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Sport

Gleich dem majestätischen Walrosse ziehe ich gelegentlich, angetan mit einem riesigen schwarzen Badeanzug, dem Tschador unter den Badebekleidungen, meine Bahnen im verhältnismäßig kinderfreien Stadtbad Mitte, und von Zeit zu Zeit nach besonders mächtigen kulinarischen Ausschweifungen halte ich die Jogger an der Schmeling-Halle auf. Wenn es aber Sommer wird und die Kleidchen und Oberteile in den Geschäften locken, wenn man erst gestern verbindlich Flüge gebucht hat, um mit der dünnsten unter den Freundinnen in Urlaub zu fahren, dann müssen effizientere Maßnahmen her, dann führt kein Weg vorbei an jenen Etablissements, in denen magere Foltermägde, ganz aus Muskeln gemacht, in täglichen Kursen den Weg vom Pudding zum Stahl begleiten: Ich brauche ein Fitness-Studio.

Wie wohl jeder Mensch, der nicht jenseits der körperlichen Eitelkeit ein über die irdischen Dinge erhabenes Leben führt, verfüge auch ich über eine dunkle Vergangenheit in Bezug auf diese Einrichtungen, die sich in meinem Leben nach jeweils ungefähr zwei Monaten des gequälten Enthusiasmus in stein- und metallgewordenes schlechtes Gewissen verwandelt haben. „Ich müsste auch mal wieder…“ oder „Am Wochenende bestimmt“, das sind so die Formeln, die mir von meinem letzten Versuch noch in den Ohren hallen. Täglich an der Vanitas meiner Bauchdecke vorbeizufahren, hat allerdings auch keine über gute Vorsätze hinausreichende Ergebnisse gezeitigt.

Aber jetzt wird alles anders.

Eine Sauna wäre schön, aber gemischte Saunen besuche ich schon aus Prinzip nicht. Ein Schwimmbad wäre nett, allerdings befindet sich das einzig mir bekannte Fitness-Studio mit Bad nicht gerade wohnortnah, und vielleicht besteht doch der Hauch einer Möglichkeit, ach nur die Chance, über die holperigen Pflaster meiner Bequemlichkeit eher des fettfreien Paradieses teilhaftig zu werden, wenn das Studio irgendwo in der Nähe liegt. Fitness-Studios mit allzu gutaussehenden oder schlanken Menschen verbieten sich aus Gründen der Frustrationsvermeidung, da traue ich mich nach einigen spektakulären Misserfolgen nicht mehr hin.

Mit dem Hintrauen ist es sowieso so eine Sache. Ähnlich jenen Menschen, die aufräumen, bevor die Putzfrau kommt, meldet sich auch bei mir das Bedürfnis, vor Beginn eines Kurses erst einmal ein wenig Konditionsverbesserung zu betreiben. Vielleicht ein bißchen zu laufen oder daheim vorzutrainieren, um sich nicht völlig zum Deppen zu machen zwischen den gestählten und gestärkten anderen Kursteilnehmern, um statt eines straffen und fettfreien Körpers bloß ein paar mitleidige Blicke zu ernten oder beim Fit-Bo erschöpfungsbedingt zusammenzubrechen.

„Geh´ doch zu Kieser, wenn dich dünne Leute nervös machen.“, rät C., aber das kommt natürlich gar nicht in Frage. „Leider hast du einen riesengroßen Knall“, wischt O. meine Bedenken bezüglich der sportlichen Leute im Holmes Place vom Tisch. Die FitCo in der Schönhauser verbietet sich schon wegen der Massen an Studenten, die schon altersbedingt ganz andere Körper aufzubieten haben als ich.

Verdammt, denke ich da. Nicht nur hat der Schöpfer vor den Lohn den Schweiß gesetzt, nein, nicht einmal der Weg zur entspannten Koexistenz mit dem eigenen Fleisch ist eine diesbezüglich unproblematisch Zone. Wieso, sinniere ich, gibt es eigentlich keine schummerigen, warm ausgeleuchteten Fitnesstudios, in denen ausschließlich stark Kurzsichtige trainieren, die zum Training alle ihre Brillen absetzen und Kotaktlinsen rausreißen müssen? Und: Bin ich eigentlich die einzige mit diesem Problem?

Die stummen Farben

„Da bist du ja.“, sagt er, und schaut auf die Uhr, aber weil die Schlange vor der Kasse des Gropius-Baus länger ist als die Bibel, gehen wir doch lieber im Tiergarten spazieren, und schauen den Bäumen beim Ausschlagen zu. Die Sonne scheint kraftlos von einem fadblauen Himmel, und ich friere in meinem schwarzen Rock und dem dünnen Trenchcoat.

J² spricht über den neuen Job, ich berichte meine Urlaubspläne, die dieses Jahr gleich zweimal Richtung Osten zielen, und schließlich sprechen wir doch wieder über die Liebe, obwohl ich mit J² nie wieder über die Liebe sprechen wollte. J² rühmt die Beständigkeit, schilt den Hedonismus, der die Menschen ruiniere mit ihrem Hinterherlaufen nach einem Glück, das doch seiner Natur nach nicht auf Dauer angelegt sei und spricht am Ende von der Einsamkeit der Jäger und dem verfehlten Leben derer, die vom Leben nur das Leichte nehmen wollen.

