Weil mir gestern abend um halb neun der Fahrradsattel abkippt, schreibe ich um zwanzig vor neun eine Mail an alle. Weil mir zehn vor neun ein Kollege einen Inbusschlüssel bringt, kann ich um fünf nach neun tatsächlich aufbrechen, aber da bin ich schon fünf Minuten zu spät. Weil ich nicht weiß, wer schon eingetroffen ist im Mao Thai, fahre ich direkt los, um die Reservierung nicht zu verlieren, und mache keinen Zwischenstopp mehr in der LPG. Heute morgen ist also nichts zu essen im Haus. Nicht einmal Brot und Milch. Gefrühstückt wird deswegen auswärts. Auf der Holzterrasse des Café Fleury sitzen der J. und ich unter Straßenbäumen, alle Welt und wir tragen riesige Sonnenbrillen, es gibt Joghurt und Obst und Baguette und Café au lait für den J. und schwarzen Kaffee für mich.
Weil die Nachbarn alle total laut sprechen, und ab und zu rattert die Tram vorbei, muss ich selber noch viel lauter sprechen, damit die C. am Telephon mich versteht. Nervös und etwas unglücklich schaut der J. betreten umher. Er hasse es, zischt er mir in eine Gesprächspause, wenn Leute öffentlich laut telephonieren. Indes sei das nicht zu ändern, zische ich zurück. Die C., höre ich, fährt noch heute nach Dessau und kommt erst Sonntag zurück.
Der J. und ich spazieren ein bißchen herum, sehen den Ausflugsschiffen zu, und kaufen an der Museumsinsel ein paar alte Inselbändchen. Mitte ist schwarz vor Menschen, vorm Pergamon-Museum stehen die Busse aus der Provinz in einer langen Reihe, und aufgeregte Menschen in der seltsamen Kluft, die manche Menschen tragen, wenn sie woanders sind, schießen viele, viele Photos. Auf der Spreepromenade am Bode-Museum, wo sich bis letzten Sommer die Strandbar Mitte befand, stehen nun Tische und Stühle. Sand scheint es nicht mehr zu geben.
Weil es vier Stunden später immer noch nichts zu essen gibt, taue ich auf, was in der Tiefkühltruhe ist. Es soll also Fischcurry geben, Heilbutt, Spinat, Möhren und Reis. Leider gibt es weder Kokosmilch noch Joghurt, ich vermische Madras-Curry, Tomatenmark, Apfelmus und Gemüsebrühe für eine Sauce, die scheußlich schmeckt. Der Heilbutt wirkt schleimig. Nach dem Essen sehe ich den J. auf dem Sofa im Arbeitszimmer liegen und auf den Speisekarten von Restaurants Menüs zusammenstellen, die er bestellen würde, wäre er da. Der J., vernehme ich, möchte gern ins Vau. „Dreierlei vom Lamm“, höre ich noch, als ich den Raum verlasse.
Im Lassunsfreundebleiben gegen zehn trinke ich eine Weinschorle. „Willst du noch irgendwohin?“, frage ich den J., der verneint. Statt auszugehen sehen wir daher eine DVD, Margaret Rutherford spielt Miss Marple, und ich fühle mich gut, aber sehr, sehr alt. Der Kühlschrank ist immer noch leer.
Man wird frühstücken gehen müssen, morgen früh.
Wir habe das Myfest gestern gegen 22:30h verlassen. Erst als ich zuhause angekommen die Martinshörner hörte fühlte ich mich alt …
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Manchmal habe ich das Gefühl, es ist gar nicht das Alter, der Überdruss oder alle diese Dinge, sondern die zunehmende Beschleunigung. Ich habe als Studentin natürlich mehr gefeiert, als Doktorandin war ich sogar noch etwas mehr unterwegs, aber seit ich arbeite, habe ich kaum noch Stunden, in denen ich nichts tue, einfach auf dem Sofa liege oder so. Ich schlafe sogar weniger, mache immer drei, vier Dinge gleichzeitig, und wundere mich dann manchmal, die Zahnbürste im Mund, ein Buch in der Hand und Musik auf den Ohren, wie es zu dieser Verdichtung gekommen ist und ob das gut so ist, wie es ist, und in den Strukturen meines Lebens ohnehin nicht zu ändern.
Ich gratulieren Ihnen, dass Sie sich mit der Situation offensichtlich …hmm …anfreunden können. Mir gelingt dies immer weniger. Ich habe permanent das Gefühl etwas zu verpassen und sind wir ehrlich: Schlussendlich werden wir zuviel verpassen und davor habe ich eine Heidenangst …
Allerdings: Zähneputzen, Buchlesen und Kopfhörer auf und zwar gleichzeitig nennt man Multitasking und ist einfach nur eine sehr weibliche Eigenart 😉
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Vielleicht ist Multitasking auch nicht mehr als eine Illusion zusätzlich. Und das ganze ungelebte Leben am Ende – da kann man sich schlicht nur wünschen, es sei das schlechtere Leben, das man nicht zu leben entscheidet. Vieleicht liegt man falsch.