Auf dem Weg zum Märchenbrunnen denke ich weiter über Siri Hustvedts Roman nach. Dass es stets riskant ist, wenn Autoren Kunstwerke etwas zu genau beschreiben, die ihre Protagonisten schaffen, fällt mir ein, ungefähr so, wie die wenigsten Schriftsteller ihren Geschöpfen einen Gefallen tun, wenn sie die Behauptung, jemand habe Humor, mit Beispielen unterlegen. Ist man nicht gerade Oscar Wilde (und wer ist schon Oscar Wilde?), dann geht das schief, und so belegen auch die seitenlangen Beschreibungen der Werke des Malers William Wechslers, der einen männlichen Hauptfigur von Was ich liebte, die Faszination nicht, die sie auf den Ich-Erzähler Leo Hertzberg ausüben.
Angenehm temperiert, filigran und doch glaubhaft wirken dagegen die Beziehungen der vier New Yorker untereinander: Das Ehepaar Erica und der Erzähler Leo, das in einer Art sorgsam gedrosseltem Glück miteinander lebt, bis das gemeinsame Kind bei einem Umfall stirbt. Das benachbarte, befreundete Paar William und Violet, der eine kühle, gläserne, erste Frau vorausging. Lucille. Das Altern beider Paare, die Beziehungen untereinander wie deren Veränderungen. Was Freundschaften sind, und vor allem: Was und worüber die Protagonisten arbeiten, denn tatsächlich irritiert mich an der deutschen Literatur der Gegenwart nicht selten, dass ihre Helden entweder gar nicht, oder irgendetwas sehr Seltsames tun, um ihre Miete zu zahlen. Etwas kupiert wirkt das nicht selten, denn das Leben der Menschen wird durch seine wirtschaftliche Seite ja meist nicht wenig geprägt. Zudem finden auch die großen Themen im Leben der Menschen zu einem ganz erheblichen Teil in beruflichem Kontext statt, und so empfinde ich es als angenehm, über die rund dreißig Jahre am Ende des letzten Jahrtausends, die der Roman umfasst, stets informiert zu bleiben, worüber die vier Hauptpersonen arbeiten und was sie denken. Insbesondere die psychohistorischen Arbeiten Violets nehmen so viel Gestalt an, dass ich sie gern gelesen hätte. Joachim Radkau fällt mir dazu ein, der vor circa zehn Jahren eine nicht unanfechtbare, aber lesenswerte Geschichte der Nervosität vorgelegt hat, die die pathologischen Auswirkungen des Vitalismuskultes im späten Kaiserreich und der Weimarer Republik in Beziehung zu den Reaktionen und Entwicklungen seiner Entscheidungsträger gesetzt hat.
Etwas künstlich wirkt der Themenwechsel im letzten Drittel des Buches. Der Todesfall des kleinen Jungen von Leo und Erica und die schmerzlichen, erstarrten Reaktion der Eltern hierauf wirken noch sehr gelungen dem Fluß des Lebens entnommen. Dann aber wendet sich Hustvedt dem Werdegang des Buben von Lucille und William zu, der spektakulär missrät, sich in den Raves der Neunziger verliert, Drogen nimmt, pathologisch lügt und schließlich im Umfeld eines ebenso verdorbenen wie lächerlichen Künstlers in einen Mordfall verwickelt wird. Das Motiv des Bösen, des seine Eltern verzehrenden Wechselbalgs wird hier etwas zu stark betont, so, als habe Hustvedt am Ende ihrer Geschichte noch einen stärkeren Akzent setzen wollen, dessen es nicht bedurft hätte, um eine gute Geschichte über das Leben zu erzählen, seine Abgründe und Verwerfungen, die Nähe zu Nacht und Nichts in unseren scheinbar sonnigen Straßen, und dass es sich trotzdem lohnt, sich zu lieben und zu befreunden, einander gut zu sein, auch wenn, was wir tun können, nichts hilft gegen das Chaos, die Zeit und die Dunkelheit, die – doch scheinbar nur – stets stärker sind als wir.
Siri Hustvedt
Was ich liebte
2003
sie bringen kein komisches gefühl beim lesen dieses buches auf den punkt…
obwohl ich es sehr mag.
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Ich bin mir nicht ganz sicher, ob es das Buch mag.