„Red du nur,“, denke ich, und dass am Ende der auch mein Leben durchaus kreuzenden Versuche, im ernsten Rollenfach zu brillieren, stets kein goldener Pokal, sondern bloß Streit, Tränen und verbrannte Erde standen. Und dass ich an Erlösung und Ankommen in einem warmen Raum zu zweit nicht mehr glaube.

J² malt wolkige Idyllen in die kalte Luft, von denen ich nicht weiß, ob er selber daran glaubt, und zieht mir Streifen für Streifen die Haut von den eingekapselten Träumen. Was soll das, denke ich, mir geht´s doch gut. Was soll ich in meinen Katakomben immer wieder versuchen, ob die Leichen noch zucken.

Mit zunehmendem Alter nutze sich die Seele ab, sagt der J², die Wunden werden tiefer und hören auf, sich zu schließen. Wen man dann noch liebt, der wird nicht mehr anwachsen an mir. Allein werd´ ich sein, gleichgültig, ob ein warmer Körper morgens neben mir erwacht. „Das ist doch Quatsch!“, möchte ich antworten, aber gerade glaube ich mir nicht, und nicht meinem Glück. J² zieht mir die vielen Jahre, die festen Häute und die Erfahrungen Haut für Haut vom Fleisch, bis statt Blut immerhin Tränen fließen. Quäl´ mich nicht, will ich sagen. Lass´ mir mein gutes Leben und die irisierenden Hüllen, die ich mir unter Schmerzen habe wachsen lassen, und die mir nun gehören, zu schillern und zu schützen.

„Ich muss los“, sage ich.

Bei Eis und Tee dann, ein paar Stunden später, beim Plänemachen mit den Freundinnen, sitzt die Haut wieder. Hey, denke ich, großartig wird dieses Jahr und soll riechen nach schwarzen Kirschen und durchlachten Sommernächten. Und mein Leben ist schön und passt mir so gut wie die festen Hüllen, die wieder sitzen, als hätte man sie nie abgezogen.

Metaphorisch nackt in Kreuzberg

Es gibt so ein paar idealtypische Träume, hört man, die anscheinend jeder ab und zu träumt, der ein regelgerecht veranlagtes Unterbewusstsein besitzt. Zähne fallen dann dem Träumer aus, man stürzt von Klippen oder fliegt eine Runde um den Fernsehturm, und ab und zu begibt sich der Träumer an sehr belebte Orte, den Zentralbahnhof etwa, und ist dort ganz und gar splitterfasernackt. Alle anderen, die dort herumstehen, sind ordnungsgemäß bekleidet und sehen ihn interessiert an.

Ungefähr so, meine Damen und Herren, fühlt sich eine Bloglesung an. Nur, dass es Spaß macht am Ende.

Man geht herum in den sehr netten Räumen des Spreeblickjohnny, und schließlich geht man auf die Bühne, die aus ein paar Paletten besteht mit einem Mikrofon vornedran. Alle können einen sehen, schauen einen aufmerksam an und wissen genau „Das Fräulein dahinten im silberfarbenen Kleid ist also die Modeste.“. Fräulein Modeste schaut aber ihrerseits auf lauter Menschen, die sie nicht kennt, obwohl schon mangels Marketing der größere Teil ja Blogleser und meist wohl auch Blogschreiber sein muss, und das ist ein komisches und ein wenig wehrloses Gefühl. Da stehen sie nun also oder sitzen, und morgen früh booten sie den Rechner, und tippen ein-zack-drei, was sie über Veranstaltung, Veranstalter und Veranstaltete alles denken.

Egal, denkt man aber dann. Wer auch immer etwas Böses schreibt, wird gelogen haben, denn nett ist es hier, die gelesenen Texte sind gut, die Stimmung ist freundlich, und wenn die nächste Lesung dieser Art am Wochenende stattfindet, gibt es bestimmt auch ein bißchen mehr Party.

Für eine gelungenen Abend danke ich daher dem Hausherrn, den Initiatoren Don Alphonso und Don Dahlmann für Zuspruch und Kuchen, den besten denkbaren Mitstreiterinnen Chile und Wortschnittchen und der lieben Frau Engl, die mich am Vorabend noch einmal ein bißchen lesetrainiert hat. Und den Schlachtenbummlern sowieso. Schreiben Sie nett über mich und die anderen und schicken Sie mir den Link oder schreiben´S ihn in die Kommentare, wenn´s geht hätte ich auch gerne ein paar Photos.

Aber nur Bilder, auf denen ich vernünftig aussehe.

Nachtrag: Kann ich wissen, das meine geschätzten und überaus medienkompetenten Leser die von mir gelesenen Stories nicht selber finden? Also:

Die Hand Gottes im Leben des S.

Fleisch

All The Perfumes Of Arabia

Don Alphonso hat seine gelesenen Texte bereits aktuell verlinkt, der Rest muss noch, bitteschön. Und ein paar Photos gibt´s beim Spreeblick.

Problematische Entwicklungen im Leben der A.

„Die Verbindung ist so schlecht.“, brülle ich in den Hörer, aber vielleicht liegt das Verständigungsproblem auch nur an der Ringbahn, die gerade einfährt. „Kann ich mal A. sprechen?“, verstehe ich schließlich. Am anderen Ende spricht A.´s Freund. A´s Vater habe einen Unfall gehabt, und ihr Handy sei aus.

