„Da ist er.“, flüsterte meine Freundin N. mir ins Ohr, als der G. samt blonder, schlanker Freundin zur Tür hineinkam. Mir fiel fast das Glas aus der Hand, und ich starrte den G. an, der dem Gastgeber dieser Party im Hause seiner Eltern die Hand schüttelte und sodann in der Menge im Foyer des Hauses verschwand. Jedesmal, wenn zwischen den Köpfen der anderen Gäste derjenige des G. einen Moment sichtbar wurde, fingen die Eiswürfel in meinem Glas dermaßen auffällig an zu klirren, dass die N. mich belustigt anstieß.
Die selbstsichere, aparte N. plauderte rechts und links und versicherte aller Welt, es sei ein großartiges Gefühl, durchs Abitur zu fallen, und ich saß neben ihr auf den Treppenstufen und betete, auf der Stelle unsichtbar zu werden oder doch wenigstens auch so schlank wie die N., neben der ich mir ein wenig vorkam wie ein sehr adipöses Nilpferd. Irgendwann küsste die N. einen athletischen Herrn, der sich im Laufe des Abends als medizinstudierender Olympiaruderer erweisen sollte, und im Laufe der nächsten Tage als ein ziemlich psychopathischer, kopflos verliebter Stalker. – Ich stand auf und ging die Treppen hoch.
„Komm rein,“, rief die Schwester einer Klassenkameradin mir durch die halbgeöffnete Tür eines der Gästezimmer dieses mit mehr Geld als Geschmack ausgestatteten Hauses zu, stand auf einer Art Wäschekommode und zog sich vor zwei überdreht lachenden Männern langsam aus, und ich bewunderte sie für ihren Mut noch mehr als für ihren schönen Körper mit der barkenförmigen Blinddarmnarbe, blendendes Weiß auf rotbraunem Grund: Es war Hochsommer, Juli 1992. – Im Wintergarten tanzten ein paar Leute, ab und zu verlor einer der Tänzer die Kontrolle über seine benebelten Glieder und fiel klirrend gegen die Blumentöpfe. Von einer getöpferten Ampel unter der Decke herab sah die Katze der Familie uns feindlich an. Ich trank mehr Kir Royal als jemals wieder in meinem Leben, tanzte ein bißchen, lag in einem Korbsessel herum, und fütterte den Hamster der kleinen Schwester des Gastgebers, dessen Käfig im Wintergarten stand, durch die Gitterstäbe hindurch mit Möhrenstreifen. Ab und zu füllte der J2 mein Glas nach und drehte mir kleine Zöpfe in das damals noch fast hüftlange Haar, die ich im Bad vor dem Spiegel wieder ausbürstete. Irgendwann auf dem Rückweg aus dem Badezimmer kamen mir zwei Klassenkameraden entgegen, den Hamsterkäfig in der Hand.
„Was habt ihr denn vor?“, hielt ich den einen am Ärmel seines Sakko fest. Statt einer Antwort warf der Angesprochene den Käfig gegen die Decke, die Lampen klirrten, und der Hamster wirbelte in seinem Käfig erst hoch, und dann wieder auf den Boden. – Mit dem Hamsterkäfig in der Hand stampften beide Richtung Küche. „Wollen die den Hamster braten?“, fragte ich den J², der in einer Rattanliege verträumt den Perlen im Champagner nachsah, und zog den völlig Weggetretenen hinter mir Richtung Küche.
„Hör auf mit dem Mist.“, rief ich durch die Küchentür, die jemand von innen zuhielt. Von innen dröhnte lautes, rauhes Lachen, es klirrte, etwas zerschellte auf dem Boden, und als man mich einließ, grinste mein blonder Vordersitzer aus dem Lateinkurs mich an, den zappelnden Hamster in der Hand. Wie ein Zauberkünstler zeigte er das sich windende, quiekende Tier vor, legte den Hamster dann langsam auf ein Brett, und schwenkte mit der anderen Hand ein langes Filetiermesser. „Das machst du nicht.“, sagte ich, oder vielleicht war´s auch der J², und möglich ist, dass es diese Äußerung war, die den Ausschlag gab, und das Messer fuhr zwei- oder dreimal in den Hamster, der die Küchenplatte in einem Maße vollblutete, wie man es diesem kleinen Tier niemals zugetraut hätte. Ein bißchen fassungslos sahen die vier oder fünf Gäste in der Küche den Hamstermörder an, und einen Moment lang passierte gar nichts. „Das wird meine Schwester nicht freuen.“, meldete sich schließlich der Gastgeber zu Wort. Wie in Panik riss der Klassenkamerad, das Messer immer noch in der Hand, einen großen Streifen Aluminiumfolie von der Hängevorrichtung an der Dunstabzugshaube, wickelte den toten Hamster ein paarmal ein, und warf die Silberkugel durch das offene Fenster in die Nacht.
