Sie, meine Damen und Herren, sind vermutlich alle ziemlich unterschiedlich. Ich zum Beispiel komme mit sechs Stunden Schlaf aus. Ich kenne aber Leute, die schlafen Nacht für Nacht acht. Ich kann auch überall schlafen, auch wenn da Presslufthämmer betrieben werden oder Leute ganz laut schnarchen. Ich esse morgens nichts, andere haben nach sieben keinen Hunger mehr, na, und so weiter und so fort. Nur bei Kindern, da sollen auf einmal alle gleich gestrickt sein und gleich funktionieren.
Uns haben etwa, als der F. ganz klein war, alle gesagt, Kinder bräuchten regelmäßige Schlafenszeiten und müssten immer ganz gleich essen, singen, spielen und so weiter. Das sei zwar höllisch unbequem. Da müsse man aber durch. Andernfalls bekämen die Kinder Schlafstörungen.
Ich kenne diverse Eltern, die das eisern durchziehen. Der Koordinationsaufwand erscheint zumindest mir enorm. Da wird dann schon mal um halb sieben panisch ein Picknick abgebrochen und nach Hause gerannt. Ich kenne aber auch Eltern, die nie zu einem halbwegs regelmäßigen Tagesablauf gefunden haben. Wir sind zum Beispiel solche Leute. Und siehe da: Es klappt auch. Der F. isst manchmal um zwölf, manchmal um eins. Bisweilen geht er mit uns bis elf Uhr abends essen und schläft dann am nächsten Morgen bis zehn. Sein Schlaf- oder Essverhalten generell leidet darunter aber nicht im Geringsten. Im Gegenteil, der F. ist ein erstklassiger Schläfer und Esser. Das heisst aber nicht, dass die anderen Eltern spinnen. Das heisst vermutlich nur, dass ihre Kinder anders sind als der F.
Genauso beim Essen. Essen und Kinder ist ja ohnehin so eine etwas belastete Sache. Setzen Sie sich mal auf einen Prenzlberger Spielplatz und füttern ihr Kind mit einem Stück Schokolade. Sie werden schon sehen. Immer schießt irgendwo eine Mutter aus dem Unterholz, die zu berichten weiß, dass Kinder, die Zucker essen, alle hyperaktiv werden. Auch hier weiß ich aber: Für den F. stimmt das nicht. Der isst erstens viel lieber Schinken. Und zweitens hat ein Stück Kuchen auf ihn keinerlei aktivitätssteigernde Wirkung. Der F. ist aktiv, wenn es ihm passt. Und wenn nicht, dann wirkt auch ein Sahnebaiser keine Wunder. Gleichzeitig bin ich überzeugt: Es wird schon irgendwo stimmen, das mit dem Zucker. Bei anderen Kindern. Denn die anderen Eltern denken sich das vermutlich nicht aus. Die werden ihren Nachwuchs ebenso kennen wie ich meinen F.
Erst recht schwierig wird es bei den gesellschaftlich doch schon eher neuralgischen Punkten. Haben Sie schon mal einer überzeugten Hausfrau zugehört? Danach werden alle Kinder, die mit eins in eine Krippe „abgeschoben“ werden, um dort „verwahrt“ zu werden, einen fetten Hau und können sich eigentlich gleich beim Therapeuten melden. Diese Mütter haben auch immer ein Beispiel parat. Ich will nun nicht darüber spekulieren, in welchem Maße hier persönliche Lebensvorstellungen verteidigt werden. Ich kann mir aber durchaus vorstellen, dass es das abschreckende Beispiel wirklich gibt. Es existieren vermutlich wirklich Kinder, die Krippen nicht mögen und nicht vertragen, weil sie nicht so sonderlich gesellig sind. Es arbeitet schließlich auch nicht jeder Erwachsene gern mit Kollegen. Ich kenne ausgesprochene Eigenbrötler, die sind eigentlich nur allein in einem Büro mit einer schweigenden Sekretärin richtig gut. Die waren bestimmt auch in Krippe, Kindergarten und Schule nicht so besonders zufrieden.
