Schönen Tag

„Oha.“, sage ich und schüttele den Kopf. Die ausgestreckte Hand mit dem Zettel bleibt in der Luft stehen. „Vermieterterror stoppen! Wir bleiben alle!“, steht auf dem Flugblatt, das offenbar die Thesen von Menschen verbreitet, die etwas gegen die marktwirtschaftlichen Gesetze der Preisbildung bei Wohnungen haben.

Den Jungen mit den Flugblättern schaue ich flüchtig an. 19 oder 20 wird er sein, vermutlich Student, schwarzgefärbte Haare und schlechte Haut, schöne Augen, aber die Hände könnten gepflegter sein und das T-Shirt nicht ganz so verwaschen.

Schnell gehe ich weiter. Ich missbillige solche Bestrebungen, wie sie der Junge vertritt. Ich habe mich sehr wenig mit diesen Dingen beschäftigt, weil ich mich für Politik nur eingeschränkt interessiere, aber ich argwöhne, dass sich der Missmut solcher Leute irgendwie auch gegen mich richtet, denn wenn man möchte, dass keine Alteingesessenen durch Zugezogene verdrängt werden, dann meint man vermutlich, dass in meiner Altbauwohnung im Bötzowkiez nicht der J. und ich wohnen sollen, sondern die Ostberliner, die hier früher irgendwann mal gewohnt haben, und die ich gar nicht kenne. Das wiederum würde bedeuten, dass ich ja irgendwo anders wohnen müsste, dabei gefällt es mir da, wo ich bin, extrem gut. Auch abseits meiner persönlichen Abneigung, den Prenzlauer Berg wieder zu verlassen, ist mir ziemlich schleierhaft, wieso es ein Recht auf Fortsetzung von Mietverträgen zu trotz Sanierung unveränderten Konditionen geben soll, nur weil jemand immer schon da war. Dass etwas schon immer so war, ist kein überzeugendes Argument dafür, dass es sich auch künftig nicht ändern solle.

Mit den Tiraden von Leuten, die aus kulturellen Differenzen moralische Überlegenheiten ableiten, beschäftige ich mich schon aus Prinzip nicht. Das ist mir zu gehässig. Ich habe registriert, dass die Gehässigkeit eher auf Seiten der sogenannten Gentrifzierungsgegner zu liegen scheint, jedenfalls habe ich umgekehrt noch keinen Schwaben anti-ostdeutsche Parolen dreschen hören, aber ansonsten finden diese Debatten weit weg von mir statt, die ich im Übrigen auch überhaupt keine Leute kenne, die so aufgeregt-unschöne Worte wie „Vermieterterror“ benutzen.

„Schade. Schönen Tag noch!“, grüßt der Junge mich auch ohne Flugblatt freundlich und wartet auf den nächsten Passanten. „Man kann doch nicht mit 20 schon dafür sein, dass sich nie etwas ändert.“, liegt es mir auf der Zunge, aber dann sage ich nichts. „Viel Spaß und viel Veränderung.“, würde ich ihm fürs Leben wünschen, aber das würde er nicht verstehen. So sage ich gar nichts. Außer: „Schönen Tag.“

27 Gedanken zu „Schönen Tag

  1. Veränderung ist aber kein Wert an sich, sondern nur der Weg. Veränderung zieht zwingend die Frage „zu welchem Ende?“ nach sich. Nicht alle verfügen über die gleichen Möglichkeiten. Alle aber verfügen über ihr Recht auf Stadt.

    (Ich will hier kein Faß aufmachen, aber eine sozial ausgewogene Stadtentwicklung betrifft uns alle. Einkommensgeschichtete Ghettos kann sich niemand wünschen wollen, diese Spannungen bekommt eine Stadt nicht mehr in den Griff. Selbst in Hamburg scheint man das langsam zu erkennen und versucht dies neuerdings z.B. über die Bau- und Nutzungsordnung zaghaft zu regulieren.)