„Ich kaufe Montag einen neuen Hamster.“, versprach der Urheber des Problems, und ging nach Hause. Der Gastgeber nickte, und der J² und ich verabschiedeten uns gleichfalls, um nur einige Stunden später mit dem Gastgeber stundenlang den Garten abzusuchen, und so zu verhindern, dass die kleine Schwester nach ihrer Rückkehr die Reste ihres Hamsters irgendwo zwischen Rosenbeet und dichten Stauden finden würde.
Unter dem Flieder gruben wir den Hamster in seiner Aluminiumverpackung einen halben Meter tief ein.
ist ja arg, was macht den der typ heute, ist er verheiratet, welchen beruf übt er aus…?
wäre interessant zu wissen.
Ich hab diese Bestien nie verstanden, die z. B. auch Frösche aufgeblasen oder Spinnen die Beine ausgerissen haben. Bis heute würg!
REPLY:
Verheiratet? Der? Nicht die Bohne, der hält nicht so besonders viel vom Ehestand. Was der Junge gerade so ganz genau beruflich treibt, weiß ich gar nicht, als ich das letzte Mal von ihm gehört habe, hat er an seiner Diss geschrieben, Mediävistik, wenn ich mich recht entsinne.
Wie gemein! Und Sie haben nichts unternommen? Alle Mädchen lieben Hamster…
OT:
Weiter Bilder.
95% aller gewaltverbrecher haben in ihrer jugend tiere misshandelt.
auch nicht besser als das arsch aus meiner kindheit, dass den hamster aus wut über seine eltern in eine socke steckte, diesen in die toilette hielt, mehrfach spülte und dann ebenso mehrfach gegen die wand schlug. wir restlichen kinder waren entweder zu geschockt oder dachten es handelte sich um einen trick und er würde nur so tun als hätte er den hamster dort reingesteckt, aber als sich die badzimmerwand rot färbte, war es auch den restlichen klar. die kindergeburtstagsparty war dann wirklich beendet.
unappetitlicher wochenanfang im studio modeste. blut und totschlag, arschlöcher, keine hochzeit und ein todesfall in alu. aber immerhin ein quentchen zivilcourage dazwischen:)
REPLY:
Kleines F , da haben Sie natürlich recht. Widerliche Gören. Ob aus den minderjährigen Tierquälern dann tatsächlich massenweise Gewaltverbrecher werden, Herr oder Frau Schnittlauchbrot, scheint mir aber eher etwas ungewiss zu sein – vielleicht haben zwar 95 % aller Gewaltverbrecher Tiere gequält, aber nur 5 % aller Tierquäler werden Gewaltverbrecher? Aus diesem Tierquäler ist jedenfalls, soweit ich informiert bin, ein Mediävist geworden. Was er in seiner Freizeit treibt, weiß ich allerdings nicht.
Das hamsterliebende Alter, Herr MC, war da in meinem Fall schon ein paar Jahre vorbei. Und unternommen habe ich, Herr Burnston, leider nichts Wirksames, und so musste der Hamster sterben. Dass es sich offenbar, Frau Mai nicht um einen Einzelfall handelt, macht die Sache natürlich auch nicht besser. Es muss ein fürchterliches Leben sein als Kleintier in einem Haushalt mit Kindern.
Kinder sind Monster. War mir schon immer klar.
