Morgens nach Tegel

„Nach Tegel.“, schnalle ich mich an und gähne ein bisschen, denn es ist noch früh. „Hrrrr.“, macht der Taxifahrer, oder so ähnlich. Dann fährt er los.

Nach einigen Minuten ziehe ich mein Handy aus der Tasche. In dreißig Jahren wird mein Sohn F. die wesentlichen Funktionen meines iPhones fest ins Gehirn verschraubt haben und auf mich Urmensch lächelnd herabsehen, aber noch brauche ich dieses Gerät, um mit Menschen zu sprechen. Ich zücke also mein Telefon. In diesem Moment interveniert der Taxifahrer. „Hier nicht telefonieren. Hören schöne Musik.“ Aus den Boxen hinter mir dröhnen blechern billige Bässe. „Musik!“, schreit der Taxifahrer. „Musik!“

***

„Sie wollen bestimmt zu ihrem Liebsten.“, strahlt der Taxifahrer mich fröhlich an. Er sieht ein bisschen aus wie Danny de Vito auf deutsch. Oder Karlsson vom Dach. Gut gelaunt wirft er meinen Rollkoffer in seinen Kofferraum, und ich überlege ergebnislos, ob es überhaupt irgendwelche Frauen gibt, die in einem blauen Kostüm und mit einem Aktenkoffer morgens um halb sechs ihren Freund besuchen.

Ich besuche keineswegs meinen Liebsten, sondern lediglich ein Oberlandesgericht im Rheinland, deswegen jubele ich auch nicht zurück, sondern grunze nur eine Art Gruß, schwinge mich auf die Rückbank und starre in mein Telefon. „Grüßen Sie ihn von mir!“, trällert der Taxifahrer und küsst ein paarmal laut lachend in die Luft und spreizt dabei alle zehn Finger.

***

Es ist spät. Der J. und ich setzen uns ins Taxi. Ich bin fürchterlich müde. Zusammengekauert, nicht ganz unähnlich einer großen, aggressiven Kröte, sitzt der Fahrer hinterm Steuer.

Kaum habe ich mich angeschnallt, fährt er mit einem jähen Ruck los. Ich falle mit dem Kopf fast gegen den Fahrersitz, werde zurück in das Polster gedrückt und schaue den J. stumm an. Zwischen uns schläft unser Kind. Wenn ihm heute etwas passiert, wird es mir lebenslänglich leid tun, mit kleinen Kindern nicht einfach Jahr für Jahr nach Norderney zu fahren wie andere Leute auch. Dann immerhin geht es los. Auf einmal aber brüllt der Taxifahrer unvermittelt los: „Ich hasse Auto fahren in Berlin.“

Ich auch, denke ich. Ich auch.

5 Gedanken zu „Morgens nach Tegel

  1. Auto fahren in Berlin. Ich hasse es auch. Und so steht mein Mercedes an der Straße, wird alle 8 Wochen mal bewegt und alle 3 Monate gründlich geputzt…

    1. Jahrelang war Taxifahren wirklich ziemlich okay, aber inzwischen fahren offenbar vorwiegend Wahnsinnige. Und dabei will ich noch gar nicht von dem Typ sprechen, der mich irgendwann am sehr späten Abend auf einen Parkplatz gefahren hat, das Taxameter ausgemacht hat, und während ich vor Angst fast gestorben bin, angefangen hat, mir zwanzig Minuten lang Koransuren vorzulesen.

        1. Den Kerl mit den Koransuren hätte ich fast angezeigt, aber was bringt das. Der saß da, alle Türen verriegelt, dunkler Parkplatz, und hat sich so sichtbar über meine Angst amüsiert. Es mag albern sein, in solchen Momenten nicht cool zu bleiben, es ist ja nichts passiert, aber ich bin ziemlich fertig am Flughafen angekommen. Egal.

        2. Dss wird alles mit dem BER besser. Dann kann man mit den Provinz-Kutschern aus LOS vom Flughafen nach Berlin fahren.

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