  2. Naja, was Herr Kid sagt. Es scheint sich in Berlin tatsächlich eine Ghettoisierung abzuzeichnen – das hat bei weitem nichts mit ostdeutschen Gelüsten zu tun. Wie kommen sie darauf? Das ist eine ganz andere Geschichte und zwar die von einkommensschwachen Menschen (derzeit auch ich) und denen die viel verdienen. Ich habe noch einiges an Spielraum, was zum Beispiel Hartz IV betrifft, wohne aber Lagenmäßig gesehen recht super, bzw. es gibt Abzüge in der B-Note – Lärm und ein zwei andere Dinge. Und im Prinzip darf ich nicht mal diesen Kommentar schreiben und sagen, dass ich eben in günstiger Lage wohne – ich sage also nicht wo. Das ist doch in den letzten Jahren passiert, dass sich ein paar Dinge als in und hipp herausgeschleift haben und deswegen die Mieten in diesen Gegenden enorm gestiegen sind. Ich möchte sie da unbedingt heraus nehmen, aber es gibt dann eben auch (jetzt ist ja immer noch nicht so extrem) Gegenden, wo sich Menschen absichtlich von anderen Menschen werden abgrenzen wollen. Und es geht auch nicht darum ob man halt lieber bestimmte stille Cafés bevorzugt als laute Prollkneipen, Sondern ein gesamtgesellschaftliches Abgrenzungsverhalten, welches Vorschub für Vorurteile leistet. Eine offene Stadt ist schöner als eine eingezäunte, insofern gebe ich dem jungen Mann recht.

  3. REPLY:

    Sicher, es gibt auch negative Veränderungen. Darum geht es mir aber nicht. Ich habe mich zum einen über das Strukturkonservative gewundert, das meint, es sei eine ausreichende Begründung für einen Anspruch auf Fortsetzung von Mietverhältnissen, dass sie schon sehr lange bestehen. Zum anderen habe ich mich ein wenig geärgert, dass mein Recht, hier zu leben, in den Augen dieser Leute offenbar weniger schwer wiegt, weil ich nicht hier geboren, sondern vor zehn Jahrne zugezogen bin. Zum dritten fand ich die Parolen wehleidig. Mein Gott, ich jammere doch auch nicht, dass ich mir keine Villa am Wannsee kaufen kann, und woanders ist es auch schön.

  4. REPLY:

    Mir geht es um Gottes Willen nicht um Abgrenzung. Mir ist die Idee nur unsympathisch, bei der Verteilung eines knappen Gutes (=Wohnungen im Prenzlberg) als Verteilungskriterium auf die Frage abzustellen, wie lange jemand hier schon lebt. Das erscheint mir weder gerecht noch sachgerecht. Ich sehe die Auswirkungen der Mieterhöhungen auch und bin da ein wenig hin- und hergerissen. Zum einen gefällt mir, wenn ich ehrlich bin, die Entwicklung von Einzelhandel und Gastronomie, ich nutze sie auch. Zum anderen ist mir die Ausschlussfunktion aber auch klar und ein wenig unbehaglich. Ich habe hierfür letztlich keine Lösung, denke aber, dass die Lösung nicht sein kann, dass man einen vergangenn Zustand künstlich konserviert.

  5. Nunja, Gentrifizierungskritik ist ja, das schrieben die Vorredner auch schon, ein wenig mehr als eine dummdoof gegrölte Parole „Schwaben raus aus dem Prenzlauer Berg“. Aber solche Thesen wurden Ihnen doch gerade gar nicht um die Ohren gehauen, oder verstehe ich da etwas falsch? Der junge Mann war, das schreiben Sie am Ende selbst, freundlich. Was an dem Begriff „Vermieterterror“ so schlimm sein soll, erschließt sich mir auch nicht auf den ersten Blick. Am Ende bleibt, dass Ihnen der Gentrifizierungsgegner optisch nicht zusagte, „schwarzgefärbte Haare und schlechte Haut, schöne Augen, aber die Hände könnten gepflegter sein und das T-Shirt nicht ganz so verwaschen“ – aber das kann doch nicht die Basis einer politischen Entscheidung sein?

  6. Stellen Sie sich vor, Sie leben schon dreißig Jahre oder länger in einer von Ihnen sehr geschätzten Mietwohnung. Das Haus wird verkauft und generalsaniert, jedoch die Miete nicht entsprechend angepasst (eine leistbare Erhöhung wäre nicht zuletzt aufgrund der gebildeten sanierungsgebundenen Rücklagen durchaus machbar), sondern in utopische, für Sie nicht mehr leistbare Höhen hinaufgeschraubt, weil der neue Hauseigentümer darauf erpicht ist, neue, wesentlich finanzkräftigere Mieter zu bekommen. Entweder Sie zahlen, oder Sie räumen das Feld. Nach dreißig Jahren in Ihrem Umfeld mit all seiner Infrastruktur, nach dreißig Jahren, in denen sich soziale Kontakte dort ergeben haben. Und wenn Sie Pech haben, bekommen Sie nicht zwei Straßen weiter eine adäquate neue Unterkunft, sondern müssen aus dem ganzen Grätzl weg, weil sich dort gerade jede Menge Spekulanten eine goldene Nase zu verdienen hoffen.