Endlich! Die mehrfach angekündigte, zwischen den Zeilen erwähnte und bisher immer zurückgehaltene Hamstergeschichte der Modeste. Ich hatte etwas nicht halb so Fieses erwartet und bin schockiert. Meine Geschwister und ich haben diverse Haustiere auf dem Gewissen, aber vorsätzliche Tötung (juristische Feinheiten sind mir unbekannt) gabs bei uns nicht. Und Modeste mittendrin!
Aber eines beweist die Geschichte: Gaffa tape hilft immer und in allen Lebenslagen.
REPLY:
Ja, das ist schon eine der weniger harmlosen Haustiergeschichten. Etwas ähnlich Abstoßendes hat noch meine Freundin I. beizusteuern, die eines Tages ein Rattennest im Misthaufen fand und sich des Problems mit einem Spaten entledigte. Die I. ist, was den Umgang mit heimischen Fauna angeht, allerdings familiär ein wenig vorgeschädigt.
Hieß Abitur nicht früher mal „Reifezeugnis?“ 🙂
Sie wollen uns nicht zufällig den Namen dieses Stück Scheiße verraten?
Wunderbar
So eine schöne Geschichte hätte ich aufgrund ihres Inhalts der guten Modeste gar nicht zugetraut. Dass sie da am gleichen Ort sein konnte und zumindest eine teilaktive Rolle übernehmen konnte, erstaunt mich.
REPLY:
Eine schöne Geschichte, Herr Bandini, war das nicht, und ist mir lange nachgegangen. Der Moment des Umschlags von der Schwerelosigkeit eines Festes in etwas Dunkles, Blutiges ist etwas, was mich immer wieder beschäftigt hat, und wovon ich manchmal träume. Entgegen eines nicht nur in der virtuellen Welt bestehenden Vorurteils bin ich aber nicht besonders zimperlich, und halte eine Menge aus, ohne in Ohnmacht zu fallen oder anzufangen, zu kreischen. Das Faszinierende der Gewalt ist mir – wie dem Leser dieses Blogs bekannt sein dürfte – nicht fremd, die sinnlose Gewalt gegenüber wehrlosen Kreaturen ist aber natürlich eine andere Geschichte.
Dass ich den Namen des Herrn, Herr Gibsmir nicht verrate, versteht sich aber natürlich von selbst. Das ist ja auch alles mehr als zehn Jahre her, und heute mag der Junge eine Reife besitzen, die er zum damaligen Zeitpunkt nicht einmal per Bescheinigung, Herr Stimme besaß: Bis zum Abi war es noch mehr als drei Jahre hin.
Irgendwie habe ich den Eindruck, die Geschichte hätte eine schönere Wendung genommen, Sie wären im Gästezimmer bei der strippenden Schwester geblieben.
Ich habe vor Jahren mal beim sonntäglichen Bummel durch die Innenstadt in der Auslage eines Zoo“fach“geschäfts einen kleinen unschönen kannibalistischen Übergriff erleben dürfen. In einem Terrarium waren augenscheinlich ein wenig zuviele Hamster untergebracht. Den einen Kollegen hatten die Tiere jedenfalls schon geköpft und halb zernagt.
Das war bestimmt interessant für leuchtende Kinderaugen, wenn die kleinen Streicheltierfans ihre Eltern zum „Hamstergucken“ vors Fenster gezerrt haben.
REPLY:
Man kann die lieben Kleinen ja nicht früh genug an die ganze Härte des Lebens gewöhnen, und früh übt sich, wer mal als Aufsichtsratvorsitzender sterben will. Da gehört so ein Kannibalenhamsterkäfig doch in jedes ambitionierte Kinderzimmer, ja kann man überhaupt von einer guten Kinderstube sprechen, wenn selbiger nicht den Daseinskampf irgendwo in einer Ecke am lebenden Objekt demonstriert?
Mit der Schwester haben Sie natürlich vollkommen recht. Zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein ist allerdings eine Begabung, auf die ich mich verlassen kann. Überdies hätte mich die Szenerie bei längerer Verweildauer auch zumindest leicht überfordert: Als Zuschauerin bin ich kaum die richtige Zielgruppe – als Mitwirkende der Vorstellung fehlte mir aber schon damals die körperlich-ästhetische Qualifikation.