Schwiegerfreunde

Man lernt sich kennen, man geht ein paarmal miteinander aus, und irgendwann ist man dann zusammen. Die ersten zwei Wochen geht man kaum vor die Tür. Eines Tages aber klingelt bei der Geliebten das Telephon, und man hört irgendwas mit wie „Dachte, du lebst nicht mehr“ oder „Ist er jetzt da?“. Dann wird ziemlich lange über Leute geratscht, die man nicht kennt (vielleicht hat man von dem einen oder anderen schon mal gehört, aber das hat man nicht behalten). Es folgt eine Verabredung. Ein Sonntagsfrühstück beim Pappa e Ciccia vielleicht oder ein Glas Wein im Liebling.

Kurz vor der Verabredung ist man verblüfft, wie nervös die Geliebte auf einmal wird. Man selbst hat die Ruhe weg. Schließlich trifft man weder die Mutter noch den Chef der neuen Freundin, es geht nur um ihre Freunde. Welchen Grund sollen diese Menschen schon haben, einen nicht zu mögen. Hand in Hand läuft man also los.

Im Lokal angekommen, gibt es dann zwei Möglichkeiten: Entweder ignorieren die Freunde einen komplett und unterhalten sich ausschließlich über Angelegenheiten, die einen nicht interessieren, und Leute, von denen man gerade das erste Mal hört. Schweigend sitzt man da und sieht seine neue Freundin von der Seite an. So kennt man sie gar nicht. Und offenbar gibt es Leute, die sie viel, viel besser und länger kennen als man selbst. „Damals in Mentone …“, schnappt man auf und „… aber mit deiner Mutter ist es ja nicht anders.“ Da sitzt man dann und fühlt sich irgendwie fremd und ausgeschlossen.

Die andere Möglichkeit ist unangenehmer: Man wird nach Herz und Nieren ausgefragt. Dabei fällt einem auf, wie viel diese Leute schon über einen wissen. Offenbar haben umfangreiche Gespräche in der Anbahnungsphase stattgefunden, gut, man selbst hat ja auch – aber doch nicht so umfassend. Was sie wohl sonst noch alles …, sieht man seine Freundin von der Seite an, die auf einmal viel mehr zu diesen Menschen, und viel weniger zu einem selbst zu gehören scheint.

Zu Hause ist dann alles wieder okay. Die Freundin relativiert hier ein bißchen und erklärt da. Man erfährt, wieso eine arglose Antwort auf eine Frage zu einem überraschenden Stirnrunzeln geführt hat, und wieso man es bei einem der Leute am Tisch ein bißchen schwer hat. Gut, man würde den Nachfolger eines guten Freundes vielleicht auch nicht mit offenen Armen wllkommen heißen. Insgesamt aber mag man die Leute, schon weil sie mit der großartigsten Frau des Universums befreundet sind. Es bliebe einem ja auch gar nichts anderes über.

Nach einigen Wochen stellt man fest, dass die Freunde schon sehr (um nicht ganz direkt zu sagen: unangenehm) omnipräsent sind. Sie klingeln, ohne vorher anzurufen, und die Freundin macht in Unterwäsche auf. Sie gehen einfach so an ihren Kühlschrank, wenn sie Hunger haben. Sie schreiben sich täglich ungezählte E-Mails über alles Mögliche. Sie sehen sich jederzeit und ständig zu sechst, zu acht, zu zehnt, es scheint gar kein Ende zu nehmen, und verbringen ganze Sonntage miteinander.

Eigentlich, fällt einem auf, sind die Freunde ganz schön arrogant. Beispielsweise besteht ein ganzer Freundeskreis aus Juristen, nur aus Juristen (kennen die den keine anderen Leute als immer nur Juristen) und diese Juristen fühlen sich Gott und aller Welt überlegen. Meistens merkt man das nicht so, aber ab und zu sagt einer etwas über Fächer, die man auch studieren kann, und dann wird rund um den Tisch ein bißchen gelacht, als sei ein Studium der angewandten Kulturwissenschaften, des Maschinenbaus oder der Betriebswirtschaft irgendwie witzig. Oder die Freunde verbindet die Musik, und dann schauen immer alle betont unbeteiligt an einem vorbei, wenn man auch mal was über Musik sagt. Oder alle sind ziemlich reich und gehen ständig irgendwohin, wo man beim Lesen der Speisekarte die ganze Zeit schwitzt.

Wenn man klug ist, sagt man dazu nichts. Die Freunde waren vor einem da. Sie werden allem menschlichen Ermessens auch noch in fünf Jahren ständig auftauchen, und so tut man gut daran, sich so gut es geht zu integrieren. Ansonsten wird es schwierig. Nehmen wir nur einmal den Urlaub: Den ersten Urlaub wird die Geliebte im Hormonrausch vielleicht noch zu zweit verleben wollen. Igendwann aber fängt alles an zu planen, ein Wochenende Rom, eine Woche nach Schottland, und dann steht man da. Nicht mitkommen kommt irgendwie nicht in Betracht, wenn alle anderen als Paar fahren. Mitkommen und die ganze Zeit den komischen Freund von X geben, ist aber auch keine Alternative.

