Es ist ein Märchenmoskau, wiewohl ein Märchen im kaputten, grellen, auseinandergebrochenen Moskau der Gegenwart, ein Moskau mit Vampiren und Hexen, das ein wenig ausschaut wie das Endzeitparis von Delicatessen, und jeden Moment, denkt man, wird Bulgakows schöne Margarita um die Ecke des nächsten heruntergekommenen Mietshauses in diesen reizenden Film geflogen kommen, um ihren Meister zu erlösen. In einer skurrilen Welt haben hier Licht und Finsternis einen Pakt geschlossen, und verspielt, ein wenig kokett, ein klein wenig unernst, rasen die Wächter der Nacht in einer Art Entstörungswagen durch die Stadt, das Gleichgewicht von Hell und Dunkel zu wahren, dass durch den unbeabsichtigten Tod eines Vampirs dann endgültig aus der Balance gerät.
Die Kampfszene, in der der Vampir schließlich liegenbleibt, ist von fulminanter Komik, ein burlesker Tanz zwischen sichtbaren und unsichtbaren Kombattanten in einem Raum, der eine Art Mischung aus einer Lagerhalle und einem Friseursalon darzustellen scheint. In den schmierigen Spiegeln tauchen Gesichter, erhobene Kleiderständer, Taschenlampen auf, verschwinden wieder, ein Kind läuft davon, und blutig bleiben ein Lebender und ein Toter liegen. In einer Ecke weint ein Mädchen, eine hübsche Vampirin, der die Taschenlampe das Gesicht zu blutigen Blasen verbrannt hat. In einer Szene von surrealer, schmutziger Schönheit läuft sie schließlich verloren irgendwo auf der Moskauer Stadtautobahn dem Blut des entkommenen Kindes entgegen, den Wächter Anton Gorodetskij zu locken und Rache für den Tod des Geliebten zu nehmen.
Das Blut, das menschliche Blut, spielt ohnehin eine zentrale Rolle in dieser Geschichte. Nicht nur die Vampire gieren nach der dunkelroten, dicken Flüssigkeit, die schon optisch wenig gemein hat mit dem Kunstblut von Hollywood. Man meint es zu riechen, warm, süsslich, schal und wie nach Eisen steigt der Dunst aus den offenen Leibern hervor, aus den Schlieren, die das Nasenbluten des kleinen Jungen im Wasser des Schwimmbades hinterlässt, aus einer Art Marmeladenglas, das der traurigen Vampirin aus einem Auto entgegengehalten wird, um sie zu locken. Fast körperlich spürbar wird ihre Gier, die letztlich ebenso wenig befriedigt werden wird, wie die Sehnsucht des Anton, der einen Verlorenen wiedergefunden hat, nur um ihn gleich wieder unwiderruflich zu verlieren.
Oberhalb der Ebene der Straßenkämpfer werden die Kräfte gemessen, das Böse streckt seine Hand nach Moskau aus, und vertreibt sich die Zwischenzeit an der Playstation. Der Herr des Lichts malt üppige Frauen auf den Rand alter Chroniken, betrachtet sein Werk, und zieht die Linien noch ein wenig rasanter. Aus den Frauen entsteht eine Trickfilmsequenz, das Licht über Moskau geht aus, und schließlich wieder an, ein Flugzeug stürzt doch nicht ab. Fabelhaft bunt, gezeichnet von überquellenden Einfällen, in einer sinnlich sehr fassbaren Welt, in der die Fahrstühle von sowjetischer Schmutzigkeit sind und schrecklich quietschen, und in einem Topf im Moskauer Elektrizitätswerk die Würste platzen, überschlagen sich die burlesken Einfälle, so dass die an sich nicht sonderlich originelle Story fast in den Hintergrund gerät, und man sich freut über die Rückverwandelung einer ausgestopften Eule oder über den vampirischen Metzger, der eine kleine Rede auf die Vorzüge von Schweineblut hält, bevor er den gefüllten Deckel seiner Thermoskanne dem Freund seines Sohnes anbietet.
Äußerlich ist, wie es sich gehört, den Protagonisten von Licht und Finsternis nicht das Geringste anzumerken, und wer jemals die Reisebusse aus dem Osten am ZOB hat ankommen sehen, kann sich ungefähr vorstellen, wie die Helden des ewigen Kampfes zwischen Gut und Böse aussehen. Man hofft, wenn man das Kino verlässt, dass die fälligen Fortsetzungen der offenen Geschichte nicht mit schöneren Schauspielern neu besetzt und seine Schauplätze proper ausgestattet werden, und so beraubt des schmierigen, skurrilen Charmes. Man fragt sich und seinen Begleiter, warum Englisch eigentlich eine Weltsprache geworden ist, wenn sich Russisch doch viel schöner, viel lakonischer und wilder anhört, zumal überdies der Film für jene, die wie wir über keine wirklich ausgereiften Russischkenntnisse verfügen, immer noch gut verständlich bleibt.
