Verlieren, Verlaufen

Beispielsweise könnte man übermorgen um acht den falschen Zug besteigen. Statt neben dem Brezelbäcker zur Treppe abzubiegen, würde man zehn Meter weiter laufen und erst beim Blumenstand die Rolltreppe nehmen. Statt des ICE stiege man in einen EC und führe los.

Sehr lange könnte man so tun, als hätte man die Verwechslung nicht bemerkt. Vielleicht beharrt man sogar gegenüber dem Schaffner auf einer Reservierung, die man nicht hat, und ließe sich nur widerstrebend überzeugen, im falschen Zug zu sitzen. „Sie können erst in *** aussteigen.“, würde einen der Schaffner belehren. Man müsste unglücklich aussehen und fragen, ob sich das nicht ändern lässt, und über der Antwort verzweifelt den Kopf schütteln, bis der Schaffner geht. Dass man im falschen Zug säße, teilt man dann mit und schaltet das Telephon aus.

Am nächsten Bahnhof verließe man den Zug. Es sollte ein kleiner Bahnhof sein, ein Fachwerkhaus, zugig und verloren, und mit einem einzigen Schalter, hinter dem zwar Licht brennt, aber niemand sitzt. Der Zeitungsstand hätte geschlossen, die Scheiben wären staubig und blind, und in den Schmutz der Glastür hätte jemand mit dem Finger seinen Namen geschrieben.

Ein paar Minuten müsste man schon auf der Bank auf dem Bahnsteig sitzen bleiben und warten, ob nicht ein Zug kommt, der einen zurückbringt. Wenn es kalt würde (und es wird kalt sein), dann darf man gehen. Auf der Rückseite des Bahnhofs stünde man noch einen Moment, sähe sich unschlüssig um, schlüge dann langsam die Straße ein, die vom Bahnhof ortsauswärts führt, und verlöre sich auf der Bundesstraße, noch hinter der Tankstelle, dort, wo die Raiffeisensilos stehen im Nichts wie Spuren in fließendem Wasser.

12 Gedanken zu „Verlieren, Verlaufen

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