„Nicht sehr charmant, meine Liebe.“, sagt mir die C., und so muss ich den gestrigen Eintrag wohl berichtigen: C. hat durchaus abgenommen. Der Gewichtsverlust beträgt bisher 750 Gramm. Anschließend verabrede ich mich mit der C. auf 21.00 Uhr und arbeite weiter.
Über Mittag spaziere ich die Kastanienallee entlang. „Ihr Handy klingelt.“, ruft mir ein Mädchen beim Vorbeigehen zu. Ich sehe die Nummer und drücke den Anruf weg. Ein paar Minuten später klingelt es erneut, dann kommt eine SMS, und als ich vor meiner Haustür stehe, steht ein Wagen auf der anderen Straßenseite, den ich kenne.
Der Mann, dem der Wagen gehört, war einmal Richter irgendwo in der Provinz. Verheiratet, gelangweilt, und bereit, sich in jede Frau zu verlieben, die sich länger als ein paar Minuten in ein Gespräch verwickeln ließ. Er war klug, hatte kaum etwas erlebt und viel zu viel gelesen, um keinen Roman erleben zu wollen. Als es kompliziert wurde und seine Frau kurzzeitig auszog, bestellte ich ein paar Kartons, mietete einen Umzugswagen und floh per Vito in eine andere Stadt. Er verließ den Richterdienst, wurde ein wohl erfolgreicher Anwalt am Main und nach ein paar Jahren vergingen Monate, ohne dass ich an ihn dachte.
Auf dem Bürgersteig wirft mir nun ein fremder Mann Informationen zu wie Bälle. Er ist also wieder verheiratet, hat ein Kind. An den Schläfen spannt seine Haut inzwischen, und die Haare werden grau. Dann schließe ich die Tür auf und er fährt zu seinem Termin.
„Sehen wir uns heute abend, auf eine Blaue Stunde?“, fragt er schon in der Tür. „Ich bin verabredet.“, sage ich. Und dass ich mich melde, wenn die Verabredung ausfällt.
Leider, leider verschlechtert sich die Ernährungslage im Haushalt meiner lieben Freundin C. derart deutlich und rapide, dass ich die Wohnung in der Sredzkistraße inzwischen nur noch sehr satt aufsuchen kann. Trauriger Scheitelpunkt dieses kulinarischen Niedergangs stellte die Gemüse-Bulgurpfanne von letzter Woche dar, nach deren teilweisem Verzehr ich mich mitten in der Nacht gezwungen sah, daheim noch einmal den Herd anzuschmeißen.
Über die Ursache dieses dramatischen Absinkens habe wohl nicht nur ich ergebnislos gerätselt. Nachdem sich auch T.´s Annahme, das Land Brandenburg habe in dramatischer Weise die Richtergehälter gekürzt, als unzutreffend erwies, schien einiges für die Annahme zu sprechen, C. habe durch eine Infektion den Geschmackssinn eingebüßt.
All unser Mutmaßen, oh liebe Freunde, hat sich aber als völlig unzutreffend herausgestellt. Meilenweit von der Wahrheit im Dunkeln stochernd gestehe ich nach einem längeren Gespräch mit C. den Bankrott meiner Menschenkenntnis:
C. macht eine heimliche Diät.
Unter gewöhnlichen Umständen hätte das nähere menschliche Umfeld der C. vermutlich nie im Leben von diesem Vorhaben erfahren. Indes ging es der C. nicht darum, den M., den T. oder mich von des Pudels Kern abzulenken. Opfer der Täuschung ist vielmehr der Lebensgefährte der C., der von einer Gewichtsabnahme nichts hören will. Hört der Lebensgefährte „Diät“, so steigen vor seinem inneren Auge Bilder von anorektischen Amazonen auf, die mit knochigen Fingern Salatblätter zerreißen.
Lange überstieg der Unwille des Gefährten die Abnahmewilligkeit der C. Passte eine Jeans nicht mehr, kaufte die C. eine neue. Hielt ein Bekleidungsunternehmen keine Kleidung mehr in C.´s Größe bereit, so kaufte sie woanders, und so gingen die Jahre ins Land.
Bei Größe 42 wurde es der C. mulmig. Vorsichtig sprach sie den Lebensgefährten an. Der Lebensgefährte strich der C. zärtlich über die Oberschenkel, fasste sie um die Taille und bestritt jede Notwendigkeit.
