Schließe mir die Augen beide

Der Schlaf will nicht kommen. „Bleib´ bei mir.“, bitte ich, aber der Schlaf ist woanders, und schickt nur seinen Schatten, jenen Zustand auf der scharfen Schneide zwischen Traum und Tag, offene Augen und jene Wehrlosigkeit gegen die Farben und Geräusche dieser Wohnung, deren Leere und Stille schwer auf meinem Hals sitzt.

Im Badezimmer zeichnen die roten Vorhänge fiebrige Schlieren auf den Boden, das Wasser in meinem Glas flüstert von Schmerz und Niederlagen, Abschied und vergeblichem Warten. „Was willst du?“, fragt mich die Wand, aber das habe ich vergessen. Im Spiegel über den Waschbecken schaut mir eine Frau in die Augen, die stehenbleiben wird, wenn ich das Bad verlasse, um eine halbe Stunde beim Lampenlicht im Bett zu sitzen, nicht ganz wach, nicht schläfrig, aufgehängt an der Mauer, die Schlaf und Wachen trennt.

„Gleichsam, als ob unsere Berührung etwas Ansteckendes hätte, verderben wir durch unser Behandeln solche Dinge, die an und für sich selbst schön und gut sind.“, lese ich bei Montaigne, und klappe den schmalen Band wieder zu. Mit dem Verlöschen des Lichts fängt das Dunkel wieder an, Schwaden zu ziehen, sich zu verdichten, und vielleicht greift eine Hand nach mir, wenn ich endlich schliefe, um auf meiner Stirn zu liegen im Bösen oder Guten.

Über dem Dach des Hinterhauses verliert die Nacht schon ihre Tiefe, flacht ab und zeichnet die nüchternen Konturen der Kastanie gegen das Licht, deren Blätter braun und fleckig werden. Die Kastanie schickt ihre Schatten in meinen Traum, zwischen reifen Weizenfeldern schreite ich langsam im Schatten der Bäume eine Allee entlang. Zur Linken sehe ich Mühle und Weiher, zur Rechten dehnen sich die Felder, und die fremde Frau, die mir entgegen läuft, sehe ich minutenlang näher kommen, sie rennt, rast, ich höre ihren Atem, und sehe ihre nackten Beine weit ausholen. Spät erst sehe ich sie bluten, sie sieht mich nicht, sie zieht ihre blutigen Streifen über den Straßenbelag, und keucht immer schneller auf mich zu. Mich ergreift die Wut, ich hasse die Fremde für ihr Blut, für ihren gehetzten, eiligen Lauf, und so stelle ich ihr, als sie blicklos an mir vorbeilaufen will, ein Bein, ziehe sie zu Boden, beiße in ihre Schulter, ramme ihr mein Knie in den Bauch, und tauche die Hände in ihre offenen Wunden. Sie wehrt sich, kratzt mir den Hals auf, schreit schrill und erbärmlich, aber ich bin frisch, die Fremde hat einen langen Weg hinter sich und ist verletzt, und so ziehe ich die Stillgewordene irgendwann in das Weizenfeld zur Seite der Allee und setze meinen Weg fort.

Der Tag wird heiß, denke ich, als ich, die Teetasse in der Hand, am Fenster stehe, zwei Stunden nach meinem letzten Blick auf die Uhr.

19 Gedanken zu „Schließe mir die Augen beide

  1. REPLY:

    Oh. Daran wird´s liegen, besitze ich doch weder TV Spielfilm noch Wohnzimmertisch. Ob sich der Erwerb einer TV Spielfilm vielleicht doch lohnt? Auch dann, wenn man gar keinen Fernseher besitzt? Und keinen Wohnzimmertisch zum Drauflegen? Oder kommt es auf das Gesamtensemble an?

    Ich werde das mal ausprobieren.

