Naja, lala

Zu Urlaub in Deutschland habe ich ja ohnehin so schrecklich praktische Assoziationen. Also Rentner auf Fahrrädern. Und junge Familien in Outdoorkleidung, die in Jugendherbergen übernachten oder auf Campingplätzen, weil sie im Urlaub möglichst naturverbunden und einfach leben wollen oder auch einfach kein Geld haben, weil sie das ja alles in ihr Häuschen (wieso eigentlich dieser absurde Diminutiv?) gesteckt haben, das irgendwo am Stadtrand steht und mehr Geld kostet, als sie eigentlich haben.

Ich würde niemals Outdoorkleidung tragen, und wenn ich mir noch viel mehr schöne Schuhe auf den Spielplätzen Berlins ruiniere. Ich habe auch kein Haus, erst recht kein Häuschen, und wenn es nicht gerade Juli wäre, und ich mehr Zeit als eine Woche … aber so saßen wir also am vergangenen Montag im Auto und fuhren die A 20 hoch. Zingst. Dass das nicht so besonders mondän ausfallen würde, war natürlich klar. Aber dass sich alle meine Befürchtungen gleich bei der Ankunft realisieren würden, hatte ich in dieser Form nun auch nicht erwartet. Um es abzukürzen: Wir waren noch gar nicht ausgestiegen, sondern fuhren so Richtung Ortskern am Deich entlang, da sahen wir die Rentner. Sie eierten in bunten T-Shirts sehr, sehr langsam auf ihren Fahrrädern den Deich herauf und herunter, und ich wunderte mich ein wenig, dass nicht ab und zu einige der Rentner einfach umfallen, weil ein Fahrrad ein gewisses Mindestmaß an Geschwindigkeit verlangt.

Die jungen Familien in der Outdoorkleidung sahen wir auch, denn Outdoorkleidung ist bekanntlich der SUV zum Anziehen, weil diese wie jener zum Ausdruck bringen, dass der Besitzer ein Kind der Wildnis sein möchte, geschaffen für ein freies, gefährliches Leben in der Natur, und lediglich vorübergehend gezwungen sei, sein Geld im Büro zu verdienen. In Zingst wohnten die jungen Familien in Outdoorkleidung übrigens entweder in teilweise wirklich erschreckend hässlichen Ferienhäusern oder auf dem Campingplatz.

Ich aber wollte nicht ausgerechnet im Urlaub anfangen zu putzen, und campen kann ich nicht ausstehen. Wir wohnten also im Steigenberger Strandhotel. Das ist direkt an der Seebrücke, man hat es also nicht weit zum Strand, und außerdem ist der Style des Hauses ganz schön, also so beige und rot, alles sehr aufgeräumt, ein wenig Ostküste, ein wenig Bäderneoklassizismus, wenn es diese Stilrichtung überhaupt gibt. Ansonsten ist das Haus sehr unkompliziert und nicht so besonders teuer, und wird vorwiegend von Familien frequentiert, sehr gern auch in der Kombination Großeltern und Enkel.

Wieso da dermaßen viele Familien wohnen, verstand ich von Tag zu Tag weniger. Das Haus hat nicht einmal einen Spielplatz. Und auch kein Kinderbecken. Es werden auch keine Zimmer angeboten, die separate Schlafzimmer anbieten und gleichzeitig ebenerdig sind. Wir versuchten also Abend für Abend den F. in unserem gemeinsamen Zimmer irgendwie zum Einschlafen zu bekommen, was nicht so besonders einfach ist, wenn man zwangsläufig daneben sitzt und der F. einen sieht. Aber gut, da mögen andere Kinder unkomplizierter sein. Was aber noch viel gewichtiger gegen das Haus spricht: Das Abendessen dauert über zwei Stunden. Der Service wirkt nämlich vorwiegend hilflos und ist deswegen sehr, sehr, sehr langsam. Wer kein Kind hat, das zwei Stunden still sitzen und vier Gänge essen kann, isst also besser woanders.

Das Essen in Zingst ist allerdings ein schwieriges Kapitel. Oder nein: Es ist ein kurzes Kapitel. Es besteht nämlich eigentlich nur aus gebratenem Fisch. Oder aus eingelegtem Fisch. Oder aus Fleisch obskurer Herkunft, das in großen Mengen gebraten wird. Es gibt nahezu keine gehobene Gastronomie, und noch nicht einmal einen brauchbaren Italiener. Sie wollen am Meer weilen und asiatisch essen? Fahren Sie nach Sylt.