Als auch Größe 42 eng zu werden drohte, ergriff C. eine wilde Entschlossenheit. Sie sagte dem Gefährten gar nichts. An einem Samstagnachmittag bei Dussmann schlich sie sich einige Minuten von der Seite des stöbernden Gefährten und kaufte in aller Hast ein Buch, welchem die gewichtsreduzierenden Leserin Rezepte entnehmen kann, welche angeblich gleichermaßen wohlschmeckend wie nährwertarm sein sollen. Noch am selben Abend begann die C. mit der Zubereitung.
Damit der Gefährte nicht abnimmt, kocht die C. stets die doppelte Menge und lädt dem Gefährten größere Mengen auf den Teller. Bisher hat er laut C. noch nichts bemerkt.
„Das kann ich mir kaum vorstellen.“, sage ich der C. und denke an das Bulgurzeug. „Dem ist doch eh gleich, was auf dem Teller liegt.“, gibt mir die C. fröhlich zurück.
Zu den lässig gehüteten Geheimnissen einiger östlicher Bezirke Berlins gehört die Tatsache, dass der dem aufmerksamen Leser einflussreicher Presseorgane bekannte Generationenkrieg hier bereits mit einem totalen Sieg der unter Dreißigjährigen beendet wurde. Wer sein vierzigstes Lebensjahr überschreitet, hat guten Grund sich langsam nach einer Wohnung in anderen Bezirken der Stadt umzuschauen und beizeiten etwa ein Charlottenburger zu werden. Schreckliches dräut aber dem, dem diese Flucht nicht gelingen sollte. Von jugendlichen Häschern grausam gepackt, verendet der Senior in heruntergekommenen Hinterhäusern, um sich sodann den nachfolgenden Generationen beim U-Bahnhof Eberswalder Straße im Betrieb der Frau Waltraud Ziervogel ein letztes Mal nützlich zu erweisen.
Infolge dieser von mir schon oft gerügten Praxis sieht man hier so gut wie keine älteren Menschen auf der Straße. Seit dem Tod meiner eigenen Großeltern enthält mein Telephonbuch daher nunmehr auch keine einzige Nummer mehr, die einem Menschen über 70 gehört. Das Alter hat keinen Platz in meinem Leben, und es mag Tage geben, wo ich diese Entmischung als Ausdruck einer gewissen Monotonie bedaure.
Heute jedoch ist das anders. Wer heute an meiner Tür klingelt, um mich als zahlendes Mitglied der Antigerontischen Vereinigung Deutschlands e. V. zu gewinnen, stößt auf offene Ohren und wird ein freudig unterschriebenes Mitgliedschaftsantragsformular stolz der Zentrale übermitteln dürfen. Schuld an diesem Sinneswandel ist wie immer der T. – genauer gesagt:
T.´s Großmutter zu Besuch in Berlin.
Es ist ohnehin überhaupt nicht schön vom T., seinen Verwandten Geschenke zu machen, die seinen Freunden zur Last fallen. Entsprechend hatte mir der T. dann auch wochenlang verschwiegen, seine mir seit gemeinsamer Kindheit bekannte Großmutter nicht nur eingeladen, sondern auch meine Anwesenheit im Rahmen des Besuchsprogramms fest eingeplant zu haben.
„Wir sind gleich bei dir.“, kündigte der T. seine Ankunft mitsamt Großmutter in den Morgenstunden telephonisch an und reißt mich aus dem Schlaf. Mir bleiben von diesem Anruf an keine fünf Minuten, bis der T. die Tür aufreißt. Hoheitsvoll schreitet die Großmutter über meine schmutzige Dielen und versucht die Tatsache, dass ich Ihr um 11.00 Uhr vormittags im Bademantel entgegentrete, zu ignorieren. Es gelingt ihr mäßig.
Der T., ansonsten ortsüblich verschlampt, trägt sich zur Feier des Besuchs als ein Großmuttertraum aus Tweed, Cord und seidenen Tüchern und übt einen subtilen Druck aus, sich ebenfalls etwas anzuziehen, in dem ich ausschaue wie eine altjüngferliche Handarbeitslehrerin. Das Kostüm findet die Billigung der Großmutter, die Korallen um den Hals wünscht sie ausgetauscht zu sehen, und so macht der „Dienstmädchenflitter“ einer Perlenkette Platz. Und apropos Dienstmädchen – es gebe wohl ein Problem mit meiner Zugeherin? T.´s Großmutter betrachtet stirnrunzelnd den Fußboden und lässt mich an ihrem reichen Erfahrungsschatz bezüglich der perfekten Zugeherin teilhaben. Der großmütterliche Sermon endet in einem Seufzer über die Probleme, heute noch Mädchen zu finden, die in der Familie wohnen. Und das bei der Arbeitslosigkeit. – T., zu dessen wenigen Charakterfehlern einer ausgeprägter Neoliberalismus gehört, murmelt zustimmend irgend etwas Garstiges über die ehemals arbeitenden Klassen.
