Cousin G. legt gar nicht ab. Mit der rechten Hand schiebt er seinen Sohn in meine Wohnungstür. In der Linken hält er eine karierte Tasche, in der sich Kleidung und Spielzeug für zwei Tage befinden. Ich gehe in die Knie, fasse Junior an die Schultern und begrüße ihn bei mir. Junior zuckt zurück und erinnert sich ganz offensichtlich nicht die Bohne an Cousine Modeste. Dann lehnt G. den angebotenen Kaffee ab, denn unten wartet das Taxi. G. verschwindet sodann und hinterlässt Junior, die Tasche und eine schriftliche Junioranleitung.
Der Junior ist drei, ein hübsches, zartes Kind mit dunklen Locken, als Bub kaum erkenntlich. Schüchtern sitzt er auf dem Sofa und blättert in einem mitgebrachten Bilderbuch. Ich biete Schokolade an, Saft und Kuchen. Junior schüttelt kaum wahrnehmbar den Kopf. Dann eben nicht. Ich gehe an den Schreibtisch, lasse die Tür zum Wohnzimmer angelehnt und horche manchmal, ob Junior sich bewegt. Ich höre nichts.
„Mach´ dich breit“, sage ich zu Junior. „Nimm Dir aus dem Kühlschrank, was Du willst.“ Junior nickt. Ich verspreche einen Spaziergang auf den Spielplatz in den Nachmittagsstunden und arbeite weiter.
Eine knappe Stunde später steht Junior in der Tür, als ich mich umdrehe. Wie lange er da schon steht? Nun hat er doch Hunger, ich brate Kalbsschnitzel und decke den Tisch.
Junior ist ziemlich klein und hat Mühe, die Stühle zu besteigen. Ob das normal ist mit drei? Und ob er schon Messer und Gabel benutzen kann? Ich schneide das Fleisch sicherheitshalber vor. Überhaupt: Kinder trinken keinen Kaffee, soviel ist klar. Aber trinken sie Tee? Schwarz oder grün? Ich beschließe, dass Junior an schwarzem Tee nicht eingehen wird, brühe eine Kanne Earl Grey auf und schütte ordentlich Zucker hinein. Dann werfe ich alle Süßigkeiten, die ich habe, auf den Tisch, Junior greift sich was, und ich arbeite weiter.
Auf dem Spielplatz drückt sich Junior an den Rand des Sandkastens und buddelt ein bißchen vor sich hin. Zu den anderen Kindern schaut er gar nicht hin. Ist das ein normales Durchgangsstadium für einen Dreijährigen, überlege ich, oder ist Junior kontaktgestört und wird als Erwachsener einmal sehr merkwürdig? Dann wird mir langweilig, und ich überlege, Kuchen zu holen. Aber kann man Junior alleine auf dem Spielplatz lassen oder läuft er dann auf die Straße und wird überfahren?
Konfrontiert mit meiner absoluten Kinderinkompetenz lese ich doch G.´s Brief. Junior, schreibt mir G., darf auf keinen Fall:
– Süßigkeiten essen, außer Fruchtschnitten und einer bestimmten Sorte Sojakeksen, die in der Tasche sind.
– Zuckerhaltige Getränke trinken.
– Fleisch und Fisch essen. Eier sind erlaubt.
– länger als 19.00 Uhr aufbleiben.
– Kraftausdrücke vernehmen.
Das hilft mir nicht weiter. Woher wissen eigentlich Mütter, wie man mit Kindern umgeht? Meine eigene Mutter weilt telefonisch unerreichbar im Urlaub. Meine Freundinnen sind kinderlos. Ratlosigkeit. Ich betrachte das ruhig vor sich hin spielende Kind. Was für ein Quell von Ungewissheiten.
„Gefällt´s dir bei mir?“, frage ich hilflos Junior. Junior, inzwischen etwas aufgetaut, bejaht freudig und schokoladenverschmiert. Immerhin. Na also.
Keine Sorge, Eltern wissen auch nicht, wie man Kinder erzieht. Sie bezahlen dafür mit Spinat in ihren Haaren.
REPLY:
sicher ein lieber kerl der kleine, aber die anleitung find ich schon etwas zu streng!
Wie wird (hypothetisch) Cousin G. reagieren, wenn er den Eintrag liest? Wird er sich erlauben, beim Lesen einen Kraftausdruck zu murmeln? Das Kind wird, denke ich, dem Vater nichts von der Schokolade erzählen.
REPLY:
Na, das wollen wir doch mal schwer hoffen. Wenn man sich nicht einmal mehr auf die Diskretion unschuldiger Kinder verlassen kann, ist es weit gekommen mit dieser Welt.
Sollte G. dieser Eintrag über undichte Stellen im Familiengeflecht zur kenntnis kommen, sehe ich seiner Reaktion aber auch ganz gelassen entgegen: Wer mir ein Kind in die Hand drückt, muss wissen, was er tut.
REPLY:
Ja, nicht? Ob die das zu Hause wirklich durchhalten? Immerhin ist es nicht so anstrengend, wie ich mir die Kinderhaltung vorgestellt habe. Gegenwärtig schläft der Kleine, ansonsten beschäftigt er sich viel mit seinen Bilderbüchern oder malt vorwiegend abstraktes Zeug.