Die Eisbärrettung

Wenn Sie zu den Leuten gehören, die geräuschvollen Frohsinn auch eher so ein bißchen obskur finden, so fragen Sie in allzu lustiger Runde doch einfach einmal nach dem Klimawandel. Lassen Sie etwa folgende Stichworte fallen: Erderwärmung, Al Gore, Versteppung der semiariden Zonen, und sofort wird sich das Gesicht Ihrer Gegenüber in sorgenvolle Falten legen. Im Anschluss an diesen atmosphärischen Umschwung geht es die nächsten zehn Minuten um nicht weniger als den Weltuntergang, und auch im Übrigen versichere ich Ihnen: Den Rest des Abends wird die Atmosphäre am Tisch nicht mehr die selbe leichtlebige und sorglose Färbung annehmen wie vor Ihrer Intervention.

Tatsächlich jedoch können alle ehrlichen Berliner die Erwärmung der Erdatmosphäre nur begrüßen. Wer jemals auf der Frankfurter Allee dermaßen gefroren hat, dass er jeden Morgen auf dem Weg zur Arbeit fürchte musste, am Abend würden ihm nach seiner Rückkehr von der Arbeit aus den gefütterten Stiefeln die abgefrorenen Zehen entgegenfallen, weiß, was ich meine. Wer – wie ich – nach mehr als zwanzig mützenlosen Jahren in seinem ersten Berliner Winter eine ebenso entstellende wie gehörbehindernde Kopfbedeckung gekauft hat, wer auch ohne Führerschein die Anschaffung eines Autos erwogen hat, um nicht mehr allmorgendlich auf dem Bahnsteig der S-Bahnstation Warschauer Straße zu erfrieren, findet eine Erwärmung der durchschnittlichen Lufttemperaturen eigentlich richtig gut.

Auch wahrheitsliebende Personen indes geben diesen Sachverhalt ungern zu. Hier kommt die ganze Macht gesellschaftlicher Konventionen noch einmal zum Tragen, und erst nachts nach halb drei und nach dem Genuss großer Mengen alkoholischer Getränke geben die Berliner zu, die Klimakatastrophe zu lieben. Mit offenem Mantel, nachts auf dem Weg durch die Stadt, umspült von einer seidig-lauen Luft, wie sie sonst nur ungefähr im September oder im April die Straßen der Stadt durchweht, wandeln glückliche Menschen langsam durch Berlin. Zu Hause drehen sie mächtig die Heizung auf, um die Emissionen großer Kraftwerke zu steigern, machen das Fenster auf und begleiten die Zeitungsmeldungen vom Anstieg der weltweiten Treibhausgasemissionen mit kleinen, freudigen Juchzern.

Eines indes belastet des Berliners Seele: An den Polen, so hört man, verhungern die Eisbären, und das eisbärgeneigte Herz quillt über vor Mitleid mit den ausgemergelten Tieren, die man sich auf einer viel zu kleinen Eisscholle treibend vorstellt, jammervoll nach Fischen schreiend, und schließlich verendend. Als ehemaliger Halter einer ganzen Armee von Teddybären ist dieser Umstand geeignet, auch den an sich klimawandelfreundlichen Menschen ein wenig zu betrüben.

Das Schicksal der Eisbären jedoch, meine Damen und Herren, ist kein unabänderlicher Zustand, das Schicksal der Eisbären liegt vielmehr in unser aller Hand:

Wie Sie wissen, bietet die ehemalige Cargolifter-Halle gut geheizt als sog. „Tropical Island“ zahlenden Gästen alle Freuden eines Südseeurlaubs in Gestalt eines Strandes, der Möglichkeit des Verzehrs von Speisen und Getränken, Shows, wie sie viele Menschen an die Freizeitbelustigungen karibischer Ferienanlagen erinnern. Wie es indes sicherlich auch Sie befüchten, wird die Nachfrage nach dieser Art von Vergnügungen im Zuge der zunehmenden Erwärmung Berlins erheblich abnehmen, und das „Tropical Island“ spätestens an dem Tag Konkurs anmelden, an dem auch im November leichtgeschürzte Berlinerinnen am Strand der Spree eisgekühlte Getränke konsumieren.

An den Polen sterben also die Eisbären, die Cargo-Lifter-Halle steht leer, und die Bundesrepublik Deutschland gehört zu den weltweit führenden Herstellern von – auch großformatigen – Kühlschränken.

Da liegt die Lösung doch auf der Hand.

13 Gedanken zu „Die Eisbärrettung

  1. Schlechtes Gewissen light

    Ich gehe immer aufs Klo, wenn das Gespräch auf die Klimakatastrophe kommt. Das ist nicht ganz p.c., ich weiß. Aber Ende November im Schlachtensee zu schwimmen, erhöht die Lebensqualität ungemein. Das können Nichtberliner eben nicht richtig einschätzen.