Dass es T. angesichts der großmütterlichen Suada über Kreuzfahrten und die gräßlichen Enkel anderer Leute unmöglich ist, der alten Dame allein gegenüberzutreten, ist vollkommen nachvollziehbar. Sein atypisches und geradezu aufreizendes Schweigen mag das Ergebnis einer annähernd dreißigjährigen Erfahrung mit dem Wesen der Großmutter sein. Indes wälzt mir der freundlich lächelnde und bis ins Restaurant kein Wort sprechende T. auf diese Weise die ganze Last der großmütterlichen Unterhaltung auf die Schultern.
Immerhin ist es völlig egal, was ich der alten Dame erzähle. Nach wenigen Worten werde ich unterbrochen. Mein Friseur sei wohl nicht gut. Ob ich eine Handcreme verwende? Französische Seifen kauft die Großmutter ja gar nicht mehr. Ob ich reite? Die Enkelin der Nachbarin von gegenüber habe ja Turniere geritten. Auch schon verheiratet, das gute Kind, und dabei jünger als ich. Zu frühe Hochzeiten nähmen kein gutes Ende. Aber zu lange solle man auch nicht warten. Nicht zu wählerisch sein. Die Wochenmärkte in Berlin? Wenn eine Kanne angelaufen, Silberkannen stets mit Backpulver – aber auf keinen Fall Sprühstärke, das verdirbt die Wäsche – weißes Fleisch macht keine Gicht, und ist eigentlich mein Vater schon pensioniert?
T. schaut durch die Fenster auf die Charlottenstraße und schneidet sein Fleisch in schmale Streifen, die er exakt parallel nebeneinander anordnet. Gräßlich wallt die Springflut des großmütterlichen Redeschwalls. Ich schaue der Großmutter fest in die Augen und denke an die Antigerontische Vereinigung. Ob die da schon ein Justitiariat haben? – Ab und zu nicke ich, sage „Nein, wirklich!“ oder „Ach was!“. Dann kommt der Kellner, räumt ab, und ich täusche dringende berufliche Verpflichtungen vor und springe davon.
Diese Leute mit ihrer unerschöpflich erscheinenden Vitalität, derb und robust mit den roten Wangen wie Äpfel, habe ich stets bewundert. In ihrem Inneren scheinen zuverlässige Walzwerke einen steten Strom angemessener Emotionen hervorzubringen, die in regelmäßigen Abständen ruhig und ohne Schrecken, Blitz und Donner zu Boden fallen.
In den bald drei Jahrzehnten meines Lebens habe ich nie eine solche Mitte gefunden. In meinem Unterbewusstsein produziert eine Art rostiger Pastamaschine, wie man sie manchmal in italienischen Hinterhöfen sieht, ruckartig und unregelmäßig einen schmierigen Gefühlsbrei. Auf jeden Reiz hin tummeln sich schmutzige Trolle im Keller meiner Gesamtpersönlichkeit und produzieren in kurzer Zeit riesige Mengen des Breis, um dann nach Hause zu gehen und ihre Überstunden abzufeiern. Für jede Aufregung, jeden Streit, jeden kleinen Exzess der Gehässigkeit und jeden Rausch aus Kunst oder Liebe bezahle ich dann mit Stunden oder Tagen einer unbeweglichen Taubheit. Gleichermaßen können Nachrichten über Krebserkrankungen wie Hochzeiten an mich kommen, das bleibt sich gleich. Ein Notbetrieb aus Konvention und Erziehung verhindert öffentliche Faux pas.
Als Kind habe ich in den Wellen dieser Betäubung mich gern verkrochen, unter dem Schreibtisch meines Vaters oder zwischen den Abendkleidern meiner Mutter gesessen und auf die Rückkehr des Gefühl gewartet, wie man nach dem Zahnarzt wartet, dass die Lippe wieder schmerzt, die man blutig beisst.
Den reiselustigen Deutschen warnt das Auswärtige Amt vor Gegenden, die der deutschen Gesundheit unzuträglich sein könnten. Den Sudan sollte man etwa nicht aufsuchen.
