Am Ende des Tages fällt schließlich eine fahle, kraftlose Sonne hinter das flache Land, und das Meer lässt unter seiner schwarzen, stählernen Rüstung die Muskeln spielen. Langsam wird es kalt. Vorbei gehe ich an den Wiesen, die zum Liegen nicht gemacht sind, und mag einen Moment im Schaum aufgehen oder mit dem Schilf geschnitten werden.
Uncategorized
Schlüssel
„Modeste,“, sagt die Mitbewohnerhin, und ich schleiche mich leise aus dem Saal. „Hast du den Briefkastenschlüssel mitgenommen?“ – Oje, denke ich, und versuche mich zu erinnern, wo der eine und einzige Schlüssel sich befinden mag. „Ich rufe dich zurück!“, zische ich, und husche wieder u meinem Platz.
Ein paar Stunden später steht zumindest fest, dass sich in meinem bescheidenen Reisegepäck kein Schlüssel befindet. Der Orte daheim, wo jener sich befinden könnte, sind derweilen Legion. Hostentaschen? Handtaschen? Möglicherweise sogar irgendein Etui? – Die Anfragen der Mitbewohnerhin werden zunehmend nervös, denn wichtige Post wird erwartet. „J. kümmert sich drum.“, verspreche ich, und teile dem geschätzten ehemaligen Gefährten, dem besten Kenner meiner Häuslichkeit das Problem mit. Er werde sich kümmern, verspricht der Geschätzte. Aufatmend vergesse ich Schlüssel und Mitbewohnerin und starre von meinem Platz aus abwechselnd auf die Referenten wie auf die geradezu beängstigend naturbelassene Umwelt. Meine Naturliebe, so fällt mir auf, hält sich offenbar in engen Grenzen.
„Dein Schlüssel ist nicht da.“, summt spät am Abend das Telephon. Verdammt, denke ich. Mag der geschätzte ehemalige Gefährte auch nicht in jeden denkbaren Aufenthaltsort kleiner Gegenstände vorgedrungen sein – Orte, die er nicht kennt, entziehen sich vermutlich auch meinem Erinnerungsvermögen.
Ein paar hundert Kilometer entfernt vom Ende der Welt füllt sich gerade ein weißer Briefkasten mit ungeheuerlichen Mengen Papier, wichtigen Dokumenten, und der kleine, keine zwei Centimeter lange Schlüssel wird heute Nacht wohl meine Träume beherrschen.
Auf dem Heimweg
„Schlaf gut.“, sage ich, ungefähr zum drittenmal, und ziehe die Jacke enger um den Körper, denn es ist kalt. „Ich muss dann auch mal ins Bett.“, sagt er, erheblich später, und wir sprechen weiter. „Letzte Zigarette?“, frage ich, und schaue an ihm vorbei irgendwo auf das Wasser, das hinter seiner Schulter kalt und dunkel glitzert.
„Ich muss jetzt schlafen.“, sage ich am Ende, und drehe mich um und gehe. Vor der Tür sehe ich, meinen Schlüssel in der Hand, ihn noch einmal stehenbleiben.
Dann schließt sich hinter mir die Tür.
:::
„Schläfst du schon?“, frage ich, und am anderen Ende der Leitung lacht der J². „Jetzt nicht mehr.“, kommt es zurück, und ich beklage mich ein bißchen über das Ende der Welt. „Dir kann man´s auch nicht recht machen.“, sagt er, und hat – wie immer – recht.
Drei Minuten
„Doch noch in der Welt.“, sagt T., und lässt sich erzählen. „Hört sich gut an, an und für sich.“, sagt er, und schweigt ein bißchen, damit irgendwann am Tag mal Ruhe ist, nur für drei Minuten.
Abwesenheitsnotiz
„Schon wieder?“, fragt der T., und ich neige bedauernd das Haupt. Diesmal, so sage ich, liegt das Ende der Welt indes in entgegengesetzter Richtung. “Macht´s auch nicht besser.“, meint T., und hat mit dieser Ansicht sicherlich recht.
