Die Maschine

Die Gänse sitzen also auf einer Art Fließband, sagt er und zeigt mit der Hand, wie schnell das Fließband zur Maschine führt. Sehr surreal sehe das aus, die vielen weißen Gänse, die alle zur Maschine fahren. Die Werkshalle hätte übrigens nichts Bäuerliches an sich, keine kopftuchtragende, resche Magd säße da, wie man sich das ja so vorstellt, naiverweise, sondern erst einmal wäre da nichts als eine Art Falltür, aus der jeweils eine einzelne weiße Gans auf das Fließband fällt, und dann geht die Klappe für einen Moment wieder zu, damit die Gänse jeweils im richtigen Abstand zur Maschine fahren.

Das alles sei sehr genau aufeinander abgestimmt. Wenn das Band still stünde, so fielen automatisch keine Gänse mehr aus der Klappe, und umgekehrt. Die ganze Taktung verlaufe aber vollständig maschinell, so dass in der ganzen großen Halle voller Gänse nur zwei Menschen stünden. Einer der beiden säße in einer Art Führerhäuschen und hätte die Aufgabe, die Maschine an- und abzuschalten, wenn Fehler auftreten oder irgendetwas sonst nicht funktioniert. Das sei sehr langweilig, denn an den meisten Tagen verlaufe alles reibungslos, und selbst wenn mal etwas sein sollte, dann hielte der Mann in dem Häuschen eben die Maschine an, die Klappe bliebe verschlossen, und Leute kämen, die die Maschine wieder in Ordnung brächten. Eine wenig anspruchsvolle Arbeit sei das also, genau das richtige für Rentner, die sich etwas dazu verdienen möchten.

Der zweite Mann in der Halle stünde direkt neben der Maschine. Seine Aufgabe sei es, die heranfahrenden Gänse zu packen und ihnen ein langes Rohr in den Hals zu schieben. Dieses Rohr sei mit einem Schlauch verbunden, durch den stetig ein Futterbrei geleitet werde. Dieser Futterbrei sei es, dem die Gänse ihre außerordentliche Konstitution verdanken.

Wenn das Rohr im Hals der Gans stecken würde, so sei es die weitere Aufgabe des Mannes an der Maschine, das Rohr rechtzeitig zu entfernen. Die Gans könne sich gegen die Nahrungsmittelzufuhr nicht wehren und würde Schaden nehmen, wenn ihr mehr Futterbrei eingeführt würde, als in ihren Magen passt. Es seien schon Gänse geplatzt, wenn der Mann an der Maschine unachtsam gewesen sei. Damit dies nicht geschehe, blinken immer dann, wenn der Mann das Rohr in die Gans einführt, Lämpchen auf, die wieder erlöschen, wenn genug Futterbrei geflossen ist.

Die Arbeit dieses Mannes kann nicht durch eine weitere Maschine ersetzt werden. Zwar habe es Versuche gegeben, die Gänse mit einer Art automatisierter Rundzange am Kopf zu packen und ihr den Schnabel zu öffnen. Da die Gänse sich aber in stetiger Bewegung befinden, würde oftmals eine Gans nicht richtig erfasst und deswegen auch nicht gefüttert. Manche Gänse würden sich außerordentlich heftig bewegen, so dass die Greifzange der Maschine sie so unglücklich packen würde, dass es mancher Gans den Kopf abgerissen habe. Dann hätte die Maschine stundenlang stillgestanden, der Mann im Häuschen habe die Wartung rufen müssen, und die anderen Gänse hätten über Stunden keinen Futterbrei erhalten. Nur die menschliche Hand habe das erforderliche Feingefühl für das Zusammenspiel von Gans und Maschine.

Nach der Fütterung durch die Maschine gebe es eigentlich nichts mehr zu berichten. Die Gänse werden auf einem weiteren Fließband wieder abgefahren und landen in ihrem Stall. Dieser sei sehr warm und recht eng, da die Bewegung der Gans dem Prozess unzuträglich sei. Hier würden die Gänse verdauen und Fett ansetzen. Nach einigen Monaten habe die Gans dann ein bestimmtes Gewicht erreicht, und werde abtransportiert.

Das aber sei eine andere Geschichte.

10 Gedanken zu „Die Maschine

  1. Das einzige Gestopfte an meinem Tisch sind Tortellini – und die werden von zarter Frauenhand auch nur mit Trüffeln gefüllt.

    Ach so, ja, und natürlich Krapfen und Pralinen. Ich glaube, alle von den Gänsen bis zu mir machen dabei das bessere Geschäft.

