Einmal Frankfurt viel zu früh

Um 6:37 rüttelt der J. mich wach. Um 6:30 werde ich abgeholt, und dass ich um 6:45 tatsächlich voll bekleidet und mit den jeweils richtigen Kontaktlinsen in jedem Auge im Taxi sitze, ist eine logistische Meisterleistung, für die ich ganz unverdient nicht so gelobt werde, wie ich es eigentlich verdiene. Man wird ja ohnehin regelmäßig für Verdienste gelobt, die eigentlich gar keine sind, während die Dinge, für die man sich tatsächlich halb umgebracht hat, nie einer würdigt. Diese Taxifahrt zum Beispiel.

In Tegel wird es dann gemütlich. Ich sitze ein bißchen herum, putze mir auf der Flughafentoilette die Zähne, beglückwünsche mich zu dem Entschluss, gestern Abend trotz des wirklich langen Lamentos meines unglücklichen Babysitters nach unserer Rückkehr noch zu duschen und blättere im Süddeutsche Magazin. Da loben sich diese Woche lauter Frauen, die ich nicht kenne.

Einen Kaffee würde ich gern trinken, schaue ich verlangend die Espressomaschine am Imbisstand an. Leider ist es schon fast viertel nach sieben, die Stewardessen rascheln geschäftig herum, und dann wird geboardet. Ich gähne ein wenig herum, freue mich auf den Kaffee im Flugzeug und versuche mich angesichts der Nachrichten zu erinnern, ob ich eigentlich schon mal etwas von Sybille Lewitscharoff gelesen habe. Mir fällt nichts ein. Das kann aber auch an der Uhrzeit liegen. Morgens vor neun bin ich kognitiv nur unwesentlich begabter als ein Hamster.

Eine halbe Stunde später bin ich annähernd wach und mir ziemlich sicher, tatsächlich nie etwas von Frau Lewitscharoff gelesen zu haben. Fast bedaure ich das ein wenig. Ich lese eigentlich ganz gern die Ergüsse von Irren und würde sofort, wenn sich auch mir die Gelegenheit böte, bizarre und beleidigende Reden halten, am nächsten Tag alle Zeitungen kaufen und mich freuen. Einfach nur so. Aus Daffke.

Leider gibt es immer noch keinen Kaffee. Es gibt überhaupt nichts, nicht einmal Fortbewegung. Statt dessen steht das Flugzeug wie angeleimt auf dem Flughafen Tegel herum, und zu alledem geht meine Zeitung zur Neige. Meine Laune sinkt, ich ziehe ein paar schlechtgelaunte Grimassen und erinnere mich an die Zeiten, als es in Flugzeugen auch in der Economy Class morgens noch Semmeln gab, Kaffee und Joghurt. Sogar die Stewardessen sahen nicht so verhärmt aus, will es mir scheinen. Ich krame in meiner Tasche. Ich habe Hunger.

In meiner Tasche aber gibt es nichts. Ich finde immerhin meine Unterlagen. Ein iPad, ein bisschen Geld, zwei Stifte, eine Strickmütze und einen Gummihasen von Schleich. Zwei Pixibücher, von denen eins von einem Hund aus dem Tierheim handelt, das andere aber vom Weihnachtsmann, und ein steinaltes Amenity Kit, das wahrscheinlich Ausschlag verursacht, wenn man die Handcreme da drin wirklich benutzt.

„Mögen sie ein Croissant von mir?“, rettet mich immerhin der Passagier auf der anderen Seite des Ganges. Ich nehme natürlich sofort an. Aus dem Alter, in dem man von fremden Männern nichts annehmen darf, bin ich schon seit mehreren Jahrzehnten raus. Die Stewardess schaut mich scheel an. Ist es, frage ich mich, zwischenzeitlich nicht nur so, dass man keine Speisen mehr gereicht bekommt, sondern darf man in den Maschinen der Lufthansa jetzt auch nichts Mitgebrachtes mehr essen?

Aus reinem Trotz esse ich weiter. Dankbar unterhalte ich mich mit dem Croissantschenker, gebe mich – das ist eine längere Geschichte – versehentlich als eine 32 Jahre alte Berlinerin aus, was ja immerhin auch irgendwann einmal stimmte, und stimme dem Mann zu, der irgendetwas sagt, was sich immerhin nicht so irre anhört wie das von der Lewitscharoff. Halbwesen kamen jedenfalls keine vor. Ich glaube, es ging um Kunststoff.

Als die Maschine endlich abhebt, schlafe ich ein. Ich schlafe sehr, sehr fest. Ich träume sogar. Kleine, pelzige Tiere, irgendwelche Verwicklungen peinlicher und schwer verständlicher Natur. Erst im Sinkflug über Frankfurt werde ich wach.

„Einen schönen Tag!“, wünscht mir der Passagier mit dem Croissant, und die Stewardess lächelt schmallippig und scheint mich stumm zu verwünschen. Anscheinend waren ihr die Krümel wirklich nicht recht. „Ihnen auch!“, winke ich, greife nach meiner Tasche und trotte Richtung Ausgang. Nach der Ankunftshalle B 1 halte ich Ausschau, fahre mit Rolltreppen hoch und runter, frage ab und zu und biege zum Schluss einmal rechts ab.

„Hier kommen sie nicht durch.“, sagt die Polizei.

10 Gedanken zu „Einmal Frankfurt viel zu früh

  1. ja, richtig. wer ist diese L.?, fragte ich mich beim hören dieser sehr empört vorgebrachten mitteilung, um allsogleich in meinem so gar nicht mit der L. zu tun habenden tun weiter zu machen.
    ich schätze, ich war nicht die einzige, die es so gar nicht interessierte, was eine unbekannte l. für krude meinungen vertritt, die nun auf reaktionen lauernd in ihrer ecke sitzt.

  2. Ich war 2009 live dabei, als verkündet wurde, dass sie den Preis der Leipziger Buchmesse gewonnen hat. Deshalb sagte mir ihr Name etwas. Gelesen habe ich von ihr aber auch nix.

    Onan war übrigens Opfer einer Zwangsheirat. Er musste die Witwe seines älteren Bruders heiraten, um mit ihr – sozusagen in dessen Namen – Kinder zu zeugen. Bestraft wurde er, weil er sich weigerte, die Linie seines verstorbenen Bruders fortzusetzen. Insofern war Lewitscharoffs Aussage zur Samenspende, bei der sie sich auf ein „biblisches Onanieverbot“ bezog, völliger Quark..

    1. Ja, ich habe einen sehr, sehr langen Umweg nehmen müssen, war dann aber doch am Ziel. Es lag an einem verlassenen Gepäckstück. Da kommt ja inzwischen immer gleich die Polizei.

      1. vermutlich schon, aber nicht jeder bemerkt es, nicht jeder der es bemerkt schreibt es auf, und nicht jeder der es aufschreibt, schreibt es so auf dass es ein Laecheln zuruecklaesst..

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