„Immerhin ist es schön da.“, sage ich, und hoffe auf gutes Wetter, denn das Ende der Welt liegt landschaftlich außerordentlich reizvoll. „Na, dann viel Spaß,“, meint der T., und schüttelt den Kopf über meine vollgestopfte Tasche. „Sind ja bloß fünf Tage.“, sagt der T., und ich verweise auf die unsichere Wetterlage, die verschiedenartigsten klimatischen Bedingungen angepasste Bekleidung erforderlich macht.
„Ich muss los.“, sagt der T., und schaut ein wenig besorgt auf die Uhr. „Bis Freitag.“, rufe ich ihm hinterher, und so, meine geschätzten Leser, verabschiede ich mich auch von Ihnen auf eine kleine Weile.
Bis Freitag also.
Vorbereitungen
„Komm rein.“, sage ich zum M², der unverhofft vor der Tür steht, und bedaure, gerade keine Zeit für ihn zu haben: Ein pünktlicher Mensch wäre seit zwanzig Minuten unterwegs, um in zehn Minuten in einer Friedrichshainer Bar lieben Freunden um den Hals zu fallen. Ob der M² nicht auch morgen…? Morgen nachmittag vielleicht? Nein, schüttelt der M² den Kopf, um acht in der Früh müsse er los, und zwei Wochen sei er außer Landes. „Schade.“, sage ich und biete ihm einen Sherry an. „Ich muss noch duschen.“, sage ich, aber wir könnten uns durch die Tür unterhalten.
„Ich verstehe kein Wort.“, sagt der M² wenig später durch das prasselnde Wasser, und ich bin erleichtert: Es liegt also nicht an meinen Ohren. „Such mir was anzuziehen raus.“, sage ich statt dessen, weil es jetzt wirklich spät ist, und der M² macht sich an meinem Schrank zu schaffen. „Was macht ihr heute nacht?“, fragt er, während ich mir die Haare frottiere. „Nichts.“, sage ich. Essen, Trinken und vielleicht Tanzen im sehr unprätentiösen Friedrichshain. „Da war ich ewig nicht.“, sagt der M². „Ich auch nicht.“, sage ich, und erläutere die unerklärliche Wohnortwahl ansonsten lieber Menschen. M², so fürchte ich rein akustisch, nimmt gerade meinen ganzen Schrank auseinander.
„Den schwarzen Rock?“, fragt der M² und schwenkt einen schwarzen Baumwollrock mit Blüten und einem Unterrock aus Tüll. „Das ist nicht Friedrichshain.“, sage ich, und M² stimmt mir zu. Statt des seidenbandgeschnürten Tops deswegen vielleicht einfach einen schwarzen Pullover? Und Stiefel? „Stiefel im Juni?“, ich lache den M² ein bißchen aus, und ziehe den Reißverschluss des Rocks hoch. Saß auch schon mal besser, denke ich, und M² hält mir verschiedene Pullover an und entscheidet sich schließlich für ein schlichtes, grobgestricktes Modell. „Lässt du die Haare so?“, fragt M² und hat das Haarwachs schon in der Hand. „Mach du.“, sage ich und sehe im Spiegel, wie er mit Bürste und Kamm einzelne Strähnen vom Ansatz nach oben zieht, Wachs einknetet und schließlich alles mit Spray befestigt. „Gut schaust aus.“, sagt der M² und stäubt ein bißchen mit Puder herum, heller Staub im gelblichen Lampenlicht. Ich puste ihm den Puder vom Hemd, er singt ein bißchen vor, um mir einen Eindruck von einer neuen CD zu geben, erzählt von seinem Sohn, und ich suche in allen Taschen nach meinem Schlüssel.
„Zieh´ ich jetzt die Stiefel an?“, frage ich M². „Ist verdammt kalt da draußen.“, sagt er, und ich mache ihm ein paar Komplimente für seinen fabelhaften Dialekt. Wir preisen ein bißchen alle Schönheiten der Steiermark, und M² schiebt meinen Fuß langsam in die derben Stiefel und zieht den Reißverschluss nach oben. „Schöne Beine hast du.“, sagt er und streicht kurz mit zwei Fingern über das Stück Haut zwischen Stiefel und Rockansatz. „Danke.“, sage ich und freue mich über das Kompliment.