  2. REPLY:

    Danke, Frau Croco, ich schreibe die „ernsthaften“ Texte auch gern, und sie liegen mir näher am Herzen als das Dahingeplauderte. Allerdings scheint nur eine Minderheit der Leser diese Texte zu schätzen, die Leser- und Kommentarzahlen sinken mit dem Ernsthaftigkeitsgrad der Postings immer enorm ab. Das ist mir zwar an sich egal, derweilen ich dieses Blog ja in erster Linie zum eigenen Vergnügen befülle, allerdings könnte ich mir vorstellen dass auch das Neusser Publikum, Herr Burnston, lieber etwas Vergnügliches hört, zumal die Texte ja auch zum Bandini´schen Reperatoire passen sollen.

    Romane, Herr Rouven, schreibe ich keine – ich finde das recht originell, durch Berlin zu streifen, und im Gegensatz zum Rest der Welt keinerlei künstlerischer Aktivität nachzugehen. In diesem begrenzten Raum der Blogosphäre mag sich vieles nett und reizvoll lesen, dem Lackmustest des Drucks hält weder hier noch an anderen Orten viel stand, fürchte ich, aber das ist ja auch nicht Sinn der Sache.

    Was die springenden Blogger angeht, Frau Wortschnittchen, werde ich das demnächst einmal ausprobieren, der Plan steht auf meiner Agenda ganz oben. Ich berichte dann.

  3. REPLY:

    Liebe Modeste, die Texte dieser Art lassen einen quasi mit offenem Munde verweilen. Daher wohl abnehmende Kommentarzahlen. Ich spreche sicher für einige der Neusser Besucher, wenn ich inständig um ein (mindestens) Beispiel wie dieses bitte…

  4. REPLY:

    Her Che, das Neunziger-Posting schreibe ich, wenn ich ein bißchen mehr Zeit habe.

    Frau Polly, ich habe einen Textmix vorbereitet, nachher startet aber noch das Große Neusser Wunschkonzert.

  5. Hatte auch eine schlechte Nacht, bei mir waren 2 kämpfende und kreischende Katzen zunächst Auslöser, dann Grund. 3 Stunden „auf der scharfen Schneide zwischen Traum und Tag“. Dann schlafe ich ein und bevor mein Montagsaufdienstagstraum startet, klingelt der Wecker.

    Hab´s mit Baldrian-Pillen versucht, aber die machen Mundgeruch.

  6. REPLY:

    Es mag naiv von mir sein und ich möchte mich keineswegs einmischen, zumal ich ja nur Gast hier bin und erst recht gar nichts über Sinn und Zweck dieser Lesung weiß, aber: Denken Sie nicht an Leser, Zuhörer, Kommentarzahlen.. Lesen (und schreiben) Sie das, was Ihnen am besten gefällt, was Ihnen am meisten am Herzen liegt. Jedenfalls fänd ich das toll, so, wenn ich Publikum wär. Hm.

  7. REPLY:

    Es scheint eine schlechte Nacht gewesen zu sein, ich habe das auch anderweitig gehört. Immerhin, die letzte Nacht habe ich geschlafen wie ein Stein, und würden nicht Bauarbeiten sozusagen ganz Berlin erfassen und ausgerechnet das Erdreich vor dem von mir bewohnten Haus extrem geräuschvoll durchwühlen, schliefe ich wahrscheinlich immer noch.

  8. REPLY:

    Bei war´s die letzte Nacht auch besser. Nur mein Wecker hatte plötzlich etwas gegen meinen notwendigen Schönheitsschlaf.

    [OT] Bis vor kurzem sah ich das „Wondergirl“ noch in Ihrer Blogroll. Ich war auch gerne mal bei Ihr, haben Sie vielleicht gehört, was passiert ist?

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Sie möchten einen Kommentar hinterlassen, wissen aber nicht, was sie schreiben sollen? Dann nutzen Sie den KOMMENTAROMAT! Ein Klick auf einen der Buttons unten trägt automatisch die gewählte Reaktion in das Kommentarfeld ein. Sie müssen nur noch die Pflichtfelder "Name" und "E-Mail" ausfüllen und den Kommentar abschicken