Die fiktive Krankenschwester

Lügen, sagt man, hätten kurze Beine, womit der Volksmund in pointierter Form zum Ausdruck bringen will, dass früher oder später ohnehin jede auf Täuschung Dritter abzielende Unwahrheit auffliegt, was, wie wir alle wissen, aber maximal dann zutreffend sein dürfte, wenn man – wie ich – seine Ausreden ständig vergisst und zudem zu faul ist, die fiktive Seite seines Lebens einfach irgendwo aufzuschreiben. Man, und da liegt der Volksmund natürlich richtig, verplappert sich, verheddert sich in den straff gespannten Fallstricken zwischen Realität und Fiktion, man trifft gleichzeitig zwei Personen, die jede eine andere Version des Verlaufes irgendeiner Geschichte aufgebunden bekommen haben, von denen maximal eine stimmt, oder man – und dann wird es erfahrungsgemäß besonders schwierig – wird von dem Drang nach Wahrheit einfach übermannt.

Der Triumph der Wahrheit über die Lüge gilt gemeinhin als eine sehr moralische Sache, und darf wohl, hält man die Wahrheit für moralisch vorzugswürdig, selbst dann als überlegen gelten, wenn sie ihrerseits nicht originär moralischen Zwecken dient. Die K. etwa, eine Bekannte von Bekannten, treibt keineswegs die Wahrheitsliebe dazu, eine harmose Lüge gerade ziemlich zu bedauern, wenngleich doch immerhin die Liebe an sich die K. motiviert, allerdings nicht die Liebe zur Wahrheit, sondern schon eher die Liebe zu einem netten Herrn.

Diesen Herrn traf die K. vor einigen Wochen auf einer größeren Party, man unterhielt sich, die K. war übermütig gestimmt, trank viel zu viel Gin Tonic, und so verschwieg sie ihm kurzerhand ihren Beruf. Rechtsanwältin ist die K., und als Rechtsanwältin, wie niemand besser weiß als ich, hat man allen Grund zu seiner Profession möglichst zu schweigen, denn aus mir unbekannten Gründen empfinden Personen männlichen Geschlechts Rechtsanwältinnen als erotisch abstoßend. Krankenschwester sei sie von Beruf, behauptete deswegen die schon ziemlich angetrunkene K., und der nette Herr glaubte jedes Wort.

Man plauderte, man küsste sich sogar ein bißchen, man ging auseinander, und die vermeintliche Krankenschwester verbuchte den Abend als etwas hochstaplerisch, aber reizend, und hatte den Abend fast schon vergessen, als sie den netten Herrn wenig später ein zweites Mal traf. „Wie geht’s im Krankenhaus?“, fragte er sie, und sie musste einen Moment überlegen, bis ihr einfiel, dass sie ja Krankenschwester war.

Eine Richtigstellung war ihr gerade in bißchen peinlich, und so spann sie schnell irgendetwas zusammen, was ihrer Ansicht nach Krankenschwestern zu erzählen haben, und wechselte schnell das Thema. – Das Gespräch verlief ansonsten noch viel netter als das erste, man küsste sich wieder, man küsste sich weiter, und man verabredete sich für einen der nächsten Abende ganz gezielt.

Recht vielversprechend sieht es also eigentlich aus mit der K. und dem netten Herrn. Die Krankenschwester, die nicht existente Krankenschwester K., liegt der Rechtsanwältin K. allerdings nun schwer auf der Seele und die Wahrheit würgt in ihrem Hals. Denn was, so hat die K. allen Grund sich zu fragen, wird der nette Herr sagen, wenn er von der Täuschung erfährt? Wird mangelnde Wahrheitsliebe der K., allzu früh offenbart, ihn unverzüglich in die Flucht schlagen? Oder wird es das rechtsanwaltliche Berufsleben sein, was die weitere Bekanntschaft beenden wird? Oder empfiehlt es sich einfach, weiterzuschwindeln und Krankenschwester K. noch ein Weilchen am Leben zu lassen, bis die verkappte Rechtsanwältin K. dem Herrn so ans Herz gewachsen sein wird, dass er ihr die Täuschung verzeiht? Indes beschwindelt man doch ungern diejenigen, die einem lieb sind oder es gerade werden, und so ist die Situation der K. ganz insgesamt gerade keine besonders komfortable. Der Sieg der Wahrheit über die Lüge, so wünschenswert auch generell, erweist sich an der K. als individuell durchaus wenig angenehm, und so verdammt sich die K. gegenwärtig schrecklich für ihre anfängliche Schwindelei, was wiederum ja durchaus im Sinne derjenigen sein dürfte, welche zu moralischen Ansichten über Wahrheit und Lüge neigen, der Volksmund etwa, um noch einmal auf jenen zu sprechen zu kommen, der ja, wie bereits ausgeführt, ansonsten selten genug zu siegen weiß, und an der K. derzeit eines seiner raren Exempel statuiert.

