Wieso gibt es eigentlich keine blonden Frauen, die in Klagenfurt lesen, frage ich mich, und überlege, ob die Juroren, wenn sie Texte aussuchen, eigentlich sofort googlen, wie die Leute aussehen. Früher, das sieht man auf alten Bildern, waren Autoren ja auch mal gern so hässlich wie Kröten, aber als krötenhässlicher Mensch wird man heuer ja gar nichts mehr, da kann man noch so schön singen oder schreiben. Ich wette, sogar als Wissenschaftler ist es inzwischen ein absoluter Nachteil, wenn man klein, fett und warzig ausschaut.
Frau Ada Dorian jedenfalls ist hübsch und dunkelhaarig und sieht eigentlich schon fast exakt so aus wie einige andere Autorinnen aus, aber vielleicht kommt mir das nur so vor. Ich werde ja auch nicht jünger, da schauen dann irgendwann alle jungen Frauen gleich aus und alle alten auch. Nur die Frauen, die so alt sind wie ich, die kann ich noch unterscheiden.
Frau Dorian liest einen Text über einen alten Mann. Der alte Mann ist das letzte Mysterium der Gegenwart, man weiß quasi nichts über sein seelisches Innenleben, weil die alten Männer sich wenig mitteilen, und wer liest schon Martin Walser, aber auch aus Frau Dorians Buch werde ich nichts über alte Männer erfahren, weil ihre Geschichte über einen alten Mann, der sich einen Wald in die Etagenwohnung stellt, mich rein gar nicht interessiert. Die Russlandklischees, die dann auch noch vorkommen, finde ich fade.
Überhaupt ist heute der Tag der Alten. Auch der nächste Text, Herr Gröttrup setzt sich hin, handelt von einem alten Mann, und startet etwas zäh mit der Beschreibung eines älteren Mannes, der so dem Klischee des alten Spießers mit Schrebergarten entspricht, dass ich ein bisschen seufze, weil die Autorin so nett wirkt, dass man ihr einen tollen Einstieg gewünscht hätte. Dann aber hebt Sharon Dodua Otoo zu einer so irrwitzigen, witzigen, leichten Wendung ab, dass ich heiter ein paar Minuten in der heißen Luft über dem Landhafen schwebe und ein bisschen vor mich hin lache.
Das Los aber ist von unerbittlicher Ordnungsliebe. Auch im nächsten Text taucht ein alter Mensch auf, eine Frau diesmal, ein steinaltes Dienstmädchen in einem Hotel, einem verlassenen Hotel, ein rassistisches, böses Dienstmädchen, und ein junges Flüchtlingsmädchen und vielleicht eine schwarze Frau, von der ich nicht weiß, ob es sie in der Realität dieses Romanauszugs wirklich gibt, und es auch nie herausfinden werde, weil schon anhand des kurzen Auszugs des Textes von Astrid Sozio klar wird, dass die Konstruktion nie im Leben funktioniert. Der Text scheitert aufs Krachendste, plumper Schulfunk oder rassistisches Stereotyp, vermutlich beides, und da hilft es dann auch nicht mehr, dass ich der Autorin gern zusehe, auch wenn sie genauso aussieht wie die Hälfte der anderen Autorinnen.
Zum Schluss aber kommt der alte Mann selbst. Dieter Zwicky heißt er, ist Schweizer, und auch diesmal scheitere ich am alten Mann. Ich verstehe nicht, wovon sein Text handelt, ich schlafe fast ein, weil es 32° C warm ist, und sein Text für mich keinen Sinn ergibt. Dazu liest er in schwerem, konsonantenreichen Schweizer Dialekt, ich höre nur den schleppenden, wiegenden Tonfall und ein wahrer Wasserfall an knackenden und krachenden Lauten.
Am Ende sitze ich wieder am See. Ich plaudere ein bisschen, ich sehe in den blauen Himmel, und frage mich, ob mir die alten Leute eigentlich auch so fremd gegenüberstehen, wenn sie mich vorbeifahren sehen, und ob sie mich mögen oder nicht.
Schon wenn jemand nur 10 Jahre jünger ist als man selbst, kann sie/er schon kaum noch verstehen, was einen bewegt, wie man aufgewachsen ist, was das Leben, den Habitus, die Sprache, den Geschmack geprägt hat. Wie sollte man da die „alten Leute“ verstehen, die vielleicht noch einen Krieg miterlebt haben und die Engstirnigkeit und Düsternis der 50er Jahre? Und sie? Was denken sie, wenn sie uns später Geborene beobachten, die nie wirkliche existenzielle Probleme hatten, eine liberalere Moral, nur seelische Nöte vielleicht?
Ich meine aber, dass die alten Leute abtreten und das Feld beizeiten den jüngeren überlassen, oder nur für ihresgleichen zum Spaß schreiben sollten und sich nicht mehr im Literaturbetrieb aufstellen sollten. Vielleicht sollte eine Altersbegrenzung für derartige Preise von – sagen wir – 40 Jahren eingeführt werden.
Das sehe ich wirklich anders. Mich würde es interessieren, was in Leuten vorgeht, die ich nicht verstehe. Literatur ist – neben allem anderen – auch hierfür eine Brücke. Insofern würde ich eher sagen: Die Welt braucht mehr schreibende Greise. Und schreibende Leute in mittleren Jahren. Arme, reiche, mit Kindern, ohne Kinder, mit Männern, Frauen, Hunden und Katzen.
Die Welt braucht mehr gute Texte.
Es gibt bei den Alten und den Jungen Menschen, die ich verstehe, aber auch viele, die ich nicht verstehe. Diese Pauschalisierung ist doch echter Blödsinn. Es gibt eben Menschen jeglichen Alters oder Berufes, Hautfarbe oder Nationalität die ich sympathisch finde, oder unsympathisch, weil ich sie eben nicht so gut verstehe. Und das mit Altersbegrenzung ist ja wohl die aberwitzigste Idee.
Es gibt ja auch Wettbewerbe, für die es Altersgrenzen gibt, zB den Open Mike.