Ich bin ja Wiederleserin. Beim ersten Durchgang, da will ich wissen, was drin steht. Bekommt ihn das Mädchen aus dem Schloss oder heiratet er etwa ihren Schützling? Geht alles gut, oder scheitert auch die zweite Ehe des Fräulein aus dem Norden? Fängt der alte Mann den Wal? Und wie kommt der Held aus dieser verdammten Grube eigentlich wieder heraus?
Beim zweiten Lesen aber beginnt das Schwelgen. Wie hübsch führt der Autor seinen Helden ein. Wie gut gemacht ist der Szenenwechsel, wie charmant wird angedeutet, was der Autor noch nicht sagen will. Wie lebendig erscheint die Szenerie, wie kalt brausen die Wogen.
Dann aber vergehen Jahre. Neue Bücher stapeln sich auf die alten. Bisweilen erinnert ein Buch an jenes, das irgendwo in den Regalen döst, ab und zu seufzt, und mir dann und wann einen Gruß zuruft durch eine blühende Magnolie, einen witzigen Ausspruch eines Fremden, ein Zitat oder einen Straßennamen. Besuch‘ mich bald wieder, heißt es dann, und ich lache und winke.
Dann aber sitze ich daheim. Es ist ein bißchen langweilig. Der J. ist nicht da, der F. schläft, zum Telefonieren habe ich keine Lust. Besuch müsste man haben. Oder nein: Vielleicht doch besser heut‘ nicht. Statt dessen früh ins Bett, ein lang nicht gelesenes Buch, ein Hauch von Staub, und dann ein beglücktes Wiedersehen, ein fröhliches Hallo, ganz vertraut wie mit Freunden von früher, erlöst von der Spannung des Kennenlernens und ganz daheim wie in eigenen, früheren Gärten.
Man sollte jedes geliebte Buch dreimal lesen. Oder alle zehn Jahre erneut.
Ich habe tatsächlich Bücher, die ich alle 10 Jahre wieder lese und jedesmal anders und neu verstehe.
Ja, das ist das Allerspannendste daran: Wie man sich selbst im Wandel beobachten kann.
Ich habe nur ein Buch, das ich immer wieder lese und das ist eher keine große Literatur. Wenn es um die geht: Ich traue mich seit 20 Jahren nicht, die „Buddenbrooks“ und den „Zauberberg“ noch mal zu lesen, weil ich die vor langer Zeit so toll fand und mich ein bisschen davor fürchte, heute vielleicht borniert und gelangweilt darüber zu stehen.
Jetzt haben Sie mich neugierig gemacht!
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Wie süß! Ich habe mit den „Dormenvögeln“, die ich 10 Jahre später noch mal las, eine üble Bauchlandung gemacht.
Au weia, Dornenvögel. Meine damalige Mitbewohnerin und Freundin war nach Betrachtung des Filmd sehr lange in Pater Ralph verliebt, und auch auf mich machte die Geschichte einen tiefen Eindruck. Jetzt, beide gealtert, wissen wir, dass es kitschiger und pathetischer gar nicht gegangen wäre, aber es ist lustig, den sich Blick der Freundin zu sehen, sobald ich das Thema anspreche. „Pater Ralph,“ seufzt sie dann und bekommt diesen glasigen Blick, und wir wälzen uns auf dem Sofa und kichern.
Oh ja, wie schön!
(Darüber hatte ich auch gerade geschrieben: http://charlesbee.blogger.de/stories/2297386/)
Schön! Ich kenne beide Bücher nicht, die Sie erwähnen, aber es klingt gut. Soulfood in Buchdeckeln.
Wahrlich, das stimmt, Seelennahrung.
Ich war ja schon immer überzeugt, dass es nur zwei Sorten Leser gibt: Solche, die Bücher nochmal lesen und solche, die das für völlig abwegig halten.
Ich gehöre auf jeden Fall zu den Nochmallesern. Wenn ein Buch besonders gut ist, freue ich mich oft schon beim Lesen darauf, es mir nochmal zu Gemüte zu führen. Aber einfach nur, um mich an der Geschichte zu erfreuen, weniger wegen irgendwelcher Andeutungen oder besonderer Kniffe (wie oben beschrieben).
Je nach Geschichte lese ich solche Bücher dann alle ein bis drei Jahre nochmal. Mein Rekord liegt bei ungefähr 15x („Das Parfüm“ von Patrick Süskind).
Typisch für mich ist allerdings, beim x-ten Mal Lesen auf einmal völlig unbekannte Sätze zu entdecken, die ich vorher aufgrund meiner Lesegeschwindigkeit und später Gewohnheit immer übersehen habe. 🙂