Kampf der Giganten

„Das Tollste hast du ja noch gar nicht gehört.“, sagt die C. Ihr Bruder werde heiraten. „Ich dachte, der kennt gar keine Frauen?“, frage ich nach, und schaufele mir ziemlich viel Zucker in den Tee. „Hat er im Studium kennengelernt.“, sagt die C. Eine Beziehung habe zum Zeitpunkt des gemeinsamen Studiums ihres Bruders und seiner Braut indes nie bestanden. „Ich heirate ja verhältnismäßig selten Leute, nur weil die in meinem Semester waren.“, antworte ich, und harre der Dinge, die da kommen sollen.

Über der C. jüngeren Bruder erzählt man sich ohnehin einiges, was auf einen eher ungewöhnlichen Geisteszustand des jungen Mannes schließen lässt. Was, zum Beispiel, so fragt sich der geneigte Zuhörer, soll man auch über einen Menschen denken, der die Person seines eigenen Arbeitgebers hartnäckig und über Monate der Familie verschweigt, aus Angst, die zu peinvollen Aktionen keinesfalls neigende Mutter riefe im Büro an? Oder Mutter und Schwester auf fremden Straßen bei einem gemeinsamen Ausflug abrupt und für mehrere Stunden stehen lässt, ohne seinen Verbleib nach seiner Wiederkehr geraume Zeit später in irgendeiner Weise zu erläutern? Eine Heirat jedenfalls, so war den vormaligen Erzählungen meiner lieben C. zu entnehmen, schien der Familie schon aufgrund der Tatsache ausgeschlossen, dass festere Bindungen zu den Mitgliedern des weiblichen Geschlechts in der nunmehr auch schon fast drei Jahrzehnte währenden Vergangenheit des jungen Mannes offenbar zu keinem Zeitpunkt bestanden.

„Wie kommt denn die Frau dazu, deinen Bruder zu heiraten, wenn die beiden nicht mal zusammen sind?“, frage ich, und bestelle angesichts der Kälte eine weitere heiße Schokolade und Kuchen. Weitere Gewichtszunahmen, so beschließe ich bei mir, sind angesichts der Wollpullover, die dieses Jahr anscheinend ganzjährig getragen werden, auch egal.

Die Dame, so erzählt C. mir, sei eine charmante Studentin gewesen, gebürtig aus fernen Landen, und nach beendeter Ausbildung in jene fernen Lande auch wieder entschwunden. Mit sich genommen habe sie, wie man es eben so macht, diverse E-Mailadressen diverser Kommilitonen, und unter jenen sei eben ihr Bruder derjenige gewesen, der am häufigsten geantwortet habe, dann habe man telephoniert, sich per Telephon verliebt, und am Ende beschlossen, auf der Stelle einander auf ewig anzugehören.

„Das geht ja fix.“, sage ich, und überlege ein bißchen, wie viele Jahre mein letzter spontaner Entschluss überhaupt her ist, und versenke das Ergebnis schleunigst auf dem Grund einer dicken, süßen Schokolade. „Die wird sich noch umschauen.“, meint C., und es klingt fast ein wenig schadenfroh. „Hört sich doch ganz romantisch an.“, meine ich, während C. in aller Ausführlichkeit die Unfähigkeit ihres Bruders, mit überhaupt irgend jemand zusammenzuleben, schildert. Es hört sich nicht gut an.

„Wann soll das große Ereignis denn stattfinde?“, frage ich nach, und C. erzählt irgendwas von „in zwei Wochen“. Der Flug sei gebucht, die Studentin habe ihre beweglichen Besitztümer in ein paar Kisten gepackt, ihren Job gekündigt, und ihren Eltern von der bevorstehenden Hochzeit erzählt.

