„Da will ich nicht hin.“, maule ich am Dienstag ein wenig herum und male mir leicht verdrossen die Hochzeit der Cousine des J. aus. Die Reden. Die Hochzeitszeitung. Das Brautpaar, wie es einen Baumstamm durchsägt und die stundenlange Zeremonie in einer Kirche. Sketche. „Und deine Familie…“, hebe ich an, bis der J. leicht gereizt die Augenbrauen zusammenzieht.
„Müssen wir da wirklich hin?“, frage ich einen Abend später und krause die Nase. „Da führt jetzt kein Weg vorbei!“, ordnet der J. an und weist auf das Harmoniebedürfnis seiner Mutter hin. Überdies, so fährt er fort, könne man die Störung, die von auffälligen Abwesenheiten naher Verwandter ausginge, seiner Großmutter nicht zumuten, und ein Kleid – nun, ein Kleid müsse ich mir eben noch kaufen. „Wann soll ich das denn nun noch machen!“, rufe ich dem J. hinterher, und diese Frage ist angesichts des Grades meiner Berufstätigkeit, die sich wirklich eine Vollzeitstellung nennen darf, als ganz und gar rhetorisch zu verstehen.
„Ist dir eigentlich klar, was das kostet?“, spiele ich am Donnerstag eine der letzten Karten aus, die ich auf der Hand habe und erwähne den exorbitanten Preis, de die Deutsche Bahn für die Beförderung von zwei Personen zum Ort der Vermählung berechnet. „Ganz schön teuer.“, gibt der J. zwar zu. Allerdings – und wohl oder übel – müsse man da nun einmal hin. Und immerhin sei das Essen vermutlich gut, seine Großmutter habe er lange nicht gesehen, und es habe deswegen überhaupt keinen Sinn, die Teilnahme an diesem Fest noch länger zu diskutieren.
Am Samstag morgen also laufe ich los. Ich kaufe ein Kleid, altrosa Seide mit aufgestickten Straßperlchen, eine Stola, finde keinen passenden Hut, schwitze, schleppe eine meterlange schlechte Laune hinter mir her und dusche wie eigentlich jeden Tag mehrfach ganz vergeblich. „Bist du fertig?“, brüllt der J. durch die Badezimmertür. „Komm‘ gleich.“, murmele ich zurück, schließe ein letztes Mal die Augen und denke an all das, was man mit dem Wochenende sonst noch so anfangen könnte. Mit der C. und der J. Baden fahren zum Beispiel. Unter einem Baum liegen und lesen. Einen Text schreiben, nach einem Spiegel und einer Garderobe suchen. Telefonieren oder einfach in einem Café sitzen, stundenlang, und über lauter Dinge sprechen, die angenehm sind und nichts zu tun haben mit Hochzeiten oder ähnlich unangenehmen Dingen, die es gibt, ohne dass irgendjemand wüsste, wozu.
„Wir müssen dann mal los.“, greift der J. nach meiner Tasche, und schwitzend, ächzend und ein wenig müde dazu schleppe ich mich über die Schwedter Straße. Im Bahnhof ist es voll.
„Eigentlich eine blöde Idee.“, gibt nun auch der J. zu, einbetoniert in einen dunklen Anzug. „Eigentlich eine miese Sippe.“, und erzählt lauter Details aus dem Familienleben seiner Anverwandten, die man schon aus Diskretionsgründen nicht der Öffentlichkeit anvertrauen mag, und lässt die Mundwinkel hängen. „Du wolltest da doch hin!“, beschwere ich mich und schaue auf die Uhr. Ausreichend Zeit. „Lass uns erst mal was essen.“
„De Sketche!“, jammert nun auch der J. „Meine dicke Tante. Die Hochzeitsreden. Und bestimmt haben die beiden nur ganz komische Freunde.“, lamentiert er weiter. „Eigentlich eine Frechheit, einen einzuladen, und man muss dann dahin.“, und stochert in einer lieblos zusammengerührten Portion Bratnudeln.
„Wir müssen dann wohl mal los.“, schaue ich auf die Uhr und versuche mit zusammengekniffenen Augen zu erkennen, auf welchem Bahnsteig der ICE einfährt. „Oder bleiben wir einfach hier?“, glitzert es sehnsüchtig in den Augen des J. „Sagen, wir hätten den Zug verpasst?“ – Erwartungsvoll sitzt der J. mir gegenüber und schaut mich an. „Teufel werde ich tun, dich und deine Sippe….“, sage ich schließlich, zwei Minuten später, und stehe auf.
Als wir auf dem Bahnsteig stehen, fährt der ICE los. „Tja, dann….“, dreht sich der J. um. „Fahren wir jetzt nach Hause?“, frage ich erwartungsfroh, und der J. schüttelt resigniert den Kopf. Also nein.
