Ich erkenne ihn von weitem. Besser sieht er heute aus als mit 18, als er allzu dünn war und ein bißchen hektisch. Schlank ist er noch immer. Auch sein Haar ist noch voll. Er trägt noch immer dieselbe Frisur wie 1995: Das blonde Deckhaar lang über dem kurz geschorenen Nacken.
„Du hast dich kaum verändert.“, sage ich, als er vor mir steht. Er wehrt mit der Hand ab, klopft sich auf den Bauch, lobt meine Kleidung (aber nicht mich) und fährt sich mit der selben Bewegung wie vor fast 15 Jahren durchs Haar.
Er ist nur für ein paar Tage in Berlin, beruflich. Gerade kommt er von einem Meeting, jetzt will er zur C⎮O Galerie im Postfuhramt. „Wie geht es dir? Was machst du?“, frage ich, und er erzählt von der Consultancy. Fünf Jahre sei er jetzt da. Länger als üblich. „Nicht so besonders originell.“, entschuldigt er sich und lacht. Er hat recht: Meine halbe Abschlussklasse war oder ist Berater.
„Erzähl mal was von dir.“, fordert er mich auf, und ich überlege. Viel gibt es da nicht zu berichten. Mein Job. Meine Wohnung im Prenzlauer Berg, Freunde, die auch viel arbeiten, und wenn wir es schaffen, sitzen wir irgendwo herum und essen und trinken Wein. Ab und zu gehe ich gern irgendwohin. Ansonsten keine Hobbies, keine Kinder. Zwei Katzen. Ein Freund. Er lacht. Wir mochten uns ganz gern, damals, erinnere ich mich und überlege, mit wem er befreundet war. Im Latein-Leistungskurs saß er schräg hinter mir. Ich glaube, wir haben uns auf dem 18. Geburtstag meines Freundes T. geküsst, damals, als man sich noch küsste, wenn man auf Parties ging.
„Bist du glücklich geworden?“, fragt er auf einmal und unterbricht meine Überlegung. Ich bin überrascht. Als ein wenig peinlich empfinde ich diese Frage. Als ein bißchen zu pathetisch, ein wenig zu persönlich dazu. Woher soll ich das wissen, schießt es mir durch den Kopf. Keine Ahnung, hätte ich fast gesagt. Ich habe lange nicht gefragt. „Gut geht es mir.“, sage ich daher und lächele so breit, wie ich es aus dem Stand hinbekomme. Das stimmt, wie ich weiß.
Aber es ist nicht dasselbe.
Sicher ist man glücklich – in Momenten. Wenn es einem aber gut geht, mehr als in einem Moment, ist das schon sehr viel. Vielleicht mehr als immer glücklich zu sein. Denn ginge das überhaupt?
es erstaunt mich immer wieder, daß menschen, die kaum selbst arbeits- und lebenserfahrung haben, andere menschen beraten und dafür noch viel geld verdienen.
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Mich erstaunt sowas nicht nur, mich ärgert das auch, zuweilen ganz kolossal, nämlich dann, wenn der krasse Mangel an Erfahrung mit naßforscher Arroganz übertüncht wird (siehe dort, letzter Absatz). Dergleichen habe ich leider nur allzu oft erleben müssen…
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Ich bin da immer hin und her gerissen. Aus meiner Sicht ist Alter kein Argument und viele Consultants sehr, sehr gut ausgebildet, sehr intelligent, eloquent und kommen in Unternehmen zudem mit dem Vorteil der Außensicht. Dass es sich meist nicht um besonders gemütliche Leute handelt, wissen die Unternehmen, die sie engagieren. Beratung wird ja keinem aufgezwungen. Mancmal geht es ja auch nur darum, unangenehme Entscheidungen oder Tätigkeiten auf Personen außerhalb des Unternehmens zu delegieren.
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Der frische und unverstellte Blick Externer ist natürlich ein Vorteil, und daß die (letzlich problemverursachende) Gemütlichkeit eher auf Klientenseite zu suchen ist, ist auch klar. Und sicherlich korrelieren Alter, Intelligenz und Erfahrung nicht nach Einheitsschema miteinander. Dennoch: Ich persönlich habe auf Beraterseite viel unangemessene Überheblichkeit und Mangel an jeglicher Empathie wahrnehmen müssen. Das mag seine Ursachen mitunter in Selbstschutz haben, aber das entschuldigt derartiges Aufreten in meinen Augen nicht.
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Glück hat etwas mit Intensität zu tun, glaube ich. Mehr zu spüren als Gemüse. Ich führe ein angenehmes Leben, glaube ich, aber ich spüre mich inzwischen selten.
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naja, für empathie sind sie tatsächlich nicht engagiert. modestes letzter satz ist sehr wahr. (ich erinnere mich an schilderungen eines jungen consultants, wie er mit seinem chef und mentor den vorstandsvorsitzenden eines dax-unternehmens in der kneipe mit viel bier zu einer maßgeblichen entscheidung bewegen mußte.)
im nachhinein kann ich allerdings sagen, daß der schwachsinn, den ich mit ende 20 oder anfang 30 verzapft habe, oft kontraproduktiv war. mir fehlte eben die erfahrung. mir war nicht alles schon einmal passiert. (wichtig finde ich in diesem zusammenhang auch die kompetenz, die verantwortung für kinder und familie erzeugen.)
allerdings verliert man mit den jahren an biß, wird gelassener. ein terrier, der veränderungen durchbeißt und dann weiterrast, ist man nicht mehr.
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Versteh ich. Aber mit Mitte 30 immer noch himmelhochjauchzend zu Tode betrübt?
Und er, was hat er gesagt? Ist er glücklich geworden?
Zu behaupten, Gemüse hätte keine oder wenig Gefühle, finde ich spezizistisch!
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Er sagt ja, aber er sieht nicht so aus.
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Ich entschuldige mich hiermit in aller Form für jedwedes Unrecht, das ich oder Mitmenschen über Gemüse gebracht haben, wobei ich ausdrücklich festgehalten wissen möchte, dass dies nicht die Anerkennung etwaiger Ansprüche finanzieller Natur beinhaltet, die jetzt oder in Zukunft an mich oder jeden anderen Menschen herangetragen werden könnten.
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Seine Frage und sein wenig glückliches Aussehen legen nahe, dass er es tatsächlich nicht ist.