Bücher des Jahres (1)
Mit Stefan George geht es einem ja wie mit manchen entfernten Bekannten, die man ständig irgendwo zufällig trifft. Man geht also meinetwegen einkaufen, Kaisers am Teutoburger Platz, und an der Käsetheke steht der W. und kauft ein halbes Pfund Gorgonzola. „Hallo W.!“, grüßt man über seinen Wagen hinweg, denkt sich nichts dabei, aber zwei Tage später trifft man den W. wieder, diesmal bei einem Konzert.
Trifft man den W. in den nächsten Monaten auch noch im Alten Museum, in der U 2, und abends im 103 so rein zufällig und nebenbei, und versucht der W. auch nicht, einen in Gespräche zu verwickeln, weil er einen heimlich liebt, und die Treffen keineswegs zufällig zustande kommen: Dann schätzt der W. ganz offenbar und rein zufällig lauter Dinge, die man selber gleichfalls mag, und wohnt zudem auch noch um die Ecke.
Ähnlich Stefan George: Man liest, Jahre ist’s her, etwas über die Wirkungsgeschichte des Caius Iulius Casesar, und siehe da: Stefan George schaut, leicht versteckt, Friedrich Gundolf über die Schulter, an dem vorbei man diesbezüglich ja kaum kommt. Man blättert, irgendwann als Studentin, in einer Geschichte des deutschen Widerstandes und sieht auf einer Photographie den alten, etwas krötenhaften Dichter mit den sehr, sehr jungen Brüdern Stauffenberg, die wahnsinnig sportlich aussehen und unsympathisch rotwangig und robust. Friedrich II., quasi persönlich (und großartig) erfunden von Ernst Kantorowicz. Der geliebte Hofmannsthal. Max Weber: Wo man hinkommt, George ist schon da, und sieht etwas gelangweilt, titanisch mit wallendem, grauen Haar über einen hinweg. George hat viele Leben begleitet, streckenweise manchmal, manchmal prägend, deren Ertrag mir etwas bedeutet, wie man so sagt.
Einmal herüberzugehen, und dem Dichter die Hand zu schütteln – schön haben’s geschrieben, herr dichter, so in etwa – verbietet sich in diesem Fall von selbst. Ich habe mich nie länger oder intensiv mit George beschäftigt. Auch das Lächerliche, das speziell den Kosmikern auch in den Augen Gutwilliger anhaftet, diese immer etwas anrüchige geistige Nähe zu unguten Gefilden: Man hält sich fern von denen, die etwas zu lauthals den Dichter loben und schätzt die Gedichte eher aus sicherer Entfernung.
Wie es aber so geht mit dem entfernten Bekannten W. – ganz umsonst trifft man sich nicht. Wer schätzt, was man selber schätzt, wer in den selben Bars ein Stammgast ist, der ist gar so weit weg nicht, und so liest man die vielgelobte Biographie von Thomas Karlauf gern und mit durchaus gesteigertem Interesse, leise kopfschüttelnd von Zeit zu Zeit, grammweise befremdet, bisweilen abgestoßen von diesem aufs Äußerste stilisierten Leben und dem Sicht-Ernst-Nehmen in einem sehr, sehr unüblichen Maße, und doch mit einem spürbaren Neid auf den Besitz einer gefügten, steinernen Vorstellung von sich, von der Welt, und von der Weise, wie die Welt sich um einen zu drehen hat, wenn man ein großer Dichter ist, denn das – und dies tritt in dieser ansonsten sehr gut lesbaren, sehr angenehmen und nichts aussparenden Biographie ein wenig in den Hintergrund – das war er eben auch, um nicht zu sagen: Dies ist des Pudels Kern, und alles andere nur flüchtige, nur zeitliche Verkleidung.
Thomas Karlauf, Stefan George – Die Entdeckung des Charisma.
2007, € 29,95.
Alle Bücher dieses Jahres…
… künftig zumindest kurz zu besprechen, ist doch einmal ein schönes Projekt für jemanden, der kaum etwas erlebt, und das, was er erlebt, nicht schreiben kann, ohne dass er etwas erleben kann, was sich gewaschen hat. Vielleicht wird es dann auch wieder etwas lebhafter hier.
