Telephon

Eine Technik, sagt man, habe dann gewonnen, wenn sie auch von Leuten verwandt wird, die nichts von Technik verstehen. Die Leute, die so etwas sagen, meinen mich: Ich kann nicht Auto fahren. Ich habe noch nie tapeziert, nie gestrichen, noch nie einen Bohrer in der Hand gehabt, und wenn ich einen Fernseher mein eigen nennen würde: Ich bekäme ihn nicht an.

Zum Problem wird das ganz selten. Mein Fahrrad reparieren die netten Männer von Radkraft um die Ecke zuverlässig, kostengünstig und schnell. Meine Bilder hängt der J. auf. Dass in meinem Bad im rechten Waschbecken seit ganz lange der Stöpsel nicht mehr geht: Was soll’s. Nur mein Telephon, mein Telephon brauche ich wirklich: Ich bin so gut wie nie daheim und wickele mein gesamtes Sozialleben über das Ding ab. Ich habe gar keinen anderen Wecker. Ich habe alle Telephonnumern nur, nur, nur da, und wenn ich an einem Dienstag morgen auf dem Weg ins Büro in meine Tasche greife und mein Telephon ist weg, dann muss ich mich erst einmal setzen. Verdammt, denke ich und trauere meinem sehr alten Sagem hinterher, das nichts konnte, was neue Telephone so können; aber das wenige konnte ich auch.

Am Samstag drauf, so gegen 13.00 Uhr, habe ich dann wieder eine SIM-Karte und ein altes Handy vom geschätzten Gefährten. Die nette Frau, die bei O2 so gegen 14.30 abnimmt, als ich anrufe, aktiviert das Gerät, ich frage alle Leute, die ich kenne, nochmal nach ihrer Nummer, und dann sitze ich auf dem Sofa und drehe das Telephon hin und her. Das Telephon ist von Sony Ericsson. Es heißt K 610i. Es ist silbrig und – hier beginnt das Problem – wesentlich neuer als mein verlorenes, schwarzes, steinaltes Sagem.

Moderne Menschen lachen vermutlich über mich und das neu-alte Sony. „Das läuft ja noch mit Dieselmotor!“, höre ich wirklich zeitgemäße Menschen wiehern. Ich nicke dann traurig und schaue auf den Boden. Mein Sagem, so erinnere ich mich mit Wehmut, fraß sozusagen noch Gras, und neumodische Funktionen wie Ganzworterkennung bei SMS oder sprachgesteuertes Irgendwas oder Bilder verschicken, im Internet surfen oder Musik hören war komplett nicht drin. Mein Sagem war ein kleines, schwarzes, tragbares Telephon und so unsmart wie ich.

Nun gibt es mehrere Möglichkeiten. Ich könnte das Sony solange benutzen, wie es funktioniert, und irgendwann kenne ich K 610i so gut wie das alte Sagem. Dazu habe ich aber keine Lust. Ich will nicht das abgelegte Telephon vom geschätzten Gefährten nutzen. Ich mochte schon als Kind keine abgelegten Kleider. Ich könnte auch versuchen, ein anderes altes Sagem zu finden, aber die gibt es regulär gar nicht mehr zu kaufen. Oder ich hole ganz tief Luft und kaufe mir ein iPhone, denn alle haben iPhones, ich kenne nur noch zwei, drei Leute ohne iPhones, und weil alle iPhones haben, können sie mir alles erklären und es wieder in Ordnung bringen, wenn es nicht geht. Überdies kommt Apple meinen Defiziten entgegen – ich nutze seit Jahren ein kleines, weißes Macbook, das mir freundlich lächelnd verschweigt, was es alles könnte, wenn ich mehr nutzen würde als Firefox und Word.

iPhones aber haben einen Nachteil: Aus irgendwelchen Gründen verkauft O2 keine, die Beschaffung eines vertragslosen Telephons ist kompliziert und funktioniert nur im Ausland, und so rufe ich also am Samstag gegen 15.30 die J. an und schlage einen Termin vor. Die J. sagt sofort zu. Ich kaufe zwei Bahnfahrkarten Berlin-Prag, ich buche ein Hotel, ich denke darüber nach, wie das Café heißt, in dem ich beim letztenmal die perfekte Buchtel gegessen habe, und dann sitze ich auf dem Sofa und schaue mir das iPhone meines geschätzten Gefährten zum ersten Mal genauer an. Es sieht kompliziert aus, finde ich. Es hat ziemlich viele Funktionen.

Es sieht nicht aus wie ein Telephon für Leute, die nichts von Technik verstehen.

24 Gedanken zu „Telephon

  1. Wenn man wirklich nur telefonieren will, dann ist das iPhone schlicht overkill. Ich würde auch von solchen „Dauerbastellösungen“ (im Ausland kaufen und dann mit jedem Softwareupdate neu „hacken“, um es mit artfremden Providern zu nutzen) abraten, aber das ist natürlich Geschmackssache (nur – das ist dann mit Sicherheit nichts für jemanden, der nichts von Technik verstehen möchte…).

