„Lass uns nach Nizza fahren,“, schlägt der geschätzte ehemalige Gefährte vor: Ein pittoreskes Hotel in der Altstadt, natürlich mit getrennten Zimmern, Tee im Negresco, Moules Frites bei Lou Pilha Vega, und dann weiter nach Antibes oder Menton. „Komm schon,“, sagt er. Die Gelegenheit sei in Ermangelung irgendwelcher kleinlichen Nachfolger überaus günstig, und überhaupt sei niemand so geeignet in der Rolle der freundschaftlichen Reisebegleitung wie der langjährige Exfreund, der alle enervierenden Eigenheiten kenne, und den sie nichts mehr angingen. Und sei nicht auch die polnische Reise mit einem anderen längst verflossenen Gefährten in nostalgischer, wenn auch nur bruchstückhaft kommunizierter, Erinnerung geblieben?
„Geht so.“, sage ich, und winke dem Kellner nach zwei weiteren Bionaden. „Erzähl doch mal.“, kommt die prompte Bitte., „Ist ziemlich verwickelt,“, antworte ich, „dauert ein bißchen länger.“, und schaue auf die Uhr. Nur noch zwanzig Minuten bis Ladenschluss. „Dann fang´ halt an, und erzähl demnächst mal weiter.“, sagt er und nickt dem Kellner dankend zu, der die Bionaden auf den Tisch stellt.
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Von Köln nach Kampen
In jenem fernen Sommer nämlich war mit J². wieder einmal Schluss für immer. Ich fuhr heim, er fuhr angeln, und als der R., einige Wochen zuvor auf einer Party kennengelernt, auf dem Bahnsteig stand, war ein paar Wochen lang alles in Ordnung, und das Leben weich und ohne scharfe Kanten. Im Herbst jedoch splittere das Glück, und eines Nachts rief ich, gestrandet auf dem Sofa einer fürsorglichen Freundin in Köln, den J² an. Das alles, so sprach der J² nach ausführlicher Schilderung des Vorgefallenen, höre sich hochgradig strapaziös an, und mein nervlicher Zustand mache einen erholsamen Aufenthalt an der See geradezu zur Pflicht.
Zwei Tage später wurde mir bei einem gemeinsamen Freund in Kampen aufgetan, und der J² wie mir gleichermaßen zugetane Gastgeber hörte sich die nächsten vier Tage abwechselnd des J². Lamento wie auch meine eigenen Beschwerlichkeiten an. Ein Herz und eine Seele wanderten J². und ich, in dem angemessenen Abstand, der den enttäuschten Hoffnungen geziemt, am Strande hin und her, und erzählten uns leise flüsternd alle unsere Geheimnisse, die man dem aktuellen Geliebten aus guten Gründen niemals verraten würde.
Von Kampen nach Warschau
„Ich war den ganzen Sommer nicht richtig weg.“, klagte ich dem J², und auch jener gestand ein gewisses Fernweh. Irgendwo, wo keiner von uns jemals gewesen sei, den Hauch des Abenteuers, den die ausgetretenen Pfade längs des Mittelmeers und der Küsten Skandinaviens nicht zu bieten haben würden, schwebte uns vor, und Geld hatten wir im Grunde auch nicht. Tschechien erwies sich als von mir ausreichend bereist, Finnland war uns zu teuer, und für einen Abstecher in gänzlich fernliegende Gefilde boten die zwei Wochen bis Semesterbeginn nicht mehr ausreichend Zeit. Das südliche Polen, so schien es uns, würde am ehesten unseren Wünschen gerecht, und so begaben wir uns zum Bahnhof in Westerland und kauften zwei Bahnfahrkarten. Der Gastgeber versuchte uns, den Plan auszureden, und empfahl abwechselnd Capri und diverse griechische Inseln. Am nächsten Morgen brachen wir auf.
Wie Sylt überhaupt zu einer beliebten Stätte der Erholung werden konnte, ist angesichts der Wetterlage, die üblicherweise in diesem Teil der Welt herrscht, ein Rätsel für sich. Es regnete. Tagelang, und wochenlang, und hätten wir gewusst, dass es auch in Polens nördlichen wie südlichen Landesteilen immerzu, eigentlich den ganzen Tag, regnen würde, dann hätten wir auf unseren klugen Gastgeber vielleicht doch vertraut und wären ans Mittelmeer gefahren, und alles wäre anders und besser gekommen. So aber standen wir im Regen von Sylt, warteten ein paar Stunden später im Hamburger Hauptbahnhof auf unseren Zug, während der Regen auf das Dach des Bahnhofs plätscherte. In Hannover regnete es natürlich auch, denn in Hannover regnet es gleichfalls eigentlich immer, und nach ungefähr zwanzig Stunden kamen wir in Warschau an.
