Journal :: 29.02.2011

Auf dem Bett gelegen und an die Decke gestarrt. Die mit Farbe zu oft übermalte Rosette. Der neue Stuck, der nie ganz echt aussieht. Die grünen Vorhänge. Der Spalt zwischen Vorhang und Fenster, hinter dem die Nacht klafft wie ein schwarzes Loch. Da könntest du hineinfallen, sage ich mir, aber zum Fallen ist es viel zu spät. Die Nacht funkelt da draußen ohne mich.

Ein paar Seiten in Nicole Krauss Geschichte der Liebe, das schon ganz gut ist, aber nicht so gut, dass ich es in einem Zug durchlesen würde. Die ganzen Leute kenne ich schon, denke ich und lege mir das Buch mit dem Rücken nach oben auf den Bauch. Die Handlung ist recht simpel so an sich, und handelt von einem Buch, das ein junger Mann am Vorabend des zweiten Weltkriegs in Polen für seine große Liebe verfasst, bevor der Holocaust diese Welt verschlingt. Der junge Mann verliert seine Liebe, seine Heimat, sein Buch und seine Familie und wird schließlich ein alter Mann in New York. Sein Buch hat ein anderer unter seinem eigenen Namen publiziert. Entlang des anderen Strangs der Geschichte sucht ein junges Mädchen in New York, das den Namen der Romanheldin trägt, diese Frau und wickelt die Geschichte so vom hinteren Ende auf.

Krauss erzählt indes nicht linear. Die Geschichte springt von einer Ebene zur anderen, und auch wenn dies gelegentlich gut funktioniert und die einzelnen Strähnen zu einem straffen Zopf verflochten prangen, so wirken die Sprünge bisweilen doch arg artifiziell. Krauss hat Humor, das ist nett, aber manchmal versteigt das Buch sich in die Sphäre von reinem Kitsch. Gerade die Auszüge aus dem Buch, das der junge Mann für die Frau, die dann in New York einen anderen heiratet, schreibt, sind stellenweise schwer die Möwe Jonathan. Bisweilen werde ich entsetzlich müde über dem Buch und schließe die Augen.

Irgendwo in einer Ecke raschelt der Kater. Müde bin ich heute abend, müde bin ich meistens in diesen Tagen, angestrengt und ein wenig reizbar. Die Stadt strengt mich an. Die Kälte. Mein ganzer, etwas dünnflüssiger, etwas allzu vorhersehbarer Alltag langweilt mich, und selbst der Sonnenschein erscheint mir attrappenhaft und nicht ganz echt. Sieht ja nur warm aus. Ist trotzdem kalt.

Irgendwann schlage ich das Buch zu. Morgen werde ich weiterlesen, übermorgen vielleicht, aber so arg interessiert mich gerade nicht, wie es weitergeht. Ein paar der verzerrten Träume Adornos aus den bei Suhrkamp erschienen Traumprotokollen werde ich noch lesen, wie stets mit dem seltsam beklommenen Gefühl, in einen verbotenen Raum eingetreten zu sein, wie es ihn in meinem Dasein inzwischen kaum mehr gibt, in dem die Türen zugewachsen sind, die meine Welt mit den anderen Welten verbindet.

4 Gedanken zu „Journal :: 29.02.2011

  1. In der heutigen Zeitung war ein lesenswerter Beitrag von Nicole Krauss zur Lage des Buchhandels und zum Verschwinden des stationären Buchhandels. Tenor: wenn alles im Netz verfügbar ist, dann ist alles bedeutungslos. Man drehe sich im Kreis wie die Schlange, die sich in den Schwanz beißt. Es würde einem immer nur das gezeigt, was man schon kennt. Es fehle der Überraschungseffekt des Buchregals, in dem man auch Sachen findet, die man nicht gesucht hat. Ich kann diesen Standpunkt gut nachvollziehen. Ich verfluche in toto die DDR-Vergangenheit. Es war eine verkommene spießbürgerliche Welt mit vielen Unerfreulichkeiten. Aber eine Sache vermisse ich paradoxerweise doch: die Bücherjagd. Es war ja so, daß es immer nur ein beschränktes Angebot gab und gerade gute Titel eine niedrige Auflage hatten. Es kostete halt Westgeld oder war ideologisch unerwünscht. Daraus ergab sich aber das Erfolgserlebnis erfolgreicher Jagd und des zugehörigen Adrenalinschubs: Ich hab’s gekriegt! Das wirkte natürlich auch auf die Rezeption und vor allem bewirkte es eine Verlagsbindung, eine Reihenbindung, die es heute kaum noch gibt. Man konnte sich darauf verlassen, auch wenn es ein unbekannter Autor war, daß ein bestimmtes Niveau gehalten wurde. Die Reihen bei Volk & Welt zum Beispiel, ex libris und Spektrum, waren sichere Banken. Keine Bestseller im herkömmlichen Sinne. Ich hätte von Haus aus niemals Andrej Platonow, Alberto Moravia, Cees Nooteboom oder Junichiro Tanizaki gekauft, wenn nicht in den gleichen Reihen Musil, Gide, Hildesheimer und Vian erschienen wären. Die Expertise des Verlags war mir Garantie für gute Qualität. Man mußte die Dinger bloß noch erwischen, deshalb war täglicher Gang in die Buchhandlung Pflicht. Dafür sind Buchhandlungen eigentlich unverzichtbar. Leider gibt es nur noch wenige Buchhandlungen, dafür viele Schnelldreher-Verteilzentralen.

  2. REPLY:

    Ja, das liebe ich auch. Das Stöbern. Ich mag das Antiquariat auf dem Weg zum Kollwitzmarkt am Samstag, die Buchbox an der Greifswalder und den ganz kleinen Laden in der Falkensteinstraße. Flohmärkte natürlich.

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