  2. Oh je.
    Wenn Sie ein paar Minuten lang Ihre Schamgrenze überschritten und im Mobiltelefonladen nach einem Modell für Alte (heißen bei Verkaufsleuten „Senioren“) fragten? Ich habe mir sagen lassen, dass der eine oder andere Hersteller für die ganz alten Geräte anbietet, die sehr übersichtlich und einfach sind, auf wenige Funktionen reduziert. Elegantes Aussehen dürfen Sie dann allerdings nicht erwarten.

  3. Mein HTT hat auch so ein altes Teil, und kann und will sich nicht davon trennen, weil er sich mit dem Neuen nicht auseinandersetzen will. Sie sind also nicht allein mit diesem Dilemma.

  4. sie haben mein vollstes verständnis –

    wenn ich (so ca alle 7 bis 10 jahre) ein neues handy brauche, verlange ich grundsätzlich eines, das gar nichts kann. bis jetzt ging´s damit so halbwegs, nur leider entlädt sich mein derzeitiges schon ein wenig rascher als es sollte …

  5. Das Schlimme an iphones ist, daß man damit alles außer telefonieren kann – die Dinger sind so leise, daß man niemand versteht, der dort reinspricht. Es sei denn, die sind alle so ehrfürchtig und wollen das Display nicht verschmaddern und sprechen aus Entfernung rein.

  6. Rufen Sie mal bei Ihrem Anbieter (ist auch meiner) an und deuten eine Kündigung an (Vertragslaufzeit ist völlig unerheblich). Sie werden erstaunliche Dinge erfahren.

    Freundliche Grüße,

    Montez

  7. Ich besitze ja nur ein oft verlachtes Billig-Mobiltelefon. Reicht für mich völlig, da ich keine MMS versende. SMS aber mag ich und würde gerne mehr von diesen Nachrichten speichern können. (Und eins muß ich zugeben, seit ich das mal in einem Urlaub erlebt habe: Von unterwegs kurz eMails abfragen zu können, ist eine feine Sache. Aber dann ist man wieder drin im Geräte- und Tarifedschungel.)

  8. kürzlich war bei spon ein artikel über die drei besten aktuellen handies – darunter ein billig-handy, das nicht viel mehr kann als telefonieren, und das man aus diesem grund auch ruhig am strand auf dem badelaken liegen lassen kann.

    iphone-technisch habe ich die gleiche erfahrung gemacht wie herr strike und mich stattdessen für das n97 von nokia entschieden -wegen der ausfahrbaren qwert-tastatur, das wird Ihnen auch schon zu viel schnickschnack sein, aber ich bin mehr als zufrieden, und das obwohl ich sehr an sony ericsson gewöhnt war.

    persönlich verstehe ich den iphone hype überhaupt nicht. autokäufer geraten doch auch nicht plötzlich über den golf aus dem häuschen.

    http://www.spiegel.de/netzwelt/gadgets/0,1518,669192,00.html

  9. Leider machte irgendwann der Akku meines treuen Siemens S 35 schlapp, sonst würde ich das heute noch benutzen – egal, wie uncool und vorgestrig dieser Bakelitknochen auf die In-Crowds des binären Böhmentums wirken mag. Nun trage ich seitdem ein altes Sony-Ericcson meiner Frau auf (auch so ein silbriges 600- oder 700-er wasweißich). Durch die überschaubaren Mühen der Umstellung, dass en paar Menüpunkte und Tastenbelegungen anders funktionieren, habe ich mich zähneknirschend durchgebissen und meinen Frieden damit gemacht. Dem Ansinnen meiner Frau, mir zu Weihnachten ein iPhone zu schenken, konnte ich gottlob noch rechtzeitig entgegentreten.

    Ein schönes Spielzeug ist das aber schon, und die Bedienung scheint keine Raketenwissenschaft zu sein. Also wenn Sie sie mit dem Sony Ericsson dauerhaft nicht anfreunden können, geben Sie sich nen Ruck.

  10. REPLY:
    Meine zwei vorigen Mobiltelefone von Motorola musste ich auch irgendwann wegen des zu schlappen Akkus aufgeben, weil es auch keine neuen Akkus mehr dafür zu kaufen gab. Für mein jetztiges Motorala-Telefon habe ich mir deshalb schon beizeiten einen Ersatzakku zugelegt.

  11. REPLY:
    In der Tat ist die letzte Idee im Augenblick Gegenstand mannigfaltiger Forschung, an der unter anderem der energist arbeitet. Bis man das Ergebnis allerdings in den Händen halten kann wird noch einige Zeit und der ein oder andere Akku in’s Land gehen fürchte ich.

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