Leider kann A.´s Freund die A. keinesfalls sprechen, zumindest nicht über mein Telephon, denn A. befindet sich nicht in meiner Begleitung. Allein, das Telephon am Ohr, steige ich in die Bahn. Noch vier Stationen.

„A. ist gar nicht bei mir.“, antworte ich ihrem Freund also brav, und stelle ein paar Überlegungen an, wo sich A. aufhalten könnte. Vielleicht bei R.? Nein, R. besucht ihre Eltern in der Pfalz. Der M., den A. auch des öfteren zu besuchen pflegt, befindet sich in der Volksbühne, um auf mein dringendes Anraten endlich den „Meister und Margarita“ zu Gesicht zu bekommen, und die meisten anderen Freundinnen der A. kenne ich nur oberflächlich. „Bedaure.“, sage ich deswegen, aber A.´s Freund beharrt auf einem gemeinsamen Abend der A. mit mir, der uns erst ins reizende „Visite ma tente“ hätte führen sollen, und dann weiter Richtung Mitte. Nein, widerspreche ich und stelle klar, dass ich gerade von einer Bekannten in Neukölln komme.

Vielleicht lag´s am Grünen Veltliner, vielleicht war´s auch die Uhrzeit – erst kurz nach dem S-Bahnhof Storkower Straße durchfuhr mich die Erkenntnis, wo A. sich befinden könnte. Wie man sie dort erreicht, war mir indes unbekannt.

Ein paar Monate ist es her, da traf die A. im Rahmen einer öffentlichen Tanzveranstaltung in einem damals noch in der Charlottenstraße beheimateten Lokal einen Mann, den sie uns stets als ein wenig einfach, aber um so mehr anderweitig begabt beschrieb. Zu sehen bekam jenen wohl äußerst muskulösen Herrn nie auch nur eine einzige mir bekannte Seele, seine Telephonnummer wurde nicht einmal für Notfälle herausgegeben, denn die A. habe ja ein Mobiltelephon. Gerecht und den Rahmen allgemeiner Wahrscheinlichkeit nicht sprengend rief A. fortan recht regelmäßig alle ihre Freunde und Bekannten an, um anzusagen, welchen der kommenden Abende sie vorgeblich bei ihnen verbrächte. Heute musste sie den warnenden Anruf vergessen haben.

Da der tumbe, aber begabte Jüngling sich auch über die Telephonbücher von Mittelsmännern jeglicher Erreichbarkeit entzog, blieb mir nur ein besorgter Schlaf und einige dringende und warnende Hinweise auf A.´s Mailbox. Vermutlich füllten gerade abwechselnd ihr Freund und ich die Mailbox voll mit der Bitte, sich sofort zu melden.

Morgens um kurz vor acht ist es dann soweit. A. hängt vollkommen fertig am Telephon, diesmal Festnetz. „Wieso hast du nicht gesagt, ich wäre kurz Tickets stempeln?“, jammert A. schon ein wenig hysterisch und macht mir ein wenig Vorhaltungen. Ich verweise schlaftrunken auf den unterbliebenen Warnanruf, und meine mangelhaften ehebruchverheimlichenden Reflexe. A. schluchzt ein wenig.

Nach A.´s ein wenig unzusammenhängender Darstellung muss sie gegen drei Uhr die gemeinsame Wohnung erreicht haben und dort ihren zutiefst besorgten Freund angetroffen haben. Dieser, so die A., habe zunächst keinerlei Verdacht gehegt, die Nachricht vom väterlichen Unfall weitergegeben, und sodann zunächst mäßig interessiert gefragt haben, wo die A. eigentlich gewesen sei. „Mit Modeste in Mitte.“, oder so ähnlich mag die A.´s Antwort gelautet haben, und diese Mitteilung ließ den Freund nun doch ein wenig misstrauisch werden – ein Misstrauen, das sich im Verlauf der weiteren Nacht noch vertiefte, um schließlich einer unangenehmen Gewissheit Platz zu machen.

Ein zumindest zeitweiliges Ende der Auseinandersetzungen trat gegen halb acht ein, als der Freund zu seinem Arbeitsplatz aufbrach. A. ist nicht berufstätig.

„Komm doch her“, sage ich, und stehe erst einmal auf. Bestürzend wenig später klingelt die A., ich springe extrem seifig aus der Dusche, wickele mich in mehrere Handtücher und brühe Tee auf. Die Treppe hoch, langsamen und etwas schlurfenden Schrittes schleicht A.

„Komm, komm,“, sage ich. „nicht weinen.“, und setze die A. auf mein Sofa. A. verschüttet ein bißchen Earl Grey auf dem Boden, stellt die Tasche auf den Tisch und beginnt, laut und herzerreissend zu heulen. Alles sei aus.

„Der beruhigt sich schon wieder.“, meine ich, bin mir im Falle des Lebensgefährten von A. aber alles andere als sicher. A´s Freund, denke ich, mag ein netter Kerl sein, seine Vorstellungen von Grenzen und Verlauf einer Liebesbeziehung mögen jedoch den unsteten Realitäten der Gegenwart nur selten entsprechen.