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es soll natürlich „mein“ heißen, statt „kein“.
es geht mir ähnlich. erst scheint es eine der amerikanischen sagas aus dem mittelstand zu werden. nur fehlt der übliche humor, sarkasmus, die ironie der updikes, irvings, roths.
es bleibt so privat. eben weiblich. immer in der kleinen welt der bindungen und gefühle. und so wort- und detailreich wie jemand, den das trauma umtreibt, sonst nicht verstanden zu werden.
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ich empfehle pro jahr höchstens ein buch.
passend zum thema kunstwerk:
als „ich ein kunstwerk war“.
http://www.amazon.de/Als-ich-ein-Kunstwerk-war/dp/3250601292
habe ich letztens im urlaub gelesen. kennt vielleicht schon jeder, ich kannte es nicht. ich mag den schreibstil dieses mannes mit den seltsam phantastischen ideen [sowohl hier, als auch in „adolf h.“. mehr kenne ich noch nicht] und der kurzweiligen erzähltechnik. so oder so: 1+*
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Ich habe nie etwas von diesem Autor gelesen, den ich als eine Art französischen Paulo Coelho eingeordnet habe. Zu Unrecht?
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ich hingegen habe coelho nie [zu ende] gelesen. der ist mir wohl etwas zu spirituell. ich denke, da liegt zumindest ein unterschied. schmitt ist eher philosophisch veranlagt.
was ich an schmitt sehr sehr schätze ist seine einfache aber extrem präzise sprache. jedes wort steht am richtigen platz. man hat exakt so viel text wie es braucht, nicht mehr, nicht weniger. er verkünstelt sich nicht*. dazu kommt in den beiden von mir gelesenen büchern eine sehr einfache und geniale grundidee**, die im ersten augenblick völlig absurd klingt. aber genau darin liegt der reiz. nach dem eintauchen ins absurde wird dies immer mehr zur normalen geschichte, von der man nicht mehr los kommt.
ich habe übrigens nach beiden büchern unbewußt eine längere lesepause eingelegt, weil jedes angefaßte buch mich nach wenigen seiten zu tode langweilte …
* nichts hasse ich mehr. deswegen ist t. mann für mich auch völlig unlesbar. was nicht an der masse liegen kann, von dostojewski habe ich fast alles gelesen. bei gewissen szenen von schmitt denke ich oft an murakami [den ich auch sehr schätze], weiß aber nicht warum. ich vermute es sind ähnlich aufgebaute atmosphären.
** bspw.: das leben des adolf h. – wie wäre der lebensweg hitlers verlaufen, wenn er bei der kunsthochschule angenommen worden wäre? fand ich im ansatz zunächst sehr gewagt, andererseits auch etwas platt. ist aber ein aus der hüfte geschossener geniestreich, weil es gedanken in bewegung setzt, die man vorher nicht hatte. der erdachte lebensweg wird übrigens prallel zum „realen“ erzählt, was einen sehr eigenen reiz der gegenüberstellung in sich birgt.
http://www.stern.de/unterhaltung/buecher/:Eric-Emmanuel-Schmitt-Interview-Ich-Hitler/611469.html
Ich musste mal 2 Coelhos lesen. Und wozu ich mich bei Literatur nicht so leicht hinreißen lasse, in seinem Fall aber mit Vergnügen: Pfui bäh, so ein Schrott, so ein abgezockter Typ, ich glaube dem kein Wort seines Esoterikgefasels. Schmitt scheints dagegen ernst zu meinen, es bleibt aber doch gehobene Wellnessliteratur. Dann doch lieber richtige Schmonzetten! Und mit Huvstedt gings mir ähnlich wie den Damen Modeste + KittyKoma.
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Das bestätigt mein (mag sein:) Vorurteil, bei beiden Autoren handele es sich um letztlich bequeme, unehrliche Literatur, aber ich habe nie etwas davon gelesen und plane auch nicht, dies zu tun.
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Zu Schmitt kann ich tatsächlich gar nichts sagen. Der Autor reizt mich nicht, ich habe es aber auch nicht so mit den „Einfällen“, und habe mich sieben Jahre mit Hans Castorp auf dem Zauberberg tatsächlich keine Minute gelangweilt. Thomas Mann gehört hier zu veritablen Hausheiligen; ein Grund, warum ich nie über ihn geschrieben habe. Vielleicht später.