    Es geht meines Erachtens nicht um krampfhaftes Beharren auf Althergebrachtem, es geht darum, der üblen Goldgräbermentalität vieler Investoren etwas entgegenzusetzen.

    PS: Natürlich kann es vorkommen, dass Sie beabsichtigen, zu bleiben, weil Ihr Mietvertrag nicht ohne weiteres kündbar ist. Der neue Besitzer denkt allerdings nicht daran, sich mit Ihrer in seinen Augen geringen Miete abzugeben; in diesem Fall tritt dann oft das ein, was als „Vermieterterror“ bezeichnet wird …

  7. REPLY:

    Nein, darum geht es nicht. Mir gefällt es zunächst nicht, wenn mein Recht, hier zu leben, als weniger wertvoll angesehen wird als das konkurrierende Recht anderer Leute. Manchmal lese ich da Diffamierungen, in denen ich mich nicht wiederfinde. Wenn es etwa heißt, der Prenzlauer Berg werde „seiner Seele beraubt“, dann sehen diese Leute mich offenbar als weniger wertvoll für den Prenzlauer Berg an. Das empfinde ich als unberechtigt und ziemlich dreist.

    Was den „Vermieterterror“ angeht, so mag ich diese schrille Wortwahl nicht. Ich halte es für ein berechtigtes Anliegen, für Eigentum an Wohnraum im Rahmen der geltenden, eher mieterfreundlichen Gesetze eine angemessene Eigenkapitalverzinsung zu erzielen. Das finde ich nicht nicht terroristisch. Wenn einzelne Vermieter zu Schikanen greifen, um Mieter loszuwerden, dann dürfte das oft rechtswidrig sein. In diesen Fällen ist der Mieter aber nicht wehrlos, sondern kann gerichtliche Hilfe suchen.

  8. REPLY:

    Okay, aber wo bleibt da mein Interesse, in eine Gegend zu ziehen, die mir gefällt? Hier gibt es ja nicht nur ein Nutzungsinteresse, sondern mehrere, die miteinander konkurrieren. Soll jetzt mein Wunsch, im Prenzlauer Berg zu wohnen, stets hinter dem anderer Leute zurückstehen, hier zu bleiben? Muss also ein Vermieter, der einen Mietinteressenten für eien Wohnung hat, diesen zurückweisen, wenn der (u. U. nicht zahlungskräftige) Altmieter nicht ausziehen will? Das leuchtet mir nicht ein.

  9. Seit der Einführung des Energiepasses gab es eine Welle von Sanierungen in Altbauwohnungen, die sich, obwohl die Vermieter stark subventioniert werden und trotz der sinkenden Energienebenkosten, sehr negativ auf den Mietpreis niedergeschlagen haben. In vielen deutschen Städten, insbesondere auch in kleineren, werden die Studenten und Auszubildenen derzeit aus dem Zentrum raus in die Vororte vertrieben, was sich durchaus negativ auf den (Uni-)Alltag auswirkt. Vielleicht lässt sich das auch auf Berlin übertragen und es geht gar nicht um Alteingesessene und besonders angesagte Stadtviertel. Sollte der junge Mann aus diesen Gründen protestieren, wäre es wohl sinnvoller eine stärkere Orientierung des BAföG am Mietspiegel der Ausbildungsstadt oder eine verstärkte campusnahe Wohnraumschaffung zu fordern, statt von Vermieterterror zu sprechen. (Wenn man den Kommentar jetzt umdreht, klingt es so, als wäre es Berufstätigen eher zuzumuten, täglich von Oranienburg oder Strausberg nach Mitte zu pendeln. Das ist natürlich auch nicht der Fall.)

  10. REPLY:

    …wo bleibt da mein Interesse, in eine Gegend zu ziehen, die mir gefällt?

