Madame Modeste will eine Kur

Manchmal, meine sehr verehrten Damen und Herren, fühle ich mich alt. Wenn ich zwanzig Minuten zügig gehe, lockern sich schwarze Brocken in meiner Lunge und fallen mir aus dem Mund. Meine Magenschleimhaut zieht sich sofort zusammen, wenn ich Sekt trinke, reißt ein und gibt handtellergroße Stellen frei, die sodann von der Magensäure angegriffen und unter unangenehmen Körperempfindungen verdaut werden. Von Tag zu Tag werde ich zudem geräuschempfindlicher und male mir manchmal aus, wie ich Leute, die Lärm veranstalten, mit einer lautlosen, aber tödlichen Waffe zum Schweigen bringe.

Gegen diese Erscheinungen kann man natürlich überhaupt nichts machen. In meinem Alter, sage ich mir dann, ist das eben einfach so, und beobachte sorgfältig Leute, die noch älter sind als ich, ob ihnen ab und zu ein Arm abfällt oder ein paar Zähne im Brot steckenbleiben, wenn sie etwas essen.

Eine Kur müsste man machen, sage ich mir dann manchmal, lege mich ins Bett und male mir ganz genau aus, wie das wäre, in Bad Gastein etwa oder Altaussee oder so. Morgens würde ich um sieben aufstehen, würde joggen oder unter Anleitung Gymnastik machen. Rohkost gäbe es immerzu, so dass ich abnehmen würde, dass die Pfunde nur so krachen. Ab und zu – vielleicht wöchentlich – würde man mich in Schlamm legen oder kalt abspritzen für bessere Haut.

Den ganzen Tag müsste ich Wasser trinken. Angestellte des Kurbetriebs in weißen Kitteln würden sanft zu mir sprechen und mir warme Steine auf den mürben Bauch legen, damit sich mein Kräftezentrum regeneriert. Abends höre ich jeden Tag, denke ich, das Beste von Johann Strauss. Nach drei Wochen wäre ich quasi 22, schlank, straff und furchterregend energiegeladen. Dann fahre ich zurück nach Berlin.

Kuren aber gibt es, soweit ich weiß, nur für noch ältere Leute, krebskranke Rentner, Rekonvaleszenten, denen nicht kleinere Ärgernisse, sondern schwere Gebrechen zur Last fallen, und jemanden wie mich schickt auch ein skrupelloser Arzt nicht so einfach drei Wochen nach Bad Ems.

Zwar wird also, überlege ich, daher wohl nicht die Gemeinschaft aller in meiner Krankenkasse Versicherten meine Kur bezahlen. Aber kann man auch einfach so auf Kur und zahlt das selber? Gibt es die Selbsteinweisung in die Kurklinik? Macht das außer mir vielleicht schon irgendwer? Oder bleibt mir nichts übrig, als eins dieser neumodischen Wellness-Hotels in Anspruch zu nehmen? Sind die Wellness-Hotels gar die Kurkliniken von heute? Oder fahre ich besser ins osteuropäische Ausland und kure da?

Fragen, Fragen, und sogar Google bleibt stumm.

31 Gedanken zu „Madame Modeste will eine Kur

  1. das ist mitnichten ein ungewöhnliches anliegen. ich las sogar mal, dass weit über 50% aller kurgäste selbstzahler seien. in meinem freundeskreis gibt es noch jede menge nutzerinnen von mutter-und-kind-kuren. aber soweit ich weiß, fehlt Ihnen auch hierfür die medizinische indikation.
    ich selbst gebe ehrlich zu: der einzige grund, in kur zu fahren, wäre für mich die aussicht auf einen kurschatten. ich wollte schon immer mal einen geliebten, der in meinem schatten steht.

  2. Wellness-Hotels unterscheiden sich von normalen nach meiner Erfahrung nur dadurch, dass ständig vor sich hin plätscherndes Wasser zu hören ist. Für medizinische Indikationen vielleicht etwas wenig.