Man trinkt einen blöden, sauren Merlot statt roten, süßen Krimsekts, den die lausige Bar natürlich nicht auf der Karte hat, und nimmt sich wieder einmal vor, den Potsdamer Platz nachts großflächig zu meiden.
Danke für die schöne Rezension. Ich hatte mir im Sommer nämlich eigentlich schon vorgenommen, den Film wegen eines fürchterlich penetranten Werbetrailers großflächig zu meiden.
Klingt als hätten Sie Spaß gehabt.
Fabuleux! Die Lust wächst spürbar, endlich auch wieder häufiger in den dunklen Bauch des Kinos zu klettern und mich von der Traummaschine verzaubern zu lassen. 🙂 Ein wenig selten war ich dort zuletzt…
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Der Film, Herr Booldog, lohnt sich auf jeden Fall, Trailer hin oder her. Im Sony-Center läuft er derzeit auf Russisch mit englischen Untertiteln, was sich sogar dann lohnen dürfte, wenn man gar kein Russisch versteht.
Spaß, Herr Burnston, habe ich bei dieser Art Kinounterhaltung eigentlich immer; ich habe ja ein kleines Faible für das Abseitige, bin dazu ein bißchen slawophil, und zehn Jahre oder so nicht in Russland gewesen.
Im Sommer, Herr Ole, mag ich auch nicht im Kino sitzen, aber wenn draußen die Blätter welken und der Wind pfeift, sitzt man auf Kinosesseln doch immer gut.
Die Gedanken andere sind schon interessant für mich
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Für mich nur, wenn sie auch interessant sind. – Frau Anna25Bell, versuchen Sie woanders, Ihren Traffic zu erhöhen.
Eine Thermoskanne voller Blut. Hm. So kurz vor der Mittagspause werde ich doppelt hungrig. Man wundert sich, daß aus Rußland nicht viel mehr gute düstere Filme kommen. Gerne auch Genre-Stücke wie diese Vampirgeschichten. Die Kulissen sind da, das für die meisten von uns Unauslotbare des Volksglaubens – und, ganz wichtig, die schönen, bleichen Frauen.
Ich bin heute untröstlich. Ich habe Corpse Bride verpaßt.
Ich fürchte, dass ein Teil ihrer Befürchtungen Realität wird. Der geplante dritte Teil (bei „Nochnoy dozor“ handelt es sich in der Tat um den ersten Teil einer Trilogie) wird wohl zumindest auf Englisch gedreht, da nach dem großen Erfolg des ersten Teils 20th Century Fox als Geldgeber eingesprungen ist. Die Hauptdarsteller aber bleiben die gleichen. Immerhin etwas.
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Die russische Kinoproduktion ist ja nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion fast ganz zum Erliegen gekommen, und Förderungsstrukturen für weniger publikumsgängige Produktionen gibt es wohl immer noch nicht. Vielleicht wird ja die Zukunft, Herr Kid, diesbezüglich noch reichere Ernte tragen.
Immerhin, die Hauptdarsteller sind schon ziemlich gut, und diese immer etwas zu hübschen Hollywoodgrößen, Herr Baumgarf, wären der Atmosphäre wohl wenig zuträglich. Würde die ganze Sache dann noch nach – sagen wir: Los Angeles verlegt, dann würde ich mir ernsthaft überlegen, ob es sich lohnt, einen Abend zu opfern. So bin ich gespannt.
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Eine schöne Beschreibung eines Films, in den ich demnächst auch gehe. Bin sehr gespannt!
@annabell mein schwesterleinchen findest du das wirklich
War schon toll. Hab ich vor einigen Monaten mal gesehen. Was mich allerdings sehr gestoert hat, wie immer, ist das Flirten mit der Apokalypse, die dann nicht stattfindet. Ich hab das erst ein oder zweimal gesehen in Film, wie die Apokalypse dargestellt wurde. Der „Ostlook“ des Films hat mich auch ein wenig an Berlin erinnert. Das wird jetzt Mode, so wie „Favela“ Schick letztes Jahr Mode war (in Berlin und HH).