    Solche individuellen Interessen sind aber nur dann kein Problem, solange es ausgewogene soziale Verhältnisse gibt. Eine so dicht verwebte soziale Gemeinschaft wie in Großstädten muß sich aber fragen, was an Veränderung insgesamt wünschenswert ist und wie sie auf den Konflikt aus Gemeinwohl und Einzelinteressen reagiert. Sonst zahlen Sie neben der höheren Miete als „Nebenkosten“ irgendwann auch mit höheren sozialen Spannungen. Hier in Hamburg brennen die Autos.

  11. REPLY:

    In Berlin auch. Lese ich zumindest fast jeden Tag in der Zeitung.

    Nachtrag: In der Zeitung von heute steht, dass in der Nacht zum Dienstag wieder 13 Autos brannten, darunter auch welche im Prenzlauer Berg.

  12. REPLY:

    Sie finden sich nicht wieder!?

    Sie nehmen das offenbar viel zu persönlich. Die Aufgabe der Gentrifizierungskritik ist es nicht, Ihr Selbstbild angemessen zu spiegeln, sondern Entwicklungen zu kritisieren. Und es kann gut sein, dass die Entwicklung Ihr Mittelschichtsdenken irgendwann überholt, wenn Investoren ins Viertel kommen, die viel mehr wollen als das, was Sie den Eigentümern nach Ihren subjektiven Maßstäben derzeit zugestehen. Investoren interessieren sich nämlich noch viel weniger für Sie als der junge Mann mit dem Flyer. Vielleicht verteilen Sie dann selbst Flyer.

  13. REPLY:

    Das ist schwieriges Thema. Ich möchte soziale Probleme in Berlin gar nicht leugnen, natürlich ist es für jemanden, der seine Miete nicht mehr bezahlen kann, auch mit Unbequemlichkeiten verbunden, umzuziehen, aber ich halte es für problematisch, kriminelle Akte wie das Inbrandsetzen von Autos als logische Folge von Veränderungen des Wohnumfelds anzusehen. Das wird aus meiner Sicht dem Unwertcharakter solcher Akte nicht gerecht.

  14. REPLY:

    Das ist ja gerade das Problem – es gibt eine bestimmte Anzahl von Wohnungen, die nicht für alle Interessenten ausreicht. Es werden also nicht alle, die hier wohnen wollen, zum Zug kommen. Das wirft die Frage auf, nach welchen Kriterien die Wohnungen verteilt werden. Derzeit entscheidet der Markt, abgemildert durch das verhältnismäßig mieterfreundliche Mietrecht. Die Gentrifizierungsgegner möchten nun offenbar, dass statt dessen maßgeblich sein soll, wie lange jemand schon in einem bestimmten Bezirk ansässig ist.

    Mir ist das unsympathisch. Ich halte Dauerhaftigkeit eines Zustandes nicht für ein valides Argument. Ich wähle ja auch nicht Frau Merkel, weil sie schon so lange Bundeskanzlerin ist. Ich sehe die Probleme, die marktwirtschaftliche Entscheidungsmechanismen mit sich bringen, halte diese aber für geringere Übel – gerade in Zusammenspiel mit dem in Deutschland ausgeprägten Mieterschutz – gegenüber dem aus meiner Sicht sachfremden Kriterium, ob jemand nun fünf Jahre oder 15 Jahre irgendwo wohnt.

  15. REPLY:

    In Anbetracht der Tatsache, dass in Berlin auch häufiger Mittelklasse- und Kleinwagen abgefackelt werden, drängt sich mir eher den Eindruck auf, dass die Gentrifizierung als Rechtfertigung zum Zündeln herhalten muss. Aber das ist jetzt nicht der Punkt und es geht auch gar nicht darum, dass nur die im Prenzlauer Berg und in Mitte wohnen sollen, die schon immer dort gewohnt haben. Sondern darum, dass auch solche Leute dort wohnen, die nicht so viel haben oder verdienen wie Sie. Studis, Rentner und Erwerbstätige, die eben keine gutbezahlten Jobs in Anwaltskanzleien haben. Soll vorkommen.

    natürlich ist es für jemanden, der seine Miete nicht mehr bezahlen kann, auch mit Unbequemlichkeiten verbunden, umzuziehen

    Es geht hier nicht bloß um ein paar „Unbequemlichkeiten“, sondern auch um das gesellschaftliche Miteinander. Wo sollen die denn alle hin? Nach Marzahn etwa? Schöne Ghettobildung wäre das. Mal abgesehen davon, dass die auch nicht alle stundenlang vom Stadtrand zur Arbeit oder an die Uni gondeln wollen oder können.