  3. Meran ist nett, aber spiessig, meinte Andrea. Wie wäre es mit Abano Terme in der Provinz Padua? Das fand ich sehr nett, und wenn man genug hat vom rumliegen, ist Venedig und Ravenna gleich in der Nähe. Von den bayerischen Bädern, selbst Tölz, Berchtesgaden und Tegernsee, kann ich nur abraten.

  4. REPLY:

    Tja, auch da hat uns der sozialabbauende Staat etwas weggenommen. Es ist noch gar
    nicht solange her, da stand jedem Arbeitnehmer alle fünf Jahre drei Wochen Kur zu,
    egal ob krank oder nicht. Auf die Weise lernte mein Vater mal die Privatsekretärin des
    damaligen Viorstandsvorsitzenden von VW kennen 😉

  5. Bezahlbar & effektiv

    Ja, man fährt heute zum Kuren nach Osteuropa. Effektiv ist aber auch eine Fasten-Kur. Die ist bezahlbar, dauert nicht so lange und geht ganzheitlch ans Eingemacht.

  6. Kuren aber gibt es, soweit ich weiß, nur für noch ältere Leute, krebskranke Rentner, Rekonvaleszenten, denen nicht kleinere Ärgernisse, sondern schwere Gebrechen zur Last fallen, und jemanden wie mich schickt auch ein skrupelloser Arzt nicht so einfach drei Wochen nach Bad Ems.

    Ja super, alles Leute, die sich die Zuzahlungen für die Kuren nicht leisten können! Also tatsächlich ist es so, dass Du selber zur Kur fahren kannst und u. U. sich Deine Kasse an bestimmten Leistungen beteiligt. Einfach mal mit der freundlichen Hauskasse sprechen …

  7. Mit einem Kurschatten, über den es zu springen gelten würde, hätte ich, Frau Saoirse, ja wenig übrig – da stelle ich mir einen etwas bekümmerten, faltigen Finanzbeamten auf Abwegen vor. Das ist fast so schlimm wie die Hühner, liebe Frau Fragmente, deren Gesellschaft mir auch wenig attraktiv deucht.

    Karlsbad, Herr Wallhalladada, kenne ich sogar ein wenig, Meran allerdings ebenso wenig, lieber Don, wie Abano, aber das lässt sich ja ändern.

    Nur ein bißchen Wassplätschern genügt meinen Vorstellungen von Kuren, Herr Blue Sky, auch ohne Krankheiten nicht. Dass man aber ohne die geringste medizinische Indikation keine Kur einfach so und ohne Bezahlung machen sollte, erscheint mir, Che, nur recht und billig. Dann bezahle ich das eben selbst oder bleibe zu Hause. Die De*beka gehe ich jedenfalls deswegen, Frau Creezy, nicht an, das wäre mir irgendwie peinlich, und eine osteuropäische Kur, Herr 404, ist im Leistungskatalog vermutlich ohnehin ncht enthalten. n

  8. Wenn Sie den Weg des offfiz. Kurantrages via (Haus-)Arzt gehen wollen, müssen Sie sehr schwerwiegende Indikationen vorweisen und auf jeden Fall schon begonnende ambulante Maßnahmen (z.B. Psycho-, Gesprächstherapie, Krankengymnastik..) nachweisen können. Ohne das keine Chance, solange Sie nicht drohen, aufgrund Ihrer Befindlichkeit berufsunfähig zu werden. Generall versuchen die Kassen erst einmal, Ihren Antrag in Maßnahmen am Wohnort zu kanalisieren.
    Alternativ können Sie sich jederzeit in ein Krankenhaus selbst einweisen, allerdings nicht in eine Kurklinik – wobei Ihnen dann evt. die Kontrolle flöten geht, da man sie u.U. mit Psychopharmaka behandeln wird. Und von einer Luftveränderung inkl. gesundheitsfördernden Aktivitäten, die Sie eigentlich benötigen, ist dieses Szenario weit entfernt. Dafür muss man schon ganz am Ende sein und seine Alltagstauglichkeit bzw. Arbeitsfähigkeit schon z. gr. Teil verloren haben, wie ich finde.
    Manche Kassen bieten auch sog „Aktivwochen“ an, will sagen Maßnahmen, im Rahmen derer der Versicherte Anreise & Unterkunft selbst zahlt, während das (dann obligate) Bewegungsprogramm (mit unterschiedlichen Schwerpunkten wählbar) von der Kasse gezahlt wird. Die Auszeit ist zwar kurz, aber besser als nix! Und wenn einem das Ganze zusagt, kann man ja jederzeit noch einige Tage auf eigene Kosten – urlaubsmäßig – dranhängen.
    Wünsche Ihnen viel Erfolg, bei welcher Variante auch immer!