Die visuelle Aesthetik allerdings gaengigen TV Serien aus USA entnommen (Blaustich, Koernung, Digi Zoom) und somit irgendwie zu Genrekamera geriert. Die moralische „Dimension“ des Films natuerlich klasse. Mei tuh ssents…
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Meine russischen Gene freuen sich seit Wochen auf den Film – wegen der diversen Mini-Trailer auf der russischen Homepage, die Werbung hierzulande hingegen war in der Tat (zensiert).
Danke für den Hint mit dem Krimsekt – ich werde morgen zwei Piccolos ins Kino schmuggeln 🙂
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Dann können wir uns ja morgen über den Film austauschen 🙂
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Übermorgen. Oder morgen nacht? (der Krimsekt könnte das Gespräch allerdings unangenehm beeinflussen ;-])
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Da ich nicht vorhabe, Dir morgen mitzuteilen, wie der Film ausgeht [:-)], dann wohl besser übermorgen.
Übrigen, wg. Krimsekt nicht auf Lager haben: Bei mir in der Nachbarschaft gibt es einen Feinkostladen, der nicht nur Krimsekt auf Lager hat, sondern auch Kaviar, armenischen Weinbrand und armenischen Madeira(!), georgische Schnäpse und Borscht-Konserven sowie die gesamte Palette der persischen Küche, das alles zu äußerst zivilen Preisen. Wenn ich dort allerdings einkaufe, redet man mich stets auf russisch an, eine Sprache, die ich nicht verstehe. Niemand käme auf die Idee, dass ein Eingeborener dort kauft.
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Auf derartige sprachliche Ausbürgerungsversuche reagiere ich ja meistens nicht so, dass irgendwelche Leute auf die Idee kommen, es ein zweites Mal zu versuchen – wenn sie überhaupt die Gelegenheit dazu bekommen. Die stillschweigende Annahme der meisten Deutschen, nur der ethnisch eindeutig dem kaukasischen Typus zuordnbare Personenkreis könne deutscher Nationalität und der deutschen Sprache mächtig sein, gehört ja zu den Folgen des ius sanguinis, mit denen man es sich mit mir schnell und nachhaltig verscherzen kann.
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Liebe Modeste,
so war das überhaupt nicht gemeint, ich habe den Eintrag entsprechend korrigiert. Nicht um Dich oder Attribute Deiner Person ging es mir, sondern um die GUS in der BRD, die dieses Milieu darstellt. Das ius-sanguinis-Denken ist etwas, über das ich mich selber wahlweise empören oder herzlich lustig machen kann, etwa, wenn am Flughafen Grenzschutzbeamte den Ausweis meines Freundes Azad dreimal durch den Scanner schicken, weil sie „Geburtstort Arbil“ und „Staatsangehörigkeit deutsch“ nicht miteinander vereinbaren können. Das Phänomenale an dem geschilderten Geschäft ist die Tatsache, dass Leute, die es betreten, automatisch einer GUS-Parallelwelt zugrechnet werden. Nichts für ungut!
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Das bezweifle ich doch sehr. Inzwischen gibt es in Deutschland so viele Menschen mit Migrationshintergrund sowie viele, die einfach im Ausland geboren sind, dass das für Grenzbeamte normal sein dürfte.
Ich staune auch immer wieder, wie sich Deutsche noch weigern, ungewöhnliche Konstellationen zu glauben. Ein Freund von mir ist Brite nigeranischer Abstammung, eine andere Brasilianerin japanischer Abstammung. Denen glaubt nie einer ihre Staatsangehörigkeit. Auf der anderen Seite werde ich als Proto-Deutscher im Ausland als Inländer angesprochen und im Inland als Ausländer. Und wenn ich in einen russischen Laden gehe, werde ich auch auf russisch angesprochen. Das ist sogar bei meinem Stamm-asiatischen Lebensmittelladen so. Mir ist das egal und manchmal fühle ich mich auch geschmeichelt. Aber ich bin ja einfach zweifelsfreier Deutscher.
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Zweierlei Migranten
Lieber Bandini,l
weder Japan noch Brasilien oder Nigeria tragen den Stempel „Schurkenstaat“ oder „terrorist country“ auf der Stirn. Meine deutschen, aber in Kurdistan geborenen (und dort mit der Waffe gegen Saddam gekämpft habenden) Freunde entstammen einer Volksgruppe, die bei deutschen Beamten unter Generalverdacht steht.
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Das stimmt, liegt aber nicht am ius sanguinis-System.
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Es hat aber etwas miteinander zu tun. Dass jemand mit deutscher Staatsbürgerschaft im Irak geboren ist, erzeugt hierzulande jedenfalls eher Irritation, als dies in Großbritannien oder Frankreich der Fall wäre.
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Politische Diskussionen, meine Herren, bitte nicht an meinem Teetisch, ja?