Das Land Berlin allerdings warnt den Reisenden nicht. Hinweise, wo die Gastronomen den Touristen vergiften könnten, fehlen völlig. Belästigungen harmloser Spaziergänger, terroristische Musikbeschallung – Berlin verschweigt seine gefährlichen Ecken. So sehe ich mich also berufen, an dieser Stelle eine ausdrückliche Warnung abzugeben, und ich kann nur nachdrücklich jedem Auswärtigen raten, den Alexanderplatz tunlichst zu vermeiden.
Bekannt ist, dass es sich beim Alexanderplatz um einen der häßlichsten Plätze Europas handelt. Weniger herumgesprochen haben sich ernsthafte Gefährdungen des Wohlbefindens, die sich bei längeren Aufenthalten und Interaktionen mit der anwesenden einheimischen Bevölkerung ergeben könnten.
Für Ortsansässige ist der Alexanderplatz manchmal unvermeidbar. Die Versorgungslage in Ostberlin ist unverändert schlecht. Und so vermummt man sich, den eisigen Ostwinden trotzend, spaziert die Schönhauser Allee hinab und findet sich vor einer Baustelle wieder, in deren Inneren sich Galeria Kaufhof verbirgt. Körbchen über den Arm und hinein in die Lebensmittelabteilung.
Wer jeweils 50 Gramm von vier verschiedenen Fischfilets verlangt, braucht mit Freundlichkeit an der Fischtheke nicht zu rechnen. Wer allerdings seit mehreren Jahren am Alex einkauft, den kann das nicht anfechten. Doppelrahm für diejenigen, die schlappe Schlagsahne verachten, Bandnudeln aus dem Kühlregal und ein großes Stück Rinderbrust. Hofft man auf frischen Kren, dann wird man hier verzweifeln.
Schließlich, der Einkaufszettel ist abgearbeitet, stehe ich vor dem Bäckereistand. Zu einer vernünftigen Backwarenabteilung hat es nicht gereicht, die gibt es erst wieder an der Friedrichsstraße. Aber ein Krapfen lockt, und so gehe ich entschlossenen Schrittes auf den Tresen zu. Hinter dem Tresen steht jedoch kein freundliches Bedienungspersonal. Ich schaue ich mich um. Hinter mir, an einem Stand, der der Verkaufsförderung von Fischdosen dient, steht der Backwarenverkäufer und löffelt aus kleinen Plastikschälchen eine leicht faulig riechende Speise. „Junge Frau,“ ruft mich ein älterer Schnauzbart, und ich gehe einige Schritte auf den Mann zu, der mit einer Schürze um den Bauch hinter einem Tischchen steht. In unverkennbar norddeutschen Tonfall preist der Fischpromoter den Inhalt seiner Schälchen an. Hintereinander warten Hering in Tomatensoße, Hering in Senfsauce und Pikante Röllchen auf Verkoster. Ich hebe ablehnend die Hände.
„Nein, nein,“ sagt der Fischmann. Ich müsse ja gar nichts kaufen. Nur kosten solle ich. Seit mehr als hundert Jahren vertreibe die Firma Sywan, die Schwaaner Fischwaren GmbH, ihre Fischprodukte in Dosen, teilt mir der Promoter mit. Flugs halte ich ein Schälchen in der einen und eine Gabel in der anderen Hand. Fisch und Sauce sind miteinander eine ungute Verbindung eingegangen. Vielleicht zersetzt auch die Tomatensauce die Fischfasern. Überdies bin ich ein wenig heikel was Gerüche angeht. „Sehr lecker,“ sage ich, weil mir der Schnauzbart leid tut mit seinen Dosen und werfe das leere Schälchen in den Abfalleimer.
Geschwind streckt mir der Fischmann ein anderes Schälchen entgegen das Pikante Röllchen in würziger Tomatensauce enthält. Er schaut freundlich und etwas bekümmert. Die Schwaaner Fischwaren GmbH aus Mecklenburg verkaufe heute vorwiegend über Handelsmarken, wird mir bekümmert erklärt. Ich halte die Gabel über das Schälchen und frage interessiert nach.
„Ich bin ein bißchen in Eile,“ sage ich dann und versuche mich des Fisches unauffällig zu entledigen. „Sie haben ja noch gar nicht probiert. Sind sie kein Fischfreund?“, betrübt schaut mir der Fischpromoter auf meinem Weg zum Krapfen nach. „Doch, doch,“ sage ich. Die Schwaaner Fischwaren GmbH dauert mich und so werfe ich schnell eine Dose der Pikanten Röllchen in den Korb.
„Lecker“, sagt der Backwarenverkäufer und deutet auf mein Körbchen mit der Dose. Ich nicke und gehe zur Kasse.