J², begabt mit der Fähigkeit an eigentlich allen Orten und in so gut wie jeder Körperhaltung zu schlafen, war munter wie der junge Morgen. Ich war müde, schlechtgelaunt, hungrig, und ein Hotelzimmer hatten wir natürlich auch nicht. Warschau war häßlich. „Lass uns ausschlafen und nach Krakau fahren.“, schlug ich vor. „Am Bahnhof ist jede Stadt häßlich.“, meinte J², und handelte mit dem schmierigsten Hotelier Warschaus überteuerte Preise für ein schmutziges Zimmer aus. „Ich will hier nicht bleiben.“, sagte ich, schlief auf der Stelle ein, und als ich erwachte, war J² nicht im Hotel.
Sechs Stunden später war J.² wieder da. Ich hatte in der Zwischenzeit eine Sauerkrautsuppe gegessen, ausführlich durch die gräulichen Gardinen in den Regen von Warschau gestarrt und in der Lobby des Hotels zwei alte Ausgaben des Standard gelesen. Der Hotelier brachte mir von Zeit zu Zeit ein Gläschen Tee, und unter der ruhigen Oberfläche einer lesenden Frau in einem orangefarbenen Ledersessel quollen Tonnen von Magma und Lava gen Oberfläche, um sich sodann über den heimkehrenden J². zu ergießen.
J². blieb keine Antwort schuldig. Noch am selben Abend, beidseitig versehen mit tiefen – wenn auch nur verbalen – Fleischwunden, wechselte J². das Hotel, und bezog eine andere schmierige Absteige, deren genaue Lage und Beschaffenheit mir ebenso unbekannt wie gleichgültig war. Allein im dunklen Zimmer, frierend in klammer Bettwäsche, lag ich im Dunkeln, und sah den Autos nach, die langsam durch die Bahnhofsstraßen fuhren. Gegen Morgen griff ich zum Telephon und rief den R. an. Weit weg, in Köln am Rhein, nahm der verschlafene R. den Hörer ab, und versprach ein paar Stunden später, längst hatte das Zimmermädchen geklopft, sein Erscheinen in Polens Kapitale am Folgetag.
Und ich schlief ein.
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„Ich muss los.“, sage ich zum geschätzten ehemaligen Gefährten und stelle die leere Bionadenflasche auf den Tisch. „Bis bald.“, sagt der. Und ich verspreche, die Geschichte demnächst weitererzählen. Von Warschau nach Krakau bis zum Ende am Meer.
Wenn Sie mal wieder Polen bereisen, empfehle ich Ihnen die imposanten Dünengebiete bei Leba, es empfiehlt sich die Nebensaison. Auch der Süden mit seinen Bergen ist sicherlich reizvoll, mir ist das Gebirge von der slowakischen Seite aus bekannt. Ich verlebte dort eine Sommerfrische.
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Der sorgfältige Leser wird erkennen, dass es in dieser meiner Geschichte nicht um Polen geht, sondern um einzig und allein um mich und mein verkorkstes Sozialleben. Wir hätten damals genauso gut nach Wladiwostok fahren können. Kommentare, die weder mit dem von mir verfassten Beitrag irgendetwas zu tun haben, noch aus anderen Gründen besonders amüsant sind, dürfen sich die geschätzten Leser dieser Seite daher gern verkneifen. Dies gilt besonders für Wrbung, ansonsten fange ich doch noch an, hier Kommentare zu löschen.
Schade dass ihre Reise so wenig harmonisch verlief. Die Spannungen zeigen zumindest das sie einander nicht gänzlich gleichgültig sind.
Erzählen sie möglichst bald weiter, ich möchte doch zugern wissen wie Herr R. reagiert hat, als er in Warschau eingetroffen ist.
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Harmonie und Wellenschlag
Das nennen Sie schon nicht harmonisch?? Das war der harmonische Teil der Reise. – Und R.´s Reaktion in Warschau war sozusagen nichts gegen seine Reaktion, als in Krakau J² wieder aufegtaucht ist … aber dazu mehr morgen.
Ist ja alles auch schon lange, lange her.
