Der anthroposophische Weihnachtsbaum

Ein gewisses Misstrauen bringt man dem Wirken Rudolf Steiners vermutlich nicht ganz zu Unrecht entgegen, und nur der Erfolglosigkeit der Anthroposophie verdanken wir es, dass die Schriften Steiners nicht unermessliches Leid über die in dieser Hinsicht ja ohnehin recht gebeutelten Menschen Europas gebracht hat. Nichtsdestotrotz schicken Jahr für Jahr unzählige Menschen ihre Kinder in Waldorf-Schulen, nicht zuletzt, weil es sich um eine auch in linksliberalen Kreisen sozial akzeptierten Umgehung der öffentlichen Schulen handelt, welche es Zahnärzten und Dorfnotaren erspart, ihren Nachwuchs mit Leuten zur Schule zu schicken, die die Waldorfeltern Unterschicht nennen würden, wenn das in ihren Ohren nicht irgendwie komisch klingen würde.

Der Erfolg einer Waldorf-Kindertagesstätte im Prenzlauer Berg versteht sich daher eigentlich von selbst, und so erstaunt es unbeteiligte Nachbarn wie mich, dass ein Verein, der sich die Gründung einer solchen Institution auf die Fahnen geschrieben hat, überhaupt noch einer Förderung bedarf. Gleichwohl: Seit mehreren Jahren verkaufen Mitglieder dieses Vereins auf dem Grundstück, auf dem dermaleinst die Waldorf-Kita stehen soll, kurz vor Weihnachten Nordmann-Tannen zugunsten dieser vorschulischen Bildungseinrichtung.

Die Tannen sind ungespritzt, weil das chemische Behandeln von Pflanzen nicht Rudolf Steiners Billigung fand. Außerdem sind die Tannen ziemlich teuer, teurer jedenfalls als vergleichbare unanthroposophische Gewächse, und die diffuse Missbilligung der Anthroposophie im Verein mit dem Preisniveau der Weihnachtsbäume sprechen klar zugunsten eines anderen Baums, den der J. und ich uns ins Wohnzimmer stellen wollen, wie man das ja gemeinhin zu tun pflegt, wenn man, wie wir, Weihnachten nicht nach Hause fährt.

Auch der unanthroposophische Weihnachtsbaumkauf hat allerdings seine Tücken, denn Mitglieder des weihnachtsbaumverkaufenden Fördervereins sind unter anderem auch einige unsere Nachbarn, die alle, alle in den letzten drei Jahren zur Fortpflanzung geschritten sind, und das Haus seitdem mit unermesslich vielen, riesengroßen Kinderwagen, Kindergeschrei und beiläufigen Gesprächen über Mumps und frühkindliche Musikerziehung füllen. Die Verkaufsstätte der Bäume befindet sich nebenan.

Zu den Nachbarn pflegen wir ein freundliches bis sogar freundschaftliches Verhältnis. Die Bäume sind zu teuer und Rudolf Steiner hätten wir ungern zum Essen eingeladen. Zwei Seelen schlugen, ach, in unserer Brust, sofern es denn zulässig ist, von nur einer Brust zu sprechen, wenn zwei Gestalten am Küchentisch das Für und Wider des Kaufs erörtern.

Am Ende siegt der Opportunismus, der Wunsch nach friedlichem Einvernehmen mit den Nachbarn, der Wunsch, keine Gespräche über Waldorfpädagogik führen zu müssen, und auf unserem Balkon liegt nun, ordentlich eingewickelt in ein Netz, der Rudolf-Steiner-Gedenkbaum und wartet auf seinen Auftritt.

7 Gedanken zu „Der anthroposophische Weihnachtsbaum

  1. Die kleinen putzigen Zwerglein

    die den Baum bei abnehmenden Mond gefällt haben, oder war es doch zunehmender Mond und der vor dem fällen noch mit einem Dünger der in ein Kuhhorn gefüllt wurde und ein halbes Jahr in der Erde vergraben wurde gedüngt wurde, dieser Baum wird wohl nie seine Nadeln verlieren:-)

  2. Erdstrahlenkompensator

    Vielleicht kann der Baum ja danach als Erdstrahlenkompensator wieder verkauft werden. Man muß ihn natürlich an der Kreuzung zweier Feldlinien aufstellen. Die verlaufen z.B. im Elternhaus meines Freundes T. quer durchs Wohnzimmer. Seit die TV-Maschine da nicht mehr steht, gibt sie auch nicht mehr dauernd den Geist auf… also falls der Baum wieder zu Geld werden soll, ich hätte da eine Adresse.

  3. Nein, Herr Nielsson, nur auf einem Waldorf-Kindergarten. Anlässlich meiner Einschulung überkamen meine Eltern dann doch Bedenken bezüglich der Bildungsinhalte der Steiner-Pädagogik.

    Was die Verkaufsmöglichkeit als Erdstrahlenkompnesator angeht, Herr DrNix,. so denke ich mal drüber nach. Vielleicht kann man da ja auch die entgangenen Pralinen kompensieren, lieber Don, allerdings fühle ich gerade nach Abzug der Familie des J. so satt, dass nicht einmal mehr die kleinste und leckerste Praline meinen Appetit reizen könnte.

    Und wenn der Baum, Frau Smilla, doch nadeln sollte, dann reklamiere ich das bei den kuhorntragenden Zwergen und verlange eine einwadnfreie Nachlieferung.

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