Vor einigen Jahren – ich glaube, es war 2009 – fuhr ich mit dem J. also nach Bali.
Bali ist hübsch. Die Balinesen sind ganz freundlich, es gibt ziemlich dekorative Tempel mit skurrilen, kleinen Geister- und Götterfiguren darin und darum, und es gibt einige nette Hotels. In einem dieser Hotels wohnten wir und lagen im Bett. Es war früh, also ungefähr zehn abends.
Draußen war es dunkel, aber laut. Es war sogar sehr laut, also sehr, sehr laut, und es wurde auch nicht leiser. Die Lärmquelle war gut zu lokalisieren. Der Krach kam vom Nachbarbalkon, auf dem offenbar eine Art Party gefeiert wurde. Man hörte Gläserklirren und laute Stimmen. „Verdammt, Russen.“, ärgerte sich irgendwann der J., und dann schwiegen wir beide vielleicht zwanzig Minuten zemlich verdrossen, denn wir fahren im Urlaub ganz gern in so absolute Rentnerhotels, um uns da einmal richtig auszuschlafen. Mit feiernden Russen nebenan geht das aber nicht.
Nach einer weiteren halben Stunde hatte ich genug. Es sollte wieder leise sein. „Geh du doch mal rüber.“, bat ich den J., der aufstand, sich anzog, nach draußen ging und dann stundenlang nicht wiederkam.
Für kurze Zeit machte ich mir Sorgen. Dann aber vernahm ich des J. Stimme inmitten der russischen Trinklieder. Verstimmt, aber beruhigt zog ich mir die Decke über den Kopf und schlief ein. Irgendwann nachts erschien der J. und schlief am nächsten Tag bis in den Nachmittag.
In den nächsten zehn Tagen hielten uns die Russen tagsüber am Strand Liegen frei und bestellten für uns Bier mit. Die Russen waren vier oder fünf, ungefähr in unserem Alter. Die Frauen waren blond und hübsch, die Männer eher unauffällig, und der Mittelpunkt der Gruppe war ein russischer Möbelhändler, nett und eloquent, recht gutaussehend und offensichtlich nicht arm. Als sie fuhren, tauschten wir E-Mailadressen, versprachen ein Treffen, wenn wir in Moskau oder die Russen in Berlin weilen würden, und dann ging jeder seines Weges.
Wenig später kam facebook. „Ich habe den Russen wiedergefunden.“, verkündete der J. und zeigte mir ein Bild des russischen Möbelhändlers, wie er mit einer Freundin (seiner Freundin?) im Arm vor einem Club stand. „Aha.“, sagte ich und scrollte die Bildleiste herunter. Auf jedem zweiten Bild stand der Russe in Begleitung hübscher und unwahrscheinlich aufgetakelter Frauen und strahlte in die Kamera.
In den nächsten Monaten, nein: Jahren, wurde der Russe dem J. nahezu unheimlich. In schnellem Wechsel stand und steht er auf den vielen Bildern auf seiner facebook-Seite neben geradezu unwahrscheinlich vielen Damen, die irgendwie aussehen, als würden sie im Fernsehballet tanzen oder fungierten als russische Glücksrad-Assistentin. „Bist du dir sicher, das er wirklich Möbelhändler ist?“, fragte ich den J. mehrfach, der nicht ganz ohne Neid das offenbar verhältnismäßig glamouröse Leben seines russischen Bekannten auf facebook verfolgt. Der Russe, so scheint es, feiert immerzu und jedes Wochenende mit schönen Menschen exzessive Feste.
„Spricht er da über Möbel?“, fragte ich den J. heute, der mir ein Bild zeigte, auf dem der Russe nun offenbar sogar im Fernsehen neben zwei lasziv posierenden Damen zum Publikum spricht. „Sieht nicht so aus.“, meinte der J. stirnrunzelnd und betrachtete verständnislos die russischen Lettern über dem Bild, die den Hintergrund dieses Bildes möglicherweise näher beleuchten. Möbel waren auf dem Bild keine zu sehen.
Ich warf einen Seitenblick auf den J. Er war – er wird dies abstreiten – gelb vor Neid.
Gerne gelesen !
Meine russische Freundin ist mit Möbelhandel Millionärin geworden.
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Es ist erstaunlich, was läuft, und was nicht. Bisweilen denke ich, wir waren alle viel zu wenig mutig. Oder wir haben das Geld nicht genug geliebt; vielleicht ist es das.
REPLY:
Sie ist studierte Physikerin und hat auch eine Schauspielausbildung absolviert, ich sah einmal ein Kinoplakat von ihr. In den Möbelhandel ist sie nur zufällig reingerutscht, als jemand einen großen Schrank, den sie bei ihrem Onkel irgendwo untergestellt hatte, sah und gern kaufen wollte. Anfang der 1990er wollte sie eigentlich viel lieber Ausstellungen von russischen Künstlern im Westen organisieren. Sie schaffte es auch, eine in der Schweiz auf die Beine zu stellen, hatte aber dummerweise aus Unerfahrenheit einen Vertrag mit schwammiger Klausel unterschrieben, so dass sie letzten Endes nichts verdiente. Sie hat schon einige harte Zeiten erlebt, 1990 gab es nicht einmal mehr in Moskau genug zu essen zu kaufen.
Schließlich erwies sich das Möbelgeschäft als lukrativer. Eine gemeinsame Bekannte war einmal dort und erzählte mir, dass es dort viel Designermöbel gab. Die Preise waren so, dass Sie und schon gar nicht ich dort nicht einkaufen könnten. Einige Jahre später hat sie sich von ihrem Lebensgefährten, mit dem sie zwei Möbelgeschäfte aufgebaut hatte und betrieb (auch er ein Schauspieler), getrennt, um in zweiter Ehe einen Musiker zu heiraten. Ich lernte sie über ihren ersten Ehemann kennen, die beiden hatten wie damals dort üblich, sehr jung geheiratet, um eine gemeinsame Wohnung zu bekommen. Dabei handelte es sich um ein 20 Quadratmeter großes Zimmer in einer Gemeinschaftswohnung mit zwei fremden älteren Damen. Da gab es häufig Zank.
Vielleicht mussten wir also auch nur nie so mutig sein, weil wir es von vornherein besser hatten.