Jenseits der Stürme

Zehn Jahre ist das her. Vielleicht war’s das verschlossene Hotel Terminus gegenüber vom Bahnhof, vielleicht ein anderes auf dessen Rückseite und ebenso zu, aber an den Wänden waren lauter Plakate und Autogramme von einem Schlagersänger, den keiner von uns kannte. Das Zimmer war in einem räudigen Rosa gehalten, und wir schliefen unter Bildern von niedlichen, kleinen Schäfchen.

Was wir genau damals in Menton anstellten, weiß ich nicht mehr.

Diesmal jedenfalls wohnen wir nicht am Bahnhof. Eine Ferienwohnung haben wir gemietet, wie es sich für eine Kleinkindfamilie gehört, die tun das nämlich alle. Direkt in der Altstadt, an der Place St Roch, und wenn man sich auf die Zehenspitzen stellt, sieht man am Fenster das Meer.

Zwei Nächte hat der F. gebraucht, um sich zu gewöhnen. Seitdem steht er gelassen am Glastisch und puzzlet, als habe er nie irgendwo anders sein Holzpuzzle aufgebaut. In dem Kinderstuhl thront er wie in Berlin, lässt sich Würste schmecken, verlangt zu jeder Tages- und Nachtzeit Milch und Trockenfrüchte, und wackelt an meiner Hand durch die Fußgängerzone. Bisweilen wird er müde und setzt sich einfach hin. Dann muss man ihn tragen.

Ganze Tage lassen wir uns treiben. Warm ist es, freundlich die Côte d’azur. So blaues Wasser. Auf der Kaimauer photographieren wir die Stadt, setzen uns auf Plätze, schauen den alten Männern zu und kaufen Kuchen. Langsamer lebt die Stadt als unser Berlin. Am Abend kochen wir oder gehen essen. Das beste Essen: La Table d’oc.

Wir schlafen lange. Wir fahren herum. In Nizza gehen wir spazieren. In Antibes. Im Zug schaue ich lange über die Bucht und zeige dem F. die weißen Boote der Reichen. Auf dem langen Flur kullere ich den blauen Ball und singe Lieder. Abends lese ich und schaue durchs Fenster auf die Straße. Ich wüsste gar nicht, was man hier machte, wäre man abends frei.

Abenteuer mag es hier geben. Doch nicht für mich. Abgründe warten woanders auf andere Leute. Ich aber schlendere durch die sonnigen Tage, hell blinkt das Meer, und nichts beunruhigt die Sinne hier, jenseits der Stürme.

2 Gedanken zu „Jenseits der Stürme

  1. Wie schön, da muss ich auch mal wieder hin, nach Südfrankreich. Ich kann die Luft riechen, schöne atmosphärische Beschreibung. Wir waren damals mit dem Kleinen etwas weiter nach Westen in St. Cyr sur Mer, in Orange und Aix en Provence. Ganz wunderbare Erinnerungen…

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