Vor der Tür beiße ich in den Krapfen. Er ist mit Vanillecreme gefüllt und etwas trocken. Von rechts nähert sich ein abgerissen erscheinender Mann von schätzungsweise fünfzig Jahren und bittet um Geld. Ich schüttele den Kopf. Dann fällt mir etwas ein. Aus den Tiefen meiner Tasche krame ich die Fischdose heraus und halte sie dem Bettler entgegen. Der Bettler schaut mich verständnislos an und wendet sich ab.
Noch am Donnerstag sag´ ich doch noch der Frau Fragmente, die Männerseele sei mir ewig unergründlich. Schon am Freitag allerdings kam die Erkenntnis über mich: Männer haben zuviel Phantasie. Das ist das ganze Elend – und es verhält sich folgendermaßen:
„Wenn Kathrin Angerer nicht mitspielt, komm´ ich erst Sonntag.“, verkündet der Wochenendbesuch, auf die Möglichkeit des Samstagabends in der Volksbühne angesprochen.
„Banause!“, entgegne ich. Der Besucher, fernab eines tieferen Kunstverständnisses, grunzt in den Hörer und verweist auf den T.
Die Kathrin Angerer, so der T., sei doch kein schönes Weib. Als Idol sei die gleichwohl großartige Schauspielerin der Volksbühne völlig untauglich. Sein Frauenideal sei ein völlig anderes. Sorgfältig schabt sich T. die Bartstoppeln aus dem Gesicht. Die provozierte Frage nach der eigenen Idee aller Weiblichkeit wird, das Messer an der Wange, prompt beantwortet. Dann gleitet das Messer den Hals hinab, ich halte die Luft an und es ist….Madame Catherine Deneuve. Vor ungefähr hundert Jahren.
„Blondinen find´ ich blöd.“, zicke ich den T. an und fahre mir durch die schwarzen Haare. T. zuckt mit den Schultern.
„Haben eigentlich alle Männer feststehende Ideale?“, frage ich ein paar Stunden später in die Runde. M., so stellt sich heraus, träumt von Audrey Hepburn. Sein Bruder liebt dralle Blonde, die dank der Mutter des M. unter der Sammelbezeichnung „die böhmische Köchin“ bekannt sind. Der ordinäre Begleiter meiner lieben C., den ich noch nie leiden konnte, verehrt Jennifer Lopez.
Und auf einmal wird mir alles klar:
Geht eine Frau umher und sucht nach dem Mann ihres Lebens, so hält sie sorgsam Ausschau nach Wesen und Individualität der Kandidaten. Sie wird die Herren sorgfältig ausforschen – Lieben sie die Bühne? Beherrschen sie Zeichensetzung und Konjunktiv? Haben sie vielleicht ein anstrengendes Frauenbild, weinen in intimen Situationen oder sind einer Burschenschaft eng verbunden? Am Ende eines sorgfältigen Auswahlprozesses, das demjenigen international agierender Großkanzleien in nichts nachsteht, wird der passendste Kandidat erkoren. Bei einem Höchstmaß gegenseitiger Übereinstimmung in Temperament und Neigungen sind die Aussichten auf gemeinsames Glück durchaus begründet.
Der passende Kandidat aber will nicht und steht bockig beiseite. Übereinstimmung, wahrhafte Seelenverwandtschaft und gleichartige Neigungen sind ihm Wurst. Katherine Hepburn oder keine, sagt der Kandidat und sucht nach größtmöglicher Ähnlichkeit mit dem Ideal. Traurig schleppt sich die suchende Dame nach Hause, leckt ihre Wunden und ruft alle ihre Freundinnen an. Nach einigen einsamen Monaten nimmt sie einen der nächstplazierten Herren. Weil der Übereinstimmungsindex hinter dem Optimalfall deutlich zurückbleibt, geht die ganze Sache schrecklich schief.
Aber auch der Kandidat verfehlt sein Glück. Bezaubert von einer fernen Ähnlichkeit nähert er sich einer Frau, die ihm so unähnlich wie möglich ist. Nach nur wenigen Monaten wird das Paar sich hassen. Er findet heraus, dass sie seinem Katherine-Hepburn-Ideal nicht einmal im Ansatz gleicht und geht seiner Wege.
So hat es dann wieder einmal nicht funktioniert. Traurige Singles betrinken sich in schummerigen Bars. „Frauen sind merkwürdige Wesen“, lallen die Männer und denken an das Idol. „Ich verstehe die Männer nicht.“, prosten sich die Frauen zu.
