Der Club ist leer. Außer uns sitzen ein paar Versprengte am Tresen und fingern an ihren Bierflaschen herum, und an der Hinterwand läuft ein Film, den niemand betrachtet. Nach Hause hätte ich fahren können, meditiere ich aus dem Fenster heraus auf die dunkle Brunnenstraße. Ein heißes Bad, besseres Essen als der fettige, salzlose Bratreis ein paar Häuser weiter, Geschichten, deren Ende ich noch nicht kenne, und dann schlafen, schlafen – vielleicht träumen.
Die Stadt ist immer woanders, fällt es mir ein, und derjenige, der sich mit diesem Satz für einen viel zu langen, viel zu langweiligen Abend entschuldigte, als sei es nicht seine Schuld gewesen und nicht die meine. – Geh nach Hause, blinzelt der träge Montagabend mir zu, und ich ziehe ein letztes Mal an meiner Zigarette und gehe langsam, Schritt für Schritt die Invalidenstraße aufwärts, vorbei am Magnet Mitte, vorbei am Bergstübl, an der Weinerei, und an all den anderen leeren Orten.
Die Stadt aber schläft woanders.
Das Gefühl kenn ich wirklich gut. Gibt es aber nicht nur in Berlin sondern auch in Stuttgart.
Die schönsten Städte sind unsichtbar…
die zwei, drei perfekten abende im jahr gerinnen irgendwann zum stadt-nacht-gefühl. wo alles leicht war, die clubs tobend voll und trotzdem läßt der türsteher einen lächelnd vor allen anderen rein. die musik stimmt. kein bißchen müdigkeit. das weiterziehen bringt immer neue erlebnisse. und dann finden wir uns alle glücklich in einen nachtimbiss wieder.
80% der abende sind eben anders.
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Die wahren Städte sind im Kopf 🙂
Da fällt mir ein Film aus den 80ern ein, verehrte Madame, der Ihr sehr schön geschildertes Gefühl nonchalant aufs große Ganze erweitert. Er hieß: „Überall ist es besser, wo wir nicht sind“.
Ich glaube, erst wenn man sich von diesem Gefühl befreit hat, gibt es die Chance auf Glück.
Ausdehnung
Eine glanzvolle Schilderung einer momentan Empfindung; vergrößerung des Wesentliche. Wie einge wenige einsame Klänge eines Klavirs.
Zu oft selbst erlebt.
Danke sehr.
Woanders, frueher?
Verehrte Modeste
bitte sehen Sie mir diesen ausserordentlich uncharmanten Kommentar nach, da er doch nur mein unbedingtes Nachempfinden Ihrer Gedanken spiegelt:
Ist dieses „woanders“ Gefuehl auch fuer Sie mit zunehmendem Alter verstaerkt zu spueren? Ich habe stets den wahrscheinlich vollkommen subjektiven Eindruck, „gestern“, „damals“, „als ich noch Student war“, „als wir noch juenger waren“ etc etc, eben „frueher“ sei diese 80:20 Ratio (wenn man denn heutzutage Glueck hat) zwischen gelungenen und eher enttaeuschenden Abenden doch eher umgekehrt, oder aber zumindest deutlich ausgeglichener gewesen.
Aber wahrscheinlich ist „gestern“ einfach nur eine andere Form von „woanders“… Quod erat demonstrandum.
dE
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und die zweidrei perfekten Jahre im Leben gerinnen irgendwann zum Ich-und-mein-Leben-ja-das-ist-mein-Leben-Gefühl. Wo’s leicht war, die Agenda tobend voll und trotzdem mit einem Lächeln noch Platz für mehr und anderes und andere; die Musik stimmte, nicht müde, auch nicht morgens, und jeden Tag bringt neue Erlebnisse und im Nachtimbiss ist der Reis weder fettig noch salzlos sondern lecker und saftig und das Bier kühl und gegenüber kurz mal angelächelt…
Ja, dieses „Da-wo-du-nicht-bist-ist-das-Glück“-Gefühl, Herr Mann², ist selbstverständlich nicht ortsgebunden – das wäre ja auch zu paradox. Und zu einfach. Da hinter jener Tür, wo laut Einwohnermeldeamt die Sehnsüchte wohnen, aber bekanntlich nichts einfach ist, mögen sowohl Sie, Herr Wallhalladada, als auch Herr Che, alle beide recht haben – wobei sich Ihre Aussagen, wenn ich’s recht überlege, gegenseitig ja auch nur dann ausschließen, wenn man den fürwahr seltenen Fall der Trepanation in seine Überlegungen einbezieht, und wer geht schon hin und tut dergleichen.
Das es wenige Nächte und Jahre sind, die unser Lebensgefühl prägen, Frau Kitty und Herr (?) Hochzusammengesetzt, ist vielleicht ganz gut so. Man stelle sich einmal vor, es wären die Alltage, die unsere Selbstwahrnehmung prägen – dieses „Aufstehen-Arbeiten-noch ein Glas Wein um die Ecke-zu Bett“-Tage. Wahrscheinlich hinge man sich auf. Wenn ich einen Film über die Lageweile drehen würde, würde er selbstverständlich mit einem spektakulären Suizid enden, was natürlich die Frage aufwirft, Herr Wagner, wie denn der von Ihnen angesprochene Film endet. Die Wahrnehmung, Monsieur Des Esseintes, früher habe man sich weniger gelangweilt, teile ich zwar, schreibe sie aber einer Erinnerungsfehlsteuerung zu, da man sich an die langweiligen Abende vielleicht schlicht nicht zu erinnern pflegt. Möglicherweise ist aber auch dieser Erklärungsansatz nur eine gnädige Selbsttäuschung, mit der man sich über die Frustration des Alters hinwegzutäuschen versucht. Immerhin hatten die Nächte von vor zehn Jahren den ganzen Charme des Anfangs, der ersten Male, von denen man noch nicht wusste, das ihre Flughöhe nicht mehr überboten werden würde.
Und vielen Dank, Herr Tradem.
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ja, durchaus herr, denk ich mal. das kann man schon so sagen und sehen.
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Ich fand’s früher schlimmer. Obwohl da mehr los war. Jetzt, wo bei mir nur noch der Bauch, nicht aber die Blütenträume wachsen, muß ich dem Glück nicht mal mehr die Nummer meiner Packstation verraten.
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Ja, das ist ein Vorteil des Älterwerdens – die Hoffnungen passen sich den Möglichkeiten an.