  16. REPLY:

    Ehrlich gesagt sehe ich das Problem noch nicht ganz. Laut den verlinkten Artikeln sind die fraglichen Viertel „hip“ geworden, als eine zwar arme, aber szene- und partyaffine Mixtur aus Studenten, Künstlern etc. hinzog. Nun wird es denen zu teuer und sie ziehen wieder weg. Damit erledigt sich doch das Problem über kurz oder lang von selbst.

    Ich habe ein wenig das Gefühl, speziell in Berlin ist das Problem weniger die tatsächliche Höhe der Mieten sondern eher, daß „die Schwaben“/Bonzen sich gefühlt gewaltsam in die Rückzugsräume der Sub- und alternativen Kulturen drängeln. Zumindest liefen alle Diskussionen, die ich dazu mit Berlinern führte, letztlich darauf hinaus. Ich lasse mich aber gerne eines besseren belehren.

    In den Artikeln findet sich nur der Wert von 4 €/m² als derzeitiger Stand. Laut Mietspiegel liegen Neuverträge in Prenzlauer Berg im Schnitt bei 8–9 €. Vergleicht man das mit anderen Städten, sehe ich nun wirklich noch keinen Grund zum Jammern.

  17. REPLY:

    Energist, das ist meines Erachtens nach eine falsche Einschätzung der Lage. Über kurz oder lang kann man immer den Markt entscheiden lassen. Die Studenten, Künstler und etc. von damals sind doch zum Großteil schon lange nicht mehr dort. Viele sind freiwillig weggezogen. Dieses – gefühlt und gewaltsam eingedrungen in etwas, was einfach keinen Bestand mehr hatte, ist eine Diskussion von vor zehn Jahren. Der Prenzlauer Berg hat eine sehr eigentümliche Geschichte und in gewisserWeise gilt es auch sie zu bewahren. Die heftigen Streitigkeiten entstehen derzeit, wie Frau Modeste schon merhfach gesagt hat, deswegen, weil die Wohnungen dort ein knappes Gut sind. Politisch müsste man sagen, dass ältere Menschen und Familien das Recht haben müssten, dort wohnen zu bleiben. Einfach aus Zumutbarkeistgründen.

    Und, wir Berliner jammern eben gerne, bevor es richtig knallt. Vielleicht hilft das auch, die Stadt immer wieder über längere oder kürzere Strecken in Balance zu halten. Weil, einfach ist das nicht. Und so ein Neuvertrag im Prenzlauer Berg lässt eben keinen Rentner, Studi, jemanden mit wenig Einkommen oder gar auf Hartz IV zuziehen.

  18. REPLY:

    @ energist: Im Vergleich zu westdeutschen Städten wie München, Hamburg, Düsseldorf oder im Rhein-Main-Gebiet wirkt das natürlich harmlos. Allerdings ist Berlin auch Hauptstadt der Armut. 2006 lag der Anteil der Haushalte mit einem monatlichen Nettoeinkommen bis 900 Euro bei 20,7 Prozent und der Anteil der Haushalte mit einem monatlichen Nettoeinkommen von 900 bis 1.500 Euro bei 30,1 Prozent (Quelle). Daran hat sich seither nicht viel geändert. Laut einer Studie der GfK GeoMarketing aus dem Jahr 2008 musste die Hälfte der Berliner Haushalte mit einem monatlichen Nettoeinkommen von bis zu 2.000 Euro auskommen. Zum Vergleich: „In Düsseldorf macht diese Gruppe nur 37 Prozent der Haushalte aus, in Köln 44 Prozent, in München gerade mal 28 Prozent.“ (Quelle). Das mittlere Haushaltseinkommen lag in jenem Jahr in Berlin bei 1.525 Euro (Quelle). Im Jahr 2010 war jeder siebte Berliner von Armut bedroht, weil er ein Einkommen von weniger als 742 Euro hatte (Quelle).

  19. Das Problem ist ja nicht nur, ob Alteingesessene in Prenzlauer Berg wohnenbleiben können, sondern auch, daß es inzwischen für normalverdienende Familien in den Berliner Innenstadtbezirken richtig schwierig geworden ist, angemessenen Wohnraum zu finden. Auch wenn man sich die Wohnung leisten kann, ist auf Grund der Bewerberzahl die Chance, sie überhaupt zu bekommen oft nicht besonders groß, wenn die Mitbewerber um die Vierzimmerwohnung kinderlose Doppelverdiener sind.