Die einzige Freizeitmöglichkeit – außer Fahrradfahren natürlich – ist der Strand. Der Strand ist derzeit aber rappelpackevoll. Der J. und ich standen also am Montagnachmittag leicht bekümmert an der Seebrücke, schauten auf ein Meer aus quietschbunten Strandmuscheln und versuchten, zwischen den wuselnden Badegästen den Sand auszumachen. Was wir sahen, wenn einer sich gerade umdrehte oder sein Handtuch zurechtrückte, war allerdings recht erfreulich. Der Sand ist fein, hell, der Strand kilometerlang, aber mein Gott: Was für Massen.

Dienstagmorgen gesellten wir uns dazu. Dafür waren wir schließlich gekommen. Wir mieteten uns einen echten Strandkorb. Wir stellten auch eine bunte Strandmuschel aus Plastik auf. Mittags aßen wir Eis, nachmittags Fischbrötchen, und verstohlen beobachtete ich die anderen Gäste, ob sie sich eigentlich nicht langweilten. Ich langweilte mich mehr als ich sagen kann. Ich entwarf einen Roman (heitere Sommergeschichte) und eine Geschäftsidee (fahrende Popcornstände) vor lauter Langeweile. Ich las. Ich spielte mit dem F., der sich ganz und gar nicht langweilte, sondern jubelte, im Sand grub, herumkullerte, badete, mit Wasser spritzte und von morgens bis abends so gut gelaunt war, wie er es menschlichen Ermessens in den nächsten achtzig Jahren nicht mehr so lange am Stück hinbekommen wird.

Die anderen Leute wirkten, wie ich bemerkte, auch nicht so gelangweilt wie ich. Ich nehme an, das hat mit ihren Tätowierungen zu tun. Denn die besonders zufrieden in der Sonne bratenden Personen, die da glücklich in ihrem Fett rot und braun brieten, waren samt und sonders eindrucksvoll, teils großflächig, tätowiert. Ich weiß nicht, wie der Zusammenhang naturwissenschaftlich funktioniert. Ich nehme an, beim Vorgang des Tätowierens wird mit der Tinte irgendwas unter die Haut gespritzt, was den Tätowierten den Rest des Lebens sehr genügsam werden lässt. Glücklich, vielleicht ein wenig stumpf, saßen die Tätowierten also auf dem Sand und lasen OK oder Auto Bild oder so.

Einen Tag waren wir in Stralsund. Zwei Tage waren meine Schwiegereltern da. Einen Tag meine Eltern. Alle vier Großelternteile tanzten aufgeregt und recht euphorisch um den F. herum, der seinerseits vor Glück beinahe platzte. Ich saß derweil im Strandkorb, las Keyserling, Wodehouse und Eugenides und freute mich auf Berlin. Berlin. Berlin.

Ansonsten war der Urlaub in Ordnung.

16 Gedanken zu „Naja, lala

  1. Na, wenn der Kleene glücklich war, ist der Urlaub doch schon mal gut gelaufen.

    Mir tut der gewohnte Tagesablauf im Urlaub ausgesprochen gut, aufwachen, Kaffeemaschine anstellen, Blogs lesen z.B. (nach anfänglichen Problemen mit dem Vodafone Surfstick). Oder mitten in der Nacht einen Kaffee trinken. Im Appartment lebt es sich viel freier als im Hotel, wo man doch nur fernsehen, essen und schlafen kann, wie langweilig! Und kochen muss man im Appartment auch nicht unbedingt, man kann ja essen gehen. Einziger Nachteil: das Zusammensuchen aller liebgewonnenen Utensilien, Haushaltsgeräte, Bücher, Klamotten, Gewürze etc. erfordert generalstabsmäßige Planung, wenn es so angenehm sein soll wie zuhause.

    Wir sind z.Zt. im Urlaub in einer Ferienwohnung in Tönning / Eiderstedt, Kaffee trinkend, der Regen tropft aufs Dachfenster, wunderbar…..

    1. Allerdings frage ich mich, ob es das jetzt für die nächsten Jahre sein kann. Vielleicht versuchen wir es Ende des Jahres noch einmal mit Asien.