So zieht es sich durch alle Bereiche. Wie wird ein Kind trocken? Wie viel Strafe ist wirksam und ab wann wird man als Mutter zu gemein? Darf man vor seinen Kindern trinken, fluchen und über Dritte lästern? Ab wann gehen Kinder gern in Museen? Was essen Kinder eigentlich gern und wie viel? Wie viel Mediennutzung ist gut und verträglich, mit welchen Methoden und wann lernen Kinder am besten lesen, Klavier spielen und allein zur Schule gehen?
Jeder weiß, Erwachsene sind unterschiedlich. Nur Kinder, meint man, die seien alle gleich. Offenbar ist die Annahme verbreitet, Menschen entwickeln sich erst in der Pubertät auseinander. Jeder, der einmal eine halbe Stunde auf dem Spielplatz gesessen und den Kindern zugesehen hat, weiß es besser. Insofern: Machen Sie sich locker. Es gibt keine ehernen Gesetze im Umgang mit Kindern, die es im Umgang mit Erwachsenen nicht auch gibt. Fair sein etwa. Verlässlich. Aus Überlegenheit keinen billigen Profit schlagen. Ansonsten gilt: Probieren Sie alles aus. Lassen Sie sich nichts einreden. Im Zweifelsfall ähnelt Ihr Kind nämlich nicht dem Kind der anderen Leute, die so schlechte Erfahrungen mit Zucker und wechselnden Schlafenszeiten gemacht haben. Sondern Ihnen. Wem sonst.
Ich beneide Sie gerade heftig um die Fähigkeit, überall schlafen zu können und auch nicht durch Schnarcher und Presslufthämmer gestört zu werden. Schnarcher halten mich nicht nur wach, sondern wecken in mir früher oder später auch die Mordlust. Schlimm.
Ich höre schlecht, das ist nachts ein großer Vorteil.
Sie können der aus dem Unterholz springenden Mutter wahrheitsgemäß sagen, dass der F. ausschließlich nach dem Genuss von Weissem Sommer-Trüffel Hyperaktivitätssymptome zeigt. Sie wird sie wahrscheinlich für vollkommen verrückt halten und sicherheitshalber von Ihnen ablassen.
(Miz Kitty kommentiert als admin)
Beim nächsten Mal. Oder ich setze mich daneben und öffne mir ein Bier.
Am besten rülpsen Sie auch mal ganz laut, dann haben Sie fortan vor solchen Müttern Ihre Ruhe. 😉
Oh, dann sind Sie auch darin eine Ausnahme (und: danke). Gerade Kinderhaber oder -möger verwirren mich mit Fragen wie: „Welches Buch kann man denn einer Fünfjährigen zu Weihnachten schenken?“ Oder: „Was könnte man mit einem Elfährigen in München machen?“ Ich fühle mich dann immer renitent, wenn ich nachfrage: „Wie ist sie denn so?“ „Was mag er denn sonst?“ Alter ist doch kein allein-definierendes Charaktermerkmal.
Das wundert mich auch immer wieder bei Leuten, die von sich behaupten, Kinder zu mögen. Ich muss gestehen, dass mich das an deren Kinderliebe immer ein wenig zweifeln lässt. Denn wie kann man Leute mögen, die man offenbar nur sehr oberflächlich betrachtet. Und wie schlecht muss das Gedächtnis dieser Leute sein, wenn sie vergessen haben, wie groß die Unterschiede zwischen ihnen und anderen Kindern waren als sie klein waren.
Wie recht Sie haben.
Kinder werden nicht erst zu Menschen, sie sind welche, mit allem was nervt, mit allem was schön ist. Und sie sind unglaublich individuell.
Zum Glück. Wie langweilig wäre es, wäre es anders.