„Ein Stück Gerechtigkeit, meine Liebe.“, kommentiert der K. und balanciert ein großes Stück Camembert auf einem schmalen Stück Baguette vom Teller zum Mund. Es ist kurz nach 10.00 Uhr. Das Fleury ist voll.
„Das soll gerecht sein?“, klage ich an und weise mit dem Kopf auf die dünnen, fluffigen Jungs beim Frühstück zwischen den Kissen des Cafés, denen ich beim besten Willen auch nach einem Liter Gin Tonic nicht zutraue, nachts um drei richtig wild zu werden. Ich fürchte, Nina Pauer hat recht. Das allerdings streitet der K. gar nicht ab. Es sei nur mit den Frauen ganz genau dasselbe.
Schon seit Generationen – wenn nicht seit Einführung des Patriarchats – gebe es nämlich auch bei den Frauen eine bedauerliche Abweichung von Wunsch und Wirklichkeit. Der Mann (wenn man denn einmal so pauschalisieren dürfe) träume von Gilda, Marlene, Lulu. An seiner Seite aber wackele faktisch Heidrun mit dem breiten Becken, Doris mit der praktischen Kurzhaarfrisur oder Katrin, die patente Grundschullehrerin durchs Leben. „Verkopft, gehemmt, unsicher, nervös und ängstlich“ seien vielleicht die Männer. Phantasielos, breithüftig, praktisch, aber nüchtern seien die Frauen. Das sei auch kein neues Phänomen. Die Diskrepanz zwischen Ideal und Wirklichkeit werde ja nicht erst seit gestern beklagt.
„Es liegt also nicht an der Gesellschaft?“, frage ich nach und kratze den letzten Rest Joghurt aus meiner Schüssel. „Ah, was.“, kommt es postwendend zurück. Man wolle es ja gar nicht anders. Denn mit einem männlich-wagemutigen Draufgänger, einem Porschefahrer und Herrenreiter etwa, könne man doch faktisch gar nichts anfangen. Würde der Porschefahrer mit einem Babybjörn durch den Volkspark laufen und mittels einer Arbeitszeitverkürzung auf 80% pünktlich seinen Nachwuchs aus der Kita holen? Wäre der hemmungslose Tänzer und Küsser bereit, jeden zweiten Samstag einzukaufen und regelmäßig seine Schwiegermutter von Charlottenburg nach Mitte zum Arzt zu bringen, weil seine Freundin am Dienstag regelmäßig einen Abendtermin hat und das deswegen nicht schafft? Erfahrungsgemäß lassen die Helden der Nacht einen tagsüber ja nicht einmal ausreden und hören überdies selten zu.
„Okay.“, sage ich, aber ganz überzeugt bin ich noch nicht. Was der K. vorbringt, so will mir scheinen, hat wenig mit den in dem Artikel angesprochenen jüngeren Veränderungen im Verhaltensmuster des europäischen Mannes, sondern mehr mit einer grundsätzlichen Abweichung von erotischem Wunsch und alltäglicher Brauchbarkeit zu tun.
Im Wesentlichen, meint der K. und zuckt mit den Achseln, sei es genau das. Nur ganz oberflächlich sei der strickjackentragende Melancholiker eine Zeiterscheinung. Schon immer – hier beschreibt der linke Arm des K. eine unbestimmt raumgreifende Bewegung – hätten weder Männer noch Frauen bekommen, was sie sich vorstellen. Auch vor fünfzig Jahren sei ja nicht Cary Grant als Kavalier, sondern mehr so Heinz Ehrhardt als Versicherungsangestellter geheiratet worden, und da seien die blassen, freundlichen Männer, die ziemlich viel über sich nachdenken, doch kein schlechter Tausch. Am Ende bekomme halt keiner, was er will.
„Und das nennst du gerecht.“, seufze ich, und der K. lacht. Vielleicht, meint er, sei es ja so sogar viel besser, und ich schweige und frage nicht nach, was er meint.
da drängt sich mir woody allan und seine filme auf, oder auch „zeiten des aufruhrs“.
In der Tat. Tucholsky hat recht.
Ich habe eigentlich immer das bekommen, das ich mir vorstelle. Zumindest seit meinem 21. Lebensjahr…
Manchmal bekommt man ja auch etwas, was man immer schon gewollt hätte, hätte man gewusst, dass es existiert.