  9. REPLY:

    Wie jetzt – man lacht mich aus? Man nimmt meine Wehwehchen nicht ernst?! Nicht mal meine Leser gönnen mir drei erholsame Wochen mit Wassertrinken und gedünstetem Gemüse?

    WAS SOLL DENN DAS BEDEUTEN?

  10. Eine Freundin erzählte mir neulich von einer „Schweigekur“ auf Frauenchiemsee, erholsam und erquicklich auch für den Körper, wenn die Sprechwerkzeuge danieder liegen. Allerdings müssten sie vielleicht gar auch vom Bloggen lassen

  11. REPLY:
    Her mit dem guten Leben!

    Ich bin nun mal durch eine Zeit geprägt, wo die Kur zu den als selbstverständlich
    angesehenen Arbeitnehmerrechten gehörte. Und heutzutage steht selbst mir als
    Schwerstverunfalltem nur ambulante Reha zu. Man lese mal den Zauberberg, da
    kommt noch echte Kurkliniksathmosphäre auf. Alles Vergangenheit, leider.

  12. REPLY:

    Nicht schlecht, nicht schlecht – Baden-Baden mag ich sowieso. Übrigens lese ich gerade – auch das mag zu meinen Kurphantasien beigetragen haben – Reinhold Schneiders „Balkon“. Von einer Schweigekur aber wird mich so schnell nichts überzeugen, und wenn man dann noch nicht mal bloggen darf, wird wohl endgültig nichts daraus.

  13. REPLY:

    Ach nääää, eine Schweigekur, das wäre nichts für mich. Wie soll das denn meiner Gesundung dienen, wenn ich nicht über die Rückpartien anwesender männlicher Mitkurgäste lästern dürfte und auch nicht über das schreckliche Abendessen? Das ist doch nur die halbe Freude …

  14. Über die Kostenträgerschaftsumstände hinsichtlich Kuren kann ich nicht mehr beitragen als zum Thema Phasenraumvolumeninvarianz nach Liouville. Und das ist wahrlich nicht viel. Spannend aber, wie plötzlich vielerorts im Netz das Thema „Alternde Jugend“ sich Bahn bricht. Schöner Text, Frau M.

  15. ayurvedick

    oh, frau modeste – überlegen Sie sich das gut. kur an und für sich wäre ja eine knorke maßnahme, wären da nicht die anderen kurgäste, denen man auf eine dauer von 3 bis 8 wochen hilflos ausgeliefert ist. dann der frühstückssaal. entkofeeinierter kaffee. curphew! menschen in weißen kitteln, die einen spüren lassen, dass man doch nichts als ein kleiner armseliger bittsteller ist, der die gelder der bfa verjuxt. man verliert das ziel, sich zu regnerieren völlig aus den augen und versteift sich darauf, die anwesenheit der anderen nicht nur zu dulden, sondern zu überleben.
    ich empfehle ein ticket nach goa und dann einfach drei wochen fruchtsaft trinken. größerer erholungswert.

  16. REPLY:

    Nein, das ist mir völlig unbekannt. Bekannt und gern gelesen dagegen „Hortense oder die Rückkehr nach Baden-Baden“, ein reizender Roman, Flake heißt der Autor, der in den Zwanzigern damas gern gelesene Unterhaltungsromane verfasst hat.

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