„Sucht Euch was aus.“, stellt der M. drei Flaschen vor uns auf. Schloss Wackerbarth lese ich auf der ersten, Mumm auf der zweiten, und den Namen der dritten Flasche habe ich vergessen. Jedenfalls war es Champagner. Champagner unterschreitet – so meine Erfahrung – nie ein trinkbares Niveau und versetzt mich eigentlich immer auf der Stelle in richtig gute Laune. Ich möchte deswegen eigentlich sehr gern von der dritten Flasche trinken, aber irgendetwas hält mich zurück.
„Sei doch nicht so spießig.“, zische ich mir zu, aber das hilft gar nichts. „Man trinkt doch nicht einfach so Champagner!“, zischt es nämlich zurück, und dann sehe ich sie in meinen Augenwinkeln auf dem Sofa sitzen: Die weißen Haare akkurat frisiert und mit sehr viel Haarspray fixiert. Ein hellblaues Twinset mit goldfarbenen, runden Knöpfchen daran. In den Händen Strickzeug oder einen Stickrahmen oder auch nur einfach die Zeitung, sitzt meine Großmutter auf dem rosengeblümten Sofa der M. und des M., und schaut mich stirnrunzelnd an.
„Wir brauchen einen Anlass!“, höre ich mich folgsam sagen, und neben mir nickt die I. Die hatte bestimmt auch eine Oma, die Champagner nicht anlasslos trank, bin ich überzeugt, und auch der M. wundert sich rein gar nicht. „Dann trinken wir eben auf die S.!“, geht er auf meine innere Großmutter ein, deutet auf sein frisch geborenes Baby, und wir nicken begeistert. Ein Neugeborenes ist ein richtig guter Anlass, der auch meine Oma voll und ganz überzeugt hätte, und so füllt der M. die Gläser.
Ob es, überlege ich, solche Damen eigentlich noch gibt? In deren Kopf es eine wohlgeordnete Rangfolge gibt, zu welchen Anlässen Champagner getrunken werden darf? Die ganz genau wissen, dass zu einem 70. Geburtstag Champagner gereicht werden darf, zu einem 68. aber nur Krimsekt? Die gern morgens für den Kreislauf oder nachmittags mit Freundinnen zu Tee und Torte einen Sekt aufmachen, aber dann darf es nur Mumm sein oder maximal ein Winzersekt, der ungefähr die zehn Mark kosten darf, die der Mumm kostet?
Mit Sparsamkeit hatte das, so weit ich das beurteilen kann, noch nicht einmal etwas zu tun. Auch geschenkter Champagner durfte nicht einfach so geöffnet werden, und ich meine mich deutlich daran zu erinnern, dass eines Tages, wir waren just nach 500 km Fahrt angekommen, ein Sekt getrunken werden sollte, aber ausschließlich Krimsekt oder Champagner im Haus waren. Davon gab es bisweilen nämlich ziemlich viel, weil mein Onkel P. von dankbaren Mandanten immer wieder Champagner geschenkt bekam, aber wegen Problemen mit derlei Getränken in der Vergangenheit jenen nicht trank. Meine Großmutter öffnete angesichts dieser Lage nun aber nicht etwa die günstigste Flasche der vorhandenen Vorräte. Vielmehr zog sie sich an, nahm mich an die eine Hand, eine Einkaufstasche in die andere, und zog los.
„Auf die S.!“, verteilt der M. nun die Gläser, und wir trinken auf das Kind. Lebe hoch, denke ich und lächele dem schlafenden Baby zu. Alles Gute. Hab‘ es immer, immer gut, wünsche ich der Kleinen, Glück zuhauf und jeden Tag – wann immer Du magst – Champagner.
So sind sie – bei mir war es die Omi, langjährige Notarswitwe und immer mit ein paar „passenden“ Flaschen im Keller, neben den zahllosen Einweckgläsern für die nächste Nachkriegszeit. Als wir dann den Haushalt auflösten, fanden wir zwischen einigen stark Glykol-verdächtigen Weißweinen (lieblich! Dessertwein! 1979er bis in die frühen 80er rein! Österreich!) auch eine wirklich alte, aber noch intakte Flasche „Lufthansa Cocktail“ – was damals wohl der „passende“ Anlass für zulässigen Cocktailgenuss war?
Mit dem Champagner haben Sie übrigens völlig recht. Zwar gibt es wunderbare deutsche Sekte, aber eben auch viel Müll. Champagner ist fast durchweg eine sichere Bank, auch wenn ich doch von Discounter-Ware abraten möchte. Man kann Glück haben, aber da wird teilweise auch aufgemotzte Plörre verkauft, die formal zwar „Champagner“ ist, aber eher ins Sauerkraut gehört als in Glas.
Wer ein bisschen sucht, bekommt für vergleichsweise wenig Geld wunderbare Winzerchampagner. Der ist oft sogar günstiger als die bekannten Marken, bei denen man eben diese mitbezahlt. Da kann man sich dann auch mal Jahrgangschampagner leisen, einen Rose sowieso. Ein meiner Ansicht nach sehr gutes Preis-/Leistungsverhältnis hat übrigens der Champagner des Münchener Delikatessenhauses, welches bundesweit sonst eher durch (mittelmäßigem) Kaffee von sich reden macht.
Der Haussekt jenes Münchner Hauses ist ebenfalls sehr gut – wenn es denn kein Champagner sein soll.
Und vor Ort gibt es auch feine Kaffee-Sorten. Das aber nur am Rande. Zum Thema zurück…
Unsere Großmütter hatten tatsächlich eine klare Hierarchie der Anlässe. Das betraf nicht nur den Sekt. Das hieß auch: Torte nur zu Anlass (vs. Kuchen). Manche Kleidung nur am Sonntag. Etc. Meine Großmutter hat damit die Besonderheit von Dingen herausgehoben. War ja vielleicht auch nicht schlecht.
Bei einer Patentante meiner jüngeren Schwester, eine Cousine meiner Mutter, gab es jeden Abend Champagner. Das war das Getränk, mit dem sie und ihr Mann vor dem Abendessen den Feierabend einläuteten. Ich war da als Studentin häufiger für ein paar Wochen in den Semesterferien zu Gast, ich fand das großartig.
Darum ist Ihr Wunsch für die kleine S. ein sehr guter.
Den Anlass muss man erst mal toppen, vom Himmel auf der Erde zu landen, und dann auch noch mitten in Berlin. Im Grunde erste Mondlandung, nur umgedreht! Sehr angemessen.
Vielen Dank für den schönen Text, der Erinnerungen weckt!
Ohne Anlaß kein Sekt. Und dann in der Steigerung von Rüttgers Club zu Henkell Trocken je nach Anlaß. Entsprechend auch die Gefäße. Bei wichtigeren Ereignissen Sektflöten, bei einfacheren Sektbecher! Niemals aber Schalen !
Champagner nur bei ganz außergewöhnlichen Ereignissen in kleinem Kreis!
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Hm, das klingt gut. Das werde ich mir merken.
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Eine Kunst, das Besondere so herauszustreichen, dass es entsteht.
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Ich hoffe, sie wird ein Mädchen, das der Champagner in jeder Hinsicht kleidet.
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Das finde ich auch.
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Diese Vielzahl von Gläsern in den Schränken alter Tanten und Großmütter.