Wie sich über einer weiteren Kanne Tee und einer Schale Blätterteiggebäck herausstellt, verbieten wohl auch unschöne Wahrheiten eine reibungslose Rückkehr der A. in den warmen Schoß der Beziehung. „Ich war so sauer!“, sagt A. und nippt an ihrer Teetasse. Sie muss ihm so ziemlich jede unangenehme Wahrheit über seine intimeren Fähigkeiten mitgeteilt haben, von der man gemeinhin sagt, dass sie im Manne schwerere Depressionen auszulösen in der Lage sei. „Armer Kerl.“, sage ich, denn A.´s Freund mag ein Stümper sein, er ist aber auch ein netter Zeitgenosse, an sich angenehm zurückhaltend, höflich und klug. Überdies, so gebe ich zu bedenken, gibt es bedauerlicherweise nicht viele Männer, die den Wunsch ihrer Freundin, lieber nicht zu arbeiten, großzügig respektieren. „Was soll ich denn auch machen?“, lamentiert die A. im Tonfall einer rein rhetorischen Frage und verweist auf die schrecklichen vier Monate ihrer Berufstätigkeit, die sie in der Personalabteilung eines mittelständischen Unternehmens verbracht hat.

Etwas später, so gegen elf, summt A´s nun wieder aufgeladenes Telephon. Ihr Freund habe sich ein paar Tage freigenommen, und fahre noch heute abend zu seinem Bruder. Wenn er zurückkehre am Wochenende, solle sie ihre Sachen gepackt haben und verschwunden sein. Er zahle ihr monatlich für ein halbes Jahr einen Unterhalt von € xxxx auf das ihm bekannte Konto, und ansonsten adieu.

A. ist verzweifelt und ringt wahrhaft die Hände. Wo sie denn hinsolle. Und es sei typisch – ihr Freund denke nie an sie. Fast hätte sie ihn geheiratet. Und es sei gut, dass es dazu nie gekommen sei. Sie könne gut auf ihn verzichten, so ein kleinlicher Charakter, aber was sie jetzt anstellen solle, sei ihm ja offenbar rundweg egal.

Ich wiegele ein bißchen ab, verweise auf die momentane Erregung des Freundes und vertröste auf nächste Woche, wenn er sich vermutlich wieder überlegt haben würde mit der Trennung auf ewig. Nun ist A. wieder am Schluchzen, ich ziehe mein Gästesofa aus, und nötige A. erst einmal zum Schlafen.

„Aber wenn er mich wirklich rauswirft, und ich finde keine andere Wohnung“, meint die A., zieht sich die Decke bis unter das Kinn und schaut mich vertrauensvoll an, „verklagst du ihn, gell?“

Im Spiegel

„Lass´ schauen, Liebchen“, sage ich um halb drei in der Nacht zu meinem Spiegelbild und streiche mir eine Strähne aus der Stirn. „Was haben wir denn heute gegessen?“

„Heute morgen“, sagt mein Spiegelbild zu mir, „hattest du ja nichts im Haus.“ „Jaja.“, sage ich und weise auf die verflixten Öffnungszeiten hin, und dass ich doch gestern im Biergarten war, und dann beim „Naan“ in der Oderberger Straße, Rahmkäse und Spinat in Currysauce essen, und dann war es schon so spät, und kein Geschäft wollte mir mehr Käse verkaufen, Milch für eine heiße Schokolade und ein bißchen Obst. So war es dann bloß eine Tasse Tee und sonst gab es gar nichts.

„Eine blöde Kuh bist du.“, sagt mein Spiegelbild und aus dem Badezimmer quiekt die Waage Zustimmung. „Wieso?“, frage ich zurück. „Gar nichts ist doch gut, wenn es nach euch geht!“ Das Spiegelbild faucht und zeigt anklagend ein Speckröllchen über dem Rockbund.

Keine halb zwei war´s, erinnert das Spiegelbild ungehalten, als der Hunger dann doch nachkam, und bei „Sowohlalsauch“ ein Stück Milchreistorte fällig war. Eine Zibebenschnecke auf den Weg, schnell nach Haus und dann weiter ins 103. Später, so hast du dir auf dem Weg ins 103 gedacht, kochst du dir einen Teller Pasta mit Pesto, schneidest ein paar Tomaten auf, und das alles würdest du auf dem Heimweg schon noch einkaufen können. Aber dann war´s nett im 103, es wurde später und später, und als du nach Haus kamst, musstest du eigentlich auch schon wieder los. Auf dem Weg lag kein einziger Supermarkt, und angekommen gab´s Kuchen, und am Ende hast du aus Hunger, und weil der Kuchen so gut war, ziemlich viel gegessen, fett war´s und süß, und mit Marzipan versehen.

„Na und?“, frage ich das Spiegelbild ein bißchen trotzig. Wenn ich den ganzen Tag nichts gegessen habe, habe ich halt Hunger und kann doch ein Stück Kuchen essen oder zwei? „Und Schokolade.“, erinnert das Spiegelbild. „War doch nicht viel!“, rechtfertige ich mich und gehe dann zum Angriff über.

„Du hast ein komplett gestörtes Körpergefühl!“, schleudere ich meinem Spiegelbild entgegen. Und erinnere das Spiegelbild an die Zeitgebundenheit von Schönheitsidealen, und dass das Schlankheitsideal der Gegenwart ja gar nicht gesund sein soll, sondern bloß ein Konstrukt ist, dessen Entstehung und Funktion das Spiegelbild doch auch nachgelesen hat, bei Naomi Wolf war´s. „Auch Naomi Wolf schreibt nicht: Gehet hin und ernährt euch von nichts als Kuchen!“, spricht das Spiegelbild und zeigt eine weiche Rundung in der Körpermitte. „So weit hast du uns gebracht.“, sagt das Spiegelbild, und dass die meisten Amerikaner Übergewicht schlimmer finden als Lungenkrebs.

