Der Keller der toten Tante

„Ja, hi!“, beende ich das Telephonklingeln und winke durch die Glastür meines Büros den Kollegen zu, die nach Hause gehen. Mit der linken Hand fahre auch ich den Rechner herunter. Morgen ist Feiertag. Erst Freitag muss ich wieder ins Büro.

Mein Telefonat rauscht und knackt entsetzlich. Am anderen Ende der Verbindung spricht der T., er ist irgendwo in Kärnten und sitzt, wie er sagt, auf der Schaukel im Garten seiner Tante M., die diese ihm circa 1976 an einen Baum gehängt und dann einfach nie mehr entfernt hatte. Ein wenig zugewuchert sei der Garten, erfahre ich, denn während der Krankheit der Tante M. habe den Garten niemand mehr gepflegt. Die Vegetation sei fast ein bißchen erschreckend.

„Was machst du da?“, frage ich nach und bücke mich halb unter den Tisch, um den Rechner auszuschalten. Es geht um eine Haushaltsauflösung, wie ich höre, denn die Tante M. sei kürzlich gestorben, und nun sollen der T. und seine beiden Vettern aus dem Haus mitnehmen, was ihnen gefällt. Den Rest hole dann einer ab.

„Und?“, frage ich und versuche, mit dem Telephon am Ohr meine Tasche wieder einzupacken, aus der ich im Laufe eines Tages alles herausreiße, was ich gerade brauche. Mein Schlüssel liegt unter einem Stapel Aufsätze. Mein Portemonnaie auf dem ersten Band des Landmann/Rohmer, und mein Handy suche ich ein bißchen, bis mir einfällt, dass ich gerade telephoniere.

„Starkes Stück …“, meint der T. und verstummt kurz ob des dramatischen Effekts. Das übliche Einerlei von Porzellan und Leinen gebe es halt, sagt er abschätzig und fragt, ob ich noch etwas brauche. Wir brauchen aber alle nichts, das weiß der T. genau, weil jeder mitteleuropäische Mensch unter 40 vier bis fünf Erbschaften macht, bei denen er genug Leinen erbt, um sein Haus damit zu verhüllen, und ausreichend Porzellan, um mehr Gäste zu bewirten als er Leute kennt. Ein paar Bilder habe es auch noch gehabt, das übliche an Seestücken, Jagdszenen und ein paar hässliche Figurinen. Was aber die Erbschaft der Tante M. zu etwas ganz Besonderem mache, sei ihr Keller.

„Habt’s ihr ein Verließ mit wem drin gefunden?“, frage ich nach, denn wie die Welt weiß, pflegt man in der österreichischen Provinz derweilen ab und zu zu tun. Zwar hat man bisher noch nichts von weiblichen Tätern gehört, aber Frauen schließen schließlich in allen Lebensbereichen auf und sperren bestimmt schon ganz bald kleine Buben in ihre Keller.

„Naaa.“, verneint der T. abfällig. Mit Schränken voll gewesen sei der Keller der Tante M. Nicht mit Gefangenen. Mehr als zehn Schränke hätte sie gehabt, alle randvoll mit Kleidung, aber nicht mit normaler Kleidung, sondern

(kurz denke ich an schwarze Latexanzüge)

mit Uniformen drin, mit nichts als Uniformen, Husaren und Matrosen, einfache Infanterie und knallbunte Kavallerie, Deutsche und Österreicher und Russen sogar, Gardeuniformen und Bundeswehruniformen, sogar ein Feuerwehrmann sei dabei gewesen, zwei Pickelhauben, ein Polizist ebenfalls, und sorgfältig verpackt in ganz vielen Kartons Polaroids der Tante, die die Uniformen trägt, erst jünger, dann älter, und am Ende schon recht traurig und gebeugt.

„Oha!“, sage ich, „Ein bißchen ungewönlich, die alte Dame.“, und laufe mit dem Telephon am Ohr zu den Fahrstühlen. „Und was machst du jetzt mit den Uniformen?“, frage ich auf dem Weg zum Fahrradständer und grabe nach meinem Schlüssel.

„Na, mir passen sie ja eh nicht.“, höre ich noch, und dann ist die Verbindung endgültig weg.

6 Gedanken zu „Der Keller der toten Tante

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