„Ich muss los.“, sage ich dann. „Bis in zwei Wochen?“, fragt der M². „Da bin ich in Urlaub.“, bedaure ich. Wir telephonieren, rufen wir uns noch zu, und dann laufe ich vorbei am Kollwitzplatz zur Tram.
„Da bist du ja.“, sagen die Freunde eine halbe Stunde später.
Letzter Aufruf! – Concours Berlin – Paris
Der Countdown läuft – acht Wettbewerbsbeiträge sind unterdessen eingegangen, und bis morgen Mittag um zwölf, meine Damen und Herren, haben Sie die einmalige Gelegenheit, mir mit Ihren französischen Geschichten die nächste Woche zu versüßen, in der ich, wieder einmal abgeschnitten von jedweder Zivilisation, in der Abgeschiedenheit vor mich hin modern werde. Am Ende dieser Woche werden die Gewinner feststehen, und bekommen sodann herrliche Preise zugesandt.
Geschichtsfälschung
„Lebst du noch? Du hast tagelang nichts von dir hören lassen!“, mein Vater lacht leise in den Hörer und fragt nach Gesundheitszustand und Ernährung. „Als Kind warst du nie krank.“, sagt er, und nun sei alle paar Monate irgend etwas, was er fehlerhafter oder unzureichender Ernährung zuschreibt, der Hektik der Stadt, die ihm fremd ist, und mangelhafter Fürsorge Dritter sowieso. „Als Kind warst du die Gesundheit selber. Du hast den ganzen Tag gelacht.“, sagt er, und lässt die alten Zeiten hochleben: Ich im Tragetuch auf dem Wochenmarkt, fest vor seine Brust geschnürt. Im Sommer die ganze Terrasse mit einer riesenhaften Brio-Bahn zubauend. Zum Fasching als Hexe verkleidet, fünf Jahre alt.
„Das weiß ich noch.“, sage ich. „Da habe ich tagelang geheult, weil ich als Prinzessin gehen wollte und nicht durfte.“ – Prinzessinnen erschienen meiner Mutter als abgegriffen, unoriginell und daher unvertretbar. „Bist doch immer die Prinzessin.“, beschwichtigt mein Vater den längst vergangenen Kinderzorn, und fährt fort.
Vier Jahre alt bei einer Ballettvorführung. Achtjährig auf dem Geburtstag meines Großvaters, den „Taucher“ aufsagend, im dunkelroten Taftkleidchen und Lackschuhen. Zehnjährig beim Klavierspielen. „Du warst immer gut in der Schule.“, sagt mein Vater, und klagt ein bißchen über die unverständigen Lehrer der exakten Wissenschaften, denen ich immer wieder begegnet sei, und die das glänzende Abitur auf dem Gewissen hätten, das ich wegen ihrer mangelnden didaktischen Begabung nicht besitze.
„Ballett habe ich gehasst.“, versuche ich die Vergangenheit wieder ein wenig zurechtzurücken. In meiner Erinnerung springe ich in einer für Außenstehende sicherlich außergewöhnlich komisch anmutenden Manier als eine Art Walross zwischen lauter Nixen herum. Die auswendiggelernten Darbietungen deutscher Dichtkunst bei eigentlich allen Zusammentreffen der väterlichen Familie rufen mir noch heute, gut zwanzig Jahre später, die Erinnerung an die würgende Aufgeregtheit zurück auf dem Weg zu meinen Großeltern. Die lachende, turbulente Familie, die mit ihrer Heiterkeit meist nicht hinter dem Berg hielt. Die absurde Angst, eine Zeile zu vergessen, und die ganze Feier zu ruinieren mit meinem faux pas. Noch heute verfüge ich über ein imposantes Repertoire deutscher Balladen vorwiegend des 19. Jahrhunderts. – Ich bin eine miese Klavierspielerin, und in sämtlichen Naturwissenschaften wäre ich überhaupt immer und unter allen Umständen mangels jedweder Begabung eine Totalversagerin gewesen.