Versunken mitten in Deinem wunderbaren Text war ich an der Hannover-Stelle angekommen und dachte so : „Ach Hannover, in Hannover regnet es doch immer, doofes Hannover“ und fühle mich einen Satz weiter bestätigt. Was für ein zarter melancholischer Road Movie. Und auch noch mit Fortsetzung. Ich bin begeistert.
In der Fremde scheinen Abgründe ja immer tiefer. Vielleicht sind sie das auch. Immerhin: Diese Männer setzen sich für Sie in Bewegung. Als Leser mag man jetzt nur hoffen, dieser R. hat Blumen dabei und reist nicht durch die Interzone, um in Warschau Nervenklavier zu spielen. Allein, ihre Andeutungen lassen für Teil zwei kein Happy end erwarten.
Wir lauschen gebannt.
Frau Modeste, aus der kratzbürstigen Antwort auf Dr. No könnte man schließen, daß das Ganze zwar lange her ist, aber noch lange nicht ruht.
Wie wäre es mit einer warmen Milch mit Honig zur Beruhigung und zum Einschlafen? Für den Rest: http://www.aok.de/bund/rd/88852.htm
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lol
regelmäßiger lebensrhythmus!
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Ja, Hannover… ein langweiliger Ort. ich war mal fast zehn Monate da, die ich entschieden nicht zu den Höhepunkten meines Lebens rechne. Gegen hannover sollte man auf dem Alex Unterschriften sammeln. Bei den massen an Unterschriftensammlern nehme ich aber an, dass irgendeine wohltätige Bürgerinitiative sich der Sache schon angenommen hat.
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Abgründe, Herr Kid, hat meines Lebens seichtes Wandeln zwar weder im Aus- noch im Inland zu bieten, ob der Ausgang der ganzen Sache dem Leitbild des Happy Ends allerdings auch nur annähernd entspricht, dürfte in maßgeblichen Kreisen durchaus umstritten sein.
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Ach, Gibsmir, wenn ich mal alt bin, mache ich eine Therapie. Dann wird alles gut, und die warme Milch brauche ich dann auch nicht mehr. regelmäßiger lebensrhythmus, wenn ich das schon höre! Wofür halten Sie mich?
Wofür ich Sie halte? Für momentan etwas unausgeglichen. Was böse Falten im Gesicht gibt. Wollen Sie böse Falten im Gesicht?
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das mit der therapie ..
…. könnte sich schon früher lohnen.
weil man danach / damit die Zeit
(und das sozialleben!)
UND DIE MÄNNER!
BIS zum alt sein
genießen kann –
KANN!
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Meine Schwester ist Hannoveranerin und würde um keinen Preis der WElt an einem
anderen Ort wohnen wollen. Für mich ist Hannover eine architektonisch reizlose,
aber kulturell und soziokulturell hoch interessante Stadt mit hohem Wohn- und
Freizeitwert. Und der Alex oder überhaupt Berlin-Mitte ist der denkbar schlechteste
Ort, um gegen etwas außerberlinerisches Unterschriften zu sammeln 🙂
Na großartig, da wird einem von den eigenen, mit unterhaltsamen Geschichten aus Liebes- und Familienleben gepäppelten Lesern am Ende also eine Psychotherapie nahegelegt. Das hat man gern. So beißen Sie in die Hand, die Sie füttert!
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Mitgegangen, mitgefangen
…..ist das werte Publikum.
Dass es Dir um die eher weltschmerzhaltigen Komponenten des Lebens
geht, spricht ja nun schon aus dem Titel, der nicht „Lebensfreude Modeste“
lautet. Es würde ja auch niemand bei Don Anlegerinfos oder im hermetischen
Café heiter Kurzweil erwarten.
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Außerhalb der gewohnten Umgebung hat man so wenig Möglichkeit sich abzulenken, auch wenn das auf den ersten Blick paradox klingt, und somit fällt man recht automatisch tiefer. Auch wenn es in diesem Fall zum Glück kein Abgrund gewesen ist.
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ein schöner cliffhanger!
aber: wo war j2 gewesen?
ausgeraubte banken? säcke voller zlotis? einen verwandschaft? die kranke zwillingsschwerster der oma?
wahrhaftig spannend!
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Herr oder Frau Kubelick – wenn es das mal wäre! Romantische Banküberfälle, unaufschiebbare Akte familiärer Fürsorge usw. – ich fürchte aber, jener Herr hat sich auf der Suche nach Sehenswürdigkeiten irgendwo in der Innennstadt herumgetrieben.