sein, müde des Bluts und der schnellen Bewegung. Die Trompeten scheint er nicht zu hören; langsam dreht der Stier sich um die eigene Achse. Den Wechsel des Tuchs, den Austausch des Gelbs durch das Rot über und über sieht der Stier nicht. Begehrlich, kraftvoll stößt der Stier zu, sticht seine Hörner in die Leere hinter dem Tuch, und rennt, rasend in seinem Schmerz, um den Matador herum. Schwer gleitet sein Schatten um die tänzerischen, leichtfüßigen Schritte des anderen. Pulsierend strömt sein Blut grell vom Nacken in den Sand.

Noch einmal stößt der Stier nach dem Tuch, verfehlt den Tänzer in einer eleganten halben Wende. Und auf einmal blitzt das Schwert, zum letzten Mal wirft der Stier seinen Körper nach vorn, und über dem gebeugten Nacken sticht der Matador das Schwert tief in den Hals.

Für einen Moment, für die Sekunden, für die ich gekommen bin, steht der Stier ganz still in seiner leuchtenden, blutüberströmten Schwärze. Ganz nach vorne gebeugt, lächelnd, das Glas mit den geschmolzenen Eiswürfeln an die heiße Wange gepresst, sehe ich den Stier zittern, und langsam in die Knie gehen.

Weinbergschnecken

Die I., so vernimmt man von jener fröhlichen, weizenblonden Freundin, habe es auch nicht immer leicht gehabt, und insbesondere der Appetit, um nicht zu sagen: die Verfressenheit – ihres Vaters scheint ihre frühere Jugend auf skurrile, wenn auch für seine Anverwandten häufig wenig unterhaltsame Weise überschattet zu haben.

„Die Sache mit den Kanarienvögeln erzähle ich jetzt nicht schon wieder!“, wehrt die I. ab und wendet sich wieder ihrer Bierflasche zu. Die Geschichte mit den Weinbergschnecken jedoch, die habe sie lange nicht erzählt, und fängt an:

Bekannt ist, dass die Versorgungslage in der DDR die Beschaffung des eher weniger alltäglichen Sortiments an Viktualien in vielen Fällen doch deutlich erschwert habe. Marzipan zum Beispiel… – aber sie wolle nicht abschweifen. Jedenfalls sei auch der Verzehr von Weinbergschnecken in den Häuptern derjenigen, denen die Versorgung der Bevölkerung mit Waren und Dienstleistungen oblag, offenbar nicht vorgesehen gewesen, und so erwuchs in ihrem Vater über Jahre und Monate vergeblich der Wunsch, diese ihm aus der Literatur bekannte Köstlichkeit einmal zu probieren.

„Weinbergschnecken gibt´s doch überall.“, wirft der M. ein, und die I. nickt heftig mit dem Kopf. Ja. Das sei ja eben das Problem.

In einem besonders schneckenreichen Sommer endlich, habe ihren Vater der Wunsch nach der exotischen Köstlichkeit schließlich überwältigt. An einem herrlichen Sommermorgen bemächtigte sich der Vater der gesamten, vier Köpfe zählenden Familie, packte ein paar Plastiktüten ein, und begab sich in einem Waggon der Reichsbahn aus grauer Städte Mauern in die freie Natur. Mit seinen Eigenheiten vertraut, habe man seinem Drängen kaum Widerstand entgegengesetzt, und in ihr Schicksal ergeben habe die ganze Familie drei Tüten voll mit dem schleimigen Getier gefüllt. Die vollen Tüten in der Hand sei man zum Bahnhof zurückgekehrt.

„Die Schnecken waren noch am Leben?“, fragt der M. Das sei eigentlich ja nicht wenig ekelhaft. „Genau.“, sagte die I., und berichtet von der Vitalität der Schnecken, die vom Vorgang des Einfangens offenbar nicht besonders beeinträchtigt worden sei. In dem Maße, in dem man sich Berlin genähert habe, seien die Schnecken sogar immer lebhafter gewesen, hätten die Tütenränder schließlich überwunden, und der Vater habe angesichts der wenig begeisterten Reaktion der anderen Mitreisenden im Abteil seinen Kindern aufgetragen, die Tiere wieder in die Tüten zu verbringen. So sei man dann dahingefahren, geächtet von den anderen Passagieren, misstrauisch beäugt vom Personal der Bahn, und habe schließlich aufatmend das eigene Heim erreicht.

„Hat er sie dann gegessen?“, frage ich die I., die eifrig verneint. Dem Verzehr stand wohl insbesondere die Unkenntnis der korrekten Zubereitung entgegen. Der von keinem Zweifel an seiner Zubereitungskompetenz angekränkelte Vater habe die Tiere zwar immerhin noch mit einer Art weicher Bürste gewaschen und anschließend in einen Topf mit heißer Brühe geworfen, wo die schleimigen Delikatessen sodann ihr Leben aushauchten. Das Ergebnis sei jedoch nicht von einer Art gewesen, die zum Verzehr besonders angeregt habe: Schwärzlich wallender Schaum und ein ekelerregender Geruch hätten ihren Vater vom unverzüglichen Mahl abgehalten.

„Hat er sie dann weggeworfen?“, fragt der M., dessen Miene nicht so ausschaut, als würde er den Genuss derartiger Weichtiere zu irgendeinem Zeitpunkt noch in irgendeiner Form auch nur in Erwägung ziehen. Die I. winkt ab: Zu lange habe das Sehnen des Vaters gedauert, zu hartnäckig habe er an dem Wunsch, dieser Köstlichkeit teilhaftig zu werden, festgehalten, um die so mühevoll zusammengerafften Tiere einfach der Entsorgung zuzuführen. Er habe sie eingeweckt.