Mein Vater streitet alles ab. Als Kind sei ich nicht so negativ gewesen. Man dürfe sich nicht der Manier hingeben, in jedem Apfel nach dem Wurm zu suchen, und notfalls den Wurm hineinzudenken. „Das hast du recht.“, sage ich, und dass ich müde sei.
„Dann schlaf schön.“, sagt mein Vater. Und dass ich genug essen soll. Und sagen, wenn ich etwas brauche.
„Mir geht´s bestens.“, sage ich.
Concours Berlin-Paris
Die ersten natürlich durchweg hochwertigen Beiträge meiner geschätzten Leser sind angekommen, und nun haben auch Sie die großartige Chance, gleich zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: Amüsieren Sie mich mit Ihren besten, katastrophalsten, komischsten oder egreifendsten Geschichten aus dem Herzen Frankreichs, und gewinnen Sie liebevoll ausgesuchte und persönlich beschriftete Postkarten, CD´s oder andere Sachpreise, die mir bis Freitag möglicherweise noch einfallen.
Einsendeschluss ist immer noch Freitag mittag und der Rechtsweg selbstverständlich vollkommen ausgeschlossen. Ach ja: Entgegen einem offenbar bestehenden, von mir aber keineswegs beabsichtigten Vorurteil dürfen und sollen sich auch weibliche Personen beteiligen!
Bereits gewonnen hat Herr Mequito , dem ich dieses schöne Banner verdanke.
Tipps, wie ich das Banner auf die rechte Seite bekomme, sind übrigens auch gern gesehen.
Nachtrag: Tipps, wie ich das Banner auf die rechte Seite bekomme, sind immer noch gerne gesehen – will mir denn keiner helfen? Oder wissen Sie auch nicht, wie das geht?
Concours Berlin – Paris
Ach Sehnsucht: Vom Gare Du Nord zum Centre Pompidou, und abends in Ménilmontant ausgehen. Im Marais mit Fremden tanzen, am lichten Morgen nach Süden fahren, an der Croisette spazieren und Steinchen ins Wasser werfen. Nachts in Marseille heimkommen. Der Herbst in Pau und ein Winter im Elsass. – Austern und Rigodon, Quenelles de brochet am Ende der Welt, und sich von einem lachenden Gefährten für ein paar sonnige Tage oder Jahre ein Stück Pissaladière nach dem anderen in den Mund stecken lassen. Die Sonne über den Feldern, der Geruch, und der Glanz von Paris.
Ich will nach Frankreich.
Leider wird aus meinen französischen Reiseplänen wohl so schnell nichts, und so ist es nun an Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, mich an die Hand zu nehmen, und mir Geschichten zu erzählen von französischen Sommern im Midi, von Küssen unterm Eiffelturm, von den schönsten Franzosen der Welt, und dem besten Essen der Welt sowieso. Unterhalten Sich mich, und stauben Sie ein paar kleine Geschenke ab, die ich unter notarieller Aufsicht keineswegs standhaltenden Bedingungen nach Gutdünken verteilen werde.
Schicken Sie mir also bis nächsten Freitag um zwölf beliebige Wettbewerbsbeiträge an die rechts angegebene E-Mailadresse. Geben Sie Ihre (oder irgendeine) Postadresse an, haben Sie die Chance, einen der von mir ausgelobten ungefähr fünf Preise abzustauben, die im wesentlichen aus CD´s mit französischer Musik und Postkarten mit französischen Motiven bestehen. Ansonsten nehmen Sie einfach so teil. Von der Anzahl der Teilnehmer hängt ab, ob es einen Publikumspreis geben wird, der per Umfrage vergeben wird. Und der erste Beitrag bekommt einen Preis für Schnelligkeit.
Und nun lassen Sie sich etwas einfallen.
Nachtrag: Wenn mir jemand ein Banner basteln würde, so mit Eiffelturm drauf, bekäme der natürlich auch eine CD!