Eine geschlagene Stunden streifen wir durch den Bahnhof, kaufen ziellos irgendwelche Gegenstände, trinken Wasser, beobachten aufmerksam die Tätowierungen fremder Menschen und blättern in der Karte einer Eisdiele. „Geht nicht mehr.“, schaut der J. auf die Uhr. „Müssen los.“ – Erneut steigen wir die Treppe aufwärts, der J. trägt die Tasche, ich schleppe schwer an der Last meiner schlechten Laune, und der ICE, so ist der Tafel zu entnehmen, die über dem Bahnsteig hängt, hat zehn Minuten Verspätung.
„Wenn der jetzt noch später kommt, fahren wir nach Hause.“, beschließt der J. und ich nicke, stelle meine Tasche ab, zähle untätowierte Menschen in meiner Nähe und komme auf drei, halte Ausschau nach einem Wagen, wo man Wasser kaufen kann, und warte auf den Zug. Zur Kirche, soviel ist sicher, sind wir zu spät. Wenigstens etwas, denke ich, und betrachte verträumt die Anzeigetafel. Wenn der jetzt noch später kommt…, denke ich.
„…erhöht sich die Verspätung auf etwa dreißig Minuten!“, schallt es über den Bahnsteig, und ich tippe den J. an. „Wir fahren nach Hause.“, sage ich.
Und während der J. seinen Eltern telephonisch zu erklären versucht, warum er mitsamt Begleitung nicht der Hochzeit seiner Cousine beiwohnen wird, segne ich bei mir die Deutsche Bahn AG, die schlechten Bratnudeln, die unerträgliche Hitze und überhaupt alles, mich und den J. und den Samstag und die Sonne und Berlin, während die lustigen Götter der Familienfreiheit unter der hohen Decke des Berliner Hauptbahnhofs mit gnädigem Kichern unseren Abzug begleiten.
wie? echt?
und der j. sagt: müsse los? original so? wirklich?
Und was wird jetzt aus dem Kleid? Bekommt es noch einen Hut, oder wird es umgetauscht?
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Danke, Frau Engl, für die freundliche Aufmerksamkeit beim Auffinden von Tippfehlern. ich habe zum Korrekturlesen ja herzlich wenig Zeit und bin froh, wenn ich zum Tippen selber komme.
Und natürlich, Don, behalte ich das Kleid. Die nächste Hochzeit kommt bestimmt. Oder ein wirklich freudiger Anlass.
Wow, Neid, du hast dir eine erspart! Bei uns sinds heuer fünf, eine davon in den heimatlichen Gefilden meines Mannes, was fünf Stunden Fahrt tour-retour bedeutet.
In deiner Geschichte kam bei mir immer mehr dieses Gefühl auf, wie damals, wenn man es geschafft hatte, Mama davon zu überzeugen, dass man zu krank für die Schule ist. Selten fühlt man sich so frei.
Wunderbar erzählt!
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Nun, ein wenig schade ist es schon, dass der bissige Text über eben jene Hochzeit damit ausgefallen ist. Und ich hatte wirklich schon Mitleid!
ja, nun
… glück gehabt. obwohl sicherlich die eine oder andere nette ankedote abzugreifen gewesen wäre, auf die wir nun alle hier verzichten müssen. scheiß deutsche bahn.
Der sporadische Vorteil, wenig Verwandschaft zu haben. Aber irgendwann, mir schwant es schon, naja vielleicht nicht in den nächsten 2-3 Jahren.
Und dann DrNI, der alte Sturkopf, kauft sich keinen Anzug, und zieht sein bestes Jackett von Ebay (für 1€, was sonst) an. L’Eklat, c’est moi.
Ich staune, wie viele Cousinen derzeit heiraten. Meine heiratet morgen. Von vier weiteren (mit mir unverwandten) weiß ich. Aber wenn dabei solch erfrischende Texte herausspringen, darf der Cousinenheiratsboom weitergehen. 🙂
und ich…
muss gleich mit mutti an die mosel. familienfeier. und mir neue jagdunfälle schildern lassen.
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Die A. will doch im September heiraten. Auf den Text freue ich mich schon, auch wenn ich Mitleid mit dem Bräutigam verspüre.
Trotzdem. Erfahrungsgemäss wird einem Nichterscheinen auf Festivitäten extrem übel genommen.
Ich erinnere mich noch gut an eine Hochzeit von jemand mir sehr nahestehendem. Ich wäre wirklich gern dabei gewesen, nur war ich gerade kurz vorher aus dem Krankenhaus entlassen worden, eigentlich auch nur, weil ich den Professor bekniete. Kurz, ich hatte noch etwas Fieber, wurde zuhause versorgt und ich war alles andere als reise- und partyfähig, aber es hiess: Sie ist nicht gekommen.
Manchmal denke ich, dass viele gar nicht wirklich gerne auf Hochzeiten, etc. gehen und sich dann über die ärgern, die es irgendwie schafften sich zu „drücken“.