„Was?!“, frage ich ein wenig fassungslos, und versuche mir die mit Schnecken mitsamt Gehäuse ordentlich gefüllten Weckgläser in den Kellerregalen des elterlichen Heimes der I. vorzustellen.

Die Vorstellung sei schon ganz zutreffend, erläutert die I., und öffnet sich ein weiteres Bier. Ihr Vater habe also den großen Einwecktopf aus dem Keller geholt, die Weckgläser ausgekocht und sodann mit den Schnecken gefüllt. Einige der Schnecken seien beim Einkochprozess ein wenig auseinandergefallen, dies habe ihren Vater jedoch nicht weiter irritiert. Die allzu faserigen Tierchen, so habe er der Familie ganz ruhig erläutert, seien dann eben für die Katze. Überhaupt solle man der Optik von Speisen, die namhafte Dichter in ihren Werken mehrfach gerühmt hätten, und deren Verbreitung in der eleganten Welt schließlich bekannt sei, nicht allzu große Bedeutung beimessen.

Zu jenem Mahle des Hausherrn und seiner Katze, so schließt die I., sei es indes leider nicht gekommen: Etwas müsse schiefgelaufen sein beim Prozess des Einweckens – bedenkliche Keime müssten trotz des Kochens in den Weckgläsern verblieben sein, und so habe der Inhalt der Gläser beizeiten angefangen, aufs Fürchterlichste zu gären. Nur wenige Wochen später hätten nämlich laute, knallende Geräusche die Familie in den Keller gelockt. Auf den Regalbrettern seien in regelmäßigen, kurzen Abständen die Gläser geplatzt, die Scherben hätten sich im ganze Raume verteilt, und die Geruchsentwicklung gehöre zu den Dingen, die ihren festen Platz in den unschönen Kindheitserinnerungen der I. eingenommen hätte.

Der Vater habe die Reste dann weggeschmissen.

Schade

„Mach´s gut.“, sage ich dem einen oder anderen, lasse mich von Leuten drücken, deren Namen ich schon wieder vergessen habe, und winke ein bißchen in alle Richtungen. Zu zweit gehen wir schließlich die leere Straße hinab, vorbei an vereinsamten Fischbuden, schauen durch die Fenster einer verlassenen Werkshalle, und rütteln umsonst an der geschlossenen Tür eines Kaffeehauses mit flatternder, blau-weiß gestreiften Markise. Mein blonder Begleiter spricht ein wenig bekümmert über die Grundlagen einer neuen Ethik, streift mit der Hand ein- oder zweimal leicht über mein Haar, und erklärt mir im Vorübergehen die heimische Tier- und Pflanzenwelt. Sieht man ihn an, so schaut er kurz zur Seite, schaut dann wieder, entschlossener zurück aus runden, grünen Augen, und spricht über die Ernährungsgewohnheiten einiger Insekten, deren träge Exemplare auf den Blättern eines Strauchs über einer Parkbank ruhen. „Hier ist es ganz schön.“, sage ich, und bemerke den noch immer blühenden Flieder, die weißen Holunderdolden, und die Zurückhaltung einer Natur, die selbst den Juni in gebremsten, mageren Farben begeht. „Magst du noch bis morgen bleiben?“, fragt mein Begleiter, und schaut an mir vorbei weit hinaus auf das graue, undurchsichtige Wasser. Er spricht ein bißchen über einige nahegelegene Städtchen, die er vor einigen Jahren bereist habe, deutet in eine ungefähre Ferne, und spricht von langen Spaziergängen am Wochenende.

Am Horizont, dort, wo Grau und Weiß ineinanderfließen, sehe ich sehr klein und durchscheinend zwei Spaziergänger ruhig und gleichmäßig durch die Felder schreiten. Ich kann das Käsebrot sehen und den grünen Tee. Ich höre die ernsthaften, klugen und außerordentlich ausgewogenen Stellungnahmen meines Begleiters. Ab und an streicht der blonde, schlanke Spaziergänger meiner blassen Doppelgängerin über Haar und Nacken.

„Ich muss heim.“, sage ich, und verschweige die leere Wohnung und den ebenso leeren Terminkalender. Mag er, denke ich, sich vorstellen, was er mag. Nicht vorstellen können wird er sich den Sog der Musik aus einer offenen Bartür. Die Traurigkeit meiner überdrehten, klugen, kettenrauchenden Freundin, mit der ich den Abend verbringen möchte. Die zerborstenen Hofeinfahrten, ein halbzerfallener Engelskopf aus vom Alter geädertem Stuck. Eine warme Nacht auf einer Decke am Helmholtzplatz; dösen und dem T. zuhören, der über Helmut Berger und die perfekte Farbe der Lilien spricht. Dem J² auf einer schmierigen Parkbank die Seeräuberjenny vorsingen. Am Morgen beim J. klingeln, und über dem Tau der Bäume einen schnellen Kaffee trinken, den Schläfrigen dann wieder der Wärme des Bettes überlassen und heimgehen. Die Bässe, die die ganze Nacht den Herzschlag regeln. Die Trägheit eines Nachmittags in der Sonne vor irgendeinem Café.

Du, denke ich, während ich meine Tasche zum Bahnhof ziehe, bist nicht einmal für zwei Tage lockender als meine Stadt aus Dreck und einwärts gewachsenen Nerven. Wärst du, bedaure ich, ein wenig maßloser, ein wenig ungerechter, ein wenig bloß weniger strohblond an Leib und Seele – aber still schreitet mein Begleiter mit mir bis zur Bahn. Du langweilst mich, denke ich. Aber schade ist es schon.

So zu sein, und nicht anders.