„Da bist du ja.“, werde ich ihn begrüßen, und er wird an meinem Bett sitzen, an dem hoffentlich keine Schläuche hängen, weil ich Angst habe vor Krankenhäusern. Müde wird er aussehen, und sogar etwas heruntergekommen in einem fadenscheinigen Anzug, und für einen Moment wird es still sein im Raum. „Warum kommst du erst jetzt?“, werde ich ihn fragen, und die tiefen Falten in seinem Gesicht mit dem Zeigefinger nachzeichnen.
„Ich war immer bei dir.“, wird er sagen, und mir die Hand auf die Stirn legen. Damals, mit 17, wird er mich erinnern, einen ganzen Sommer lang, im Weißdorn am Ferienhaus der Eltern des B. am Meer, das B.²‘s Vater seiner Mutter überlassen hatte bei der Scheidung, und das diese nicht mehr betrat bis zum Verkauf Monate später. Wir tranken alles, was da war, einen ganzen Weinkeller, der völlig verschwendet war an uns, die genausogut hektoliterweise Bier hätten trinken können oder Obstwein oder so, und fuhren nachts im Dunklen auf Motorrädern und ohne Licht immer ums Haus und kreuz und quer über die Insel. Rein gar nichts konnte man sehen. Mit geschlossenen Augen riss ich an der Gabel, und hätte mich nur umdrehen müssen nach ihm, so schnell wäre das gegangen, und nach seiner Hand greifen.
„Du wolltest mich ja nicht.“, wird er lächeln.
Von den langen Nächten wird er erzählen, in denen er im Waffenschrank saß, und uns zuhörte, wie wir über ihn sprachen, und ihn mit fließender Seide bekleideten, behängt mit Gold und lauter funkelnden roten Steinen. Von festen Händen, die zugreifen hätten können, und einer Verabredung, zu der ich nicht ging. „Solange haben wir auf dich gewartet.“, wird er erzählen von diesem Abend, an dem ich nicht kam, und jemanden nie wieder sah, meine Sachen packte statt dessen, um fortzuziehen, und ein Lachen nur noch nachts zu hören, wenn die Wände dünn werden im Mondlicht.
„Ich habe dich gesehen.“, werde ich sagen, und er wird den Kopf schütteln und lachen. „Du doch nicht, meine Liebe.“, wird er antworten, und seine Schuhe ausziehen. Mit angezogenen Beinen wird er neben mir auf der Matratze sitzen, und vielleicht lege ich meinen Kopf in seinen Schoß. „Gut siehst du aus.“, werde ich lügen, und er wird sich amüsieren über mich.
„Das hättest du anders haben können.“, flüstert er mir dann zu, und ich schließe die Augen. Von der Nacht in Schweden wird er sprechen, als wir so müde waren vom Streiten, und uns an der Kante des flaches Daches schlafen legten, sechs Meter hoch, und im Einschlafen überlegten, um wen es mehr schade wäre, und er im Garten stand, neben dem Zaun, und mir zusah.
„Sei jetzt ruhig.“, werde ich sagen, und die anderen Geschichten nicht mehr hören wollen, und er wird den Arm um mich legen, und ich schlafe ein an seiner Schulter.
Hach Modeste, morgens um 9 konfrontierst Du uns schon mit dem Tode. So schön ist er nur bei Dir, wie ein Freund. In der Realität ist er mir ja doch sehr unheimlich, vielleicht muss ich mich einfach noch etwas bemühen, das Ästhetische, das Erlösende in ihm zu sehen. Ich habe einiges verstehen dürfen an diesem Wochenende, vielen Dank dafür. Und ich werde nachdenken und mein Fin-De-Siecle-Reclam-Büchlein rausholen. Nur für einen Urlaub in sonnigen Gefilden will mir diese Auswahl einfach nicht schmecken.
REPLY:
Ach, Bemühen hin oder her, der Tod ist ja eine der Dinge, die einem so oder so blühen, und ich fürchte, er wird einem die intensive Beschäftigung nicht so besonders honorieren.
Wenn das stimmt
mit den neun Leben, und wenn ich eine Katzennatur habe, dann könnte ich mich Seven of Nine nennen. Sieben Gelegenheiten fallen mir beim Nachdenken ein, bei denen der Sensemann schon ziemlich nahe war. Aber weiß ich, ob es in Wahrheit nicht schon neun oder gar zwölf „close shaves“ waren? Ich hatte jedenfalls schon mehr als einmal das Gefühl, mein Lebensguthaben aufgebraucht zu haben und schon vom Dispo-Kredit zu leben. Das schlimmste wäre aber nach meinem Dafürhalten, man wäre tot und würde sich nach wie vor für einen Lebenden halten…
Die Zukunft in Worten, die Worte der Zukunft, wie anders sie manchmal klingen, wenn sie auf uns zukommt, aber wie schön sie schon im Vornherein klingen können. 🙂
Danke für die schöne, dunkle Geschichte.