Bei einem entfernterem Bekannten aus dem Erwerbsleben habe ich mich wirklich gedrückt, ich hatte keine Lust mir für ein mittleres Vermögen was adäquates zum anziehen zu kaufen. Nach 2 Jahren war die Ehe geschieden. Die Feier war ruinös teuer.
ihr text ist köstlichste sommerlektüre !
es ist ohnehin eine merkwürdige sache mit den hochzeiten, da nur in den seltensten fällen die gäste wirklich kompatibel sind; alleine zwischen familie und freundeskreis klaffen oft genug welten, ganz zu schweigen von misstönen, die durch standesdünkel entstehen und bei größeren gesellschaften mit gemischtem publikum anscheinend an der tagesordnung sind. nur ein handverlesener kreis von menschen, die keinerlei ressentiments gegeneinander hegen, scheint die garantie für ein hochzeitsfest zu sein, an das man sich gerne erinnert. unter diesem aspekt erstaunt mich die anzahl der an exotischen urlaubsorten geschlossenen ehen keineswegs.
altrosa mir strassperlchen hört sich sehr schön an. das geht im sommer, das geht im winter. und im frühling sowieso. im herbst, na ja. aber der herbst schreit förmlich nach kleinem schwarzen, das den ganzen jahrhundertsommer über ungeduldig im schrank steht und auf die uhr kuckt.
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ich war da nicht so sicher, von wegen tipfehler. ich dachte, vielleicht hat der j. ja wirklich so geredet. zuzutrauen wärs ihm doch durchaus. 😉
Verwandtschaft….
In irgendeiner ausgestorbenen Sprache wird der ‚Verwandte‘ einfach mit dem Superlativ von ‚Freund‘ gebildet.
Was für ein grandioser Irrtum…
das ist glaub ich der beste text über eine hochzeit, den ich seit langem gelesen habe, ich vermute, weil so wenig hochzeit drin vorkommt – danke!
Und dann…
…sind Sie aufgewacht, Ihr Blick fiel zuerst auf das am Schrank aufgehaengte Seidenkleid mit den in der Morgensonne funkelden Strassperlchen, dann auf die am Vorabend sorgfaeltig ueber den Stuhl gehaengte schlechte Laune, und schliesslich auf den J., der im Tuerrahmen stand und mit den Fahrkarten winkte.
Alles andere waere in der Tat zu gut, um wahr zu sein. Zu Schulzeiten hat das ja auch nie so geklappt, wie man es sich noch im Halbschlaf ausgemalt hat.
Die Hochzeit der A., Frau Arboretum, wird nun doch erst nächstes Jahr stattfinden, da so etwas ja sorgfältig und aufwendig geplant werden muss. Nächstes Jahr heiratet auch meine liebe I., und sicherlich findet sich auch noch der eine oder andere weitere
VolltrottelVerliebte, so dass, lieber Don, der Text über grässliche Hochzeiten sicher nur verschoben ist. Und beim nächsten Mal, Herr Haase, hat die Deutsche Bahn sicher auch kein Nachsehen mit mir. Diesmal, Herr (?) Beh, war aber alles wirklich so wie beschrieben.Ich habe ja zum Glück nicht so arg viel Verwandtschaft, mit der wir noch reden, und der vorhandene Bestand heiratet zum Glück nicht. Da bin ich besser dran als Ole. Aber es soll ja auch nette Familien geben. Im Regelfall hat Herr Walhalladada natürlich recht. Im Übrigen, Frau Loreley, hat es natürlich auch Vorteile, wenn einem das Nichterscheinen übel genommen wird, dann bleibt einem die eine oder andere Einladung vielleicht zuküntig erspart.
Frau Etosha hat natürlich recht, so etwas ist toll, direkt hitzefrei oder so ähnlich, und da man ja auch nichts anderes geplant hat, hat man einen ganzen Tag einfach so geschenkt bekommen und muss nicht mit den bescheuerten Kindheitsfreundinnen der Braut zusammensitzen, die Beamtin im lokalen Finanzamt geworden sind. Oder dem missratenen Cousin, der seine Freizeit mit Rollenspielen im Wald verbringt. Da frage ich mich dann auch, Frau Walküre, warum die das Brautpaar nicht einfach auf Hawaii heiratet. Oder einfach da, wo der Pfeffer wächst.
Dann doch lieber keine Hochzeit und lauter nette Leute, Lucky. Und wenn man mir einen Anlass bietet, Glam, dann komme ich im altrosa Seidenkleid und tanze mit Ihnen ein wenig herum.
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ich kann gut wiener walzer!
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Mein Kichern werden Sie sich ja eh dazugedacht haben…
(Ich gratuliere!)
Ihr Beitrag ließ mich – auch unkommentiert – seit dem ersten Lesen vor 3 Tagen immer wieder schmunzeln…! Wie schön es doch wäre, einmal nicht den gesellschaftlichen Zwängen anchzugeben, sondern dem Bauch, durch und durch!
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naja, eigentlich hat ja die Bahn nachgegeben…
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Pompöse Planung
Da hat der unglückselige Freund der A. ja etwas mehr Zeit, noch zur Besinnung zu kommen.
Händischer Trackback, da die pingende Variante anscheinend nicht funktioniert zwischen mir und dem twoday.net.