„Mir doch egal.“, sage ich. Und dass ich auf depperte Amerikaner gern verzichten kann.

„Na dann mach doch, was du willst.“, sagt mein Spiegelbild und verschwindet bis morgen früh. Leer bleibt der Rahmen an der Wand hängen.

Endlich weg, der Spielverderber, denke ich und hole mir ein Stück Schokolade aus dem Schrank.

Das Haustier des Schreckens

Das Fräulein Modeste, so erzählt man sich, sei ja eine geradezu tragische Zeiterscheinung, verantwortungslos, faul, verwöhnt und überhaupt ein rechter Nichtsnutz auf den schmutzigen Weiden der Hauptstadt. Um der Wahrheit die Ehre zu geben und damit dieses ganz und gar unzutreffende Bild zu berichtigen, möchte ich aber an dieser Stelle auf einige ausgewählte Pflichten hinweisen, denen mein mühsamer Alltag unterliegt, und von denen Nachbars Katze nicht die geringste darstellt.

Einzuräumen ist immerhin, dass es auch mit der Ernährung der Katze um ein Haar nicht hingehauen hätte. Ich wollte nach Hamburg, die Nachbarn wollten in ein fremdes Land, dessen Name mir gerade entfallen ist, und die Koinzidenz beider Termine hatte ich einige Tage lang vergessen. Immerhin, als die Nachbarin mit dem Schlüssel vor der Tür stand, wusste ich gleich, was die Stunden geschlagen hatte, und verschob den Besuch hinter dem Rücken der Katzenhalter unauffällig und schnell um zwei Wochen. Niemals werden also die Nachbarn erfahren, wie nah ihr flauschiger Liebling dem Hungertod entkommen ist. Gedankt hat es das undankbare Vieh mir selbstverständlich nicht die Bohne.

Allmorgendlich, und allabendlich dazu, betrete ich also der Nachbarn Wohnung, fülle die Wasserschüsseln, schütte einige Brocken Katzentrockenfutter in die Näpfe, und kümmere ich um die feliden Sanitäreinrichtungen. Vor der offenen Balkontüre sitzt die schildpattgefleckte, ziemlich langhaarige Katze, sieht mir aufmerksam zu und dehnt und streckt sich in der Sonne. „Servus, Modeste!“, schnurrt die Katze, wenn ich sie richtig verstanden habe. „Das Futter bitte etwas mehr ans Fenster, und wenn sie mir den gefiederten Ball dort herüberrollen könnten?“ Dann wendet sich die Katze wieder ab, und ich mache mich davon.

Auf ungefähr dieser Basis verlief das Zusammenspiel mit der Katze einige recht ruhige Tage. Heute morgen jedoch, ich war noch ein wenig müde, erwachte die Katze aus ihrer vormittagslichtbeglänzten Trägheit auf einmal in just dem Moment, als ich die Wohnung verlassen wollte. Ich öffnete die Wohnungstür, die Katze stand auf einmal auf allen vier Pfoten, und bevor ich mich recht versah war sie an meinen Hosenbeinen vorbei, durch die Tür und schon im Treppenhaus. Ein schildpattgefleckter Blitz fuhr die Treppe herab, eine träge Masse in Jeans und Schlappen stolperte auf rotem Sisal hinterher, und versuchte, der vermaledeiten Katze ansichtig zu werden. Vergeblich.

Im Erdgeschoss angekommen gähnte die Haustür zur Straße. Immerhin lag kein plattgefahrenes Fellbüschel auf der Fahrbahn, aber eine tote Katze und eine endgültig abhandengekommene Katze, so war mir klar, würde den Nachbarn ungefähr gleich schwer zu vermitteln sein. Die Nachbarin würde weinen, der Nachbar würde nur schwer seinen Zorn beherrschen können, und als Katzenmörderin würde ich verfemt im ganzen Kiez. Wegziehen würde ich müssen.

Im Keller war keine Katze. Keine nachbarlichen Türen standen offen, keine Katze schnurrte im Hinterhof. Zwischen den Mülltonnen saß kein Häufchen Fell, und deprimiert stieg ich wieder hoch in die eigene Wohnung, um mit einem Tütchen Katzentreets wiederzukehren. Keine Katze ließ sich blicken.

Händeringend zurückgekehrt in die eigenen vier Wände, fertigte ich einen Aushang, dem das Verschwinden der Katze zu entnehmen war. Man möge mich schnellstens benachrichtigen. Mangels Katze blieb jede Benachrichtigung aus.

Schließlich, Stunden später, verließ ich das Haus, um in Fett und Zucker Trost für das Abhandenkommen des Schützlings zu finden. Die eigentlich geplanten Maßnahmen des zeitlich begrenzten Verzichts auf extrem fetthaltige Nahrung zwecks Figurverbesserung anlässlich der Spreeblicklesung sind also an einem widerspenstigen Feliden gescheitert, und wer sich am Donnerstag über meinen Bauch amüsieren möchte, dem sei gesagt: Nur die Katze ist schuld. Und es war Absicht.

