Katzen, wie man weiß, verfügen über ungeahnte Fähigkeiten. Meine Katze zum Beispiel kann sich unsichtbar machen, wenn sie für ein paar Stunden oder Tage einfach genug hat von dem ganzen Betrieb, oder mir zeigen will, dass ich sie brauche und ohne die Katze nicht einmal für fünf Minuten so ganz ungetrübt glücklich sein könnte.
Heute kam vermutlich beides zusammen: Zunächst war schon gestern Familie B. da. Mit Familie B. sind wir schon sehr, sehr lange zusammen. Wir haben mit dem R. sieben Jahre promoviert. Wir haben mal übereinander gewohnt. Wir haben zusammen ziemlich viele Feste gefeiert, sind in Urlaub gefahren, und nun treffen wir uns also am Sonntag nach Weihnachten, dem 5. Advent sozusagen, und essen Zimtschnecken und trinken Tee.
Familie B. hat eine kleine Tochter, die vierjährige C. Die C. verträgt sich eigentlich gut mit Katzen, denn auch Familie B. hat eine Katze. Katze Lilly jedoch ist eigentlich jeder Besuch zuviel. Ich glaube, Lilly hat uns ganz gern, aber unsere Neigung, ständig Leute einzuladen, kann sie nicht ausstehen. Dass dann gestern Abend auch noch der Mek kam: Eindeutig zuviel. Zudem schwelt zwischen Katze Lilly und mir ein Konflikt. Ich fürchte, ich bekomme von allzu innigem Kontakt mit Lilly einen fiesen Husten, und deswegen darf Lilly nicht mehr ins Schlafzimmer. Seitdem ist Lilly beleidigt, und der F. hat mir ernsthafte Vorhaltungen.
Als heute morgen dann nicht nur unsere Reinigungskraft, sondern auch noch deren Mutter erschien, verschwand Lilly und ward nicht mehr gesehen. Um vier, als ich mit dem F. und seinem Freund A. aus dem Tierpark kam, war sie weg.
Mir fiel das erst gar nicht auf. Der F. und sein Freund lärmten, als hätte ich zehn Kinder zu Besuch, und erst, als der A. abgeholt worden war, und der F. schlief, fiel mir auf, dass ich die Katze seit den früheren Morgenstunden nicht mehr gesehen hatte. Der J. und ich stellten uns also wie die Deppen in jeden Winkel unserer Wohnung und brüllten nach der Katze, schüttelten die Futterdose, säuselten alle Namen der Katze und rissen alle Schranktüren auf. Am Ende war ich sogar im Hof, im Müllraum, vor der Tür und auf allen fünf Stockwerken. Nichts.
Zwei Stunden später war ich zu Tode betrübt. Inzwischen war auch der F. wieder wach, und gemeinsam bejammerten wir das Los unserer Katze. Erfroren, verhungert, jammervoll in einen Keller gesperrt oder von fiesen Katzenfängern weggeholt. Händeringend sitzen wir also auf dem Sofa und lassen die Ohren hängen.
Am Ende kam die Katze natürlich wieder aus irgendeiner Ecke hervor, dehnte und streckte sich und legte sich majestätisch aufs Sofa. Ich könnte schwören, ich habe jeden Winkel der Wohnung durchsucht, und ich weiß: Die Katze war nicht zu finden. Die Katze war unsichtbar, und während wir überall nach der Katze suchten, saß die Katze hier irgendwo und grinste uns aus.
Aus Erfahrung würde ich vermuten, sie hatte sich in das große Katzengemälde hineingeschlichen, so offensichtlich unauffällig wie in Poes „entwendeten Brief“. Eine andere Lösung fiele mir sonst auch nicht ein.
Lilly beherrscht ohne Zweifel die Kunst des Verdampfens. Selten, aber nicht ungewöhnlich bei Katzen. Wenn jemand mal vom Bandersnatch verletzt wird ist das sehr nützlich.
Typisch Katze, nur Kater sind da etwas umgänglicher. Ich hatte mal einen, den man sich als Kragen um den Nacken legen konnte und der sich bei Besuchern, die besonders Katzen nicht mögen, immer gern auf den Schoß legte und schnurrte oder unserem Großvater die Glatze ableckte.