REPLY:
Kennst Du eigentlich das Projekt Literaturzeitschrift.de? Garantiert werbefrei.
REPLY:
Gerade einmal angeschaut. Sicherlich ein hübsches Projekt, aber man kann nicht alles lesen.
Interesssant aber, dass die groß ausgerufene George-Renaissance bisher in Blogs wenig oder keinen Widerhall findet. Ich bedaure das. Es gibt wenig schönere, strengere, würdevollere Gedichte, die einen das Abseitige ihres Schöpfers mehr vergessen lassen.
Von einer George-Renaissance ist mir gar nichts bekannt, werte Frau Modeste, und gar in Blog-Kreisen…?
Die Klasse seiner Lyrik ist noch in der Parodie zu erkennen:
ich forschte blinden sinnes nach der pforte
der alten parks die sich ins dunkel ziehn
und fand sie nicht doch kreiste drüberhin
von dohlen eine drohende kohorte.
da eingebettet lag in halbverdorrte
waldnacht das tor das sich mir nie verliehn
ich trat hindurch dumpf duftete yasmin
und moder lohte auf besonntem orte.
auf einem plan in gerader zahl
saß streng die ausgewählte schar der gäste
ein page reichte stumm das karge mahl:
dann sprach ich meine schweren anapäste
und jeder schwieg und jeder auf dem feste
war von der bürde der gedanken fahl.
Diese köstliche Parodie von Robert Neumann kann als mein bescheidener Beitrag zur Wiederentdeckung des großen l’art pour l’artisten George gelesen werden.
REPLY:
Nicht? Ich hatte das Gefühl. Die Zeitungen haben schon sehr viel geschrieben über diese Biographie. Vielleicht war aber da auch der Wunsch Vater des Gedankens – die zeitgenössische Lyrik ist auch gar zu mies.
REPLY:
Ich bin wahrscheinlich auch der Letzte, der eine Ahnung hat, welcher Schriftsteller in welchem Feuilleton gerade wiedergeboren wird, liebe Frau Modeste! Wie sagte Heine doch so treffend: „Die Literaturgeschichte ist die große Morgue wo jeder seine Todten aufsucht, die er liebt oder womit er verwandt ist.“. Stefan George ist kein Lyriker, den man lieben kann, noch einer mit dem man sich verwandt fühlen möchte… Trotzdem sind seine Gedichte von einer außerordentlichen sprachlichen Schönheit, aber an seinem Grabe weinen, das könnte ich nicht!
REPLY:
Da haben Sie sicherlich recht. George fehlt etwas schwer zu Benenndes, vielleicht ein wenig Grazie, vielleicht Weichheit, eine Süße, die sicherlich außerhalb von Georges Absichten lag, aber manchem schlechteren Stilisten mehr Liebe einträgt als das Würdige, Ernste, Getragene, das den meisten Gedichten Georges anhaftet.
REPLY:
Dem ‚totgesagten‘ Dichter fehlt es meines Erachtens an Humor – das muss ja nicht immer gleich ein schenkelklatschender sein, aber dessen Grundbedingung scheint mir George völlig abzugehen: der Selbstzweifel.
Für mich war diese Biographie ein Anlass, mal wieder die Gedichte Georges zur Hand zu nehmen. Karlauf weist zurecht darauf hin, dass die Lieder am Ende des Neuen Reiches stille und schöne Texte sind. So weit war ich nie gekommen.
Überhaupt meine ich, dass das Buch manches Bild von der Selbststilisierung Georges wieder zurücknimmt und auf viele gelassene Posen verweist, gerade zum Ende seines Lebens hin.
Faszinierend fand ich, wieviel Zeit George auf die Pflege von persönlichen Beziehungen verwandte, er selbst konnte sich ja nur in seinem Netzwerk, seinem Staat denken. Die heutigen Dichtergenerationen scheinen mir da doch größere Individualisten zu sein.