Niemand kann sich ja Ort und Zeitpunkt seines Todes einfach so auswählen,
dochglaube mir, Modeste, es gibt schlimmeres, als Schläuche im
Körper zu haben. Alles schon durchgemacht, damit kommt
man zurecht. Im Gegenteil, diese Erfahrung hat mich meiner
Vitalität versichert: Das Erlebnis „Du hältst alles aus, auch das
Schlimmste“ ist eine schöne Erfahrung. Gut, das ist natürlich
auch die Erfahrung des Nicht-Gestorbenseins.
Seitdem empfinde ich
allerdings eine ausgeprägte Verachtung für Weicheier und
Jammerlappen.
REPLY:
Es ist ja allgemein bekannt, dass manche Tote, Herr Mark, lebendiger sind als jene Leute, die zwar noch herumgehen, aber denen sonst schon so einiges fehlt.
Ach, Ole, vielleicht ist’s ja bloß Pfeifen im Walde. Oder so grundlos und dumm, wie kleine Verliebtheiten manchmal zu sein pflegen.
Was die Weicheier und Jammerlappen angeht, Herr Che, bin ich dann doch ein klein wenig anderer Meinung – ein bißchen Wehleidigkeit ist doch eine gute Sache, und gehört fast dazu. Ich hab’s ja nicht so mit den harten Kerlen und mit den starken Frauen auch nicht.
Der jemeinige Tod ist ja nach dahatterjarechtderheidegger der Grund
vor dem ich mein eigentliches Jetztsein überhaupt erst annehmen kann.
Danke das er da ist. Wo?
Berühre mich nicht.
Ich will schlafen.
REPLY:
Da sind wir eben unterschiedlicher Natur, ich hab´s nur mit starken Frauen,
und wehleidig bin ich vielleicht bei emotionalem Leid (Liebeskummer und sowas),
aber hinsichtlich körperlicher Schmerzen never ever. Mit einem Streifschuss kannst
Du ohne weiteres Auto fahren, sagte mal einer meiner nahöstlichen Freunde.
Soweit würde ich zwar nicht gehen, gebe auch gerne zu, dass diese Haltung aus der
Not geboren wurde (ein gewisser Stolz darauf, Leiden abzukönnen, fördert die Genesung),
grundsätzlich aber ist Selbstmitleid etwas, für das ich wenig Verständnis habe.
Bewundern tue ich eine Frau aus meinem Bekanntenkreis, die drei Tage der Folter
standgehalten hat und nicht geredet hat. Solcherart sind meine Vorbilder.
Wobei, Wehleidigkeit written by Modeste würde sicher wieder lesenswerte
Beiträge zeitigen und ist dann natürlich schon wieder sehr in Ordnung 🙂
REPLY:
@ein bißchen Wehleidigkeit ist doch eine gute Sache, und gehört fast dazu:
Wozu gehört das, zu was?
es ist ja möglich
dass man einen großartigen Tod stirbt, doch leider hört man nicht mehr den Beifall – oder zum Glück.
Know thyself
Schmerz ist zum Glück kein Wettbewerb und Narben nicht immer Zeichen für Heldenmut. Mir imponieren am meisten Demut und Achtung – auch vor dem eigenen Schmerz und den eigenen Grenzen. Wer sich achtet, mißachtet auch andere nicht. Das Wissen um das eigene Versagen, die Schwäche und die eigene Endlichkeit, Begrenztheit eben, kann ein Grund für Stolz sein.
Und über barocke Eitelkeit lacht der Tod sowieso am längsten.
REPLY:
Gut, ich hatte die spezifische Erfahrung gemacht, als Schwerstverletzter in
einer Unfallklinik zu liegen und zu erleben, wie Mitpatienten um mich herum,
von denen keiner so übel dran war wie ich, im Gegensatz zu mir jammerten und klagten, während
ich das Ganze eher wie einen Film sah: Den Mikrosmos Krankenhaus als eine
interessante neue Welt, das Wiederaufdiebeinekommen als sportliche Herausforderung.