„Was sagt denn deine Mutter?“, erkundige ich mich. C. verdreht ein bißchen die Augen und zieht die linke Augenbraue hoch: „Hat den Flug auch schon gebucht, und will meinen Bruder retten.“ „Nicht schlecht.“, sage ich. „Kampf um die arme Seele.“

„Könnte unterhaltsam werden.“, meint C., und blättert ein bißchen in der Karte. Mangels Urlaub sei ein Besuch ihrerseits als Schlachtenbummlerin leider so gut wie ausgeschlossen.

20 Gedanken zu „Kampf der Giganten

  1. Drum prüfe, wer sich ewig bindet…

    Baff! Sachen gibt es…. Einerseits ein schönes Beispiel für die Bestätigung des
    alten Sprichworts von Topf und Deckel, andererseits eine echte „Du-ahnst-es-nicht-
    Geschichte“, die eigentlich nicht gut gehen kann. Vielleicht ist das aber auch eine
    reine Versorgungsehe zur Erlangung der deutschen Staatsbürgerschaft und Versorgung
    einer Familie in der Dritten Welt mit Finanzspritzen; in meinem kurdischen Bekanntenkreis ist so etwas jedenfalls weit verbreitet. Wobei: Ich habe selbst erlebt, wie ein Mann,
    an dem jede Form erotischer Wahrnehmung und Empfindung vorbeigegangen zu sein
    schien (böse Zungen nannten ihn den „Schwanzlosen“) in den Händen der richtigen
    Frau aufblühte und ein anderer Mensch wurde. Ist ja auch Frühling und überhaupt….

  2. REPLY:

    Dass von seiner Seite aus offenbar keine Versorgungsehe geplant ist, geht aus seinen Stellungnahmen gegenüber seiner Sippe klar hervor. Was die Dame allerdings plant… Ich glaube ja nicht an den Frühling.

  3. REPLY:

    Ein Plastikherzchen traue ich der Dame ja auch ohne weiteres zu. Aber vielleicht führt mich das mühsam erworbene Misstrauen gegenüber anderer Leute ehrenhafter Absichten auch in die Irre, und dies ist der Beginn einer langjährigen Ehe? Philemon und Baucis in nuce sozusagen?

  4. Also bitte. Ein paar Beiträge zuvor wurde in der werten Leserschaft noch lang und breit das Diffizile der Annäherung an das andere Geschlecht bejammert erörtert. Nun machen es zwei Menschen spontan, einfach und ohne viel further ado – da ist es auch nicht recht.

    Ich werde jetzt in meinem alten Telefonbuch blättern, mal sehen, ob da noch Nummern und Mail-Adressen aus meiner Studienzeit drinstehen…

  5. REPLY:

    @Kid37 Zu Ihren Studienzeiten gab es schon E-Mail?

    Singt einmal ein anderer Sänger den Verliebten leis ins Ohr.
    Sitzen die wohl auch nicht länger als wir saßen längst zuvor.
    Doch dann kümmert´s uns nicht länger, wer an wen sein Herz verlor.

  6. REPLY:

    Tja, wie man´s macht, macht man´s falsch – namhafte Stimmen in der Literatur behaupten ja im Einklang mit der allgemeinen Lebenserfahrung, bei der Annäherung in amore handele es sich um die klassiche lose-lose-Situation überhaupt.

  7. REPLY:
    Lie-bäh

    Mitunter frage ich mich, ob diese „namhaften Stimmen in der [abendländischen] Literatur“ nicht ohnehin alle vollsaftig einen an der Klatsche haben, und jenes Ideal, das allem Geschriebenen zugrunde liegt, was spätestens seit der mittelalterlichen Minnelyrik verbrochen wurde, nicht völlig absurd und hochgradig pathologisch ist, wenn man es mit anderen Kulturen vergleicht.
    Der römische Gott Amok (auch bekannt als Stupido) mag noch als die Witzfigur des dauerbesoffenen, ständig danebenschießenden Deppen mit rosigen Bäckchen und Benny-Hill-Grinsen durchgehen, aber alles, was danach kam?
    Z.B. frage ich mich, ob alle, die dem westlichen Liebesideal Huldigenden nicht, wenn es nach dem Herrn Gautama B. geht, als Hungergeister wiedergeboren werden.
    (Jedenfalls habe ich mir vor kurzem gelobt, mich fürderhin keiner Vertreterin des anderen Geschlechts mehr auf disambiguierte und zielorientierte Weise zu nähern, solange ich noch einen letzten Rest von abendländischer Terminologie mit mir herumschleppe, an dem ekelhafte Relikte aus der Vergangenheit pappen wie Organisches an Latex nach einem Pornodreh. Notfalls werfe ich mich vor den nächsten Buddha.)