Herr Mequito, sind Sie müde? Ein bißchen schwere Augen, eine Katze auf dem Schoß und einen heißen Tee in den Händen? „Gar nicht!“, sagen Sie? Sie sind sogar die Vitalität in Person?
„Hah“, kann ich da nur sagen: „Vital war mal!“ Denn mein musikalisches Universum ist langweilig, langweiliger als Graz bei Nacht, langweiliger als ein Sonntagnachmittag in Spandau, sozusagen exakt so öd wie die Gemeinde Annaberg-Lungötz, die Sie zu recht nicht kennen. Nur nicht ganz so gepflegt.
Schlafen Sie schon?
Nun denn:
1. Wieviel gigantische Bytes an Musik sind auf deinem Computer gespeichert?
Im PC auf meinem Schreibtisch säuseln 5,32 GB. Ein Notvorrat schlummert im ibook, aber das treibt sich gerade im schwesterlichen Kosmos herum, deren Toshiba immer zur Unzeit krank wird.
2. Die letzte CD, die du gekauft hast…
Greenday, „American Idiot“. Glaube ich. Und hören Sie auf zu schnarchen.
3. Welches Liedl hast du gerade gehört, als dich der Ruf ereilte?
Carla Bruni, „Le plus beau du quartier“. Das Album hat mir mein Wochenendbesuch als ein überzeugter Blumenverweigerer mitgebracht. Ein paar Titel kann ich schon mitsingen.
4. Fünf Lieder, die dir viel bedeuten oder die du oft hörst.
4.1 Tocotronic „Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein“.
Auch ich wäre einmal gerne Teil einer Jugendbewegung gewesen. Leider war gerade keine passende da.
4.2 Oasis „Cigarettes And Alcohol“
Die große Schwester meiner Schulfreundin bekam ein Auto, „Definitely Maybe“ erschien, und mit der Schwester durften wir am Wochenende in die Stadt fahren. Diese großartige Vorfreude auf Sensationen, die dann nie stattfanden, oder sich als wenig sensationell entpuppten… , die Freundin und ich mitsingend auf der Rückbank.
4.3 Rio Reiser „Mitten in der Nacht“
Ja, da stöhnen´s. Das ist fies, und dabei hat der Reiser doch viel besser gekonnt. Aber als ich einmal ziemlich jung war, und unterwegs als eine Interrailerin, da zerstritt ich mich in griechischen Gefilden schrecklich mit meinem damaligen Freund. In pubertärer Unrast verließ ich Insel samt Freund, attachierte mich an einen anderen Herrn und verbrachte eine ganze Nacht eingehüllt in einen Schlafsack am Strand, wo mir der Fremde vorspielte und dazu sang. Das waren noch Zeiten, in denen ich meine Adresse und Telephonnummer um einiges bereitwilliger rausrückte, als es eine Dekade später der Fall ist. Und so schickte mir der Fremde ein paar Wochen später eine Kassette zu, mit dem gesamten Repertoire dieser griechischen Strandnacht.
4.5 George Brassens „Il N´Y a Pas D´Amour Heureux“
Wenn ich traurig bin.
5. Wem wirfst du dieses Stöckchen zu (3 Personen) und warum?
Der Frau Fragmente, um einmal herauszubekommen, was jemand sonst so mag, dem Cure gefällt. Und der Frau Engel, mit der ich noch nie über Musik gesprochen habe, und die auch nie über Musik schreibt. Und die Frau Schnatterliese, die bestimmt einen großartigen Musikgeschmack hat.
Angelegenheiten fremder Leute interessieren mich ja stets nur dann, wenn sie mich nichts angehen. Mit Freude erfüllt mich daher die Tatsache, im elektronischen Unterholz von twoday.net auf Gleichgesinnte gestoßen zu sein. Zwar argwöhne ich manchmal, dass nur die Schadenfreude gegenüber einer vom Schicksal schwer gebeutelten Berlinerin mit Schwierigkeiten bei der Anschaffung von Männern und Kleidungsstücken mir meine spärlichen Leser zutreibt. Verrät mir der auf diesem Blog unten rechts angebrachte Zähler zwar eine geradezu empörend wenig umfangreiche Leserschaft, so übersteigt die Zahl derjenigen, die mir beim Essen und Einkaufen zuschauen, doch immerhin erheblich die Anzahl der Leser, die die von mir verfassten Fachpublikationen goutieren.