  2. … und ich dachte immer den leicht erregbaren foie gras Lieferenten wird die Futterschlaempe von zaenkischen Baeuerinnen mittels seltsam altertuemlich anmutender Trichter-Gestaenge-Kurbel Apparillos zwischen den bemerkenswert saftig gruenen Huegeln des Perigords appliziert.

    So kann man sich taeuschen.

    Dem Federvieh ists wahrscheinlich einerlei.

  3. Es war nicht an Weihnachten, als mein Freund C., seines Zeichens ausgebildeter Landwirt, mir von der Hühnermaschine erzählte. Und davon, wie die gackernden Kneule mittels Druckluft durch die Gegend geblasen würden, und da gab es noch einige andere Details. Alles in allem die »andere Geschichte«, nur mit Hühnern.

  4. ‚Feingefühl‘

    Ihr tiefer Einblick in die Arbeitswelt ist doch recht angetan,
    den guten alten Produktionsverhältnissen wieder einmal
    zu ihrem Recht zu verhelfen:
    Die Produktionsbedingungen in einem Mastbetrieb sind natürlich ebenso prekär wie das ‚grassierende‘ Bedürfnis, ‚Foie gras‘ im ALDI- Kühlregal zum Mitnahmepreis vorzufinden…Gekostet wird, was es wolle!
    Die Digitalisierung der Wahrnehmung hat den Abstand zu den realen Produktionsbedingungen noch einmal immens vergrößert:
    Bei Lichte besehen werden wir auch ‚gestopft’…
    Durch die ‚Röhre‘ fließt ein unverdaubarer Informationsbrei, an dem zu ersticken die leichtere Übung wäre…
    Wie schön, Frau Modeste, dass Sie den Umweg um den ungenießbaren ‚Brei‘ so gut kennen!

  5. Maschinerien, die mit ihren Aufgaben nichts Gutes verrichten, gibt es wohl überall. Als erstes habe ich an ein Pflegeheim für Menschen denken müssen. Gut, sie werden dort nicht gemästet. Aber wenn sie nicht in Zeit x getrunken haben ist Rest y wieder weg geräumt und sie können dursten. Ist’s besser?

    Ich habe kein Problem damit, dass Leute gelegentlich ihre Finger darauf halten und auf unnötige Missstände aufmerksam machen. Aber bitte auch an gestopfte Gänse im Frühsommer erinnern z.B. wenn die Mast beginnt und nicht zu Weihnachten, wenn die Viecher schon zu Ende gelitten haben und den Kopf und die Leber abgegeben haben – nicht jetzt erst zur Weihnachtszeit.

  6. Gestopfte Tortellini, lieber Don, sind ja eine nie zu verachtende Speise, allerdings wäre ich ein wenig bekümmert gewesen, am 25. statt der erwarteten Gans nur ein paar vegetarische Tortellini vorzufinden, und selbstgestopfte Zigaretten finde ich, Creature, meistens irgendwie merkwürdig, nicht ganz so optimal. Was aber die anthroposophischen Gänse angeht, so gibt es das, Frau Saoirse, bestimmt. Mangels genauerer kenntnis des Rudolf-Steiner-Paralleluniversums weiß ich indes nicht, wo.

    Dass die hübsche Vorstellung von der ländlichen Idylle mit Magd und Gans, Herr Brandtwein, offenbar unzutreffend ist, hat allerdings auch mich einen Moment etwas bekümmert. Da es der Gans aber wohl so oder so nicht recht angenehm ist, und es in Ansehung des Produkts wahrscheinlich auch egal ist, wird man sich an die Vorstellung der Maschine wohl gewöhnen. An die „andere Geschichte“, Herr DrNix, hat man sich als Fleisch essender Mensch ja auch gewöhnt.

    Und nein, Creezy, die Verbesserung des Tierschutzes durch Verbot der Gänsestopfleberherstellung steht nicht im Zentrum des vorstehenden Textes, wie ich mich für Misstände und deren Behebung ja ohnehin eher wenig interessiere.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Sie möchten einen Kommentar hinterlassen, wissen aber nicht, was sie schreiben sollen? Dann nutzen Sie den KOMMENTAROMAT! Ein Klick auf einen der Buttons unten trägt automatisch die gewählte Reaktion in das Kommentarfeld ein. Sie müssen nur noch die Pflichtfelder "Name" und "E-Mail" ausfüllen und den Kommentar abschicken