In solchen Momenten bietet es sich an, ehrlich zu werden mit sich selbst. Nicht nur was ich möchte, sondern auch was ich biete, ist die Frage. Um sich formvollendet aus dem Porsche zu winden, sollte ich schon langbeinig und elegant sein.
Um den Nobelpreisträger zu unterhalten, muss ich schon ziemlich witzig und gebildet sein. Man bekommt nicht das, was man will, sondern das, was passt und vielleicht auch manchmal das, was man verdient.
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Sie sprechen mir aus der Seele.
Das Poblem am Wunschdenken ist ja jenes, dass die Träume üblicherweise nicht logisch und konsequent weitergesponnen werden – dann käme man nämlich recht schnell zum Kern der Sache, der sich nicht selten eher als Alptraum herausstellt.
Beispiel: Wunschtraum leidenschaftlicher Liebhaber & Gentleman. Es wird doch wohl nicht ernsthaft jemand glauben, dass dieser Mensch einem dauerhaft bis ans Ende des Lebens treu bleiben wird ?
Leben ist eine Kunst. Eine Kunst, die zu leben umso mehr Freude macht, je vielseitiger man ist; kommt noch ein vielseitiger Partner dazu, hat die Langeweile des Alltags wenig Chancen.
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Die Diskrepanz zwischen dem, was man will, und dem, was man bekommt, ist ja ein nie versiegendes Sujet der Künste.
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Ja, aber ein Jammer ist es doch.
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Es ist ja gleichermaßen ein Talent, das, was man will, zu bekommen, und das, was man bekomt, auch zu wollen.
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Das ist natürlich ein Glücksfall.
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Aber sind das nicht schrecklich praktische Erwägungen? Dann hat man also seinen Deckel am Ende, sitzt abends neben ihm auf dem Sofa und denkt an die viel schöneren Deckel, die es auch noch – wenn auch außerhalb der eigenen Reichweite – gibt?
hintergrund zum „problem“: die meisten menschen sind nicht in der lage richtig dicke bretter zu bohren. man muss dinge wirklich wollen um sie zu bekommen – und nicht nur auf ein wunder wartend anschmachten. „nicht versuchen … tu es -oder tu es nicht!“ sagt der kleine grüne mann in der weltraum saga. nur darum geht es. nicht umsonst sind spitzensportler meistens auch im normalen leben erfolgreich …
p.s.: entweder hatte ich es überlesen oder schlicht nicht wahr genommen … meinen glückwunsch zum großartigsten und letzten wirklichen abenteuer der menschheit. willkommen in der anarchie. das sie mal auf nachwuchs setzen hätte ich nie aus den texten heruas gelesen.
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irgendwann landen wir doch fast alle bei diesem abenteuer, oder? mir scheint, es gab hierorts durchaus schon deutliche andeutungen – und die anforderungen an kindsväter sind ja auch im jeweiligen fall ganz neu zu erkundende;-)
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Ach, mal sehen, wie das wird. Ich neige ja nicht so zur Idealisierung von Elternschaft, aber so ein putziges Kind stelle ich mir schon ganz lustig vor. Vielleicht ein wenig wie mein Job: Manchmal die Hölle, meistens ganz unterhaltsam, und immer wieder ein Riesenspaß.
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Da stimme ich Ihnen zu. Ich habe bei Hesse gelernt, das zu wollen, was ich habe. In Narziss und Goldmund belehrt der Goldmund den Narziss, dass jede Frau etwas Schönes und Liebenswertes habe.
Jetzt kommt es auf die Bewertung an. Stelle ich das Schöne und Liebenswerte in den Vordergrund, dann spielt es keine Rolle, wenn das Gesamtpaket vielleicht nur durchschnittlich ist. Ich werde trotzdem zufrieden sein.
Jetzt im Alter kommt es mir allerdings vor, dass ich kritischer werde und zuerst auf das Unangenehme schaue. Vielleicht ist das aber nur eine Schutzfunktion, die verhindert, dass mein Jagdinstinkt sich selbstständig macht:)
Die Tirade auf die allzugeilen und selbstbewussten Sechziger, die sich an die jungen Dreißigjährigen heranmachen, habe ich noch im Gedächtnis:)
Ja, unsere abgespeicherten Attraktivitätsmerkmale passen nicht unbedingt zu unser vernünftigen Wahl. Da machen beiden Geschlechter Kompromisse. Gut geschrieben!
Im besten Fall bemerkt man die Kompromisse ja gar nicht.