Dazu muss ich sagen, dass ich diverse asiatische Kampfsportarten praktiziert habe
und wir damals darin ausgebildet wurden, Schmerzen standzuhalten, Bushido halt. Letztlich zur Hälfte „ein Indianer kennt keinen Schmerz“ und zur Hälfte die buiddistische Strategie, dem Leiden mit einem Lächeln entgegenzutreten.
Letztendlich, obwohl ich bleibende Schäden davongetragen habe, ist dieser
Erfahrungshintergrund etwas, das mich stolz macht. Ob ich einer Folterung standhalten
würde, weiß ich nicht, aber die Haltung der Betreffenden finde ich extrem
bewundernswert. Ebenso wie die Haltung einer anderen Frau aus meinen Kreisen, die
die Leukämie besiegt hat. Ob man türkischen Gendarmen oder entarteten Blutzellen
trotzt, ist zweitrangig, was zählt, ist die innere Kraft.
Schwächen zu erkennen und zu akzeptieren ist genauso eine Art
von Stärke, aber Schwächen und Fehler, eigene Unvollkommenheiten zu
akzeptieren ist etwas völlig Anderes als Selbstmitleid. Aktuell habe ich meine eigene
Stärke erfahren, die sehr groß ist. Leid kann den Vorteil haben, das man durch seine Bemeisterung über sich selbst hinauswächst, wozu
von Vornherein wehleidige Menschen aber wahrscheinlich auch nicht in der Lage sein werden. Wenn ich sage, ich verachte Weicheier und Jammerlappen, dann verachte ich eigentlich nicht die Menschen als Solche, sondern nur diese Eigenschaften, die für ein Überwinden von Schmerz einfach nicht sehr hilfreich sind. OK, und eine Neigung zum Heroischen ist einfach bei mir einfach drin, und das ist auch gut so.
Die Eitelkeit des Barocks war sich des Todes stets bewusst.
REPLY:
Ich sehe keinen Sinn darin, Schmerzen zu verleugnen, die man hat.
REPLY:
Warten wir’s einfach ab. Und der Tod ist hoffentlich schon deswegen großartig, weil es doch der eigene ist.
REPLY:
Zur Vollständigkeit, Frau Netbitch. Und Herr Tarsius mag recht haben, ohne das Bewusstsein der Endlichkeit stünde wohl niemand von uns morgens auch nur auf.
REPLY:
Nicht verleugnen, transformieren, überwinden, am eigenen
Leiden wachsen.
REPLY:
Die Mischung aus Heldenromantik und Grenzerfahrung, die Che da vertritt,
ist meine Sache nicht, aber dass Wehleidigkeit zur „Vollständigkeit“ gehöre,
ist mir ebenso fremd. Im Großen Ganzen geht mir Rumgememme auf die
Nerven, und eben solche auch in kritischen Situationen zu behalten finde ich
wichtig.
mit einem lächeln
alles hier sehr bewegend, hier aber auch hier. das mit dem leugnen, transformieren, überwinden, begegnen.
gastritis etsteht aus vielen gründen, welche jeder streitig ist. doch unstreitbar sind die schmerzen, welche dabei auftreten. im gegensatz zu herrn che, meide ich schmerzen wie der teufel….so auch hierbei. nun gut. ich versprach mir von symptombekämpfung nicht viel. und konnte nur hektaliter maloxan reinkippen. beim vorschlag, meine schmerzen zu begegnen, mich ihnen zu stellen, zuckte ich zusammen und bekamm schmerzen. doch aus neugierde tat ich das, schlimmer wirds nicht, dachtend. es war grauenvoll und die procedur entzog mir alle energie.
doch dann…die angst vor dem schmerz verschwindet. und in diesem fall auch der schmerz. es war mindboggling.
Dank Dir
Liebe Modeste,
ich möchte Dir für diese wunderschöne Geschichte sehr danken. Ich habe vor einiger Zeit meine Frau verloren und ich weiss aus vielen nächtelangen Gesprächen mit ihr, dass sie eine ähnliche Vorstellung hatte, wie Du sie in Deiner kleinen Geschichte darstellst.
Zumindest im Fall meiner Frau war der Tod eine Erlösung, etwas schönes und befreiendes. Freilich nicht für mich, das ist klar. Für sie aber schon.
– scip.
REPLY:
Ja, es ist immer wieder schön zu sehen, wie menschlich nahegehend,
tiefschürfend und dabei ehrlich die Kommunikation in diesem Blog
ist, ohne dass die Leichtigkeit der Gastgeberin verloren geht.
Ein guter Ort!
REPLY:
Danke, Scip. Das freut mich.