Anubis

Die Katze ist tot und liegt in der Küche. Schluchzend laufe ich ein paarmal quer durch die Wohnung, gebe bei Google „Katze reanimieren“ ein, und stochere im Hals der Katze erfolglos nach vielleicht Verschlucktem. Dann rufe ich beim Tierarzt an.

Der Tierarzt kommt zwanzig Minuten später. Er scheint schon geschlafen zu haben in einem ausgeblichenen Logoshirt, statt Kontaktlinsen trägt er Brille, aber auch wenn er noch schneller gekommen wäre, wäre die Katze wohl auch nicht wieder aufgestanden. „Soll ich sie mitnehmen?“, fragt der Tierarzt nach diesem Befund. Ich nicke. In einem braunen Karton verschwindet meine schwarze, zutrauliche, fröhliche Katze. Maunzend und knurrend läuft der Kater durch die Wohnung und schnuppert ihr nach.

Die Katze werde verbrannt, sagt mir der Tierarzt schon halb aus der Tür. Man werde sich bei mir melden. „Ist gut.“, stimme ich allem zu, weil das in einer großen Stadt wohl so ist, wenn man keinen Garten hat, in dem man seine Haustiere einfach vergräbt und dann einen großen Rhododendron pflanzt.

Ein paar Tage passiert erst einmal gar nichts. Dann klingelt das Telephon. Ich verstehe erst gar nicht, wer mich anrufen will, ich glaube an eine Telephonwerbeaktion, nein, wissen Sie, ich bin gerade im Büro …., aber dann fällt der Groschen doch. Es ist die Tierbestattung. Die Tierbestattung Anubis aus Pankow. Ich atme tief durch.

Wo sie die Asche hinbringen sollen, will die Tierbestattung wissen, und ich fange an zu stottern. Vor meiner Tür drücken sich Kollegen herum, die irgendwas besprechen wollen, E-Mails rattern in meinen Outlook-Account, mein Bürotelephon klingelt, und ich sage schnell irgendetwas Dämliches wie „weiß nicht, was meinen sie, für mich ist das jetzt auch eher so zweitrangig … ich hab‘ nicht so eine Gedächtniskultur.“ – Die Tierbestattung schweigt einen Moment beleidigt. Ich komme mir geizig vor, geizig und pietätlos, und das ist vermutlich auch Sinn und Zweck des Schweigens des Bestatters.

Ich könne eine Urne nehmen, sagt mir die Tierbestattung unbeeindruckt von meiner Abwehr. Ich lehne ab. Ich könnte die Katze auch auf einem Tierfriedhof bestatten lassen, beharrt man weiter. Ich lehne auch ab. Man werde die Asche zum Tierarzt bringen, schließt schließlich das Gespräch, bevor ich sagen kann, sie mögen die Asche einfach behalten.

Am vergangenen Samstag gehe ich dann zum Tierarzt. Schon in der Tür kommt mir die Tierarzthelferin entgegen und drückt mir die Hand. Dabei zieht sie die ganz dünn gezupften Augenbrauen tief nach unten. Der Verlust. Trauer. Darüber Hinwegkommen. Und der Kater? – Ich vermeide jeden Blickwechsel mit dem J., um nicht laut zu lachen.

Schließlich übergibt mit die Tierarzthelferin einen braunen Briefumschlag und eine Urkunde. Auf der Urkunde steht mein Name, falsch geschrieben allerdings, der Name meiner Katze und die Bestätigung, dass die mir ausgehändigte Asche auch wirklich die Asche meiner Katze und nicht die irgendeines ganz beliebeiegen und fremden Tieres sei. Leicht belämmert (wohin nun mit dem Zeug?) gehen wir heim.

Am Sonntag ist der Schlachtensee dermaßen voll, dass sich das Asche Verstreuen mehr oder weniger von selbst verbietet. Unter der Woche bin ich zu beschäftigt, um mich mit der Katze zu beschäftigen. Heute habe ich auch keine Zeit gehabt, die Katze irgendwo zu entsorgen, aber morgen, morgen fahre ich irgendwohin. Fragt sich nur, wo.

12 Gedanken zu „Anubis

  1. ich erinnere mich im zusammenhang mit einer urne an eine furchtbar lustige szene mit robert de niro. da stand irgendeine urne auf dem kamin und kam in bewegung.

    ich finde wenn man den nicht hat ist jeder andere ort der wohnung willkommen, sofern man keinen garten hat (je skuriler desto schöner). unsere familie ist profi in kleintier gartenbestattung. am liebsten würde ich das mit der familie selbst auch so machen. wie in diesen western, wo man aus dem fenster schaut und alle lieben am horizont unter einem baum vereint sind …

  2. REPLY:
    Ich bin sehr froh, dass die Sache mit den Bäumen nicht verbreiteter ist. Ich verlasse selten den S-Bahnring, aber wenn dieses Ritual öfter praktiziert würde, würde ich von diesen Ausflügen komplett absehen.

  3. Kurz habe ich überlegt, jetzt mal so für die nächsten – man soll nicht übertreiben – sagen wir, drei Jahre nicht mit Ihnen zu reden, weil Sie nicht gleich an mich gedacht haben. Da hätte man doch ein schönes Wikingerbegräbnis an der Elbe machen können, ich glaube, die fließt bis nach Ägypten. Mit Musik und Thomas Grays Ode on the Death of a Favourite Cat.

  4. Man neigt in solchen Instituten, auch wenn sie andere Namen tragen, offensichtlich dazu, Namen falsch zu schreiben. Mensch, Tier – Chance 50-50.
    Allerdings hatte ich da tatsächlich in Auftrag gegeben. Ohne den ganzen Schnickschnack wohl, aber mit Übergabe und Versteuung meinerseits weit weg.

    Manchmal scheint es gut zu sein, dass ich nicht im Schlachtensee schwimme. Wenn einen nicht der Wels holt, dann vielleicht andere Tiere. Mikrobische oder eingeäscherte. 😉

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