Und wenn Sie fragen, welche Absicht die Katze in Bezug auf meinem Körper in meinem Abendkleid am Donnerstag haben soll, dann kann ich Ihnen auch keine Antwort geben, denn dunkel und unklar ist das tierische Gefühlsleben für uns Menschen. Dass genau dies aber Wunsch und Wille des felligen Zeitgenossen war – das geht natürlich klar aus der Tatsache hervor, dass die Katze, sonnenwarm und maunzend, um meine Beine strich, als ich das Treppenhaus emporstieg. Vom Fensterbrett im dritten Stock träge herabspringend, folgte mir die Katze in die Wohnung.

Parapsychologie

„Wie geht´s deiner Familie?“, fragt J², ehemaliger Zweitbesuch und nunmehr frischgebackener Berliner. Ich berichte von meines Vaters Urlaubsplänen, gebe die Verschönerungsaktionen meiner Mutter zum Besten, und spreche ziemlich wenig über meine Schwester, um keine schlechte Laune zu bekommen. Dass mein Onkel unterdessen ausgezogen ist, stößt auf interessierte Ohren, und anlässlich desen fühlt sich auch J² animiert, über seinen Onkel zu sprechen, der sich zwar schon vor langer Zeit von seiner Angetrauten getrennt hat, nunmehr aber eine neue Lebensgefährtin an seiner Seite hat.

Die Lebensgefährtin ist wohl eine an sich reizende Person, eine gemütvolle und lebhafte Frau, wie sie Köln am Rhein wohl häufiger hervorbringt. Ungewöhnlich an dieser Kölnerin scheint lediglich zu sein, dass sie Stimmen hört, die nicht von Personen in ihrer Nähe oder akustisch wahrnehmbaren Medien herrühren sollen, sondern von verstorbenen, der neuen Lebensgefährtin ehemals nahestehenden Menschen.

Dieser ungewöhnliche Sachverhalt soll die Lebensgefährtin ein wenig irritiert haben. Um es genauer zu bezeichnen: Die Lebensgefährtin begann, ernsthaft an ihrer Vernunft zu zweifeln. Sollte, sie, so die Lebensgefährtin im vertrauten Kreise, vielleicht zumindest in diesem partiellen Bereich ihres Lebens den Verstand verloren haben und sich nunmehr in jenen Sphären bewegen, die wir als Geisteskrankheit bezeichnen?

Die Stimmen der Toten, so mein geschätzter J², wurden mit der Zeit eher lebhafter. Die Frau kommunizierte unter anderem mit ihrem Vater, denn nicht nur sprachen die Toten zu ihr, nein, auch ihre persönlichen, wenn auch durch die Beschränkung aufs Diesseits für ihre Gesprächspartner ein wenig unergiebigen Ansichten konnten übermittelt werden. Die Lebensgefährtin wurde dabei zunehmend nervös.

Zu einem externen Psychologen traute sie sich nicht aus Angst vor Einsperrung. Ihr Gefährte und ihr Schwager, zumindest kommerziell erfolgreiche Therapeuten, nahmen das Phänomen nicht besonders ernst. Schließlich aber, die Not war groß, setzte sich die Dame vor jenes Gerät, dem angeblich viele Menschen Erquickung und Erkenntnis verdanken: Vor einen Fernseher.

Wie allgemein bekannt sein dürfte, verbreiten öffentliche wie private Sendeanstalten nicht nur Spielfilme. Auch Begebenheiten der tatsächlichen Welt finden ihren Niederschlag in dem Programm des deutschen Fernsehens, und insbesondere ergehen sich sogenannte Experten zu den unterschiedlichsten Gebieten des menschlichen und unmenschlichen Lebens, um den interessierten Teilen der fernsehenden Bevölkerung Aufklärung zuteil werden zu lassen.

Im Rahmen einer von der Gefährtin des Onkels verfolgten Fernsehsendung, die sich mit Phänomenen der Parapsychologie beschäftigte, kam entsprechend auch einer jener Experten zu Wort. Es handelte sich um einen Parapsychologen, der gleichfalls mit den Toten in Kontakt stand. Die Lebensgefährtin war elektrisiert.

Man hört häufiger von Menschen, die sich von öffentlichen Personen extrem verstanden fühlen, und in den sich öffentlich artikulierenden Busen ein verwandtes Herz klopfen hören. Im Allgemeinen beruht diese Ansicht auf einem Irrtum.

Zum Glück für die Lebensgefährtin verhielt es sich in diesem Fall völlig anders. Nach nur kurzer Suche nach Anschrift und Telephonnummer hielt die Gefährtin des Onkels eine Kontaktmöglichkeit in Händen, denn das Institut des Experten war unterhalb seines Kopfes ins Bild eingeblendet. Noch in der selben Woche rief sie ihn an, und der Experte zeigte sich sehr verständnisvoll. Leider, so sprach er zu ihr, sei ihre spezielle Fähigkeit in der Bevölkerung wenig verbreitet. Es habe zu jeder Zeit Menschen gegeben, die dieses Können besessen hätten, leider sei ausgerechnet unser rationalistisches und den Kräften der Seele wenig aufgeschlossenes Zeitalter wenig geneigt, jenes Talent zu würdigen. Sie habe daher gut daran getan, ihr Wissen besonders den Jüngern des Äskulap zu verschweigen. Am besten sei es sowieso, sie spreche gar nicht mehr davon, denn auch nahestehende Menschen könnten beginnen, sie als sonderlich zu betrachten und ihre Gesellschaft zu meiden.

Die Gefährtin war glücklich und erleichtert.