    [Edit: Daher auch meine ungewohnt gereizte Reaktion neulich auf Insomnia.]

  8. REPLY:

    (Schwamm drüber. Bevor ich dazu kam, auf Ihren letzten Kommentar etwas zu antworten, hatten Sie den schon wieder gelöscht. Darum sag ich es nun hier. Gruß arboretum)

  9. REPLY:

    (Ich habe statt eines etwas arrogant klingenden versehentlich den falschen Kommentar gelöscht. Kann ja passieren bei der Uhrzeit. Nur gibt es eben leider keine Undo-Funktion. Inzwischen würde ich sogar noch weiter gehen und eine bestimmte Terminologe – mit verbundener Geisteshaltung – ganz aufgeben. „Nicht-Anhaften“ sollte stattdessen einen breiteren Eingang in die deutsche Sprache finden, auch wenn es etwas gespreizt daherkommt…)

  10. REPLY:

    @BB: Jaaa, versuchen Sie’s nur 😉 Ich bin heute sooo entspannt, das ficht mich nicht an. Vergessen Sie nicht die Bummler Menschen, die etwas länger studieren als nötig wäre.

    Ich kenne noch diese „Mailbox“-Zeit, in der Tat.

  11. Zurück zu dieser Ehe.

    Würde es eventuell sehr viel Mühe machen, diese Ehe über etwas längere Zeit zu verfolgen? Ich bin sehr daran interessiert, ob das Ergebnis doch meine Statistik in Bezug auf Liebesehen verdirbt oder nicht. Es könnte doch sein, dass diese Illusion die beste Basis einer langen Geschichte ist und wir das nur nicht begriffen haben. Ich kenne sowas ähmlich Absurdes aus meiner Studentenheimzeit. Der Mitbewohner, Physiker, war nie weg, nie. Entweder wurde er von Zeugen an der Uni gesichtet, arbeitete in seinem Zimmer, schlief oder saß in der Küche. Und plötzlich war er verheiratet, mit einer sehr hübschen Krankenschwester, blieb aber weiterhin bei uns wohnen. Wir rästelten wochenlang, aber er verriet nichts! Bis heute weiß ich nicht, ob sie nun zusammen gezogen sind….

  12. REPLY:

    Mal von Mittdreißiger zu Über-Mittdreißiger: Langzeitstudenten sind ein absulut ekelhaftes Gesocks. Setz‘ Dich ja niemals neben mich in der Mensa oder im Seminar!

  13. REPLY:
    Grundsätzlich

    Also according to booldog habe ich auf der einen Seite meine Zweifel, ob es
    sich bei DER Liebe nicht um einen grundsätzlich existenziell faulen Zauber handelt und es sich eigentlich nur um miteinander <zensiert> wollen handelt. Und da wäre der ganze romantische Bohei drumherum eigentlich ziemlich überflüssig; entsprechend direkt und scheinbar rational gestaltete sich der Umgang damit in verflossenen hier sorgsam geschilderten Szene-Zeiten, in denen ein Genosse die eigene Position mal so zusammenfasste: Neue Linke – Quervögeln und Bonzenhass, isses das?
    Andererseits – wer möchte das romantische Drumherum missen?

    Ich wünsche den Beiden alles Gute, so oder so.

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