15 Gedanken zu „Die fiktive Krankenschwester

  1. Ach, nun hat sie ja doch einen nachvollziehbaren Grund, warum sie mit ihrem eigentlich Job nicht raus wollte, das geht im übrigen allen Krankenschwestern, Ärztinnen, Psychologinnen, Huren, Pornodarstellerinnen eben so. Bisschen doof gelaufen, dass sie die Story beim zweiten Mal nicht gleich aufgedeckt hat. Aber wenn sie’s jetzt beim dritten (beim dritten Mal muss man ja endlich ins Bett hüpfen, nicht wahr?) Mal gleich am Anfang los wird, dann sollte er das schon nachvollziehen können – wenn er tough ist und ’nen Hirn hat und sich in die Lage von anderen versetzen kann. Und wenn nicht … dann hat sie wohl mit dem falschen Richtigen geknutscht. Aber geknutscht. Was immerhin mehr ist als das was andere tun …

    Und wer weiß, vielleicht ist er ja in Wirklichkeit Totengräber? 😉

  2. Hm, interessanter Weise habe auch ich mir immer eine Krankenschwester oder Ärztin zur Partnerin gewünscht. Der Wunsch nach gutem Versorgtsein im Falle eines Falles scheint da das Leitmotiv. Und doch: nun hat meine Partnerin eine andere Profession; und ich bin’s sehr zufrieden. Also nur Mut der K.: Bei der Liebe kommt’s letztlich auf die Persönlichkeit an und nicht auf den erlernten Beruf.

  3. REPLY:

    In meinem Bekanntenkreis hätten Anwältinnen oder Psychologinnen keine
    Schwierigkeiten, sich zu outen – und da sind auch bunte Kombinationen liiert:
    Der Designer (den Du, Modeste, schon mal kennengelernt hast) mit der
    Psychoanalytikerin, die Krankengymnastin mit dem Geotechniker, der Chef einer
    IT-Abteilung mit der Ärztin, die Horterzieherin mit dem Lehrer, der Journalist
    mit der Anwältin. Oder ein Dipl. Geograf und eine Verwaltungsfachfrau mit
    Führungserfahrung, die beide heute Wochenmarktbeschicker sind. Gehen tut
    das alles. Also, ich würde der Dame raten, dem Herrn auf möglichst humorvolle
    Weise zu beichten – richtig dosiert, wirkt das wohl weniger peinlich als eher halb
    amüsant, halb rührend.

  4. vielleicht sollte sie sich auch nur eben schnell einen weißen kittel und weiße latschen leihen, und ein paar fachliche handgriffe erlernen? ich mein, wer weiß wie schnell sie jemand anders kennenlernt?

  5. Wäre K.s Geschichte von Hollywood erfunden, würde sie nun wohl ein vorgetäuschtes Jus-Abendstudium beginnen, dies in Rekordzeit (ca. 6 bis 12 Mt.) abschliessen, dazwischen einige Verstrickungen erleben, vom neuen Bekannten kurz vor der vermeintlichen Abschlussfeier entlarvt werden, seine zutiefste Enttäuschung zu spüren bekommen um dann ein Happy End zu erleben. So!

  6. Die Wahrheit ist irgendwo da draussen

    Jack Nickolson in „Eine Frage der Ehre“: „Die Wahrheit! Sie können die Wahrheit doch gar nicht ertragen!“ Ein schlimmer Traum: es gibt keine Lüge mehr, die Menschheit ist verdammt immer und ewig die Wahrheit zu sagen. Traurige Rasse, wie die Borg, die Doozers, oder die Neandertaler bei Fforde, spannende Randfiguren. Danke, tauschen wollen wir nicht. All die ganzen Gedanken, die Theaterstücke, die Bücher, reine Wahrheit macht sie sinnlos. Und der Tod jeder Beziehung. Leben wir doch unsere kleinen Lügen, lügen wir sie uns ins Gesicht und machen wir einen großen, lächelnden Bogen um die Wahrheit – die Wahrheit ist irgendwo da draussen.

  7. Ja, Creezy, die Anwältin und der Totengräber, das wäre doch auch was. Aber überhaupt, die leidige Berufssache – ich weiß bis heute nur, was als Job richtig schlecht ist auf der Pirsch, was zieht, habe ich leider nie herausgefunden. Wäre wohl auch zu deprimierend.

    Ein wenig rührend zu erscheinen, Che, ist wahrscheinlich nicht das Schlechteste. Manche Mäner mögen sich ja rühren lassen, und die anderen fühle sich wenigstens überlegen, und das ist ja auch eine in männlichen Kreisen recht beliebte Empfindung. Ob allerdings gleich ein Rücktrittsgrund daraus wird, Booldog, hängt vielleicht nicht ganz unwesentlich davon ab, was der Herr beruflich macht. Und das weiß ich nicht. Vielleicht hat er wenigstens Rechtsstreitigkeiten, dann kennt man ja immer gern Anwälte. Und vielleicht hat ja auch der Herr Sokrates recht, und am Ende ist’s ganz egal. Sofern aber Herrn Luckies Bedenken eintreten, empfiehlt sich vielleicht wirklich ein Wechsel der Profession. Krankenschwester oder ewige Einsamkeit – da fängt man schon einmal an zu überlegen.

    Und ein Happy End – wer, Frau Aqua, hätte das nicht gern. Wahrheit, Herr Mabel, oder nicht. Denn sicherlich haben Sie recht damit, dass die Wahrheit die Dinge grauer macht, langweiliger, aber auch verlässlicher, was in bezug auf manche Dinge eine Erleichterung darstellt, aber sicherlich nicht bezüglich aller.

  8. nun, Rechtsanwälte, ob weiblich oder männlich,

    lügen doch eh, oder sogar schon grundsätzlich, wie sich bei der K. offenbar bestätigt. Ich würde dem Herrn raten, sich eine richtige Krankenschwester zu suchen, grins, aber keine mit ner Todesspritze, die braucht dann einen Rechtsanwalt oder – anwältin

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