  2. Ja, wenn man

    erstmal auf den Geschmack gekommen ist, mit den lauen Novembernaechten, hat man ploetzlich einen ganz anderen Blick auf jede verrostete Dose Spray, die man auf dem Speicher findet: hmmm, kein Wort von FCKW-frei… Da koennte man doch…. da sollte man doch…

    Und die langweiligen „klimaneutralen“ Kuehlmittel kann man immer noch zur Klimatisierung der Eisbaer-Halle verwenden, richtig.

    November 2006, das Ende des Klimaschutzes in Deutschland wird dereinst in den Geschichtsbuechern stehen. „Wir muessen den Klimawandel aufhalten!“ – „Ja! Klar! Ich meld‘ sofort mein Auto ab! Obwohl, moooment! Heisst das, dass es dann im Dezember wieder kalt wird?“ – „Naja… evtl. unter Umstaenden… ein kleines bisschen vielleicht…“ – „Vergiss es!“

  3. Da gibt es, lieber Don, noch ganz andere Exemplare, die ich gern verfüttern würde. Du kennst die Berliner Außenbezirke nicht. Ich schon.

    Für ein Bad im Schlachtensee, Frau Kittykoma, bin ich jederzeit zu haben, möchte aber anmerken, dass mir die Bezeichnung „Schlachtensee“ immer als wenig ästhetisch erschienen ist. Da müsste sich der Berliner Fremdenverkehr mal drum kümmern, aber hier klappt ja nichts. Immerin Herr (?) Beh geht mit gutem Beispiel voran. So lobe ich mir das.

  4. Den geräuschvollen Frohsinn, den die Flippers serviert haben, fand ich mindestens obskur, meine Vorfreude auf eisige Tage ist heute wieder nassmildem Matsch gewichen, und ich hege aufrichtiges, ehrliches Mitleid sowohl mit den Wintersaison-Gewerben (von Glühwein über Hausschuhe bis zur schalverarbeitenden Industrie) wie auch mit den kältegewöhnten Tieren, die mit diesem tropischen Winter nicht zurecht kommen.

  5. Hier im Ruhrpott ist es eher naß. Es regnet viel.
    An den Berliner Winter, so wie Sie ihn beschreiben, kann ich mich lebhaft erinnern. Und erst dieser eisige Wind, der einem das Knochenmark auskühlt. Und wie ich einmal im Februar auf einer vereisten Gehwegplatte ausgerutscht bin.. der Schnee, der niedergetrampelt wird, antaut, festfriert.
    Aber naß ist auch nicht so schön.

  6. REPLY:

    Der Fernsehturm am Alex wird rot-weiß gestrichen und zum Leuchtturm,
    und der Pariser Platz wird Containerhafen mit dem Reichstag als Sitz der Hafenmeisterei.
    Berlin, Warschau, Hannover, Osnabrück werden als Hafenstädte das Erbe von
    Hamburg, Danzig, Wilhelmshafen und Rotterdam antreten.

  7. REPLY:

    Der Golfstrom dreht nicht um, sondern kommt völlig zum Erliegen. Das Weltklima
    wird insgesamt wärmer, wir kriegen aber die Klimaverhältnisse der entsprechenden
    Breitengrade in Kanada oder Sibirien, Berlin also etwa die Temperaturen von Goose Bay
    oder Wladiwostok. Der Meeresspiegel steigt trotzdem.
    Bevor der Golfstrom abreisst, wird es für etwa 2 – 3 Jahrzehnte in Deutschland
    submediterran warm, Berlin hätte dann das Klima von Vienne, Venedig oder Zagreb.

    Frank Schätzing schätzt das allerdings weitaus katastrophaler ein, er geht davon aus,
    dass dann das Methanhydrat am Meeresboden schmilzt mit dem Resultat, das sämtliche
    Küsten in kilometerbreiten Streifen weltweit um Tausende Meter ins Meer stürzen,
    Tsunamis von Hunderten Metern Höhe ins Landesinnere donnern (Fliegende Bohrinseln
    in der Lausitz) und wir anschließend ein wüstenhaftes Trockenklima bekommen.

    Bilanz: Milliarden Tote.

  8. Oh, Frau Arboretum, da wäre ich ja ganz dagegen und überlege mir die ganze Sache noch mal, denn es hört sich, Che, wirklich mies an. Dann doch eher die Flippers, Ole. Und an Ihren Unfall, Frau Fragmente, kann ich mich noch gut erinnern, übel sah das aus. Hoffentlich bleiben derlei Missgeschicke diesen Winter aus. ich drücke Daumen.

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