      1. Könnte sein. Als unser Kleiner 1 Jahr alt war, wollten wir unsere alten Urlaubsgewohnheiten auch nicht so einfach aufgeben und sind nach Südfrankreich gefahren. Bei 40° im Schatten ohne Reservierung war das nicht nur abenteuerlich, sondern auch ganz schön riskant. Wir sind heil wieder zuhause angekommen und fortan die folgenden 15 Jahre nur noch in Norddeutschland in Ferienwohnungen unterwegs gewesen, Entfernung bis zu ca. 150 Km. Geht, wenn man die Dinge einfach so nimmt wie sie sind.

        Und ne Oma hatten wir auch nicht zum Aufpassen, die eine Oma hatte einen eifersüchtigen Lebensgefährten, die andere wollte vor allem nachts ihre Ruhe haben. Kinderaufzucht ist ein Fulltimejob, leider auch im Urlaub.

  2. War das Kind am Strand etwa nackt nur mit Hut? In dem Fall könnten Sie sich mit Verspätung selbst anzeigen und den notwendig folgenden Knastbesuch zum Gewichte stemmen nutzen unter lauter tattooierten Fachhochschulalphabeten, mit all den wünschenswerten Auswirkungen auf ihr universes Schwabbelfleisch. Wär das nix?

  3. genauso ging es mir vor ein paar jahren an der ostsee auch. die landschaft ist eigentlich recht huebsch, aber die anwesenden menschen und die an sie angepasste infrastruktur ruinieren den urlaub.

  4. Vielleicht wäre ja ein Urlaub in Dänemark etwas für Sie, irgendwo in der Nähe von Kopenhagen zum Beispiel. Da kommt der Kleine zu seinem Strand und so weiter, und die Erwachsenen können sich in Kopenhagen mit Elternkram bei Laune halten, Kopenhagen bietet wirklich für jemanden was, von Louisiana über hervorragende Restaurants bis hin zu tollen Läden.
    Sehr interessant übrigens, Ihr Blog, ich bin über einen Link von den „Stützen der Gesellschaft“ hier gelandet…
    Gruß aus dem Norden
    Moritz

  5. Tja, so ist das, wenn man unbedingt zur Ferienzeit mit einem Bein im Meer plantschen will. Die Hölle, das sind immer die anderen.
    Versuchen Sie’s doch mal in Krakow am See, im http://www.Hausamsee.de – ruhig, Essen bestens und nicht ohne Voranmeldung. Und dennoch Mecklenburg. Kostet auch nicht mehr als irgendwo in Asien.

  6. Wo und wie haben Ihrer beider Eltern mit Ihnen Urlaub gemacht, als Sie beide noch Kleinkinder waren?

    Die beige gekleideten Rentner haben meist den Vorteil, dass sie sich noch nicht mittags am Strand betrinken oder/und laut Musik hören.

    Ich unterhielt mich heute übrigens mit einem Anwalt, der nur noch im Herbst nach Sylt fährt, im Sommer sei es dort einfach zu voll.

  7. Also…ich empfehle, es einmal mit Heiligendamm zu versuchen. Dort gibt es eine vernünftige Sushi Bar. Man kann sich getrost zwei-, dreimal am Tag umziehen, fachkundiges Publikum am Kurhaus erkennt auch die neuen Santoni Schuhe, fuer Kinder gibt es genügend Unterhaltung und die Straende sind zum Teil ausgesprochen wenig besucht.

    Ahrenshoop: Bildschoene Landschaft! Ganz malerisch! Aber leider wenig malerisches Publikum. Vermutlich eher etwas fuer die Nachsaison.

    Der Tiefpunkt des letztwoechigen Ostseeurlaubs war ein zufälliger Besuch auf der Hansesail in Rostock, eine Art Fresskirmes fuer Vollschlanke beiderlei Geschlechts. Ich überlege immer noch, ob ich die fotografische Ausbeute dieses Tages nicht auf Instagramm veroeffentliche, vermutlich bekäme ich jedoch vermehr Klagen wegen der Verletzung des Rechts am eigenen Bild angehängt.

    Besten Gruss aus Mailand!

    1. Da waren wir mehrfach für lange Wochenenden. Schön da, auch und gerade mit dem kleinen F. Allerdings ist da ja sonst nichts in der Nähe, deswegen fürchteten wir, für eine ganze Woche sei das ein bisschen fad.

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