Knack. Also: KNACK!

Bekanntlich gibt es ja so etwas wie ein kosmisches Gleichgewicht: Wer reich ist, soll nicht auch noch schön sein. Wer Erfolg hat, soll wenigstens Depressionen bekommen. Nicht vergleichbar existentiell, aber irgendwie ähnlich verhält es sich gerade bei mir:

Der Flug nach San Francisco war super. Sogar das Essen bei KLM war okay. Der russische Taxifahrer hat unser Appartement sofort zu einem nachzuvollziehbaren Preis gefunden. Das Appartement ist im Erdgeschoss eines hübschen, viktorianische Häuschens in Pacific Heights inmitten lauter anderer hübscher, ebnso reich verzierter viktorianischer Häuser belegen, klein und hübsch, geschmackvoll pistaziengrün gestrichen, eingerichtet mit einer charmanten Mischung aus alten, sehr gepflegten Möbeln, ein wenig IKEA, sparsam dekoriert mit ein paar Orchideen und Blechspielzeug, und die Küche ist komplett. Das WLAN funktioniert auch. Das Bett ist nicht zu weich, der Garten nett angelegt mit Tischen und Stühlen in der Morgensonne, und wenn man die Straße abwärts läuft kommt man über die Fillmore Street und vorbei an Chinatown direkt ans Meer. Das ist perfekt. Das war zuviel. Das konnte nicht so bleiben, denn das kosmische Gleichgewicht … Sie wissen schon.

Ich sitze also in diesem perfekten Setting morgens am Tisch, esse griechischen Joghurt mit Mango, bestreiche mir ein Sourdough Brot mit Hummus, schneide mir eine Scheibe TRüffelkäse ab, und dann macht es: Knack. Also besser so: KNACK. Mit mindestens 36 pt.

Entgegen erster Annahmen ist das kein Erdbeben. Auch mein Schädel ist noch ganz. Außer mir hat auch keiner dieses entsetzliche Geräusch gehört, wie ein Blick auf den J. und den F. zeigt, die beide vergnügt und ruhig herumsitzen bzw. -liegen, als habe es das grässliche Geräusch nie gegeben. Gleichzeitig wird es warm und salzig in meinem Mund. Ich fühle vosichtig nach: Hier ist etwas gebrochen. Der Zahn ist durch. Nach mehrfacher, monatelanger Wurzelbehandlung. Der Zahn ist mitten durchgebrochen.

Zwei Stunden später immerhin sitze ich beim Arzt. Der Arzt sitzt in einem Bungalow auf dem Dach eines Einkaufszentrums. Der Arzt erweist sich letztlich als eine Ärztin, eine Russin mit rrrollendem Rrrr, die mir verkündet, der Zahn sei brrroken, er müsse extrrracted werden, denn für eine Rettung des Zahns sei nicht mehr genug Zahnsubstanz da. Ich könne das mit einer provisorischen Füllung überbrücken lassen und in Berrrrlin meinen Zahnarzt aufsuchen. Oder sie reiße mir den Zahn an Ort und Stelle raus.

Ich habe genug. Ich nicke. Ich verlasse den Bungalow auf dem Einkaufscenter eine Stunde später also wieder ohne Zahn und wanke nach Hause.

Zwie Stunden später scheint der Kosmos zufrieden zu sein. Alles ist wieder im Gleichgewicht und schaukelt fröhlich durch den Tag. Die Backe ist nicht geschwollen, es schmerzt nichts, nur das Kauen ist ein bißchen schwierig, und so bestelle ich einen langen, langen Fußmarsch die Bush Street herunter, die Fillmore Street abwärts und die dann quer durch Chinatown in einem Restaurant statt der ersehnten Ente ein auch sehr, sehr gutes Mapo Tofu und eine Eierblumensuppe, esse auch in der Bakery, in der wir später sitzen, kein Gebäck, und betaste erst abends mit der Zunge vorsichtig die Stelle, wo der Zahn saß. Ein bißchen empfindlich, aber nicht schmerzhaft. Der Kosmos war gnädig.

Der Tag war es wert.

10 Gedanken zu „Knack. Also: KNACK!

  1. Jetzt könnte man natürlich auch eine Gegentheorie aufstellen, die in etwa lauten würde, dass sich in Zeiten wirklichen Glückes nicht selten unangenehme Dinge en passant erledigen.

    (Ich frage mich überdies, was sich Ihr Berliner Zahnarzt bei der Chose gedacht hat …)

  2. REPLY:

    Wenn es danach ginge, müsste ich ungefähr zwanzig Kinder haben.
    (Schwangerschaft -> Zahnfleischentzündungen nicht bakterieller Art trotz gewissenhafter Zahnpflege -> etliche Zähne mangels Halt verloren/gezogen.)

  3. Das ist zwar jetzt schon ein Weilchen her mit Ihrem Zahn-Malheur, und nein, ich habe Vergleichbares (glücklicherweise) noch nicht erlebt.

    Allerdings sind es bis zu meinem Urlaub auch nur noch 4 Wochen und 3 Tage und Ihr Posting hat mich an meinen Vorsatz erinnert, mir rechtzeitig vor Abflug einige Adressen von vertrauenserweckenden, deutschsprachigen Zahnärzten in Palma zu eruieren (wie frühere Nachforschungen ergaben, gibt’s davon wohl einige). Denn auch ich habe eine wurzelbehandelte Zahnruine in der Mundhöhle und einen Kostenvoranschlag für eine Teilkrone in meinem Poststapel, möchte aber eine Zweitmeinung, die ich vermutlich vor dem Urlaub nicht mehr bekommen werde (von der Teilkrone ganz zu schweigen).
    Jetzt habe ich dann wenigstens eine Vorstellung davon, wie es sich anhört / -fühlt, wenn der Zahn (?) bricht. 🙁
    Hoffe nur, dass das – im Fall des Falles – ausreichend lange vor dem Heimflug passiert, weil ich weder mit einem provisorisch verschlossenen Zahnrest (Druckausgleich Flugzeug – aua ?) noch mit einer frischen Wunde nach Hause fliegen will.

    Was ist jetzt mit der Lücke ? – Brücke ? – Allmählich beginne ich Zahnarztbesuche zu hassen. Nicht wegen einer Zahnarztphobie. Dort wird mir bewusst, dass ich älter werde oder wie alt ich schon bin. Wenn „Zahnersatz“ zum Thema wird 🙁

    Freundliche Grüße von Alessa

  4. REPLY:

    Auf jeden Fall: Zahnersatz ist ein deutliches Zeichen fürs Altern. Ich schiebe ja derzeit Kind F. vor, aber im Grunde ist klar: Wäre ich 25, hätte ich den Zahn noch.

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