Seit Monaten nun schon schweigt die Lebensgefährtin von J²´s Onkel über ihre Konversation mit verstorbenen Personen. Kein Zweifel besteht daran, dass ihre Gespräche auch weiterhin fortdauern, indes erfährt nicht einmal ihr Liebster von dem Ob und dem Wie dieser nachgetragenen Bekanntschaften.

„Findest du das nicht ein bißchen eigenartig?“, frage ich den J², denn die Dame scheint mir nach Erhalt dieser Information nun doch eine wenig erbauliche Verwandtschaft des geschätzten Freundes zu sein. „Nein, nein,“, winkt jener ab. Problematisch seien doch immer doch nur die Verrückten mit ausgeprägtem Sendungsbewusstsein. Und vielleicht habe sie ja sogar recht.

Die Eheanbahnung und ich

Was diejenigen Menschen, die wir unsere Freunde nennen, tatsächlich von uns denken, erfahren wir lebendigen Leibes und körperlich anwesend nur sehr selten. Einer der wenigen Momente, in denen die lästigen Fransen der Wahrheit uns durchs Gesicht fahren, ereignen sich aber dann, wenn wir uns auf einmal ohne einen festen Partner wiederfinden, und sodann diejenigen, die es gut mit uns meinen, von der Unerträglichkeit dieses Zustands ausgehen und versuchen, uns zu helfen.

Die himmelschreiende Auswahl jener Herren, die von denjenigen Menschen, die eigentlich nur das Beste von uns denken sollte, als passend und akzeptabel erachtet werden, lässt diesbezüglich tief blicken: Meine Freunde halten mich wahlweise für irre oder für schwer vermittelbar, und es liegt nun an jedem selbst, zu wählen, welche dieser Alternativen er für die weniger grauenhafte hält, zumal natürlich auch eine Kombination aus beiden Negativa nicht vollkommen unglaubwürdig erscheint.

Wie anders denn soll man jenen Herrn deuten, den ich vor nicht allzu langer Zeit am Tisch einer lieben Freundin vorfand! Vier Paare waren geladen und saßen nebst den Gastgebern an einer langen Tafel in Schöneberg, und außer diesen fünf Beispielen wahrhaftigen ehelichen bzw. vorehelichen Glücks waren zwei unfreiwillige Kandidaten zur Aufnahme in jenen Orden anwesend, ein Bundesbruder des Hausherrn nämlich, und ich.

Mein Tischherr schritt noch vor der Suppe zur Einleitung einer ernsthaften und geistreichen Unterhaltung. Die Preußen, so mein vierschrötiger Nachbar, seien die Römer die 19. Jahrhunderts gewesen, die Franzosen jedoch die Hellenen, und die Aufgabe dieser vorteilhaften Position bilde das moralischer Versagen Deutschlands. Dann prostete er mir zu und versuchte mich mit ein paar kommerserprobten Scherzen zu amüsieren. Mechanisch hob ich das Glas.

Ich war und bin mir ziemlich sicher, dass diejenigen Ereignisse, die meinem Tischherrn und mir als Paradigmata jenes erwähnten moralischen Versagens durch den Kopf gingen, keineswegs dieselben gewesen sein können, aber der Mann war in der Lage, auf diese erstaunliche Äußerung noch einmal kräftig draufzulegen. Nach meiner Erlösung von dieser befremdlichen Gesellschaft, ein Filet Wellington, anderthalb Bratäpfel und Stunden des gemütlichen Beisammenseins beim Wein später, blieben die Hausherrin und ich im Wohnzimmer zurück. „Was hältst du von ihm?“, fragte mich die Freundin, während sie – die das Rauchen dem Gatten zuliebe aufgegeben zu haben behauptet – an einer meiner Zigaretten zog. Um jedweden weiteren Versuchen der Eheanbahnung von vornherein den Boden zu entziehen, antwortete ich in schonungsloser Offenheit. Die Freundin war enttäuscht. „Ihr habt euch doch so gut unterhalten.“, meinte sie. Und dass man auch nicht zu anspruchsvoll sein dürfe, denn jener Bundesbruder ihres Mannes sei ein netter Kerl, höflich, aus gutem Hause und versehen mit den allerbesten beruflichen wie privaten Referenzen. Ich lehnte dankend ab, und der feine Rauch meiner Undankbarkeit kräuselte sich unter der Decke.

Anders schlimm, aber um nichts weniger gräßlich war auch jener Zusammenprall mit dem Bruder eines Bekannten, der neben jenem erschien, als wir vor einigen Monaten ein Lichtspielhaus aufsuchten, um den zu recht gelobten Film „Muxmäuschenstill“ zu betrachten. Der ungefähr 35 Jahre alte, ziemlich kahlköpfige und sehr stille Mann hatte vor einigen Monaten gerade eine schwere berufliche Enttäuschung durchlebt und war im Anschluss an diese Erfahrung auch gleich seiner langjährigen Freundin verlustig gegangen. Er sprach den ganzen Abend über kaum, nicht beim Verlassen des Kinos, nicht beim Tee im „November“, und auch die Fortsetzung des Abends in einer gastfreundlichen Wohnung in der nahegelegenen Rykestraße vermochte sein Schweigen nicht zu überwinden.