Manche Menschen gehen in die Offensive und laden nach einigen Monaten die Freunde der Freundin zu einer eigenen Party ein. Da stehen sie dann, sehen sich gründlich die Wohnung an, zeigen sich verstohlen die Bücher im Bücherregal, und reden den ganzen Abend mit niemandem, den sie nicht schon kennen. Oder höchstens nur mal so zehn Minuten und aus Höflichkeit.

In der ersten Krise werden die Freunde der Freundin so ein wenig zum Alptraum. Man sitzt dann so zu Hause, fühlt sich elend, und stellt sich vor, wie alle um die Freundin herumsitzen und Dinge sagen wie „natürlich schon was anderes“ oder „ganz ein netter Kerl, aber am Ende“. Selbst wenn alles wieder gut ist, betrachtet man die Freunde von nun an mit noch mehr Reserve. Wieso zum Beispiel mailen sie sich ständig alle an, aber man selbst erhält die Mails immer nur über die Freundin? Und warum fragt einen eigentlich keiner, wo man war, wenn man mal ein paar Wochen nicht auftaucht?

Nach ein paar Monaten geht auch diese Phase vorbei. Vielleicht geht man mit dem einen inzwischen ab und zu zum Tennis. Das hat sich so ergeben, und ist eigentlich immer sehr nett. Danach isst man noch was zusammen, meistens einen Burger unter Männern im Bird oder im White Trash, und irgendwann wird der Tennisfreund dann auch ohne Tennis mal getroffen. An einer umfassenden Burgertestreihe der Burgerbräter von Berlin kommen dann auch noch zwei andere Freunde der Freundin ab und zu mit. So langsam kennt man die Zusammenhänge und neuralgischen Punkte, und wenn alle lachen, dann weiß man zumindest wieso. Inzwischen bekommt man auch alle E-Mails.

Irgendwann trennt sich dann eine Freundin der Freundin von ihrem Freund. Es wird fürchterlich viel diskutiert, es müssen sehr schwere Möbel geschleppt werden, und dann begibt sich die nun Alleinstehende auf eine pannen- und verwicklungsreiche Suche nach einem neuen Mann. Man bekommt das so halb und halb mit und schüttelt bisweilen den Kopf. Die Arme, bemitleidet man ein bißchen. Leider bestimmt nicht leicht vermittelbar. Ein bißchen üppig ist sie ja schon. Und überhaupt – diese arroganten Juristen.

Irgendwann scheint es dann doch hingehauen zu haben. Die Freundin der Freundin verschwindet über Wochen. „Der Neue belegt Y ja völlig mit Beschlag.“, sagen die Freunde, und man ärgert sich auch ein bißchen. Ist ja schön für sie, aber man ist doch ungern so ganz abgemeldet, nur wenn es da jetzt wieder jemanden gibt. Schließlich ist der Typ ganz neu, und man selbst und die anderen Freunde waren quasi immer schon da.

Eines Tages erhält man dann eine E-Mail. Es wird gefrühstückt im Fleury oder es gibt ein Glas Wein im Rutz. Y wird kommen und bringt ihren neuen Freund mit. Man ist sehr gespannt auf den Neuzugang. Ein Mathematiker, hat man gehört. Einzelkind. Davon hält man eigentlich nichts. Man will seine Zeit ja nun auch nicht mit jedem verbringen.

7 Gedanken zu „Schwiegerfreunde

  1. herrlich. musste gerade schmunzeln und nicken und mehr schmunzeln. die lieben schwiegerfreunde…jaja…ich bin ja irgendwie auch immer ein bißchen überheblich, wenn die neue freundin dem kreise der lieben vorgestellt wird. man ist ja so gern unter sich…

  2. Sehr schön beschrieben und fürwahr ein heikles Thema. Ich erinnere mich, da mal einen Fauxpas mit den Schwiegerfreunden begangen zu haben. Ich kam zu dem Schluß, keinen rechten Draht zu einem zu haben und sagte das später auch, undiplomatisch wie ich bin. Obwohl diese „Drahtlosigkeit“ sehr offensichtlich beidseitig war, ging die Sache aber eher einseitig zu Lasten meines Guthabenkontos. (Man ist in dieser Situation eben doch nur eine Art Satellit, und unter Männern geht es dabei ja auch um Dinge wie Reviergrenzen und Geweihzeigen und Demarkationslinien, das Recht der ersten Nacht mitten in der Nacht auf dem Handy durchzuklingeln und einen Witz zu erzählen usw.)

    Ich habe aber jetzt die Vokabeln „Jaja“ und „Hmhm“ gelernt und bin guter Dinge, bei den nächsten Schwiegerfreunden eine ansehnliche Sozialkarriere zu machen.

  3. REPLY:
    Erstaunlich, dass es lauter Tipps gibt, wie man mit den Eltern des neuen Partners umgeht, aber die Freunde ein nicht gleichermaßen beackertes Territorium darstellen.

  4. REPLY:
    Bisweilen eine etwas anstrengende Sache, die nur dadurch erträglich wird, dass man ja nicht nur selbst Schwiegerfreunde gewinnt, sondern auch die eigenen Freunde den Neuzugang argwöhnisch beschnuppern.

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