Verkäufer

Eine Berliner Klage

1. Der Übereifrige mit Eigensinn

Vor mir steht die Speerspitze der Dienstleistungsgesellschaft und hält mir ein Paar Schuhe entgegen. „Nimm mal die da.“, befiehlt er. Ich zögere. Die angebotenen Schuhe sind türkis, vorn rund und mit einem Budapester Lochmuster verziert. Ich habe nichts gegen Budapester, solange sie an Männerfüßen stecken, aber bevor ich in türkisfarbenen Budapestern mit einem klobigen Absatz auf die Straße gehe, bleibe ich barfuß zu Haus.

Ich schüttele den Kopf. Der Übereifrige ist beleidigt. „Ich stell dir die Schuhe mal hier hin.“, deutet er auf seinen Kassentisch. Ich sehe mich um. Ein Paar schwarze Pumps sind zu flach. Ein anderes Paar hat weiße Nähte, die mir nicht gefallen. Ich verabschiede mich.

„Ich lege dir die Schuhe bis Dienstag zurück!“, ruft mir der Übereifrige hinterher.

2. Die Unfähige

„Ich mach‘ hier nur Aushilfe!“, schickt die Frau an der Metzgertheke vorweg. Sie ist hübsch, blond, würde sie erzählen, eigentlich dem Schauspiel oder der Kunst zu obliegen: Ich wäre nicht überrascht. „Das bekommen wir hin.“, sage ich so freundlich wie möglich, denn die Verkäuferin scheint nervös zu sein. Ich will sie beruhigen.

Eine halbe Minute später wird sie noch nervöser. „500 Gramm vom Rinderschmorfleisch.“, ordere ich, und ganz offensichtlich wird ihr in diesem Moment erstmals klar, dass ein Rind aus unterschiedlichen Stücken besteht. Hilflos betrachtet sie abwechselnd den Rost- und den Lungenbraten, die Nuss und das Ausgelöste aus der Keule. „Von dem da?“, fragt sie mich irgendwann und deutet auf ein beliebiges Stück Fleisch. Immerhin hat sie das Rind erkannt, denke ich, und verneine. „Das hinter dem Gulasch.“, deute ich auf das Stück, das ich haben will. Die Verkäuferin bekommt hektische Flecken.

Immerhin gelingt es ihr einigermaßen fehlerfrei, ungefähr ein Pfund abzuschneiden. „Bis du so nett …“, fragt sie mich, „mir den Preis anzusagen?“ – „€ 12,80“, antworte ich brav (denn niemand soll nur wegen Unfähigkeit Nachteile erleiden). Dann verlasse ich den Biomarkt. Das Mädchen wird es schwer haben in den nächsten Tagen und Wochen.

3. Die Preussische

Wer in Berlin lebt, und die S-Bahn nicht hasst, kommt ohne weitere Untersuchung wegen schweren Realitätsverlusts in die Psychiatrie. Wer wegen der S-Bahn mit der Regionalbahn aus Potsdam zurückgekommen ist, hasst nicht nur die S-Bahn, sondern die Stadt, ihre Einwohner generell und speziell jeden der tausend anderen Menschen, die auch mit der Regionalbahn gefahren sind. Wer dann noch einkaufen geht und feststellen muss, dass der fertig gezogene Strudelteig aus dem Kühlregal heute aus ist, hat ohnehin schon unsagbar schlechte Laune, und wer dann mit abgesehen vom Strudelteig gefülltem Korb an der Kasse auftaucht, will garantiert nicht hören, wie die dauergewellte Megäre, der das Kassieren obliegt, schon beim Glas mit Essigzwetschgen kritisch schaut, um dann ein simples Glas Tessiner Senffrüchte mit den Worten über den Scanner zu ziehen:

„Sie leben ja auch wie die Made im Speck.“

13 Gedanken zu „Verkäufer

  1. Ich dachte immer, Sie sind Deutsch. Die Verwendung des Wortes Lungenbraten erfreut mich sehr, macht mich aber stutzig.
    Die Ablehnung von S-Bahn kann ich nicht ganz nchvollziehen. Bei meinen Berlin- und auch Potsdambesuchen war ich eher begeistert, dass die S-Bahn die ganze Nacht durchfuhr und dass ich auch im A-Train um halb drei Uhr früh die Auskunft bekam: Sie brauchen kein Taxi, Sie können die S-Bahn nehmen und dann in die U-8 umsteigen.
    In Wien denke ich manchmal wehmütig an S- und U-Bahn-Angebot in Berlin.
    Gerade gestern habe ich wieder von jemandem gehört, der aus der Nähe Mödling nach Wien pendelt und zur Zeit 1,5 Stunden braucht statt einer, weil zur Zeit ein neuer Bahnhof gebaut ist und es schlichtweg einen unbrauchbaren Fahrplan und noch unbrauchbarere Auskünfte und Abstimmungen mit den Autobussen, die ja eigentlich auch der Bahn gehören, gibt.
    Auf #3 fiele mir die Antwort ein: „besser leben als sein!“

  2. in der wiener klage
    würde mir da noch foglendes feheln:

    4. Die gelackten Beschäftigten

    Niemand außer Ihnen befindet sich im Geschäft. Sie treten mit selbstverständlich ohne jegliche Beratung selbst Ausgewähltem hoffnungsvoll näher, im Bestfall, um es halt noch zu bezahlen, im Worst Case, hätten Sie gern eine andere Größe oder Farbe. Entweder unterhalten sich die beiden miteinander, und denken nicht daran ihr Gespräch zu unterbrechen oder im Vereinzelungsfall klemmt das Handy am Ohr. Meistens deponiere ich die Wara dann irgendwo und gehe. Obwohl sie ihren Zweck damit erreicht haben dürften – nämlich dass jedweder Kunde die Geduld verliert …

  3. REPLY:
    Die S-Bahn fährt in Berlin aber kaum – und das schon seit Wochen. Die müssen sich gerade wieder einmal Züge aus München und Stuttgart ausleihen, damit wenigstens ein paar Strecken bedient werden können. Andere sind dafür ganz lahm gelegt. Und von dreimal so langen Fahrtzeiten zur Arbeit und unbrauchbaren Auskünften kann Ihnen jeder Berliner derzeit ein Liedchen singen. Ich dann nächste Woche wahrscheinlich auch, denn ich fahre nach Berlin und habe wenig Hoffnung, dass die S-Bahn bis dahin ihre Züge wieder alle ordentlich gewartet und repariert hat.

  4. REPLY:
    Ja, die ist toll. Dass es tatsächlich so etwas gibt wie autoaggressiven Sozialneid ist schon scharf. Dass dieser zudem auch noch anhand von so bescheidenen Dingen wie einem Glas Senffrüchte ausbricht – ich bin begeistert.

  5. REPLY:
    Die Gelackten sind auch ein Münchner Phänomen – hat aber interessanterweise abgenommen. Dafür hier auch sehr beliebt: die Feierabend-Pocher: „Wir haben schon zu!!“ – Samstag um 13 Uhr.

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