Liegen lesen

Leser, so las ich letztens beim jüngst verstorbenen Nicolaus Sombart, zerfallen ja in zwei Kategorien, von denen die erste aufrecht im Sitzen, die zweite aber im Liegen liest, und das letztgenannte, von orientalischer Schlaff- und Sinnlichkeit geprägte Lesen auf Bett oder Divan sei eine grundlegend andere Sache als das konzentrierte Studieren am Tisch oder, besser noch an einem Stehpult.

Tatsächlich, so stelle ich mir vor, unterscheidet sich nicht nur die emotionale und kognitive Grundhaltung des Lesens je nach Körperposition. Auch die gelesenen Bücher müssten sich unterscheiden, denn wer schon liest Mommsen im Bett? Oder Proust am Schreibtisch? Wer stellt sich an ein Pult zwecks Lektüre von Henry Miller?

Wechseln, nehme ich an, werden die meisten Leute daher je nach Buch den Ort ihrer Lektüre. Ich aber, meine Damen und Herren, ich bin den Stehpult- und Schreibtischbüchern von vornherein abhold. Faul bin ich und ein wenig vergnügungssüchtig dazu, und kaufe daher ausschließlich solche Werke, die in der Horizontalen lesbar sind, und habe gelernt, das für weiche, warme Lagerstätten Unpassende zu vermeiden, ungefähr so, wie man inzwischen weiß, welche Kekse man im Bett essen kann und welche nicht.

Schlüsselworte in Klappentexten wie etwa „radikal“ oder „mutig“, welche andeuten, dass das betroffene Werk Experimenten sprachlicher Natur gewidmet ist, vermeide ich. Durchweg kleingeschriebene Werke lasse ich wegen der Erschwerung des Lesevorgangs liegen, und überhaupt generell alle Bücher, die den Leser erkennbar anzustrengen bestimmt sind, schaffen es nicht bis an die Kasse. Gegenwartslyrik mag ich auch nicht.

Weil ich mich für Politik und Gesellschaft gleichermaßen gar nicht interessiere, kaufe ich keine Bücher, die entweder direkt diese Themen betreffen oder aber im Gewande des Romans gesellschaftliche Probleme thematisieren, im schlimmsten Falle getragen von der Hoffnung, der empörte Leser werde hierzu eine Position entwickeln und den Misstand abstellen. „Groß angelegte Panoramen der Gegenwart“ oder so ähnlich, erwerbe ich deswegen nie, und zudem – das nur nebenbei – mag ich keine Bücher über Freaks, außer sie sind exorbitant unterhaltsam. Eine weitere Abneigung gilt Büchern, in denen Hitler vorkommt.

Weil man im Bett schneller ermüdet als am Schreibtisch, scheiden auch die meisten Bücher aus, auf denen seitenweise nichts passiert. Langweilige Bücher lese ich auch dann nicht weiter, wenn man mir von berufener Seite ihre Kunstfertigkeit preist.

Am Ende bleibt nicht viel über bei einem Rundgang bei Dussmann, und wenn man tage- ja wochenlang liegt, ab Montag nämlich auf Kreta, dann steht man da, die mitzunehmenden, bereits vorhandenen Bücher sind nicht allzu zahlreich, und dankbar ist man für Benennungen, welche neu oder alt, Roman oder Sachbuch, sein mögen, aber nur eins sein müssen:

Im Liegen lesbar.

19 Gedanken zu „Liegen lesen

  1. Im Zweifelsfall zum Bewaehrten greifen:
    Evelyn Waugh – The Sword of Honour trilogy

    Ansonsten:
    Simon Leys – The Death of Napoleon – gibt’s auch in Deutscher Uebersetzung, die ich aber nicht kenne und fuer deren sprachliche Qualitaet ich also nicht sprechen kann.

    Im Uebrigen hat mir das von Ihnen vor einiger Zeit empfohlene Buch von Patrick Leigh Fermor sehr gut gefallen. Ich kann Ihnen ebenso seine Berichte ueber Besuche in verschiedenen Kloestern ans Herz legen: Reise in die Stille, glaube ich, betitelt im Deutschen.

    dE

  2. REPLY:
    die frau des zeitreisenden

    hab ich auch grad sitzend im flugzeug, fahrend im zug und liegend im bett gelesen – gehen tut´s. es war ein durchaus nettes werk;-)
    (highlight ist mir zu hochgegriffen …)

  3. REPLY:

    Leider Atonement nicht mehr erhalten, statt dessen Den Zementgarten gekauft. Mehr eine Novelle als ein Roman, hübsche Idee, sehr schlank ausgearbeitet. Nixht angenehm, aber interessant.

  4. REPLY:

    Am Ende keines dieser Bücher gelesen, statt dessen viele andere, über das eine oder andere werde ich noch etwas schreiben. Falls ich meine handschriftlichen Notizen in den nächsten Tagen noch lesen kann.

  5. Auch wenn der Urlaub offenbar schon vorbei ist, möchte ich unbekannterweise auch noch ein paar Lesetipps abgeben:

    Victor Hugo, Notre Dame de Paris (klassisch, aber wenn man nur die verfilmung(en) kennt, absolut lesenswert, weil v.a. am Ende sehr überraschend);

    Hubert Selby, Last Exit to Brooklyn (ebenso ein Klassiker, der seiner Verfilmung um Längen voraus ist);

    außerdem alles von T.C.Boyle (schließe mich da UB´s Meinung von oben an) und Max Goldt.

    Lässt sich alles prima im Liegen lesen – aber auch im Sitzen, Stehen, Gehen, Fahren, Fliegen… sogar auf´m Klo.

  6. REPLY:

    Kenne und mag ich – bis auf T.C. Boyle, mit dem ich nicht recht warm werde. Allerdings gehört Max Goldt zu jenen Autoren, die ich immer nur in den homöopathischen Dosen von zehn, zwanzig Seiten lesen kann, dann wird mir die Lektüre aus irgendwelchen Gründen zu anstrengend.

  7. Aha – na da hab ich ja dann offenbar ein offenes Tor eingerannt.
    Der Herr Goldt ist wahrscheinlich aufgrund seines sehr sprunghaften, den Mitlesenden intellektuell höchlich beanspruchenden Stils nur in homöopathischen Dosen zu genießen – geht mir genauso (also wie dir jetzt, nicht wie ihm ; )…

  8. REPLY:

    Ich freue mich, dass Sie Waugh angenmehm finden. Ihren elegant formulierten Widerspruch hinsichtlich Lieben vs verehrung verstehe ich nicht wirklich – erleuchten Sie mich?

    dE

    Ach ja, Husymans ist natuerlich auch ein steter Favorit, nicht nur „A rebours“!

  9. REPLY:

    Verehrt man nicht Bücher wegen ihrer Vorzüge, und liebt andere trotz ihrer Schwächen? Vielleicht ist es mit Büchern wie mit Menschen: Das Makellose wird bewundert, aber sein Herz hängt man dann doch mehr an den unbestimmten Vorzug des Charmes als an andere, verdienstvolle oder nutzbringende Vorzüge.

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