Samstag in den Seilen

Weil wir so kinderlos sind, dass die Deutschen demnächst aussterben werden, lassen wir uns am Samstag um drei nicht von Babies mit Möhrenbrei bespucken, sondern liegen bei der B. mit dicken Kissen im Rücken auf dem Boden herum und trinken Tee. – Weil wir so unpolitisch sind, dass es uns ganz egal ist, wer am Sonntag irgendwo Ministerpräsident wird, lachen wir ausgewogen und abwechselnd über Frank Schirrmachers Fortpflanzungsappelle und Franz Müntefering an sich, und die B. erzählt von der Schönheit ihrer Fußpflegerin, die aus Rumänien kommt, und zum Film will oder einen Deutschen heiraten, wenn das mit dem Film nicht klappt. Sehr wild, sagt die B., sei ihre Fußpflegerin, und der T. lacht.

Weil uns langweilig ist, gräbt der T. einen Stapel DVD’s um und schiebt „Jules et Jim“ in den Player, den ich liebe und immerzu schauen könnte, und Jeanne Moreau lacht in die Kamera, als würde es solche Liebe wirklich geben in einem schwarz-weißen, wunderschönen, schwerelosen Paris, aber grau und regnerisch lastet Berlin auf meinen Schultern. „Ich muss jetzt etwas Süßes essen.“, sage ich, die nur Rosinenbrot gefrühstückt hat, und die B. fährt ins Lafayette, Kuchen kaufen.

Mit den Füßen gegen die Wand gestemmt fahre ich dem T. mit einer rot-goldenen Seidenquaste durchs Gesicht, weil ich seine Grimassen mag, wenn er versucht, die Quaste wegzuwischen. Die B. verteilt nach ihrer Rückkehr eine Tarte Citron auf drei Kuchenteller und wirft uns riesige, weiße Servietten an die Brust, auf denen gestickte Hasen bunte Eier tragen, die genauso groß sind wie sie selbst.

„Ich muss los.“, stehe ich irgendwann auf, gähne, und die B. gibt mir den Film mit für später. Mit der U2 fahre ich Richtung Westen, dränge mich über den Ku’damm, die Kantstraße entlang, um am Savignyplatz meinem Vater gegenüber zu sitzen, der Truffaut nicht mag, und die Nase kraust, wie er es manchmal macht, wenn ihm etwas nicht passt. Mein Vater erzählt lauter Geschichten, ich bestelle die Karte rauf und runter, und nachts, irgendwann sehr, sehr spät, ein Essen, eine Bar und zwei Parties später, schaue ich im Bett sitzend Cathérine dabei zu, wie sie ins Wasser fährt, und heule vor mich hin wie jedesmal bei dieser Szene.

7 Gedanken zu „Samstag in den Seilen

  1. REPLY:

    „Schön“, Frau Engl, höre ich ja immer wesentlich lieber als „interessant“. „Eine sehr interessante Person“, ist doch ein gängiger Euphemismus für „Eine hysterische Zicke“. – Wobei auch das Interessante nicht zu verachten ist – ein paar quastenbedingte Fratzen etwa, Herr Ole, mögen vielleict nicht schön sein, interessant schauen sie auf jeden Fall aus.

  2. Es gibt auch ein wunderbares Buch zu, nein, vor dem Film.

    Und herzlichen Dank, verehrte Modeste, zusammenhangslos an dieser Stelle, für die Inspiration durch Ihre Texte, die mir die Gewissheit wiedergaben, dass es in diesen unendlichen Weiten noch Schönes zu lesen gibt.

  3. REPLY:

    Danke, das freut mich sehr.

    Das Buch von Roché habe ich vor Jahren auch einmal gelesen und letztlich irgendwo antiquarisch die Tagebuchaufzeichnungen der Helen Hessel aufgesammelt, aber leider noch nicht gelesen.

  4. REPLY:

    Schön war’s. Ich sehe meine Eltern nicht oft, und wenn, dann freue ich mich natürlich. Und ohne Druck und Stress bei Freunden herumzuliegen, hey, das kann gar nicht schlecht sein.

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