Ein paar Tage später rief der Bekannte mich an, sprach ein wenig über den Film, ein wenig über das schwere Los seines Bruders, und erwähnte, dass jener trübselig, gebeutelt von Arbeitslosigkeit und Einsamkeit, ein wenig Aufmunterung gut gebrauchen könnte, eine Verabredung mit einer munteren Person wie mir werde daher bestimmt auf offene Ohren stoßen. Ich müsse ihn einfach einmal anrufen. „Ich bin nicht die amouröse Resteverwertung von Berlin.“, sprach ich zu ihm, und legte abrupt auf.

Inzwischen, Monate sind ins Land gegangen, gelte ich in nahestehenden Kreisen vermutlich als ein wenig zickig und mit einem überbordenden Anspruchsdenken versehen. Die Predigten, wonach es mit zunehmenden Alter mangels Gelegenheit und hochqualitativem Vorkommen sehr schwierig werde, noch alleinstehende Herren zu erlegen, fangen langsam an, zu versiegen. Die zufällig und unangekündigt auftauchenden Herren werden seltener. Nur noch gelegentlich werden mir Durchreisende angepriesen, oder versucht, mich in fernliegende Regionen zu locken, um dort auf Geburtstagen oder Examensfeiern auf besonders gute Freunde der Gastgeber zu stoßen, die ja auch schon so lange allein seien.

Was dieses Versiegen der freundschaftlichen Eheanbahnungsversuche über das Bild, welches gute Freunde von mir hegen, aussagt, will ich gar nicht wissen.

Der Prophet

„Darf ich?,“ fragt der ältere Mann vom Nachbartisch und greift nach der Cocktailkarte. O. schiebt die Karte näher an den Rand des Tisches und fährt fort, sein Hotel in Athen zu beschreiben, und ein wenig über die Familie einer gemeinsamen Bekannten herzuziehen, die wir alle nicht ausstehen können. „Gräßliche Leute,“, sage ich deswegen, und O. nickt.

„Kann ich sie kurz unterbrechen?“, wirft der Nachbar ein, und rückt ein wenig näher auf den weißen Bänken, die sich die ganze Wand entlangziehen.

„Ich höre ihnen schon eine ganze Weile zu, und ich möchte ihnen nur einmal sagen – das ganze Unheil in der Welt, das stammt doch von Leuten wie ihnen.“ Etwas ratlos schaue ich den Mann an, und krame in meinem Gedächtnis vergeblich nach den konkreten Handlungen, die meine Verantwortung für den Hunger in der Welt oder die Klimakatastrophe begründen könnten.

„Sehen sie – sie sprechen da so einfach über andere Leute, die doch auch ihr Päckchen zu tragen haben, sie machen sich gar keine Gedanken, dass das auch Menschen sind. Da reicht es, dass einer das Messer abschleckt, und dann ist er gleich ein schlechterer Mensch.“, der Nachbar scheint bekümmert. Seine hohe Stirn unterm schon sehr zurückgegangenen Haaransatz wirft parallele, wellenförmige Falten und er schaut abwechselnd dem O. und mir direkt ins Gesicht.

„Tja,“, sage ich, „das dürfen sie nicht so wörtlich nehmen. Man sagt doch viel, was man im Grunde gar nicht so meint.“ O. legt den Kopf gegen die Wand und starrt indigniert an die Decke. „Aber das ist es ja gerade,“ der Mann sieht mir anklagend in die Augen. „Die Leute sagen irgendwas, und denken sich nichts dabei, und auf diese Weise zerstören und verletzen sie Menschen. Menschen, sage ich ihnen.“

„Hören sie,“, rede ich beruhigend auf ihn ein, „wir sitzen hier einfach nur nett bei einem Cocktail, und was wir uns erzählen, ist gar nicht für die Ohren anderer gedacht.“ Der O. stöhnt ziemlich laut und winkt nach dem Kellner.

„Sehen sie – ihr Freund, der will sich gar nicht seiner Verantwortung stellen. Da reden sie Menschen schlecht – Menschen, sage ich ihnen – die erholen sich vielleicht nie wieder von dem, was sie da so leichtfertig daherreden, und dann kommt einer und erzählt´s ihnen, und der hört gar nicht zu.“ „Bitte,“, sage ich, nun auch leicht gereizt, „wir wollen uns hier einfach nur ein bißchen ungestört unterhalten.“ „Unterhalten!“, sagt der Mann nun ziemlich laut. „Unterhalten nennen sie das. Ich nenne das Rufmord!“

„Komm, wir gehen.“, sagt der O. und legt dem Kellner das Geld auf den Tisch.

„Ihnen geht´s prächtig, was?“, der Mann wird nun deutlich lauter und zieht das Interesse einer Gruppe üppiger Frauen ein paar Tische weiter auf sich, die in etwas billig wirkenden Kostümen sehr bunte Cocktails durch ihre Strohhalme schlürfen. „Sie sitzen hier herum, geben das Geld ihrer Eltern mit vollen Händen aus, und machen andere Leute schlecht, die von ihrer Hände Arbeit leben!“ Zur Demonstration dieses, in Bezug auf die unseren Gesprächsgegenstand bildende Bekannte im übrigen ganz und gar unzutreffenden, Sachverhalts hebt der Mann die breiten Hände bis etwa auf Stirnhöhe und spreizt die Finger.

O. prustet los. „Raus hier.“, sage ich und stehe einen Moment später auf der Straße. Dort, auf dem dunklen Gehsteig, fängt der O. an zu lachen, und hört erst Minuten später am Wagen wieder auf.