    Für diejenigen, deren Einkommen darunterliegt (und davon gibt es in Berlin wie gesagt viele), kommen einige Entwicklungen der letzten Jahre hinzu, die die Lage verschärfen: der Komplettausstieg des Landes aus der sozialen Wohnungsbauförderung 2009, die Anhebung der Einkommensgrenzen für den Wohnberechtigungsschein (und damit die Verschärfung der Konkurrenz um die knappen Sozialwohnungen) und die jahrelange Nichtanpassung der ALG-II-Sätze für Mieten an den Markt, die dazu führt, daß jemand, der in Hartz IV hineinrutscht heutzutage in der Innenstadt nichts mehr findet (noch Ausnahme: Wedding) und nach einem halben Jahr nach Marzahn oder Reinickendorf ziehen muß.

    So sehr ich Ihren Wunsch verstehe, dort zu wohnen, wo es schön ist: eine Familie zum Umzug in eine andere Umgebung zu zwingen hat gravierendere Auswirkungen als die Nichterfüllung dieses Wunsches.

  20. REPLY:

    Das sind natürlich alles ernsthafte Probleme, und ich kann die Familien verstehen, die nicht glücklich sind, wenn sie keine Wohnung am Prenzlberg finden oder umziehen müssen. Sicher verstehen Sie aber auch, dass ich nicht glücklich wäre, wenn ich aus lauter Rücksicht auf andere Leute in Marzahn oder Reinickendorf wohnen müsste.

  21. REPLY:

    Das verstehe ich. Aber hat denn jemand verlangt, daß Sie aus Rücksicht umziehen sollen? Es geht doch eher darum, daß auf politischer Ebene etwas für die angestammte Bevölkerung getan werden sollte.

    Jemand, der hinzuzieht (das betrifft Sie ja nun gar nicht, die sie schon zehn Jahre da wohnen, aber das ist die Richtung, in die Kritik an der Aufwertung geht), hat „nur“ das Problem, ein schönes Viertel zu finden. Jemand der wegziehen muß, hat zusätzlich noch das Problem, neue Schulen/Kindergärten zu finden, die Kinder müssen sich umgewöhnen/Trennungen von Freunden hinnehmen, die Eltern womöglich erheblich längere Arbeitswege in Kauf nehmen etc.

    Verstehen Sie nicht, daß das gravierendere Probleme sind und daß deswegen die Forderung an die Politik, etwas für die vorhandene Bevölkerung zu tun, ihre Berechtigung haben könnte?

    Hinzu kommen die Probleme, die entstehen, wenn die Bevölkerung — so wie in Prenzlauer Berg, Mitte und Teilen Friedrichshains nach der Wende geschehen, komplett ausgetauscht wird (die Auswirkungen der sehr homogenen Altersstruktur wird man vermutlich erst in 30-40 Jahren bewundern können).

    Dumm ist es nur, wenn sich diese berechtigte Forderung anstatt an die Politik an die Zugezogenen richtet. Die können nämlich auch nichts dafür und verhalten sich nur marktkonform.

  22. REPLY:

    Als gravierendes Problem sehe ich die Knappheit des verfügbaren Wohnraums natürlich auch an. Das kann man ja kaum anders beurteilen. Den nächsten Schritt, diese Analyse mit politischen Forderungen zu verbinden, sehe ich gleichwohl kritisch. Ich habe keine grundsätzlichen Vorbehalte gegen staatliche Markteingriffe, ich würde Maßnahmen der Miethöhenbegrenzung und des Mieterschutzes über das geltende Recht hinaus aber trotzdem aus ganz grundlegenden Erwägungen mit Vorsicht betrachten: Mit Markteingriffen ist es ja immer ein wenig wie mit manchen Medikamten Manchmal braucht man sie. Nutzt man sie zu oft, richtet man mehr Schaden an, als wenn man der Natur ihren Lauf lässt, doch wie auch immer: Ich verstehe nicht viel von diesen Dingen.

  23. REPLY:

    Klar können Eingriffe auch nach hinten losgehen. Die Mietobergrenzen haben in den Sanierungsgebieten schon eine recht gesunde Mischung erhalten. Seit es diese aber nach einem Gerichtsurteil nicht mehr gibt, ging dort der Wandel umso schneller.

    Davon abgesehen gibt es Markteingriffe aber auch zuungunsten der Mieter.

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