Können Sie sich noch daran erinnern, wie wichtig Liebesgeschichten zu sein schienen, als sie so ungefähr 17 waren? Ha, hätten Sie mal französisch gelernt oder Klavier geübt, dann könnte Sie das heute, aber wer Ihnen damals mal wirklich wichtig erschien, den haben Sie heute aber sowas von vergessen. Ich hoffe, es geht Ihnen allen prächtig, aber konzedieren muss man ja schon: Die Drüse, die verliebt macht, hat ihre Produktion im Wesentlichen eingestellt. Das ist schön für die Stabilität bestehender Beziehungen, aber eher so mittelgut für den Content eines nicht unwesentlich auf Indiskretionen beruhenden Blogs.
Immerhin, es gibt Ausnahmen. Nehmen wir beispielsweise den G., netter Kerl so an sich, der sich nach einigen schrecklich langweiligen Jahren als Ehemann und Vater ausgerechnet in seine Nichte verliebte. Also eine große Nichte, irgendwie so Anfang zwanzig, und tatsächlich ein paar Monate mit der Nichte sehr glücklich war. Dann flog alles auf, Scheidung, drei Jahre Skandinavien an irgendeinem Krankenhaus am Ende der Welt, der G. ist nämlich Arzt, und als der G. nach Deutschland zurückkam, war er wieder in festen Händen. Sie war sehr still, sehr lang, sehr schlank, so ein Mädchen mit langen, glatten, braunen Haaren und sie war circa 27 und promovierte über irgendetwas mit Kunst. Unter Leuten, die ihn kannten, hieß sie nur die Madonna.
Auf die Madonna eins folgte die Heilige Therese. Sie war circa 27, sehr zart und sehr blond und zog eines Tages Knall auf Fall zu ihrem Doktorvater. Die Heilige Therese verließ zur Abwechslung also mal den G., so dass der G. sich für ein paar Monate wirklich schlecht fühlte, bis er die Heilige Barbara kennenlernte, die so hieß, weil sie in einem Turm arbeitet, in dem eine bekannte Großbank ihr Unwesen treibt. Sie war circa 24, Bankkauffrau, lang und schlank mit glatten braunen Haaren, und als sie ausgezogen war, hatte der G. keinen Hund mehr, kein Sofa, und er fühlte sich irgendwie erschöpft.
Zwei Jahre später sehen wir den G. nunmehr erneut in Skandinavien. Er hat ein Haus gekauft, einen neuen Hund, ein neues Sofa, sein ältester Sohn wohnt bei ihm, und er hat eine neue Freundin. Sie ist 47, Mutter von zwei erwachsenen Kindern, Lehrerin, und Leute, die ihn kennen, nennen sie bei ihrem Namen.
Endlich hat der G. nach dem dritten Fehler eingesehen, dass er auch schon ein älteres Semester ist und die Richtige gefunden, die zu ihm passt. Er scheint seine Midlifecrisis überwunden zu haben. Schöne Geschichte!
Mir scheint, es waren mehr als drei Fehler.
Ehefrau – Nichte – Madonna – Heilige Therese – Heilige Barbara – Lehrerin.
Ja, ja, auch die Meister werden einmal müde.
G. ist mir irgendwie sympathisch… hätte doch Ingeborg Bachmann ihn gekannt.
Wie zynisch, Ingeborg Bachmann hat den Rest ihres Lebens furchtbar gelitten, als der 15 Jahre ältere Max Frisch sich von ihr getrennt hatte, und ist letztlich auch daran gestorben, als sie von Psychopharmaka benebelt mit einer Zigarette im Bett starb.