Die Umgebung Berlins, so behaupten Einheimische gerne, sei durchaus ansehnlich. Man möge, schlagen diese zumeist aus Ostberlin gebürtigen Menschen von Zeit zu Zeit vor, sich doch einmal einen Wagen mieten, und sodann die idyllischen Alleen Brandenburgs erkunden, auf den Spuren Fontanes wandeln, den Spreewald durchwandern und in den Seen der Mark ein Bad nehmen. Ich schüttele dann stets den Kopf und weise derartige Vorschläge entschieden zurück.
Für Wanderungen, eigentlich egal wo, habe ich ohnehin nichts über. Die Brandenburgische Landschaft zumal ist schon beim Durchqueren öd, und Fontane gehört zu denjenigen Autoren, deren nachhaltigen Erfolg ich mir kaum erklären kaum. Vor allem, und dieses Argument steht jedem Versuch, Brandenburg doch einmal zu erkunden, entgegen, hege ich ein gewisses, durch Medienberichterstattung und persönliche Erfahrung unterfüttertes Misstrauen gegenüber den Brandenburgern, die, wie einschlägigen Presseorganen zu entnehmen ist, sich in regelmäßigen Abständen Gewaltexzessen hingeben, von denen es heißt, sie seien geeignet, auch altgedienten Staatsanwälten und in allen Wassern der verbrecherischen Tuns und Treibens abgebrühten Richtern Alpträume zu verursachen. Als nur mäßig teutonische Erscheinung von einem entfesselten, aber tätowierten Mob in Perleberg oder Frankfurt/Oder in Stücke gerissen zu werden, zählt aber ganz klar nicht zu meinen persönlichen Favoriten unter den Todesarten.
Die Assoziation der Mark Brandenburg mit glatzköpfigen Schlägern wird offenbar indes nicht von allen Menschen geteilt. Der O. beispielsweise, ein aus dem Hessischen gebürtiger blonder Assessor mit eindrucksvollem Schmiss, schätzt den Brandenburgischen Menschenschlag weniger in seinen männlichen, denn in seinen weiblichen Bestandteilen, und rühmt insbesondere die Frühreife und Freizügigkeit der Brandenburgerinnen. Die gleichaltrige Berlinerin würde Annäherungsversuchen bei abendlichen Tanzveranstaltungen meist mit einem kräftigen „Hau ab, Alter!“ begegnen, die Brandenburgerin indes sei gegenüber Kontaktversuchen bei Scheunenfesten und auf den Tanzflächen von Großraumdiscotheken in aller Regel aufgeschlossen. Würde die Berlinerin der einschlägigen Altersklassen auf das Angebot, ihr ein Glas Korn/Cola auszugeben, eher spröde, wenn nicht gar beleidigend reagieren, so wäre dies bei ihrem ländlichen Pendant ganz ein anderes, und sogar die Konversation mit diesem Menschenschlag sei einfach. Das urbane Mädchen, so der O., könne stundenlang über die Ungerechtigkeit ihres Mathelehrers schwadronieren und von dem bevorstehenden Konzert des Landesjugendorchesters berichten, ohne dass der Abend dem von dem O. avisierten Finale näherkäme. Als Freund der mittelmäßig reiferen Jugend sei er, so der O., in Brandenburg dagegen genau richtig.
„Nerven die Mädchen denn nicht, wenn sie mal was sagen?“, frage ich ein wenig irritiert nach. „Aber klar.“, meint der O., und bestreicht sich eine halbe Semmel mit Butter und Frischkäse. Als ein wenig störend erweise sich der Rechtsradikalismus der meisten Mädchen in noch höherem Maße als deren Dummheit und der durchaus vulgäre Dialekt. Der Angabe etwa, aus Berlin zu kommen, werde von nicht wenigen der Mädchen mit der Mitteilung begegnet, dort lebten ihr zu viele Ausländer, und die ungefragten Stellungnahmen einiger Backfische zur Lage der Nation seien überdies durchaus besorgniserregend.
„Sind die Mädchen denn sonst nett?“, fragt die R. nach, und runzelt ein wenig angeekelt die Stirn. In ihren Kaffee zappelt eine kleine Fliege vergeblich um ihr Leben. – Der O. schüttelt den Kopf. Eigentlich nicht. Ein bißchen zu stämmig sei die Brandenburgerin, ein wenig zu schlecht blondiert dazu, und auch die Tätowierungen seien nicht dazu angetan, nachhaltiger Gefallen zu erregen.
„Und was willst du dann von denen?“, fragt die R., und sieht ein wenig erstaunt den O. und mich in ein hyänenartiges Gelächter ausbrechen.