Immerhin kann ich mit recht behaupten, dass es nicht der Voyeurismus ist, der Sie, liebe Leser, auf dieses Blog gespült hat. Mit Faszination verfolge ich gelegentlich, über welch obskure Suchworte andere Bewohner dieser kleinen Welt ihre Leser fischen. In den modestinen Kosmos verirren sich fremde Seelen im wesentlichen über Google-Eingaben, die sich mit Jeansgrößen oder dem verehrten weiland Altphilologen Fuhrmann beschäftigen. Interessanter Weise wenden sich die Jeansgrößenforscher ohne Vertun ab, derweil die Waller auf den Spuren des jüngst verstorbenen Altphilologen bisweilen eine Weile verharren. Rätsel über Rätsel: ist der Jeanskäufer ein gewitzteres Kerlchen als der Adept der klassischen Philologie und bemerkt schneller die Unergiebigkeit dieses Suchergebnisses? Oder ist der Interessent der klassischen Philologen ein unermüdlicher Konsument alles Geschriebenen und verschmäht auch fernliegende Ausführungen nicht?
Als bekennendes Befindlichkeitsblog werden ich und meinesgleichen verächtlich abgetan von ernsthaften Publizisten, die ihre Arbeit den wirklich relevanten Fragen der Gegenwart widmen. Errötend gestehe ich, dass es in den Tiefen dieses Blogs keine wie auch immer verwertbaren Inhalte zu holen gibt. Trotzdem hoffe ich, Sie alle auch in den nächsten 100 Tagen und darüber hinaus zu amüsieren. Getrieben von einer keinen Lebensbereich aussparenden Eitelkeit rufe ich Ihnen im übrigen zu:
Mit Zuspruch und herzlichen Kommentaren versüßen Sie mir den steinigen Alltag. Verlinken Sie mich in ausschließlich schmeichelhaftem Zusammenhang, und nehmen Sie mich in Ihre Blogroll auf. Der Honig meines Wohlwollens wird dauerhaft mit Ihnen sein.
(Für Kritik bin ich erwiesenermaßen unempfänglich, und wer mich beleidigt, fliegt raus.)
Zum Schluss liebt der Kammerdiener die Zofe und der Graf die Gräfin. Ob der S., zwei Parkettplätze neben mir, geliebt wird, ist indes nicht zu erkennen. S. ist allein gekommen.
„Was macht die Mitbewohnerin?“, fragt die C. daher im Taxi. S. murmelt irgend etwas, was „Zuhausegeblieben“ heißen kann oder auch „Zurhöllegefahren“. Wie er zwanzig Minuten später beim Wein berichtet, ist die zweite Alternative allerdings in hohem Grade unwahrscheinlich.
Von einer Mitbewohnerin höre ich zum ersten Mal. Die 80 m², die der S. in der Sophienstraße bewohnt, dürfte er problemlos sowohl selber nutzen wie auch bezahlen können. „Wieso hast du überhaupt jemanden mit ´reingenommen?“, frage ich den S. deswegen.
Der S., so erfahre ich, sei vor einigen Monaten nach Norwegen gefahren, der erste Urlaub nach Aufnahme einer Tätigkeit als Anwalt in einem außerordentlich langweiligen Rechtsgebiet. S.´ langjährige Freundin hatte seinerzeit auf die Unterzeichnung dieses Arbeitsvertrages keineswegs mit dem Freudenausbruch reagiert, der nach S. Auffassung dem Anlass angemessen gewesen wäre. Statt ihm um den Hals zu fallen, stellte sie ihn vor ein Ultimatum: Berlin oder sie. Berlin hat gewonnen.
Im Urlaub wandelte der S.´ daher in blendender Einsamkeit entlang der majestätischen Fjorde, aß die kargen, aber ehrlichen Spezialitäten des nordischen Paradieses und sprach tagelang mit keiner Seele. In einem Gasthofe am Ende der Welt, kristallklare Bergseen zu seinen Füßen, traf der S. erstmals wieder auf menschliche Gesellschaft. Eine norddeutsche lustige Runde nahm S. in ihre Mitte. Aus dieser Mitte wiederum traf es sich, dass eine junge Dame ohnehin wenig später ein längeres Praktikum in Berlin absolvieren würde. Das Mädchen war hübsch und schien vergnügt, S. war einsam und Mieter einer wohngemeinschaftstauglichen Wohnung.
Man wurde schnell handelseinig. Voll der schönsten Hoffnungen kehrte S. zurück nach Berlin.
Einige Wochen später zog das Mädchen ein. Sie nannte viele bunte Gegenstände ihr eigen, brühte regelmäßig Früchtetees auf und stellte S. sogar belegte Brote in den Kühlschrank, wenn er abends aus der Kanzlei kam. Die Mitbewohnerin brachte ihre Gitarre mit und spielte S. zur Aufmunterung gern etwas vor.
Am ersten Sonntag, den die Mitbewohnerin nicht nach Hause fuhr, erwachte S. in einer leeren Wohnung. Die Mitbewohnerin, so stellte sich später heraus, war zum Gottesdienst gegangen. Überdies hatte sie Anschluss gefunden und blieb jetzt öfter die ganze Woche. Manchmal saßen abends, wenn der S. nach Hause kam, fröhliche junge Mitglieder eines christlichen Zusammenschlusses junger Menschen in der Küche, die sangen, Tee tranken und den S. fragten, ob er am Sonntag mit in den Gottesdienst käme.
Zuerst ärgerte der S. sich ein wenig über den Fehlschlag bezüglich seiner nach wie vor einsamen Lagerstatt. Nach und nach begann der S. aber, die Mitbewohnerin zu vermissen, wenn sie doch einmal ein Wochenende in die norddeutsche Tiefebene fuhr. Nachts stand er vor ihrer Tür und horchte, ob sie schlief. Als der S. einige Tage beruflich in London weilte, verlängerte er den Aufenthalt nicht übers Wochenende und kaufte der Mitbewohnerin ein kleines Geschenk.
Schließlich, der Zustand des S. war nicht mehr zu übersehen, nahm die Mitbewohnerin ihn zur Seite. Er habe, so sagte sie, wohl eine Neigung zu ihr entwickelt. Auch sie habe ihn von Herzen gern. Allein, ein wahrhafter Christ sei der S. nicht, und sie könne ihn nicht lieben. Er sei für sie wie ein großer Bruder. Sie werde für ihn beten.
Was blieb dem S.? S. stimmte zu, sagte Ja und – vor allem – Amen. Unterdessen verlängerte die Mitbewohnerin erst ihr Praktikum und wechselt zum kommenden Sommersemester an die FU. Sie ließ sich in den Mietvertrag aufnehmen, sie strich des S.´ Küche in hellen, freundlichen Farben und feierte ihren 22. Geburtstag mit allen jungen Christen von Berlin. Abends kocht die Mitbewohnerin, und am Sonntag holt der S. sie vom Gottesdienst ab.
S. gilt inzwischen in religiösen Kreisen der Stadt als leuchtendes Beispiel der wahren Freundschaft zwischen Mann und Frau. Seine Bekehrung soll unmittelbar bevorstehen. Ausgesprochen weltliche Freunde bekommen ihn nur noch selten zu Gesicht.
Und wieder einmal besteht Gelegenheit, sich Frau Modestes ewige Dankbarkeit zuzuziehen. Gewiefte und erfahrene Meister der Datenverarbeitung biegen sich jetzt wahrscheinlich hohnlachend über ihren Tastaturen. Als eine echte Analphabetin aller Gerätschaften, die komplizierter sind als mein neuer Blitzhacker – schenken Sie mir trotz allem einen Moment der Aufmerksamkeit:
Gestern rauscht der PC auf meinem Schreibtisch ab. Ich starte die perfide Kiste neu, und sehe kurz ein Icon, das ich nicht kenne. Im Zuge einer eingehenden Suche in den Systeminformationen werde ich schließlich fündig. Das selbststartende Programm heißt „Perfect Keylogger“ und dient dazu, alles, was getippt wird, in einer Extradatei aufzubewahren. Laut Anleitung, die auch dabei ist, soll das Programm gänzlich unsichtbar sein, nicht gelöscht werden, und demjenigen dienen, der schon immer mal alles über seine Kollegen, Familie etc. wissen wollte.
Ich fühle mich etwas verfolgt. Ratlos schleiche ich um den PC herum und benutze fortan nur noch das Notebook.
Mit ist ganz und gar nicht klar, wie das Ding auf den PC geraten ist. Gibt es in meinem Leben mehr Psychopathen, als ich schon immer annehmen musste, oder kommt der Angriff aus dem Netz? Kann nur derjenige, der an dem Ding sitzt, meine Daten lesen, oder kann auch jemand außerhalb an mein Geschriebenes, wenn ich im Internet bin? Mit meinen Daten kann im übrigen soweiso keine Sau etwas anfangen, außer man hegt ein reges Interesse für rechtswissenschaftliche halbfertige Doktorarbeiten und meine nicht sonderlich spektakuläre und zudem unvollständige Privatkorrespondenz.
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